Urs Tillmanns, 27. März 2016, 07:00 Uhr

Fotografieren mit Film – 4 spannende Tage in der Photobastei

Zwei Tage mit Film fotografieren, und in zwei Tagen die Filme entwickeln, die besten Bilder vergrössern – und abends ist die Vernissage. Eine grosse Herausforderung, welcher sich sechs Interessierte stellten. Die Teilnehmenden haben dabei eine völlig neue Beziehung zur Fotografie gewonnen.

 

In Zusammenhang mit der Ausstellung der Fotografien von Vivian Maier wurde in der Photobastei ein Workshop unter dem Zeichen der Streetphotography durchgeführt. Da es seit kurzem in der Photobastei ein Schwarzweisslabor gibt, hatten die sechs Teilnehmer den Auftrag, mit einer analogen Kamera durch die Strassen zu ziehen, um das Leben in der Stadt auf Schwarzweissfilme zu bannen und eigene Abzüge davon hervorzubringen. Das Ergebnis ist in einer kleinen Parallelausstellung zu sehen, die noch bis 4. März im 3. Stock der Photobastei gastiert.

 

Foto: Urs Tillmanns / Fotointern.ch

Die gegenwärtige Ausstellung von Vivian Maier in der Photobastei ist ein grosser Erfolg. Sie ist noch bis 3. März 2016 zu sehen

 

Zur Einstimmung auf den Workshop gab es eine Führung durch die Ausstellung Vivan Maier «Taking the Long Way Home», in der die Streifzüge der Fotografin durch die Städte New York und Chicago sehr lebendig werden. Kann man heutzutage in einer Stadt in der Schweiz ähnliche Szenen antreffen? Oder sollte man den Begriff Streetphotography viel weiter fassen?

 

Foto: Urs Tillmanns / Fotointern.ch

Gunnar Remane beurteilt mit einer Teilnehmerin den eben entwickelten Schwarzweissfilm

Die Fotografie ist in unserem Alltag so präsent, dass man schon einen sehr persönlichen Ansatz wählen muss, um das Publikum zu packen. So war der Auftrag an die Teilnehmer des Workshops auch sehr offen formuliert. Vivian Maier hat hauptsächlich Menschen fotografiert, man kann aber im urbanen Gewimmel unzählige andere Spuren der Menschen finden und auf lebendige Art einfangen, Szenen, die unsere moderne Lebensart wiedergeben.

 

Foto: Urs Tillmanns / Fotointern.ch

Die Handhabung der Geräte und das Vergrössern der Bilder will noch kurz erklärt und letzte Fragen diskutiert werden

Die Bilder entstanden in zwei Tagen intensiver und aufmerksamer Beobachtungen durch die Linse der Kamera. Zwei weitere Tage wurden im Labor der Photobastei verbracht. Da wurden zuerst die Filme entwickelt und anschliessend von ausgewählten Negativen feine Silbergelatine-Prints angefertigt.

 

Foto: Urs Tillmanns / Fotointern.ch

Das rote Licht in der Dunkelkammer ist für viele etwas gewöhnungsbedürftig

Die Fotografie mit analoger Technik ist in der heutigen Zeit ungewohnt, da der beruhigende Kontrollblick auf das Kameradisplay nicht möglich ist. Dafür ist der Moment der Aufnahme viel konzentrierter und die Spannung bis zur Filmentwicklung gross. Die Vergrösserungen entstehen in bedachter Handarbeit: Der erste Abzug wird gründlich analysiert und durch kleine Änderungen in jedem folgenden Versuch optimiert. Diese langsame Arbeit ermöglicht eine tiefgreifende und sehr sinnliche Auseinandersetzung mit dem Motiv.

 

Foto: Urs Tillmanns / Fotointern.ch

Ein faszinierender Moment, wenn das Bild im Entwickler langsam erscheint.

Für die Teilnehmer des Workshops war diese Arbeitsweise entweder neu oder nur noch an alte Erinnerungen geknüpft, in jedem Fall aber eine grosse Herausforderung. Deshalb war ein grosses Engagement gefragt und das haben alle mit unglaublicher Begeisterung an den Tag gelegt. Das Ergebnis ist erstaunlich: Vorgänge wie die Filmentwicklung, die keine Fehler verzeihen, wurden, einer gewissen Nervosität zum Trotz, mit sicherer Hand durchgeführt. Bei den Vergrösserungen ging es darum, aus einem Teststreifen Informationen über Belichtung und Kontrast zu gewinnen und daraus die richtigen Massnahmen für die Bildoptimierung festzulegen.

 

Foto: Urs Tillmanns / Fotointern.ch

Die Qual der Wahl! Zudem drängt die Zeit, denn in einer Stunde kommen die Gäste zur Vernissage

 

Foto: Urs Tillmanns / Fotointern.ch

Auch die Bildpräsentation ist wichtig. Stimmt die Bildreihenfolge? Hängen die Bilder gerade? Es kommt auf jedes Detail an …

Auch wenn die überwältigende Mehrheit der Fotografen, ob Profis oder engagierte Amateure, heute digital fotografieren, weil man damit eine aus technischer Sicht bestechende Bildqualität und hohe Trefferquote erreicht, so bietet die analoge Arbeitsweise eine attraktive Nische für all jene, die Freude an handwerklicher Bildbearbeitung haben. Dem langsamen Erscheinen des Bildes in der Entwicklerschale haftet eine gewisse Magie an. So war es jedenfalls für mich, als ich noch vor dem Aufkommen der digitalen Technik meine ersten Laborerfahrungen gesammelt habe und so ist es auch heute noch.

Gunnar Remane
Leiter des Schwarzweisslabors der Photobastei

 

Und abends war dann die Vernissage

«Um 15 Uhr gibt’s Licht» sagt Gunnar. Bis dahin müssen alle Vergrösserungen fertig sein, damit die Ausstellung gestaltet werden kann. In einer Koje in der Photobastei warten drei weisse, leere Wände auf die Bilder. Und um 18 Uhr kommen die Gäste zur Vernissage! Die Lage spitzt sich zu. Soll ich dieses oder doch lieber jenes Bild nehmen? Den Rand wegschneiden oder dranlassen? Die Strassenbilder oben aufhängen – oder dort doch besser die Porträts?

 

Foto: Urs Tillmanns / Fotointern.ch

18 Uhr: Die Gäste sind da und setzen mit grossem Applaus den Schlusspunkt unter viel erlebnis- und erfolgreiche Tage

Alle haben es geschafft. Und mit Tapas und Orangensaft kamen dann auch prompt die ersten Gäste. «Es war ein spannendes Experiment und eine grosse Herausforderung», so Gunnar Remane. «Die Gruppe hat das vorzüglich gemeistert!»

 

Das sind die Teilnehmer und ihre Arbeiten

 

Foto: Urs Tillmanns / Fotointern.ch

Jves Joël Burgener, Kommunikationsberater. «Schon von Berufes wegen habe ich ein grosses Interesse am Fotodesign, und da spielte sich bei mir in den letzten 20 Jahren alles digital ab. Jetzt hat mich diese analoge Technik mal fasziniert, um zu erleben, wie man früher fotografiert hat. Es war eine geniale Erfahrung – man gewinnt eine ganz neue Beziehung zur Fotografie und zu seinen Bildern …»

 

Foto: Urs Tillmanns / Fotointern.ch

Kathrin Ladinig, Assistentin im IT-Bereich. «Ich wollte die analoge Technik einfach mal ausprobieren, und es war eine tolle Erfahrung! Digital geht alles so schnell, man drückt einfach ab. Beim Fotografieren mit Film überlegt man sich das Vorgehen genauer. Man muss das fertige Bild vor Augen haben, dann geht alles viel leichter. Trotzdem bleibt immer ein Unbehagen: Ist wirklich etwas auf dem Film? Stimmt die Belichtung? Wenn jetzt nur beim Entwickeln nichts mehr schief geht …»

 

Foto: Urs Tillmanns / Fotointern.ch

Barbara Loepfe, Ethnologin. «Die vier Tage waren sehr streng, intensiv aber sehr lehrreich. Besonders wenn man zwar früher mit Film fotografiert, nie aber selbst vergrössert hat. Selbst Prints herstellen und abends in einer Ausstellung präsentieren, war für mich ein grossartiges Erlebnis. Gunnar hat das super gemacht! Analog fotografiert man sehr viel bewusster – man überlegt sich vor jedem Abdrücken, ob sich das Bild wirklich lohnt. Für mich war es eine gute Erfahrung. Es reizt mich weiterzumachen …»

 

Foto: Urs Tillmanns / Fotointern.ch

Dr. Johann W. Schregenberger, Forschung und Lehrstelle ETH, i.R. «Ich fotografiere seit Kindsbeinen, und habe früher immer analog gearbeitet. Dann ist die Digitalfotografie hinzu gekommen und hat auch bei mir das Analoge etwas verdrängt. Als ich den Ausschrieb sah, hat es mich gereizt, mal wieder mit Film zu fotografieren und die Bilder selbst zu vergrössern. Es war ein strenges Pensum und eine grosse Herausforderung – aber es hat sich gelohnt …» www.ausmeinersicht.ch

 

Foto: Urs Tillmanns / Fotointern.ch

Michaela Sprüngli, Luftverkehrsangestellte. «Ich fotografiere schon länger und eigentlich recht engagiert. Die Fotografie mit Film wollte ich schon lange mal ausprobieren, und jetzt bot sich mir diese Gelegenheit. Mein Fazit: Man arbeitet mit einer Reihe unbekannter Faktoren beim Fotografieren mit Film, und das zwingt einem überlegter und gezielter zu fotografieren. Das hat nicht nur grossen Spass gemacht, sondern es spornt mich an, diese Arbeitsweise weiter zu pflegen …»

 

Foto: Urs Tillmanns / Fotointern.ch

Monika Steineberg, Administrationsleiterin. «Ob wir es wirklich wie Vivian Maier schaffen? Der Kurs war eine grosse Herausforderung und es war ein sehr gedrängtes Programm. Aber ich habe viel profitiert und eine völlig andere und tiefere Art der Fotografie erlebt. Es braucht viel Überlegtheit und Geduld – aber der Moment, wenn das Bild langsam im Entwickler sichtbar wird, ist ein befriedigendes Erlebnis. Man bekommt eine viel tiefere Beziehung zur Fotografie …»

 

Die Arbeiten sind noch bis 4. April 2016 in der Photobastei, Sihlquai 125, CH-8005 Zürich zu sehen.

 

Schwarzweiss Labor auch für Sie offen …

Die Photobastei führt übrigens regelmässig Schwarzweiss-Fotoworkshops durch, an denen die Technik der Fotografie mit Film und das Herstellen Schwarzweiss-Vergrösserungen erlernt werden kann. Interessiert? Setzen Sie sich mit Gunnar Remane in Verbindung. labor [at] photobastei.ch

Weitere Informationen über das Schwarzweisslabor finden Sie auf Photobastei.ch und auf Fotointern.ch

 

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