Jetzt wird aus der Leica SL bereits ein System: Nach dem Vario-Elmarit-SL 1:2,8–4.0/24–90 mm ASPH ist nun in Kürze als willkommene Ergänzung das Apo-Vario-Elmarit-SL 1:2,8–4.0/90–280mm lieferbar. Peter Schäublin hat eines der ersten Exemplare des neuen Telezooms in der Praxis erprobt.
Wenn Festbrennweiten zoomen könn(t)en …
Als noch Filme in Kameras waren, in Deutschland mit Mark bezahlt wurden und sich noch Haare auf meinem Kopf befanden – also schon vor längerer Zeit – da waren Zooms bei den «ernsthaften» Fotografen verpönt. Schliesslich waren sie optisch gesehen ein Kompromiss. Denn ein Objektiv kann immer nur auf eine Brennweite optimal korrigiert werden. Seither ist viel geschehen: Es hat Sensoren statt Filme in den Kameras, in Deutschland wird mit dem Euro bezahlt, auf meinem Kopf hat‘s nicht mehr so viele Haare, und Zooms sind auch bei Profis zu 100% akzeptiert. Besonders die beiden Brennweiten 24–70 und 70–200mm, mit durchgehender Lichtstärke 1:2,8, fehlen eigentlich in fast keiner Tasche eines Fotografen.
Leica hat letzten Herbst die SL präsentiert, um damit im oberen Segment der DSLR / DSLM mitzuspielen. Als erstes Objektiv wurde zeitgleich mit der Kamera das Leica Vario-Elmarit-SL 1:2,8–4.0/24–90 mm ASPH lanciert. Als zweite Linse wurde das Leica Apo-Vario-Elmarit-SL 1:2,8–4.0/90–280 mm angekündigt. Lässt sich die deutsche Traditionsmarke jetzt auch so weit herunter, dass sie Zooms zu ihren Top-Kameras anbietet? Schon für die Leica S haben die Cracks aus Wetzlar ein Zoom, das Vario-Elmar S 1:3.5–5.6/30–90 mm ASPH, ins Programm aufgenommen und damals bereits behauptet, dieses Objektiv stehe Festbrennweiten nicht nach. Ist dem so? Und wie schlägt sich denn das neue 90–280er? Ein Test über die Ostertage soll Klarheit bringen.
Kleiner als erwartet
Andreas Grimm von Leica Schweiz ist gerade unterwegs in meiner Gegend und lässt es sich nicht nehmen, das Testobjektiv persönlich vorbeizubringen. Als er das 90–280er aus der Tasche zieht, bin ich überrascht. Es ist deutlich kleiner als erwartet. Auf den Bildern im Internet sah es massiv wuchtiger als die bekannten 70–200mm aus, doch es liegt punkto Grösse in etwa mit meinem 1:2.8/70–200er von Nikon gleich auf. Gleiches gilt übrigens auch für das Leica 24–90mm im Vergleich mit dem 24–70mm Zoom. Interessantes Detail: Sowohl bei Nikon wie auch bei Leica verändert das Standardzoom seine Länge, wenn man die Brennweite ändert. Beim Telezoom verändert sich bei beiden Marken die Länge über das gesamte Brennweitenspektrum nicht. Der Frontlinsendurchmesser der beiden Nikon-Zooms liegt bei 77 mm, bei Leica fällt der Durchmesser mit 82 mm etwas grösser aus, ist aber auch bei beiden Objektiven identisch. Kluge Planung oder Zufall? Es ist auf jeden Fall sehr begrüssenwert, dass die Kamerahersteller darauf achten, die Objektivdurchmesser wo immer möglich aneinander anzugleichen, damit man denselben Schraubfilter auf mehreren Objektiven einsetzen kann. Ganz nebenbei sei erwähnt, dass auch das dritte Objektiv zur Leica SL, das Summilux-SL 1:1,4 50 mm einen Frontlinsendurchmesser von 82 mm haben wird.
Details, die zählen …
Als ich letzten Dezember meine Leica SL mit dem 24–90er erhalten habe, bin ich ganz spontan losgezogen, einfach um ein paar Bilder zu machen (mehr dazu in meinem Blog auf www.720.ch/blog/20151212). Zuhause auf dem Computer war ich dann ob der Zeichnung der Details und Strukturen fasziniert. Die RAW-Files aus der Leica SL sind so gut, dass sie eigentlich keiner Nachbearbeitung mehr bedürfen. Was der Sensor liefert, ist Extraklasse.
Wenn ich dann will, kann ich den Regler für «Klarheit» im Lightroom oder Photoshop immer noch etwas nach oben ziehen, um die hervorragende Detailauflösung noch um einen Tick zu akzentuieren. Wird das 90–280er diese Benchmark halten können? Ich bin gespannt.
Die kleine Fotoausrüstung, links von Nikon, rechts von Leica. Sowohl die beiden Standardzooms wie auch die beiden Telezooms sind in den Dimensionen sehr ähnlich. Die Leica-Objektive fallen etwas länger aus und haben einen um 5 mm grösseren Linsendurchmesser. Da die SL schmaler als eine DSLR ist, fällt die Gesamtlänge von Kamera mit Objektiv bei beiden Systemen praktisch identisch aus.
Tag 1 – People-Fotoshooting in einer Firma
Die Firma VMK in Schaffhausen hat mir den Auftrag erteilt, von den Mitarbeitern Fotos zu machen. Jede Person soll an der Arbeit und im klassischen Porträtformat fotografiert werden. Ein perfekter Job, um die beiden Leica-Objektive gleich im normalen Arbeitsalltag zu testen. Ich greife aus der Fülle der Aufnahmen ein paar Beispiele heraus. Michael fotografiere ich an der Fräsmaschine mit dem 24–90mm Zoom. Ich positioniere ihn so, dass das Tageslicht sein Gesicht ausleuchtet:
Leica SL, 24–90er (ich spare mir die langen kryptischen Namen), auf 51 mm, 1/100 sec, f 4.5, 640 ISO. Das Bild ist unbearbeitet.
Ausschnittvergrösserungen aus dem unbearbeiteten Bild. Nichts nachgeschärft, keine Details erhöht, einfach die unbearbeitete RAW-Datei.
So sieht mein fertiges Bildresultat aus: Schwarzweiss-Umwandlung im Photoshop, Klarheit erhöht, Tiefen etwas angehoben. Durch die Erhöhung der Klarheit hat das Bild eine leichte Körnung erhalten, die dem Foto eine stoffliche Anmutung verleiht. Das Quadrat gefällt mir sehr gut, und in diesem Fall ergibt sich durch den ausgestreckten Arm und die Maschine eine schöne Diagonallinie im Bild.
Für die klassischen Porträts kommt das 90–280er zum Einsatz. Ich helle indirekt etwas mit einem Profoto B1 auf:
Leica SL, 90–280er auf 141 mm, 1/60 sec, f 4.0, 800 ISO. Das Bild ist ebenfalls unbearbeitet. Auch hier eine Ausschnittvergrösserung:
Unten das finale Resultat, auch wieder ein Quadrat. Ich habe die Haut noch ganz leicht retuschiert, aber weder weichgezeichnet noch sonst irgendwie «geplagt». Die Zähne und die Augen habe ich leicht betont und die Farbtemperatur noch etwas wärmer gewählt.
Tag 2: Karfreitagspaddeln
Ich fotografiere gerne am und auf dem Wasser – sei das hier in der Schweiz oder an der Pazifik-Nordwestküste, wo ich immer wieder mal mit dem Kajak unterwegs bin.
Dass dabei die Kamera von Zeit zu Zeit ein wenig Wasser abbekommt, liegt in der Natur der Sache. Spritzwasserfestigkeit ist ein absolutes Muss für meine Ausrüstung. Die Leica SL soll ja hervorragend abgedichtet sein, und so darf sie zusammen mit den beiden Objektiven mit zum Karfreitagspaddeln: Seit ein paar Jahren kajake ich jeweils mit Freunden am Karfreitagmorgen früh ein Stück den Rhein hoch, um etwa nach einer Stunde anzulanden, zusammen einen Brunch zu geniessen und der Bedeutung dieses besonderen Tages zu gedenken.
Morgens um 5:40 Uhr treffen wir uns am Rhein. Blue hour. Jeder bekommt sein Boot, die Spritzdecke und ein Paddel. Im ersten Morgenlicht schraube ich die ISO-Zahlen hoch …
Corinne checkt vor der Abfahrt nochmals, ob in ihrem Cockpit alles richtig eingestellt ist. Leica SL mit 24–90mm auf 25 mm, 1/30 sec, f 3.0, 6400 ISO, Bild unbearbeitet.
Leica SL mit 90-280mm auf 225 mm, 1/160 sec, f 3.6, 5000 ISO, leichter Ausschnitt, Tiefen etwas geöffnet. Auch mit wenig Licht liefert das 90–280mm Zoom nuancierte und satte Farben.
Leica hat sich bei dem klassischen Zoomduo für einen erweiterten Brennweitenbereich mit etwas weniger Lichtstärke entschieden: Wohl weil heute auch mit hohen ISO-Werten hervorragende Resultate möglich sind, priorisiert Leica den erhöhten Brennweitenbereich vor der durchgehend hohen Lichtstärke. Im Reportagebereich kann ich für meinen Geschmack mit der Leica SL bis auf 6400 ISO gehen, ohne dass mich das Bildrauschen stört. Reportagebereich heisst für mich, dass ich die Bilder entweder fürs Internet mit 2500 Pixel für die lange Bildkante oder für den Druck bis A2 einsetze.
Leica SL mit 90-280mm auf 261 mm, 1/800 sec, f 3.9, 1200 ISO, Verfolgungs-Autofokus (AF-c), leichter Ausschnitt
Ein Bild mit mehreren Kajakern wirkt dann top, wenn die beiden Paddel absolut synchron sind. Hier spielt die SL mit 11 Bildern pro Sekunde eine weitere Stärke aus. Ich stelle den Autofokus auf Verfolgung (AF-c), setze die Bildfolge auf «Serie schnell» und drücke den Auslöser durch, um dann das Bild zu wählen, bei dem die Paddelstellung der beiden Kajakerinnen perfekt ist. Weil die SL eine DSLM ist (spiegellose Kamera), rattert der Verschluss flüsterleise vor sich hin. Die kurze Verschlusszeit friert die Tropfen perfekt ein. Bei diesem Bild habe ich die Klarheit in Lightroom leicht erhöht, um den grafischen Look des Bildes etwas zu verstärken.
Bereits bei Bildern im unteren Brennweitenbereich des Telezooms lassen sich Personen mit selektiver Schärfe sehr schön aus dem Umfeld herauslösen. Leica SL mit 90-280mm auf 141 mm, 1/250 sec, f 3.5, 400 ISO, Bild unbearbeitet. Mehr Bilder aus diesem Shooting gibt‘s auf meinem Blog
Ein banales Bildbeispiel, das nochmals zeigt, wo die Stärken des neuen Telezooms liegen. Leica SL mit 90-280 mm auf 262 mm, 1/400 sec, f 8.0, 250 ISO, Bild unbearbeitet
Natürlich konnte ich es nicht lassen und wollte mal sehen, wo das Nachschärfepotenzial der SL-Bilder liegt. Um wirklich beste Resultate zu erhalten, muss man Bilder nachschärfen. Je besser die Ausgangsdatei ist, desto mehr kann nachgeschärft werden. Bei Porträts kann sich das Nachschärfen teilweise negativ auswirken, bei praktisch allen anderen Bildern bringt es noch den Extrakick an Schärfe. Hier ein Beispiel:
Leica SL mit 90-280mm auf 280 mm, 1/400 sec, f 4.0, 50 ISO.
1:1 Ausschnitt ohne Nachschärfung (links) 1:1 Ausschnitt mit Nachschärfung (rechts) mit Photoshop («Unscharf maskieren» mit 130%/Radius 1.0)
Ein starkes Duo
Mit dem neuen 90–280mm Zoom ist die SL-Linie jetzt schon zu so etwas wie einem kleinen System angewachsen. Weil beide SL-Objektive eine tiefe Naheinstellgrenze haben, kann man mit diesem Duo den grössten Teil der fotografischen Aufgaben bewältigen.
Über die Kamera habe ich ja bereits einen ausführlicheren Artikel geschrieben (siehe Fotointern.ch). Die beiden Objektive überzeugen mich mit höchster optischer Leistung. Sie sind meines Erachtens Festbrennweiten ebenbürtig. Gerade in den tiefen ISO-Zahlen (bis 400 ISO) ist die Detailwiedergabe der Leica SL mit den beiden Objektiven exzellent. Ja – Festbrennweiten können durchaus zoomen.
Ich weiss nicht, ob man explizit erwähnen muss, dass das Leica SL 90–280 mm hervorragend verarbeitet ist und einen sehr praktischen Stativfuss hat, den man bei Bedarf abnehmen kann. Der Stativring lässt sich um 360° drehen und rastet alle 90° ein. So kann man bei der Arbeit vom Stativ blitzschnell zwischen Hoch- und Querformat wechseln. Einzig die Gegenlichtblende aus Kunststoff vermag nicht so ganz ins Bild zu passen. «Plastic is phantastic», aber wenn man die Kamera aus dem Metallblock fräst, das Objektiv in höchster Qualität aus Metall und Glas baut, dann wäre es konsequent, wenn man dem 90–280er und auch dem 24–90er Metall-Gegenlichtblenden verpassen würde. Das sollte bei diesem Preis einfach drinliegen.
Was trotz der hohen Qualität der Zooms weiterhin für eine Festbrennweite spricht, ist die Möglichkeit, die Schärfentiefe mit voll offener Blende noch selektiver zu setzen und eine kompaktere Einheit von Kamera und Objektiv zu erhalten. Zudem fotografiert man mit einer Festbrennweite einfach anders. Statt zu zoomen muss man sich vermehrt in Bewegung setzen, um den optimalen Ausschnitt zu finden. Meist ist das für das Bildresultat von Vorteil. Von daher bin ich bereits gespannt auf das Summilux-SL 1.4/50 mm.
Peter Schäublin
www.720.ch // www.peterschaeublin.com // www.photoriginals.com