«Farbe» ist nach «Form» der zweitwichtigste Parameter in der Fotografie. Die Spannweite reicht von Schwarzweiss bis zu kolorierten Aufnahmen, vom Purismus zur Kunst. Vor allem das Fernsehen spielt uns eine übertriebene Farbsättigung vor und sorgt für einen Trend zu intensiven Farben.
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Sechseläutenplatz mit Opernhaus, Zürich. Die blaue Stunde erzeugt eine blaue Farbsättigung, wie sie in der Wirklichkeit nicht vorkommt. Authentisch oder Fake?
Der ursprüngliche Zweck der Fotografie war, die Wirklichkeit realistisch auf einen Träger zu bannen. So ganz anders als in der Malerei, die immer von einer leeren Leinwand ausging. Erst mit zunehmender Abstraktion entfernte sich die Malerei vom Anspruch der Authentizität. Ähnliche Loslösungsprozesse waren in der Fotografie auszumachen. Anfänglich konnte man abbilden, was die Technik zuliess, erst schwarzweiss, noch gar nicht so lange her auch farbig. Im Labor waren zwar Experimente möglich, auch Filter gabs, doch die Mehrheit der Fotografen stand sehr nah an der Authentizität. Das Negativ sollte die Szene wiedergeben. In der aktuellen Nachrichtenfotografie ist auch heute noch ein Verfremden des Bildes verpönt – und bei den Lesern nicht akzeptiert. In der Werbefotografie glaubt heute kein Mensch mehr an die Echtheit der Darstellung, und seit «kreative» Filtertechniken bereits in den Handys integriert sind, ist fotografische Wahrheit doch sehr verkünstelt. Die Bildwirkung hat sich von der Wirklichkeit gelöst. Eigenartigerweise hat sich der Anspruch an Authentizität in der Schwarz-Weiss-Fotografie gehalten, obschon gerade dieses Genre überhaupt nicht unserem natürlichen Sehen entspricht. Es scheint so, dass wir einen Schalter umlegen: Schwarz-Weiss sieht einfach echt aus. Seit die Labortechnik mit dem Raw-Format auf den Desktop gelangte, sind die Grenzen zwischen Bildoptimierung im Sinn der Fehlerbehebung und freiem künstlerischem Schaffen verwischt. Ich beschreibe fortan die Fotografie in der Natur ohne künstliche Lichtquellen.
Neuheim ZG, Blick gegen Pilatus. Ein tiefer Sonnenstand erzeugt einen natürlichen gelben Farbstich. Die Sättigung ist bei diesem Beispiel im Blau- und Gelbbereich verstärkt worden. Der Himmel ist viel zu dunkel und zu satt, der Nebel zu gelb. Die übertriebene Sättigung macht das Bild unglaubwürdig.
Die Kamerasensorik ist nicht in der Lage, das menschliche Sehvermögen vollständig nachzubilden. Wir sprechen technisch von Farbräumen, Dynamikumfang oder Gamut, womit beschrieben wird, welche Farben auf dem Sensor, dem Bildschirm oder dem Papier im Gesamten abgebildet werden können. Kameras, Fotopapiere, der Druck oder Displays können nicht alles vom hellsten Licht bis zum dunkelsten Schatten nachzeichnen. Die 1:1-Wiedergabe einer Szene ist schon deswegen eine Illusion. Der Farbraum der Kameras ist RGB (Rot, Grün, Blau). sRGB beinhaltet den heute üblichen Farbraum, der an der Kamera voreingestellt sein sollte. Zwischen Adobe RGB und sRGB bestehen «akademische» Unterschiede, die in der Praxis der meisten Anwender wenig Relevanz haben. Papier kann mit den Farben CMYK einen reduzierten Farbraum wiedergeben, auf Papier erscheinen die meisten Fotos etwas stumpfer und weniger gesättigt als auf dem Bildschirm. Weniger ausgeprägt bei einer Fotopapierbelichtung als im Druck.
Farbe ist immer auch etwas Ansichtssache. Es ist ein Unterschied, ob ich der Wirklichkeit verpflichtet bin oder ob ich eine bestimmte Bildwirkung anstreben möchte, unabhängig davon, wie die Szene ausgesehen hat. Beim Betrachten kann das Licht der Szenerie nicht überprüft werden, ein Bild wirkt glaubwürdig oder eben künstlich.
Das Raw-Format liefert die besten Grunddaten, die beim Entwicklungsvorgang mit Camera-Raw-Filter nachträglich angepasst werden. Es gibt aber auch gute Gründe, die Farbsättigung direkt mit Kameraeinstellungen zu beeinflussen.
Fähre in Norwegen. Weit entfernte Dunstzonen werden eher zu bläulich wiedergegeben. Die entfernten Blauzonen wirken hier natürlicher, dafür ist der Himmel im Gegenlicht zu satt.
Farbsättigung durch Licht
Farbe entsteht natürlicherweise durch Lichtwellen und deren Beugung. Licht wird mit der Lichttemperatur Kelvin beschrieben, abgekürzt mit dem Buchstaben K. Die mittlere Oberflächentemperatur der Sonne hat 5778 K. 5000 K entspricht in etwa dem, was wir bei Mittagszeit zu erwarten haben. Morgens und abends verschiebt sich die Lichttemperatur unter 3300 K, die Tönung ist wärmer. Die Natur bietet kein genormtes Licht wie im Studio, so ist Schnee zum Beispiel nicht einfach weiss, Meer und Himmel zeigen sich in Hunderten von Farbtönen.
Die Richtung des Lichts
Je nachdem, aus welcher Richtung das Licht kommt, sind Kontrast, Helligkeit und Sättigung betroffen. Diese drei Einflussfaktoren bestimmen zusammen, ob das Bild glaubwürdig wirkt. Ein kontrastarmes Gegenlichtfoto, das erst noch hoch gesättigt ist, wirkt kaum glaubwürdig. Wobei es immer Ausnahmesituationen gibt und das Auge-Hirn-System sich bis zu einem gewissen Grad beschummeln lässt.
Licht aus verschiedenen Richtungen ergibt auch unterschiedliche Farbcharakteristiken
Wenn das Licht von der Kamera her auf die Szenerie fällt, ist sie voll ausgeleuchtet und enthält wenig Schattenzeichnung. Dies führt zu einem wenig plastischen, kontrastlosen Bild. Weisse Spitzlichter sind ebenso wenig vertreten wie dunkle Schattenpartien. Solche Aufnahmen gelingen problemlos. Die Farben sind gesättigt, weil Weiss- und Schwarzanteile weniger dominieren.
Bei seitlich einfallendem Licht entsteht eine starke Schattenzeichnung, das Motiv wird plastisch dargestellt, es besteht eine Licht-Schatten-Wirkung und der Dynamikumfang wird voll ausgeschöpft. Vom hellsten Lichtreflex bis zum dunkelsten Schatten kann alles vorhanden sein. Solches Licht kann auch mittags direkt von oben einfallen oder bei tieferem Sonnenstand auftreten. Die Sättigung ist weniger stark, da immer ein guter Teil des Farbanteils der Schattenzeichnung «zum Opfer» fällt.
Reflexe auf Blattwerk können mit einem Polarisationsfilter wirksam herausgefiltert werden. Die Sättigung wird dadurch erhöht, ohne dass die Schattenzeichnung leidet.
Gegenlicht ist bezüglich Sättigung das anspruchsvollste Licht, denn die Szene zeigt ihre Schattenseite. Die Sättigung ist eher gering, dafür ist der Kontrast von hell zu dunkel extrem gross. Bei Gegenlicht entwickeln transparente Motive wie Gräser, Blätter, Blumen usw. Leuchtkraft, was die Sättigung erhöht.
Eine besondere Form bietet bedecktes Wetter. Dann fällt das weiche Streulicht auf Mutter Natur. Weiches Licht streut die Licht-Schatten-Zeichnung, die Aufnahme ist deswegen weniger hart. Es fehlen die Spitzlichter und die ganz dunklen Schatten, der Dynamikumfang ist weniger gross. Die Zeichnung im Bild ist zwar mit Licht und Schatten plastisch, aber ohne die Härte des seitlichen Sonnenlichtes zu enthalten. Die Wolken vor der Sonne oder generell Schatten sind der «Beauty-Dish» der Natur.
Diese Beleuchtungsarten in der Natur sind hier nur grundsätzlich beschrieben, selbstverständlich gibt auch Mischformen, bei Spiegelungen, im Halbschatten usw.
Farbsättigung in Adobe Lightroom
Man sollte die grundsätzlichen Lichteigenschaften unterscheiden können, um Farbkorrekturen in Lightroom richtig einsetzen zu können. Die Sättigung ist ein heikler Bereich, womit Aufnahmen zwar verbessert werden können, bei einem übertriebenen Gebrauch aber auch schnell ins Negative kippen. Frontal- und Gegenlicht oder diffuses Licht verlangen nach einer subtilen Farbsättigung.
Bei Rottönen, wie sie bei Mohnblumen, Tulpen oder Rosen vorkommen, zerstört eine Übersättigung direkt die Schattenzeichnung. Die Sättigung übt also einen direkten Einfluss auf andere Qualitätsmerkmale aus.
Der Regler «Belichtung» stellt die Grundhelligkeit her. Die Glaubwürdigkeit des Farbeindrucks hängt immer auch von der Helligkeit und vom Kontrast ab. Man kann also nicht einfach die Farbsättigung erhöhen, ohne Helligkeit und Kontrast anzupassen.
Adobe Lightroom im Entwickeln-Modul. Die RAW-Daten können bezüglich Farbsättigung, Kontrast, Helligkeit so aufbereitet werden, dass sie die gewünschte Bildwirkung entfalten. Die Entwicklung ist in anderen Camera-RAW-Tools wie Photoshop oder Photoshop Elements ebenso möglich. Die Farbsättigung kann in acht einzelnen Farbbereichen individuell ausgesteuert werden
Die Farbsättigung kann bei den Grundeinstellungen mit «Temperatur» und «Tönung» global über das ganze Bild verändert werden. Unter dem Reiter «Effekte» liegt «Dunst entfernen» verborgen. Damit lassen sich Grauschleier entfernen, wie sie in dunstiger Entfernung in der Natur typisch sind. Wer den Grauanteil entfernt, erhöht damit gleichzeitig die Sättigung!
In den Grundeinstellungen gibts die «Abteilung» Präsenz. «Dynamik» sättigt nur die gering gesättigten Töne, weiter, die knackigen sind weniger betroffen und Hauttöne bleiben erhalten. «Sättigung» hingegen macht das ganze Bild satter, was man tunlichst lassen sollte, denn die kleinsten Verschiebungen machen sich als übertrieben bunt bemerkbar.
Grundeinstellungen der Kamera
Farbe entsteht durch verschiedene Kameraeinstellungen, die sich gegenseitig beeinflussen. Mit dem Weissabgleich wird die Kamera auf die herrschende Farbtemperatur «geeicht». Sie misst bei der vorherrschenden Lichtemperatur zum Beispiel eine Graukarte und ordnet dem gemessenen Tonwert einen neutralen Grauwert zu. Wer einen grauen Karton beim Sonnenuntergang fotografiert, erhält so einen neutralgrauen Karton, ohne Stimmung. Ob eine Lichtstimmung gewollt ist oder als störender Farbstich entfernt wird, hängt immer mit der Absicht des Fotografen zusammen. Einstellungen wie sie in «Picture Control konfigurieren» (Nikon) vorgenommen werden können, sind für JPG-Fotografen nützlich, die das Bild direkt aus der Kamera nützen. Für RAW-Fotografen empfehle ich die Einstellung «Standard» oder «Automatisch», denn die Farbsättigung wird besser und kontrollierter in Lightroom vorgenommen.
1 Die Einstellung «AUTO» ist bei dauernd wechselnden Lichtbedingungen wie bei der Reisefotografie die richtige. 2 Szenen- und Effektprogramme haben einen Einfluss auf die Farbsättigung. 3 + 4. Wer mit RAW fotografiert, sollte die Grundeinstellung «Standard» wählen.
Partielles Kolorieren
Mit dem Radialfilter können einzelne Bereiche in Helligkeit und Sättigung betont werden. Es entsteht eine Wirkung, die mit einem Scheinwerferstrahl vergleichbar ist. Wer damit subtil umzugehen weiss, kann die Aufnahme wirkungsvoll zur Geltung bringen und «Unzulänglichkeiten» der Kamerasensorik nachbessern, ohne dass die Betrachter den Eingriff bemerken. Wer mit den Werkzeugen übertreibt, betont den Fake. Das Verändern der Bilder in Lightroom ist heute ein normaler Prozessschritt. Wenn es natürlich und glaubwürdig aussieht, umso besser. Wenn es getürkt aussieht, auch gut, es muss dann aber sichtbar getürkt aussehen. Meine persönliche Grenze setze ich dort, wo die Grenze zwischen Natürlichkeit und Fake verschwimmt, wenn der Kitsch Oberhand gewinnt.Ein Naturfoto soll aussehen wie ein Naturfoto, andernfalls will man sehen können, ob ein bestimmter Effekt angewendet wurde.
Entsättigung
Auf der Sättigungsskala gehts auch nach links, Richtung Entsättigung, wie man dies von Retrolooks auf dem Handy kennt. Auch die nordische Art (Mankells Wallander), Filme in Richtung Blau–Gelb zu entfärben, ist längst eine eigene Stilrichtung geworden. Natur- oder Makroaufnahmen, die von der Farbe leben, sind vielleicht nicht so dafür geeignet wie andere Genres. Eine Entsättigung findet über die Schieberegler «Tönung» statt. Weiter kann «Kontrast» und «Klarheit» reduziert werden, um den Retrolook zu erreichen.
Links sind die Grüntöne gesättigt, das Bild liegt noch im glaubwürdigen Bereich. Das Stilmittel der Entsättigung (rechts) erfreut sich grosser Beliebtheit.
Die Farbsättigung ist wohl das wichtigste Stilmittel, wenn es um Glaubwürdigkeit im Bild geht. Je nach Motiv gibt es eine grosse Spannweite für die wirklichkeitsnahe Sättigung. Sie ist im Wesentlichen verantwortlich für die Stimmung im Bild. Wirkt es frisch, sommerlich, getönt, eher unterkühlt oder Postkarten-kitschig?
Rottöne reagieren extrem auf Sättigung. Beim Bild links verschwindet die Schattenzeichnung, die Rottöne wirken unnatürlich flächig.
Mit der digitalen Fotografie und verstärkt durch die übertriebene Darstellung des Fernsehens zeigt sich die Farbsättigung als ein Stilmittel, das heute in der Fotografie oft, fernab jeder Realität, zu intensiv eingesetzt wird. Farbsättigung ist die Krönung der Farbfotografie – aber man sollte überlegt mit ihr umgehen.
Text und Bilder: Ralf Turtschi
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