Urs Tillmanns, 18. März 2017, 09:00 Uhr

Musée Elysée Lausanne: «Grenzenlose Gipfel. Gebirgsfotografie»

Wer Berge liebt und sich für die Gebirgsfotografie interessiert, sollte die derzeitige Ausstellung im Musée de l’Elysée in Lausanne nicht verpassen, die noch bis 30. April 2017 zu sehen ist. Sie deckt das Thema in bisher noch nie gesehener Komplettheit ab und zeigt nicht nur eine spannende historische Abfolge, sondern sie präsentiert eine Auswahl der besten Gebirgsfotografien unserer Alpenwelt.

 

Das Thema der Gebirgsfotografie muss Kurator Daniel Girardin während Jahren beschäftigt haben, besitzt das Musée de l’Elysée doch einen der grössten Bestände von Fotografien aus unseren Alpen. So treffen wir immer wieder auf Namen, die sich auch mit anderen Motivbereichen befasst hatten und dort vielleicht bekanntere Werke geschaffen haben. Und doch hat es sie immer wieder in die Welt der Drei- und Viertausender gezogen, um eine faszinierende Welt des Gigantismus und der Naturwunder nicht nur zu dokumentieren, sondern die bizarren Formen der Gipfelwelt festzuhalten und das ewige Spiel des Lichtes auf Fels und Eis als Gestaltungsmittel zu nutzen.

 

Raum «Frontalität» mit zwei Inserts von Annelies Strba «Mountains, 2006» (links) und Guido Baselgia «Piz Languard».

Die Ausstellung «Grenzenlose Gipfel. Gebirgsfotografien» ist die erste ihrer Art und beruht auf der Feststellung, dass die Fotografie die Gebirgslandschaft erst erfunden hat, indem sie sie der Welt vor Augen führte. Die Fotografie steht in der Tradition einer ganz bestimmten, eng mit der Romantik verbundenen Vorstellung des Berges und des Erhabenen. Bis ins 19. Jahrhundert hinein galt das Gebirge als «Hohheitsgebiet Gottes», als unheilvoller, fantasiebeladener Ort, der allen versagt war. Die Pioniere der Fotografie ermöglichten es, nie zuvor erklommene Gipfel zu entdecken und aus dem Gebirge Landschaften werden zu lassen.

 

Raum «Vogelperspektive» mit drei Inserts von Philipp Giegel «Eignernordwand», «Weisshorn» und «Säntis»

Das Musée Elysée konnte in den eigenen Bildbeständen aus dem Vollen schöpfen. Mit knapp 300 Exponaten, mehr als drei Viertel davon aus der Sammlung des Musée de l’Elysée, präsentiert die Ausstellung Abzüge aus allen Epochen, von den frühesten Daguerreotypien bis zu Werken der Gegenwart. Die Fotografien stammen unter anderem von Gabriel Lippmann, Francis Frith, Adolphe Braun, Jules Beck, William Donkin, Emile Gos und René Burri sowie Zeitgenossen wie Peter Knapp, Balthasar Burkhard, Matthieu Gafsou, Pierre Vallet, Jacques Pugin, Maurice Schobinger und Iris Hutegger, um nur einige bekannte Namen zu nennen.

 

Seltenes Exponat: Interferenz-Farbbild von Gabriel Lippmann (1845-1921), «Matterhorn» um 1895, © Musée de l’Elysée, Lausanne

Die Ausstellung gliedert sich in vier inhaltliche Ausrichtungen der Gebirgsfotografie:

• Wissenschaftliche Fotografie, mit zahlreichen Gletscherbildern, als Grundlage für Gesteinsstudien und visuelle Dokumentation für die Geologie

• Touristische Fotografie, die seit 1860 den hundertfachen Verkauf von Abzügen an Touristen begünstigt

• Bergsteigerfotografie, die ihrerseits erstmals unerreichbare Gebirgslandschaften offenbart, und schliesslich

• Künstlerische Fotografie Beim Rundgang durch die Ausstellung verbinden sich diese vier Richtungen zunehmend. «Je weiter man sich von den Aufnahmebedingungen einer Fotografie löst, desto freier deutet man sie», erläutert Kurator Daniel Girardin.

 

John Jullien, Überquerung des Eismeers, um 1880 © Musée de l’Elysée, Lausanne

Die Ausstellung veranschaulicht die gestalterischen Vorgehensweisen der Fotografen für die Darstellung des Gebirges, mit frontal, vertikal oder horizontal sowie aus der Luft oder der Entfernung aufgenommenen Ansichten. Sie zeigt durch das Gebirge selbst bedingte Formen (wie den Kegel) sowie Einzelheiten seiner materiellen Beschaffenheit. Darüber hinaus stellt sie alle von den Fotografen erprobten Techniken und Verfahren vor, wie die Grossformate des 19. Jahrhunderts, Stereoaufnahmen, Panoramen und die digitalen Riesenformate der heutigen Zeit.

 

Interview mit Daniel Girardin, Hauptkonservator und Kurator der Ausstellung

Daniel Girardin, Kurator der Ausstellung «Sans limite …» anlässlich der Vernissage am 25. Januar 2016 (Foto: Mathilda Olmi)

Wann hat man ihren Recherchen zufolge begonnen, sich für das Gebirge zu interessieren?

Das Gebirge wird erst nach und nach, im Zeitalter der Aufklärung und Anfang des 19. Jahrhunderts, interessant – oder eher: erfunden. Man nimmt es zunächst aus literarischer Warte in den Blick. Albrecht von Haller (1708-1777) schrieb 1729 mit Die Alpen ein episches Gedicht, dem mit allein dreissig Auflagen noch zu Lebzeiten des Verfassers ein beachtlicher Erfolg zuteil wurde. Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) legte mit seiner 1761 erschienenen Nouvelle Héloise die zentralen Merkmale der «schönen Landschaft» im Sinne einer frühromantischen Vorstellung vom Mittelgebirge und der idealisierten Sitten seiner Einwohner fest. Damit brachte er die Bergwelt in Mode, ein Phänomen, das sich dank des Tourismus, einem 1841 aufkommenden Begriff, und der Praxis des Bergsteigens, das erst 1876 als «Alpinismus» konzeptuell gefasst wird, immer weiter verbreitete.

 

Roland Gay-Couttet, Mont-Blanc Massiv: Bergsteigen, um 1960-1970 © Hubert Gay-Couttet und Samuel Gay-Couttet / Stadtarchiv Chamonix Mont-Blanc, Historische Fotothek, Nachlass Gay-Couttet

Welche Schwierigkeiten erwarteten die Pioniere im 19. Jahrhundert, wenn sie das Gebirge fotografieren wollten?

Das Fotografieren des Gebirges stellt von Anfang an eine beachtliche ästhetische wie künstlerische Herausforderung dar, die hinsichtlich der Aufnahmen mit sehr grossen technischen Schwierigkeiten einherging. Das Material war schwer und zerbrechlich, das Licht zu intensiv für die sehr langen Belichtungszeiten – ein Phänomen, das der Schnee nur noch verstärkte. In den 1850er Jahren mussten die mit nassem Kollodium arbeitenden Fotografen unterwegs ein Reiselabor mitführen, um die Glasplatten noch an Ort und Stelle entwickeln zu können. Auguste-Rosalie Bisson transportierte rund 250 Kilo Ausrüstung im Gepäck! Hier wurden echte Expeditionen organisiert, die natürlich ausgesprochen kostspielig waren.

 

Roland Gay-Couttet, Aiguille d’Argentière: Kletterpartie, um 1960-1970
© Hubert Gay-Couttet und Samuel Gay-Couttet / Stadtarchiv Chamonix
Mont-Blanc, Historische Fotothek, Nachlass Gay-Couttet

Die ausgestellten Fotografien stammen zu über drei Vierteln aus der Sammlung des Musée de l’Elysée. Wie sind Sie über die Jahre beim Aufbau dieses Bestands vorgegangen?

Wir besitzen mit knapp 4’000 Abzügen tatsächlich eine bedeutende Sammlung zur Gebirgsfotografie. Ein Teil davon gehörte früher zur Ikonografischen Sammlung des Kantons Waadt, welche dem Haus 1985 bei der Gründung des Musée de l’Elysée als Museum für Fotografie übergeben wurde. Ab 1986 kauften wir dann umfassende Konvolute an, wie insbesondere den gesamten Bestand der zwischen 1865 und 1875 in der Schweiz entstandenen Originalabzüge von Francis Frith, ein Konvolut von fast 600 Abzügen. Ebenfalls in der Sammlung haben wir sämtliche Arbeiten, die das Museum 1991 zur 700-Jahr-Feier des Schweizer Bundes in Auftrag gab, mehrere hundert Abzüge, unter anderem von Jean Otth, Michel Semianko, Alain Ceccaroli, Luc Chessex und Nicolas Faure. Des Weiteren regte uns die Renaissance der Gebirgsfotografie im digitalen Zeitalter zum Ankauf zeitgenössischer Werke an, die in der Ausstellung sehr präsent sind. So haben wir ganz einmalige Arbeiten von Jacques Pugin, Maurice Schobinger, Annelies Strba, Thomas Bouvier, Aurore Bagarry, Matthieu Gafsou, Léo Fabrizio und Pierre Vallet, um nur einige Namen zu nennen.

 

Klassische Ansicht des Matterhorns im Wandel der Zeit: Links: Charles Charnaux, Das Matterhorn, 1910-1920 © Musée de l’Elysée; rechts: Corinne Vionnet «Matterhorn» aus der Serie «Photo Opportunities», 2006, © Corinne Vionnet, Sammlung des Musée de l’Elysée

Was ist das Besondere an der zeitgenössischen Gebirgsfotografie im Vergleich zu früheren Epochen?

Fotografen haben heute eine stärker künstlerisch orientierte Ausbildung und einen besonders ästhetischen Blick. Sie verfolgen in ihren Fotografien durchweg eine sinnstiftende Absicht, entweder in Bezug auf die Geschichte der Fotografie selbst oder unter Rückgriff auf sämtliche kreative Möglichkeiten, die das digitale Bild speziell beim Druck der Abzüge bietet. Das zeitgenössische Bildschaffen knüpft weitgehend an die heute leicht zu bewerkstelligenden Anliegen der ersten Fotografen an.

(Interview: Pressedienst Elysée)

Die Ausstellung gestaltete Kurator Daniel Girardin unter Mitarbeit von Emilie Delcambre Hirsch und Maéva Besse mit der wertvolle Sponsor-Unterstützung der PKB Privatbank als privilegierter Partner des Musée de l’Elysée.

Die Ausstellung «Grenzenlose Gipfel. Gebirgsfotografien» ist noch bis 30. April 2017 zu sehen im

Musée de l’Elysée  
18, Avenue de l’Elysée
CH-1014 Lausanne
Tel. 021 316 99 11

Weitere Informationen finden Sie unter www.elysee.ch

 

Das Buch zur Ausstellung:

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Daniel Girardin

«Sans limite – Photographies de montagne»
«Vertical No Limit – Mountaiun Photography»
Sammlung – Musée de l’Elysée n° 4

Zur Ausstellung ist ein gleichnamiges Buch erschienen, das als Bildband die 150 wichtigsten Bilder in einer hervorragenden Druckqualität wiedergibt. Zudem enthält es einen Essay von Daniel Girardin zum Thema und ein Interview mit dem Gebirgsfotografen Maurice Schobinger.

Das Buch präsentiert 150 hauptsächlich aus der Museumssammlung stammende Fotografien, an denen sich die Entwicklungslinien der Gebirgsfotografie (Wissenschaft, Tourismus, Bergsteigen, Kunst) sowie die formgebenden Blickwinkel der Fotografen (wie frontal, vertikal oder von unten gesehene Aufnahmen) von 1840 bis heute nachvollziehen lassen. Es gibt damit nicht nur einen Überblick aller technischen Verfahren, die im Laufe der fotografischen Entwicklungsgeschichte in der Gebirgsfotografie angewandt wurden, sondern es widerspiegelt auch die Struktur der Ausstellung und behält damit den Wert, an diese einmalige Ausstellung als bleibendes Dokument zu erinnern.

Auszug aus dem Buch «Die Gebirgsdarstellung ist ein Gebiet, auf dem die Fotografie –  von ihren Anfängen bis in unsere Zeit hinein – überaus innovativ war und ist. Zur Zeit der Entdeckung und Eroberung der Höhenregionen betätigte sie sich intensiv auf diesem Neuland und erfand dabei die verschiedenen uns heute in der westlichen Kultur geläufigen Formen der Berglandschaft.»

Einband: Maurice Schobinger, Konfrontation / Lenzspitze, 2015 © Maurice Schobinger, Sammlung des Musée de l’Elysée

Daniel Girardin schuf das Buch in Zusammenarbeit mit dem Verlag «Noir sur Blanc».
Erscheinungsdatum: Januar 2017
250 Seiten mit 150 Bildern, 3 Ausklappseiten
Format: 21 x 27,2 cm
Fester Umschlag, gebunden
französische und englische Ausgabe
ISBN 9782882504517
Preis: CHF 50.–.

 

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