Das legendäre Haus von Foto-Ernst an der Badenerstrasse 211 in Zürich wurde einer neuen Zweckbestimmung zugeführt. Aus dem einstigen, randgefüllten Fotogeschäft ist das «Haus für analoge Kunst» geworden, mit einem reichhaltigen Veranstaltungsprogramm rund um die Fotografie mit Film. Wie geht es damit weiter? Wir haben uns mit der Initiantin Nicole Gerber unterhalten.
Nicole Gerber, Sie sind von Haus aus Fotografin und arbeiten als Kamerafrau beim Schweizer Fernsehen. Wir kam es, dass Sie sich in dem Projekt «Foto-Ernst» engagierten?
Das ist eine lustige Geschichte. Wie Tausende ZürcherInnen fahre ich jeden Tag durch die Badenerstrasse und sehe jedes Mal dieses Haus, meist mit dem Schiebegitter vor der Türe, an dem die Zeit vorbeigegangen zu sein scheint. Dann, eines Tages, sah ich einen älteren weisshaarigen Herrn, der dabei war, mit einem Stock einen kleinen Tannenbaum an der Fassade zu richten. «Wissen Sie eigentlich, ob Herr Ernst gelegentlich noch da ist? Ich möchte mir gerne mal das Fotogeschäft anschauen», fragte ich ihn. «Kommen Sie mit – ich bin Herr Ernst».
Was hat dann das Geschäft auf Sie für einen Eindruck gemacht?
Ich war platt. Diese Zeitoase mitten in der Grossstadt Zürich, diese Fülle an Kameras, Laborgeräten, Filmen, Fotopapieren und Chemikalien überstiegen mein Vorstellungsvermögen. Das, was unzählige Liebhaber der Filmfotografie verzweifelt im Internet googeln, lag hier einfach zu Hauf. Ich schaute mich etwas um, wechselte mit Fritz Ernst ein paar Worte – und hinterher hatte ich plötzlich die Idee: Dieses einzigartige Haus muss eine Renaissance erleben – muss seinen bisherigen Zweck wiederfinden. Es soll daraus ein ‚Haus der analogen Kunst‘ werden.
Das legendäre, überfüllte Fotohaus Ernst hat Nicole Gerber als «Haus der Analogen Kunst» einer neuen Zweckbestimmung zugeführt
Was hat Herr Ernst zu dieser Idee gesagt?
Er hat es wahrscheinlich zunächst gar nicht ernst genommen. Aber dann passierten zwei Dinge fast gleichzeitig: Zum einen fand Herr Ernst einen Käufer für das Haus, der dieses mit dem ganzen Inventar übernahm. Zum andern sah ich eine Zeitungsannonce der Manifesta, die noch attraktive Nebenschauplätze für ihr Kulturprogramm suchte. Darum habe ich mich mit dem Konzept des ‚Hauses der analogen Kunst‘ beworben, in der Annahme, dass ja eh nichts daraus würde. Als die Zusage der Manifesta wider Erwarten kam, hatte ich natürlich grosse Freude, andererseits wusste ich nicht, was die neue Hausbesitzerin, die Ledermann AG, dazu sagt.
Was sagte der neue Hausbesitzer dazu?
Ich hatte Glück, dass er sich für mein Projekt spontan begeistern liess. Anderseits löste ich wahrscheinlich ein Problem für ihn. Was hätte er sonst mit all den vielen Fotoutensilien machen sollen? Wie wäre er an mögliche Interessenten heran gekommen? Und woher hätte er das Sachwissen genommen, um einschätzen zu können, was erhaltenswert und verkäuflich sei und was in die Mulde gehörte? Wahrscheinlich wäre alles in der Mulde gelandet.
Natürlich hätte ich das Projekt nicht auf die Beine stellen können ohne meinen Projektpartner Erico Reis. Er ist Architekt, hat immer an mich geglaubt und hat alle baulichen Veränderungen übernommen.
Heute sieht es schon recht aufgeräumt aus. Eine Verkaufstheke für Kameras, Filme und Labormaterial soll bestehen bleiben
Hatten Sie noch öfters Kontakt mit Fritz Ernst?
Ja, auch heute noch. Mit seinen 86 interessiert er sich immer noch für die Fotografie und für seine alten Autos; beides war sein Lebensinhalt. Auch er war froh, dass wir diese Lösung fanden und dass sein Lebenswerk nun in neue Hände kam. Was viele nicht wissen: Herr Ernst besass ein zweites, sehr grosses Geschäft in einem Lagergebäude in Bauma, das er meistens am Samstag geöffnet hatte. Dort wurde ihm sehr kurzfristig gekündigt, was eine schnelle Räumaktion zur Folge hatte. Wir konnten aus Bauma noch sehr viel Material übernehmen, was in Zürich für die Fotoflohmärkte, die wir regelmässig durchführten, willkommenen Nachschub darstellte.
Es gibt auch wieder eine gemütliche Sitzecke mit ein paar Kodak-Girls …
Dann kam ja die Phase der Flohmärkte mit den Samstagsverkäufen, die ja sehr erfolgreich war.
Ja, wir waren überwältigt. An den drei Samstagen standen die Leute zeitweise bis über die Tramhaltestelle Lochergut hinaus Schlange. Wir mussten eine Eintrittskontrolle machen und ein Zeitlimit setzen, damit sich nicht zu viele Leute ewig lange in der Liegenschaft aufhielten. Aber es ist sehr viel Ware weggegangen, die wir sonst nie verkauft hätten, und ich staune, wie gross die Nachfrage nach analogen Kameras, nach Verbrauchsmaterial, und nach kleinstem Zubehör ist, von denen ich zum Teil keine Ahnung habe, wozu es dient und heute noch verwendet werden kann. Aber auch das gehört mitunter zur Faszination der analogen Fotografie.
… und eine Bar, damit niemand auf dem Trockenen sitzt
Wer waren die Käufer? Waren das vor allem ältere Leute, die mit der analogen Fotografie aufgewachsen sind?
Auch, aber nicht nur. Natürlich hatte es sehr viele «Heimweh-analog-Fotografen» darunter, die vielleicht noch ein passendes Objektiv für ihre Miranda suchten, aber es gab auch sehr viele junge Leute – wahrscheinlich sogar die Überzahl – die sich dafür interessierten, wie das damals war, als man mit Film fotografierte, und was es alles dazu brauchte.
Im ersten Stock gibt es Räume, die für Kurse und Workshops genutzt werden können
Der grosse Rummel ist vorüber, das Geschäft ist – im Vergleich zu früher – erstaunlich übersichtlich geworden. Wie geht es weiter?
Vielleicht noch ganz kurz zum Stichwort ‚übersichtlich‘. Wissen Sie, Fritz Ernst war ein Phänomen. Obwohl der Laden aussah wie eine Grümpelkammer, hat er genau gewusst, was er hatte und wo er es hatte. Wenn Sie ihn nach einem speziellen Filter in einer noch spezielleren Grösse fragten, oder nach einer Flasche Rodinal-Entwickler, steuerte er zielbewusst zu jenem Regal und fand das Gewünschte im Nu.
Aber jetzt, wie es weiter geht. Bis am 18. September läuft noch die Manifesta, dass heisst, wir führen im Foto-Ernst an der Badenerstrasse 211 Veranstaltungen durch, organisieren Workshops und verkaufen jeweils am Wochenende Material für die Liebhaber der Analogfotografie. Zusätzlich gibt es noch ein Highlight: wir transportieren den gesamten Lagerbestand von Fritz Ernst in die Photobastei an den Sihlquai 125 und verkaufen die Ware, die für viele einst unerschwinglich war, zum Kilopreis von 30 Franken. Dazu stellen wir in einer Schatzkammer die Trouvaillen aus dem Bestand von Foto-Ernst aus und stellen Bilder von Fotografen aus, die während der Manifesta im Haus Foto-Ernst tätig waren, wie Luca Zanier, Tobias Madörin, Ruth Erdt, Iouri Podladtchikov und andere. Wir feiern also sozusagen in einem grossen Finale den Abgang eines Stücks analoger Zürcher Fotografie. Die Vernissage ist am 25. August, alle sind herzlich eingeladen. Die Ausstellung dauert dann bis am 4. September.
Und dann? Ist nach der Manifesta Schluss mit Foto-Ernst?
Es ist noch alles offen. Wir haben das Haus für fünf Jahre gemietet zu einem annehmbaren Zins. Die oberen Wohnungen können wir untervermieten. Was im ehemaligen Laden passiert? Ich weiss es noch nicht. Vielleicht wird er auch vermietet. Am liebsten würde ich natürlich weitermachen und das ‚Haus der analogen Kunst‘ weiterleben lassen, Kameras verkaufen und spannende Foto- und Filmabende organisieren. Aber leider fehlt mir das Geld, um so über die Runden zu kommen und anständige Löhne bezahlen zu können. Während den 100 Tagen der Manifesta arbeiten alle im Foto-Ernst gratis. An dieser Stelle möchte ich einmal allen von ganzem Herzen dafür danken!
Weitere Informationen und das jeweils aktuelle Veranstaltungs- und Workshop-Programm finden Sie unter www.foto-ernst.ch
Ich bin einer der freiwilligen Mitarbeiter und staune selber, was dank all der fleissigen Hände (und Köpfe!) entstanden ist. Bin gespannt, wie es weitergehen wird.
Hier noch ein Link für Menschen die was daran liegt um das neue zu Erhalten.
Persönlich bin ich damit Aufgewachsen mit der Analogen schön zu Fotografieren und nicht nur Knipsen Zeit . 🙂
http://www.100-days.net/de/projekt/foto-ernst
MALO