Die Ausstellung «Chäs u Chole» im Kunsthaus Langenthal hat uns schon die Rosinen des Schaffens des Gondiswiler Dorffotografen Johann Schär vor Augen geführt. Jetzt kommt das Buch dazu und zeigt uns noch mehr über das Leben und die Sorgen von damals – vor rund hundert Jahren. Nicht einfach ein Bildband, sondern ein Zeitdokument.
Die Ausstellung «Chäs u Chole» im Kunsthaus Langenthal über den Dorffotografen Johann Schär ist noch bis 9. April 2017 zu sehen (Fotointern berichtete darüber). Jetzt erschien das Buch dazu, das lange über die Ausstellung hinaus einen bleibendem Wert haben dürfte.
Eigentlich schade, dass das Buch nicht auch den originellen Titel «Chäs u Chole» trägt wie die Ausstellung, denn dieser bringt das Schaffen von Johann Schär und die Sorgen der kleinen und hoffnungsvollen Bernergemeinde auf den Punkt – Hoffnungen allerdings, die bald begraben werden mussten, denn zum profitablen Kohleabbau, den man prognostizierte, kam es leider nie. Aber für Johann Schär war sie wichtig, diese Neuausrichtung der Gondiswiler Gewerbestruktur, denn schliesslich mussten die Baufortschritte ebenso fotografisch dokumentiert werden, wie die vielen anderen Ereignisse, die sich auf dem Gemeindegebiet zutrugen.
Nein, berühmt ist er nie geworden, der Fotograf Johann Schär. Wie viele andere Dorffotografen vor rund hundert Jahren, versuchte auch Schär mit seinem Hobby, der Fotografie, als Nebenerwerb zusätzliches Geld zu verdienen und seinen Kunden etwas zu bieten, was sonst nur den reichen Städtern vorbehalten war. Es waren einfache Leute, seine Kunden. Bauern, Viehzüchter, Handwerker, die kaum Fotos von sich hatten – dann aber auch der Gemeindechor, der Turnverein, die Feuerwehr, die Konfirmandengruppe … das waren dann die lukrativeren Aufträge, wo man gleich zehn oder zwanzig Abzüge verkaufen konnte. Eine ganz andere Zeit und Fotografie war das, in die wir uns heute kaum noch hineindenken können.
Und gerade hier beginnt der Wert dieses Buches. Es ist darin eine Zeit dokumentiert, die ohne die Fotografie und ohne das Werk von Johann Schär in Vergessenheit geraten wäre. Es verdeutlicht uns das Leben in einer kleinen Landgemeinde vor achtzig oder hundert Jahren. Es führt uns Tätigkeiten und Berufe vor Augen, die es heute in dieser Form nicht mehr gibt, und es enthält eine Fülle von ausdrucksstarken Porträts von Persönlichkeiten, deren Namen vergessen gingen, die uns hier jedoch in ausdrucksstarken Bildern entgegensehen – Menschen, denen der Fleiss, die Sorgen aber auch die Freuden ins Gesicht geschrieben sind.
Berühmt ist Johann Schärer nicht geworden. Aber er hat eine gute Handwerkskunst betrieben, mit denen er nicht nur seinem Umfeld Freude bereiten konnten, sondern mit denen er uns einen wichtigen und unauslöschlichen Einblick in die Zeit von damals hinterlässt. Das spiegelt sich auch im Text von Markus Schürpf wider, der nach sorgfältiger Recherche nicht nur über das Leben und Wirken von Johann Schär viel Wissenswertes vermittelt, sondern auch über die Geschichte der kleinen Gemeinde Gondiswil.
Den unauslöschlichen Eindruck verdanken wir Markus Schürpf, der als Fotohistoriker und Leiter des Büros für Fotogeschichte in Bern den Nachlass von Johann Schär sorgfältig aufgearbeitet, die Fakten recherchiert und schliesslich im Limmat-Verlag dieses Buch herausgegeben hat. Dabei muss man Isabelle Stupnicki und Jörg Kühni auch noch erwähnen, denn sie zeichnen für die originelle grafische Gestaltung verantwortlich, mit dem Jackett-Umschlag und dem geprägten Kunstledereinband, die dem Buch einen aussergewöhnlichen und nostalgischen Touch verleihen.
Alles in allem: Ein originelles Buch, dessen Wert darin liegt, dass uns eine bestimmte Zeitepoche in einem unscheinbaren Dorf als Dokument vorgeführt wird und auch späteren Generationen erhalten bleibt. Das ist das grosse Verdienst der Macher dieses Buches, aber auch der Fotografie.
Urs Tillmanns
Buchbeschreibung des Verlages
Johann Schär, genannt «Dängi Hannes», wurde 1855 in Gondiswil im Berner Oberaargau geboren, wo er in einer Bauernfamilie aufwuchs. Er selbst wurde nebst Landwirt Bannwart. Als Fotograf zu arbeiten, begann er wohl als Autodidakt: Er bestellte die nötigen Gerätschaften, Materialien und Chemikalien und richtete ein Labor ein. Von einem befreundeten Maler liess er sich Hintergründe malen, die er vor dem Haus für Personenaufnahmen aufspannen konnte. Der Bildschatz, den Schär schuf, umfasst, gegen 5000 Glasnegativplatten sowie ein paar Hundert Abzüge auf Papier und Ansichtskarten. Zwischen ungefähr 1900 und 1940 entstanden, geben die Fotografien nicht nur einen eindrücklichen Einblick in die Welt des bäuerlichen Lebens. Sie führen auch in faszinierender Detailtreue den Abbau von Braunkohle vor Augen, der grösstenteils im Tagbau ab Ende 1917 bis 1920 rund um Gondiswil betrieben wurde.
Der Inhalt
Ortsbilder
Landleben
Augenblicke
Werken
Kohle
Fernab
Der Autor
Markus Schürpf, 1961 geboren, Kunst- und Fotografiehistoriker, Autor und Kurator. Fachklasse für Freie Kunst an der Schule für Gestaltung Luzern, anschliessend Studium der Kunstgeschichte, Ethnologie und Architekturgeschichte an der Universität Bern. Ab 1992 Beschäftigung mit Fotografie-Geschichte. Seit 1999 Leitung des Büros für Fotografie-Geschichte sowie des Paul Senn-Archivs im Kunstmuseum Bern seit 2005.
Bibliografie
Markus Schürpf
«Johann Schär – Dorffotograf, Gondiswil 1855–1938»
176 Seiten mit 144 Fotos Duplex-Druck
Fester Einband mit Jackett-Umschlag, Fadenheftung, gebunden
Erscheinungsdatum: März 2017
Limmat-Verlag AG, CH-8005 Zürich, Tel. 044 445 80 80
Preis: CHF 44.–, EUR 48.–
ISBN 978-3-85791-829-2
Das Buch kann hier online bestellt werden