Urs Tillmanns, 28. August 2016, 07:00 Uhr

Die Geschichte der «San Gottardo»

Um von Reiseunternehmen unabhängig seine Foto- und Videokurse optimal zu gestalten, hat Charles Michel kurzerhand ein hochseetaugliches Schiff gekauft, die «San Gottardo». Wie es dazu kam, und was Charles Michel damit Besonderes anbieten will, steht in diesem Interview.

 

Charles Michel, Sie nehmen demnächst ein eigenes Hochseeschiff für Ihre Fotoreisen in Betrieb. Ist das nicht ein bisschen verrückt?

Vielleicht schon, aber wenn man in dieser Welt etwas bewirken will, muss man wahrscheinlich ein bisschen verrückt sein. Vor allem muss man einen Beweggrund und ein Ziel vor Augen haben. Die Idee mit dem eigenen Schiff hat mehrere Mütter. Einmal habe ich auf der Antarktis-Expedition vor zwei Jahren zum ersten Mal diese faszinierende Seite unserer Erde kennengelernt, und zweitens habe ich bedauert, in dieser Gruppe und mit einem grossen chilenischen Forschungsschiff nur das machen zu können, was das Programm und der Kapitän vorschrieb. Ein weiterer Aspekt, der mich immer mehr beschäftigte, ist der Klimawandel und die Umweltzerstörung, die mich gerade auf jener Expedition enorm beeindruckt hat. Und da ist die Idee entstanden, dass ich mich mit Dokumentationen stärker für diese Problematik einsetzen und den Leuten zeigen möchte, wie schlimm es wirklich um unseren Planeten steht. Es ist nämlich fünf vor zwölf …

Und woher kam das Schiff?

Die Idee mit dem eigenen Schiff war der Traum dieser Unabhängigkeit. Unabhängigkeit, um an jeden Ort dieser Erde fahren zu können und dort so lange zu bleiben, bis wir das festgehalten haben, was wir als Botschaft weitergeben wollen. Hier steht wiederum die Arktis im Vordergrund, die ich für die nächsten Jahre zum Thema machen möchte. Ich möchte mit kleinen Gruppen Expeditions- und Videofreudiger dorthin reisen, um gemeinsam Aufklärungsprojekte realisieren zu können. Wenn man das richtig machen will und auch Orte zeigen will, die – vielleicht bewusst – nicht auf einem Reiseprogramm stehen, dann bracht man ein eigenes Verkehrsmittel.

 

Charles Michel San Gottardo vor Anker 750

Die MS «San Gottardo» – revidiert und optimiert für Fotoreisen

Wie findet man dieses? Es gibt ja kaum hochseetaugliche Expeditionsschiffe auf dem Thunersee zu kaufen …

Nein, das war ein rechts langwieriges Unterfangen. Meine Frau und ich haben lange nach einem geeigneten Schiff gesucht, zusammen mit dem belgischen Schiffexperten Rudi Gelper, der nicht nur die ganze Szene kennt, sondern der sofort verstanden hat, was wir suchten und was wir für unsere Bedürfnisse brauchen. Schliesslich hat er in Holland einen Fischkutter namens «Sander» gefunden, der unserer Vorstellung zwar entsprach, aber noch massiv umgebaut werden musste, damit dieser in antarktischen Verhältnissen eingesetzt werden kann.

Fischkutter – das hört sich nach wenig wohnlicher Nussschale an. Was ist es wirklich?

Nun, der Fischkutter wurde vor einigen Jahren ausser Dienst gestellt und von einem ehemaligen Hochseekapitän, Geret de Jong, gekauft und für seine persönlichen Bedürfnisse ausgebaut. Er hatte jahrelang riesige Tankschiffe gesteuert und suchte ein Schiff, auf dem er zusammen mit seiner Frau den Ruhestand geniessen konnte. Dazu hat er das Schiff komplett umgebaut, er hat es wohnlich gestaltet, er hat es nicht nur optisch auf Vordermann gebracht und mit jenen technischen Hilfsmittel ausgestattet, die er sich von seinen früheren Schiffen her gewohnt war. Dann ist leider seine Frau erkrankt, und die Idee mit dem Ruhestandschiff musste neu überdacht werden. Und so stand die «San Gottardo» eines Tages zum Verkauf.

 

Charles Michel San Gottardo Seite 750

Das Schiff ist 21 Meter lang und wiegt 90 Tonnen

Wie war Ihr erster Eindruck, als Sie das Schiff gesehen hatten?

Ich war begeistert. Das Schiff war – bis auf eine Reihe von Details – genau das was wir suchten. Es bietet Platz für eine Gruppe von bis zu zehn Personen, es verfügt über einen komfortablen Aufenthaltsraum und es hat eine Grösse, die gerade noch zu Zweit handelbar ist.

Hatten Sie eine Ahnung von Schiffen und Hochseenavigation?

Nein, woher auch? Erstens war mir Geret de Jong eine grosse Hilfe. Er hat sofort begriffen was ich wollte und freute sich, dass er sein Schiff in guten Händen wusste. Zudem hat es ihm Spass gemacht, sein Wissen und seine Erfahrung einem ‚begeisterten Landei‘ weiterzugeben. Er stand mir immer mit Rat und Tat zur Seite und wir sind inzwischen sehr gute Freunde geworden. Ich treffe ihn oft, wenn ich in Holland bei meiner «San Gottardo» bin, und wenn immer ich ein Problem habe, ist Geret zur Stelle.

 

Charles Michel San Gottardo innen 1 750

Charles Michel San Gottardo innen 2 750

Es ist wohnlich eingerichtet und bietet einen grossen Aufenthaltsraum, der auch für Workshops und Bildbesprechungen genutzt werden kann

Haben Sie inzwischen das Brevet, um solche Schiffe fahren zu können?

Inzwischen schon, aber es war ein Knacknuss, nochmals zusammen mit meiner Frau Doris die Schulbank zu drücken und alles für die sehr strenge Prüfung zu lernen. Aber wir haben in Geret einen sehr guten Privatlehrer gehabt, und er war es auch, der mir mich bei den ersten Fahrstunden begleitet hat. Mit null Erfahrung ein 21 Meter langes und neunzig Tonnen schweres Stahlschiff zu steuern und in einen Hafen zu manövrieren, will wirklich gründlich gelernt und geübt sein und erfordert – abgesehen von aller Theorie – auch sehr viel Praxis.

Dann kommt ja auch ein Spassfaktor hinzu …

Nicht nur Spass, sondern man muss eine Begeisterung dafür mitbringen – und vor allem ein Ziel, weshalb man das alles noch auf sich nimmt. Das Ziel ist, vor allem jungen Leuten diese unbekannte, fantastische aber leider kranke Welt der Arktis und Antarktis näher zu bringen.

 

Charles Michel Schlauraeume 1000

Die Kajüten sind verhältnismässig gross und bieten einen hohen Komfort

Was passiert mit Ihrer Videoakademy, für die Sie ja eigentlich bekannt sind?

Die Videoacademy gibt es weiterhin, aber ich habe für meine Videokurse ein neues Konzept gefunden: Ich biete diese zusammen mit Partnern an, zum Beispiel mit dem Zentrum Bildung in Baden, welches neben regulären Videokursen auch meine Hochseereisen ausschreiben wird. Ich habe festgestellt, dass solche Partnerschaften mit einer etablierten Infrastruktur eine bessere Kursbeteiligung bringen als wenn man solche Kurse selbst im Zürcher Oberland organisiert.

 

Das erste Ziel sind die Lafoten – eine traumhafte Landschaft im hohen Norden Norwegens

 

Und wann geht es los mit den Reisen und der «San Gottardo»?

Im Frühling 2017 – aber nicht gleich in die Antarktis. Wir nehmen am 8. Mai Kurs in Richtung Nordpolarmeer, machen Halt auf den Lofoten, der wohl schönsten Inselgruppe der Welt, bestehend aus etwa 80 Inseln. Dort ist ein längerer Aufenthalt mit Reiseleiter Bernd Liedtke vorgesehen. Die Weiterfahrt nach Spitzbergen wird wegen dem Packeis noch nicht möglich sein, deshalb werden wir in dieser traumhaften Inselwelt die erste Video- und Fotoreise bis 21. Mai 2017 anbieten. Nach Spitzbergen geht es dann in einer zweiten Reise vom 10. bis 23 Juni 2017, und dann wird uns das Schiff vom 9. bis 22. Oktober 2017 in die Region der Polarlichter bringen, wo Christian Mülhauser unser Reiseleiter sein wird.

 

Charles Michel San Gottardo Schlussbild 750

Alles in allem, ein grosser Aufwand mit dem eigenen Schiff. Würden Sie es wieder tun?

Sofort! Die See hat mich schon immer fasziniert und ein eigenes Schiff steuern zu können begeistert. Im Vordergrund steht jedoch der Wunsch, meinen Kursteilnehmern etwas Aussergewöhnliches bieten zu können und als Fernziel die Mission, ihnen eine Welt zu zeigen, um die es wahrhaftig schlecht bestellt ist. Gerade die junge Generation muss diese Probleme kennen, muss die Botschaften weitertragen und schliesslich alles daran setzen, unser Verhalten zu ändern. Und dazu ist die «San Gottardo» eigentlich nicht mehr als ein unerlässliches Verkehrsmittel.

Das Interview führte Urs Tillmanns

Weitere Informationen zur «San Gottardo» und zum Projekt von Charles Michel finden Sie auf seiner Webseite http://www.charlesmichel.ch. Das Kursprogramm für 2017 und 2018 ist mit Anmeldeformular auf der Webseite http://fotoreisen.zentrumbildung.ch/index.php/pages/lofoten  ersichtlich.

Die Bilder wurden uns vom Zentrum Bildung Baden zur Verfügung gestellt.

 

4 Kommentare zu “Die Geschichte der «San Gottardo»”

  1. Charles war schon immer verrückter als Andere. In den 80ern hat er mit Rotations-Panorama-Prototypen gearbeitet. Wollte mit einer Teleskop-stange in einem Militärfahrzeug eingebaut ein World-360°-Projekt starten-Analog. Ein Unfall(Hund lief vor Auto) zwang ihm zum Rückzug. In ganz starker Erinnerung bleibt mir eine zweiteilige Flugpanorama-Serie über Deutschland-mit grossen Aufklappanoramen-mit Roundshot 65/5 inch-in der Bunte-Illustrierte. Dann arbeitete er lange fürs CH-Fernsehen als Videograph.

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