Mit der Ausstellung «Komische Arktis – Rentierzüchter am Polarkreis» in der Coalmine in Winterthur führt uns der russische Fotograf und Journalist Dmitrij Leltschuk in das Land der Komi, einer nordwestrussischen Minderheit, die von einer kargen Landwirtschaft und Rentierzucht lebt. Er zeigt eindrucksvoll, wie die Umweltschäden der Erdölförderung die Existenz der Komis bedrohen.
Das Volk der Komi in Nordrussland lebt traditionell von der Rentierzucht. Doch ihre Lebensgrundlage ist gefährdet. Denn mit der Entwicklung der Erdölindustrie investiert Russland immense Summen in seine arktischen Projekte, mit fatalen Folgen für die zerbrechliche Natur. Dmitrij Leltschuk (*1975 in Minsk, lebt in Hamburg) hat eine Komi-Familie über längere Zeit begleitet. Seine so atmosphärische wie aufrüttelnde Reportage zeigt das Leben der Hirtennomaden und die Bedrohung durch die Ölpest.
Der Kampf um die letzten Erdölreserven des Planeten hat längst begonnen. Auch in der Republik Komi: Das Gebiet, etwas grösser als Deutschland, liegt im äussersten Nordosten Europas, einer dünnbesiedelten Taiga- und Tundra-Region. Dort lebt die finno-ugrische Bevölkerungsgruppe der Komi. Während die Komi im Süden traditionell Forst- und Landwirtschaft betreiben, leben die nördlichen Komi von der Rentierzucht, Jagd und Fischerei.
Iwan Artejew (51, links) ist das Oberhaupt der Familie. Er hat elf Geschwister und ist der einzige von ihnen, der nicht in der Tundra geboren wurde. Sascha (34, Mitte) ist sein Neffe und Dima (27, rechts) ist sein Sohn. Sie alle und noch vier weitere Personen leben in einem Tschum. Wenn es warm ist, werden zwei Tschums aufgestellt – der grössere (hinten rechts) als Behausung und der kleinere (links) als Sauna. Foto: Dmitrij Leltschuk
Der Fotograf Dmitrij Leltschuk hat eine Komi-Grossfamilie während längerer Zeit begleitet. Die Familie Artejew gehört zu den Komi-Ischemzen, der nördlichsten Bevölkerungsgruppe. Die Nomaden folgen ihren Rentieren, die halbwild in der Tundra weiden. Ihr Fleisch, Horn und Fell bildet ihre Lebensgrundlage. Die Erdölförderung bedroht jedoch die Gesundheit von Mensch und Tier und zwingt immer mehr Komi zur Aufgabe ihrer traditionellen Lebensweise. Umweltschäden durch marode Pipelines und verlassene Ölfelder haben ein bedrohliches Ausmass erreicht. 1994 ereignete sich in der Republik Komi die bisher schwerste Ölhavarie an Land. Seither führt das austretende Öl zu einer immer stärkeren Verschmutzung der Landschaft. Die Ölfeldarbeiter hinterlassen unzählige kleine Erdölseen, die das Trinkwasser verseuchen. Ein weiteres Problem ist der hinterlassene Müll.
Schrott, Nägel, Metallseile und Glasscherben führen immer wieder zu Beinverletzungen bei den Rentieren. Da die Tiere halbwild in der Tundra weiden, werden sie zur leichten Beute für Braunbären und Vielfrasse oder sterben an Infektionen. Die Rentiere sind das einzige Kapital der Komi. Mit ihrem Verlust schwindet ihre Lebensgrundlage. Foto: Dmitrij Leltschuk
Die Rentiere verletzen sich an Metallschrott, Nägeln, Drahtseilen und Glasscherben und werden zu Opfern von Braunbären, Vielfrassen oder Infektionen. Die hohen körperlichen Risiken für Hirten und Tiere führen dazu, dass immer mehr Komi ihre althergebrachte Lebensweise aufgeben und versuchen, ausgerechnet bei den Ölkonzernen Fuss zu fassen, dem grössten Arbeitgeber in der Region.
Dmitrij Artejew (27) steht an einem verlassenen Ölfeld. Immer wieder tauchen auf dem Weg der Komi verlassene Ölfelder auf. Es bilden sich Seen, die ganz aus Erdöl und Masut bestehen und fürchterlich stinken. Fünfzig Meter entfernt fliesst der Fluss Tschjornaja («der Schwarze»), der das verseuchte Wasser weiterträgt. Foto: Dmitrij Leltschuk
Dmitrij Leltschuk agiert zunächst als nüchterner Dokumentarist. Den Alltag der Nomaden – vom morgendlichen Suchen der Herde über das Packen der Schlitten bis hin zum abendlichen Zusammensein im Tschum – hält er in einer Bildsprache fest, die den Betrachter unmittelbar teilhaben lässt. Seinen Recherchen und Bildern ist es zu verdanken, dass die Auswirkungen der Ölpest auf die Rentierzüchter als verständliche, berührende Geschichte zutage treten. Gleichzeitig gelingt es ihm, ein atmosphärisch dichtes, poetisch vielschichtiges Werk zu schaffen, in dessen Zentrum die mystische Präsenz des Rentiers steht.
Die Ausstellung ist noch bis 24. März 2016 zu sehen im
Coalmine Forum für Dokumentarfotografie
Turnerstrasse 1
CH-8401 Winterthur
Tel. 052 268 68 68
Eine öffentliche Führung mit den Kuratoren Sascha Renner und Alexanda Blättler findet am Dienstag, 8. März 2016, um 18.30 Uhr statt.
Biografie
Dmitrij Leltschuk wurde 1975 in Minsk/Weissrussland geboren. Vor seinem Umzug nach Deutschland hat er als freier Journalist gearbeitet. Von 2002 bis 2007 hat er an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg Medientechnik mit dem Schwerpunkt Audio-Visuelle Medien studiert. Seit 2007 arbeitet er als freier Fotograf für Zeitschriften wie mare, GEO, Der Spiegel, Hinz&Kunzt etc. Sein Schwerpunkt liegt in der Reportagefotografie. Seine Werke wurden in zahlreichen internationalen Ausstellungen gezeigt. 2013 sind sein Bildband «Die Sandmenschen von Schoina» und der Film «Élégie pour un phare»/ «Elegy For a Lighthouse» (als Kameramann, in Zusammenarbeit mit Dominique de Rivaz) erschienen. 2015 erschien im Mare Verlag ein Bildband über Schottland von ihm und dem italienischen Fotografen Sirio Magnabosco, der mit dem Deutschen Fotobuchpreis ausgezeichnet wurde.
Die Partnerschaft – Greenpeace Photo Award
Zum zweiten Mal präsentiert die Coalmine die Preisträger des Greenpeace Photo Awards in Zusammenarbeit mit Greenpeace. In Medienpartnerschaft mit dem Reportagemagazin GEO wurde der Greenpeace Photo Award 2014 zum Thema Umwelt öffentlich ausgeschrieben.
Nicht fertige Fotoarbeiten wurden gesucht, sondern noch nicht veröffentlichte Fotoprojekte in Arbeit. Die Jurypreise à je 10’000 Euro wurden von einer hochkarätigen Fachjury (Peter Pfrunder, Direktor der Fotostiftung Schweiz, Ingo Taubhorn, Kurator Deichtorhallen Hamburg, Ruth Eichhorn, Bildchefin GEO) an Uwe H. Martin und Dmitrij Leltschuk vergeben.