Kameras und Smartphones haben einen sehr hohen Entwicklungsstandard erreicht. Wie geht es weiter? Der deutsche Photoindustrie-Verband diskutierte kürzlich über das Innovationspotential – von 8K-Video bis zu organischen Sensortechnologien, von Bildermanagement bis Multi-Purpose-Devices, von AR/VR bis zur neuen Lust am echten Fotografieren.
«Mobile Geräte sind heute die Innovationstreiber, die immer neue Imagingfeatures entwickeln. Das einzige, was den aktuellen Smartphones noch in Sachen Aufnahmetechnik fehlt, ist eine leistungsstarke Zoomoptik. Kameras dagegen entwickeln sich auf hohem Niveau nur noch in kleinen Schritten weiter.» Mit dieser These von Dietmar Wüller, Geschäftsführer des international aktiven Test-Unternehmens Imaging Engineering, startete der PIV Expertentalk am 10. Mai 2017 zum Thema «Wie sieht das Picture Capture Device der Zukunft aus“ in Frankfurt. Teilnehmer waren – neben Dietmar Wüller und der Geschäftsführung des Photoindustrie-Verband (PIV) – Arne Herkelmann (Head of Handset Portfolio & Planning Europe bei Huawei), Markus Limberger (COO Chief Operating Officer, Leica Camera) und Philipp Heintzenberg (Marketing Manager Camcorder & DSC bei Panasonic). Den Talk moderierte Wolfgang Heinen, Publizist.
Neue Technologien, die aus der Anwendung kommen
Dass alle aktuell auf dem Markt befindlichen Kameras in Sachen Optik, Sensor und Software/Bildprozessoren einen sehr hohen Entwicklungsstand und Reifegrad haben, weshalb Innovationen an diesen Produkten nur noch in kleinen Schritten möglich sind, darüber sind sich alle Teilnehmer einig. Unisono auch die Feststellung, dass sich die Lebenszyklen von Kameras sukzessive weiter verlängern werden. Wie differenziert man Innovationen in der Imagingbranche beurteilen sollte, zeigt das Beispiel 8K-Videoformat. «In der Consumer-Anwendung bringt 8K-Auflösung nicht viel, da das menschliche Auge diese Informationsdichte nicht verarbeiten kann. Aber in einer Business-Anwendung sieht das ganz anders aus: Eine 8K-Kamera in einem Stadion könnte gleichzeitig als TV-Aufnahmegerät, als Sicherheitskontrolle und als Beweismittel für Schiedsrichter-Entscheidungen fungieren – ein echtes Multi-Purpose-Device. Das heisst: Technologien und die daraus resultierenden», führt Markus Limberger aus. Die Bedeutung der Möglichkeit, aus hochwertigen Videoaufnahmen einzelne Still-Bilder generieren zu können, betonte Philipp Heintzenberg: «Vor allem semi-professionelle und professionelle Anwender müssen heute gleichzeitig sowohl Foto- als auch Videoaufnahmen produzieren, beispielsweise bei der Hochzeitsfotografie. Viele Profis erstellen dementsprechend ein 6K-Video mit ihrer Kamera, aus dem sie dann anschliessend die besten Bilder selektieren.» Das Zusammenspiel von Foto und Video, da sind sich die Experten einig, wird in Zukunft bei Profis und engagierten Amateuren eine noch wichtigere Rolle als heute spielen – und birgt durchaus das ein oder andere Innovationspotenzial.
Die Gesprächsrunde ist sich einig, dass die aktuellen Kameras technisch einen sehr hohen Reifegrad erreicht haben, und dass Innovationen nur noch in kleinen Schritten möglich sind
Immer bessere Bilder gewünscht – auch für Social Media
Mit Foto, Video und fast uneingeschränkter Kommunikation und Connectivity in modernen Smartphones, subsummieren sich die Imagingfunktionen zentral in einem einzigen Gerät. Für 30 Prozent der Huawei Smartphone-Kunden, so Arne Herkelmann, steht eine hohe Fotoleistung ganz oben auf ihrer Prioritätenliste. Grundsätzlich stehen jedoch eher Features als technische Leistungen wie die Sensor-Auflösung im Vordergrund: «12 MP haben sich als gute Basis für Smartphone-Sensoren bewährt. Entscheidender als eine noch höhere Auflösung ist die optische Leistung des Objektivs. In diesem Punkt hilft uns die strategische Kooperation mit Leica Camera sehr.» Markus Limberger ergänzt: «Auch wenn der Sprung von einem Smartphone zu einer Kamera wie einer Leica noch gross erscheint, auch finanziell, so verringert sich diese Lücke stetig – auch deshalb, weil die Jugend mit Fotos und Videos in sozialen Netzwerken kommuniziert und Aufmerksamkeit sucht, was den Anspruch der Communities an die Bildqualität immer weiter erhöht. Nur wer Bilder in entsprechend überzeugender Qualität postet, erntet die gewünschte Aufmerksamkeit und Reputation im Netz.»
Intelligentes Bildermanagement: Sichern, Sortieren, Empfehlen
Hohes Innovationspotenzial für das Picture Capture Device der Zukunft sehen die Experten auch rund um das sogenannte „Bilder-Management». Und da stehen grosse Fortschritte anscheinend kurz vor der Markteinführung: «In absehbarer Zeit“, so Dietmar Wüller, «können Anwender ihre Bilder per WiFi oder zukünftig vielleicht sogar per GSM-Modul in eine Cloud speichern, sie dort sichern und sortieren.» Auch die anderen Experten bestätigen, dass an dem Grundbedürfnis der Bilddaten-Absicherung und Sortierung mit Hochdruck geforscht und entwickelt wird. Dies wird möglicherweise so weit gehen, dass zukünftig Algorithmen in Kombination mit künstlicher Intelligenz in der Lage sind, selbstlernend und individuell auf den Anwender zugeschnitten Bilder zu sortieren und – aus der Sicht des Anwenders – gute von eher schlechten Fotos zu unterscheiden. Die aktive Hilfe bei der Beherrschung der persönlichen Bildermengen, so die Experten, gehört zu den grossen, noch ungelösten Fragen der Imagingbranche. Umgekehrt wird das Unternehmen einen enormen Vorsprung haben, das den Kunden einen solchen Bildermanagement-Service mit intelligenten Funktionen bietet – egal ob es sich um einen Kamera- oder Smartphonehersteller handelt.
Verbraucher nutzen die ganze Bandbreite der Imagingwelt
Das Aufnahmegerät der Zukunft ist, da sind sich die Experten einig, ein Ergebnis der Wünsche der Verbraucher. Und da zeigen sich in der Regel zwei, grundsätzlich konträre Positionen: So werden zwar auf der einen Seite unzählige Bilder mit Smartphones aufgenommen und über die Netzwerke kommuniziert, auf der anderen Seite konstatiert beispielsweise die Leica Akademie, so Markus Limberger, einen so grossen Andrang wie nie zuvor – von den gleichen Zielgruppen: «Junge Menschen wollen sich in der Akademie persönlich treffen, wollen gemeinsam noch besser fotografieren lernen. Dieser Trend ist auch darin begründet, dass man beispielsweise auf Instagram nur noch die gewünschte Aufmerksamkeit bekommt, wenn man Fotografien in exzellenter Qualität und mit eigener Bildsprache postet.» Smartphone UND Hochleistungs-Kamera, einfache Kommunikation mit Bildern UND konzentriertes, bewusstes Fotografieren – die (in der Regel gleichen) Verbraucher nutzen die ganze Bandbreite der Imagingwelt. Innovationspotenzial steckt dabei in der einfach zu handhabenden, sicheren und funktionsumfangreichen Verknüpfung der beiden Gegenpole zu einer persönlichen Imagingwelt.
Innovationen bei Sensoren erwartet
Aber natürlich ist auch die klassische Fotokamera-Technologie in Sachen Innovationen noch lange nicht mit ihrem Latein am Ende, auch, so Philipp Heintzenberg, wenn «sich die Innovationen in kleineren Schritten und grösseren Zeitabständen vollziehen»: Organische oder gebogene Sensoren, Bildprozessoren, die auf dem Sensor angebracht sind oder auch Glasfaser-Strukturen auf der Sensoroberfläche – an diesen und weiteren Technologien wird mit Hochdruck geforscht. Klar ist aber, so die Experten, dass Silizium auch morgen noch die Basis für Bild-Sensoren sein wird. Markus Limberger: «Silizium ist für die Sensorhersteller so elementar wie das Mehl für den Bäcker.»
Neues entsteht aus funktionierenden Imaging Ökosystemen
Die Dimensionen der gesamten Imagingwelt sind deutlich grösser als es der Consumermarkt ist, die Perspektiven für Innovationen dadurch deutlich umfangreicher: «Ob Internet of Things, Smart Home oder Sensorik beispielsweise für Automotive – alle Systeme und Geräte brauchen ein Kamera-Auge, um zu funktionieren», so Dietmar Wüller. So sind beispielsweise im neuesten BMW 7er Modell bereits bis zu 32 Kameras verbaut – und das ist noch lange nicht das Ende der Entwicklungen auf diesem Gebiet. Die Basis für Innovationen in der Imagingindustrie der Zukunft, da sind sich alle Teilnehmer einig, bilden funktionierende Imaging Ökosysteme aus kooperierenden Herstellern, aber auch durch die Zusammenarbeit von B2C- und B2B-Abteilungen innerhalb von Unternehmen. So kommt beispielsweise die Gesichtserkennung in Smartphones und Kameras ursprünglich aus der industriellen Anwendung zur Produktionsüberwachung.
Virtual- und Augmented Reality – das nächste grosse Ding?
Eifrig geforscht wird bei den Imagingunternehmen auch an Lösungen für VR- (Virtual Reality) und AR- (Augmented Reality) Anwendungen. Mit ersten konkreten Ergebnissen: Leica Sportoptics arbeitet an Lösungen, dem Kunden (beispielsweise Tierbeobachtern und Jägern) Informationen über das gesehene Wild, über die Windgeschwindigkeit und die Entfernung zum Tier zukünftig direkt in das Sehfeld einzuspiegeln – ein konkretes Beispiel für AR in der Praxis. Huawei rechnet damit, dass VR vor AR den Consumermarkt betreten wird – man kooperiert wohl schon unter anderem mit Google in diesem Thema. Ob das Smartphone mit heute üblichen passiven VR-Brillen auch langfristig bei VR-Anwendungen eine zentrale Rolle als Gerät spielen wird, stellt Huawei-Manager Herkelmann in Frage: «Auf Grund der derzeitigen Problemstellung mit der Energieversorgung bietet sich da eher ein Stand-alone-Produkt für VR an. Das Smartphone ist dagegen primär auf Mobilität ausgerichtet.» Philipp Heintzenberg sieht die Gefahr, dass VR vergleichbar wie 3D vor einigen Jahren vom Verbraucher nicht angenommen wird, wenn zu schnell unausgereifte Produkte auf den Markt kommen.
Picture Capture Device: Erfolgreich wird sein, was Nutzen bringt
Auf die Frage, wie denn nun konkret das Picture Capture Device der Zukunft aussehen wird, haben die Experten ihre eigenen persönlichen Meinungen. Dietmar Wüller: «Ich kann mir theoretisch sogar vorstellen, dass wir in Zukunft gar keine eigenen Aufnahmegeräte mehr haben, sondern auf die öffentliche Kamera-Infrastruktur individuell zugreifen können – auch wenn das ein sicherheitstechnischer Albtraum wäre.» Für Markus Limberger definiert sich das Aufnahmegerät der Zukunft vor allem über seinen Nutzen: «Wenn ich beispielsweise auf meiner Haut einen dunklen Fleck sehe, schicke ich ein Bild davon in eine Cloud, auf die weltweit Hautarzt-Experten zugreifen können, um mir zeitnah eine Diagnose zurückzuschicken, ob es sich um ein Melanom handelt oder nicht. Das bedeutet für mich gesteigerte Lebensqualität.» Näher an der klassischen Aufnahmefunktion sieht Philipp Heintzenberg die Kamera der Zukunft: „Still-Foto und Video werden noch stärker in einem einzigen Gerät verschmelzen, damit der Verbraucher die jeweiligen Vorteile noch besser nutzen kann. Und selbstverständlich werden Connektivität und Cloud-Anbindung weiterentwickelt und perfektioniert.» «Das eine Picture Capture Device für alle Anwendungen», ist sich Arne Herkelmann sicher, «wird es in Zukunft nicht geben. Die Funktionen des Smartphones und diejenigen der Fotokameras werden in ein gemeinsames System integriert, das der Anwender in seiner gesamten Bandbreite nutzen kann. Sicher bin ich mir allerdings, dass das Smartphone in den kommenden fünf bis zehn Jahren das zentrale Gerät bleiben wird.»
Imagingbranche mit sehr hohem Innovationspotenzial
«Der PIV Expertentalk hat gezeigt, wie viele Potenziale für Innovationen in dem Imagingmarkt liegen. Diese beschränken sich allerdings nicht nur auf Verbesserungen in und an Consumer-Produkten, sondern beziehen B2B-Imaginglösungen, Synergien aus Unternehmens-Kooperationen und Technologie-Transfers aus anderen Branchen ein. PIV sieht sich durch die Aussagen der Experten darin bestätigt, dass erstens in der Imangingbranche ein sehr hohes Innovationspotenzial steckt und dass zweitens der Schlüssel zur Ausentwicklung dieser Potenziale die Anwendung digitaler Imaging Ökosysteme ist», resümiert PIV Geschäftsführer, Christian Müller-Rieker.
(Text Photoindustrie-Verband e.V.)