Für den kürzlich auf Fotointern.ch erschienenen Bericht über die Rencontres in Arles, das grösste Fotofestival Europas, konnten wir das neue Sony Flaggschiff Alpha 9 einsetzen, sowie das erst vor kurzem vorgestellte FE 4,0/12-24mm G Weitwinkelzoom. Hier ein kurzer Praxistest über die beiden Neuheiten und wie sie sich bei unserer Reportage bewährt hatten.
Die Rencontres in Arles sind jedes Jahr ein besonderes Ereignis – und eine Herausforderung. Ereignis, weil in dem romantischen Städtchen gegen 200 Ausstellungen (noch bis 24. September 2017) gezeigt werden, Herausforderung, weil ich in drei Besuchstagen so viele Ausstellungen wie möglich besuchen möchte, um die besten davon in meinem Bericht zu publizieren. Dies ist immer auch eine Gelegenheit, das neueste Equipment in der Praxis zu testen. Dieses Jahr war es die Sony Alpha 9 (kurz a9) mit dem neuen Weitwinkelzoom FE 4,0/12-24mm G (SEL-1224G) und dem Zeiss Vario-Tessar FE 4/24-70mm ZA OSS. Die beiden Objektive ergänzen sich brennweitenmässig ideal und haben die gleiche Lichtstärke von 1:4,0. Lichtstärke ist allerdings gar nicht so von Bedeutung mit einer Kamera, die bis ISO 204’800 geht – aber dazu später.
Je weitwinkliger, desto besser
Ich kenne die zum Teil sehr engen Räumlichkeiten der Ausstellungen in Arles von anderen Jahren. Zudem brauche ich von den Ausstellungen möglichst grosse Übersichtsaufnahmen, die einen Gesamteindruck vermitteln, um darin einige Highlights einzuklinken.
Dies ist meine bevorzugte Art, möglichst viel in einem Bild zeigen zu können, auch wenn damit in der Nachbearbeitung ein erheblicher Zeitaufwand verbunden ist. Für diese Art der Fotografie ist ein Weitwinkelobjektiv unabdingbar, je weitwinkliger, desto besser. Da kam das neue FE 4,0/12-24mm zur Sony a9, mit dem mein Kollege Markus Zitt schon ein kurzes Hands-on machen konnte, gerade wie gerufen.
Der grosse Vorteil des Objektivs ist einmal sein grosser Bildwinkel von 84 bis 122 Grad auf Vollformat, dann aber auch seine geringe Verzeichnung, die bei diesem Objektiv so aussergewöhnlich wie das Objektiv selbst ist. Kommt hinzu, dass es für den extremen Brennweitenbereich relativ kompakt (Ø 87mm, Länge 117,4 mm) und nur 565 g leicht ist. Interessant ist auch der geringe Mindestfokussierabstand von 28cm, der spannende Perspektiven bei Nahaufnahmen mit grosser Schärfentiefe ermöglicht.
Im Handling ist das Objektiv sehr angenehm. Man hat es gut und sicher im Griff (auch beim Objektivwechsel), und die Bedienelemente (Zoomring, Fokussierring, konfigurierbare Fokushaltetaste und AF/MF-Schalter) liegen sehr ergonomisch.
Der Brennweitenbereich von 12 bis 24 mm im Vollformat (und 18 bis 36 mm bei APS-C) ist ideal und ermöglicht aussergewöhnliche Perspektiven und Bildwinkel. Hier ein paar Beispiel immer mit 12 und mit 24 mm im Vergleich:
Wie schon erwähnt, ist das Zeiss Vario-Tessar FE 4/24-70mm ZA OSS die sinnvolle Ergänzung zum 12-24er. Es ist sozusagen das Normalzoom, das ich immer auf der Kamera hatte, um bei interessanten Strassenszenen gleich schussbereit zu sein, ohne das Objektiv wechseln zu müssen. Beide Objektive überraschten bezüglich ihrer Qualität auf der Sony a9 – und damit kämen wir eigentlich zu meinem Ersteindruck mit dem neuen Sony Flaggschiff.
Mit dem Ferrari durch enge Gassen
Genau so wenig, wie ein Ferrari in den engen Gassen von Arles etwas bringt (ausser Beachtung natürlich), ist auch die schnellste Kamera von Sony mit 20 Bildern pro Sekunde und dem wahrscheinlich schnellsten Autofokus nicht unbedingt ein Muss für eine Reportage über Kunstfotografie an den Rencontres. Der Reiz lag vielmehr darin, dieses Topmodell in der Praxis zu erproben, das Handling und die Einstellungen zu erfahren, ohne die PS wirklich ausfahren zu können. Und ähnlich wie im Vergleich mit dem Ferrari wurde die a9 auch von vielen Profis neugierig beachtet. Einige wollten sie auch unbedingt mal in die Hand nehmen und durchschauen.
Beim «in die Hand nehmen» fängt es schon an. Glücklicherweise hatte mir Sony die a9 mit dem Batterie- bzw. Hochformatgriff mitgegeben. Damit hat man die Kamera wirklich griffsicher in der Hand, bei Quer, wie auch bei Hochformataufnahmen, wobei sich dann die zweiten Bedienelemente am Vertikalgriff als praxisgerecht und sehr ergonomisch erweisen.
Kommt hinzu, dass das Batteriepaar im Griff (2x NP-FZ100) ewig zu halten scheint. Wenn ich abends die Kamera (über USB-Kabel) immer wieder aufgeladen habe, dann einfach aus Sicherheitsüberlegungen. Notwendig wäre dies wahrscheinlich nicht gewesen, zumal die Restkapazität für jede Batterie in Prozenten auf dem Display angezeigt wird. Übrigens ist der Batteriegriff ebenso gegen Staub und Feuchtigkeit abgedichtet wie die Kamera.
Auffallend an der Kamera selbst, zum Beispiel im Vergleich zur a7 II, ist der neue Bedienknopf links, welcher der Bildfrequenz (Lo 5B/s, Me 10B/s, Hi 20/Bs und Einzelbild), Selbstauslöser und Bracketing sowie den Fokussiereinstellungen (MF, DMF, AF-C und AF-S) dient. Übrigens sind alle Bedienungsräder mit einem Druckknopf verriegelt (halten und drehen), so dass sie sich nicht versehentlich verstellen können.
Die Sony a9 ist mit zwei Speicherkartenslots für SD-Cards (UHS I und II) und Memory Stick PRO Duo (in Steckplatz 2) ausgestattet, die verschieden konfiguriert (RAW/JPEG, RAW+JPEG, Backup, Video) werden können. Wir haben in der a9 die superschnelle SDXC II 64 GB praktisch genutzt und eigentlich nicht getestet, weil man mit der a9 auch im 20 Bildermodus oder mit 4K-Video kaum an deren Grenzen von 300 Mbit/s Lese- und Schreibgeschwindigkeit kommt. Die Karte gehört zu den derzeit schnellsten des Marktes und ist bereits für die nächste Kamerageneration gewappnet.
Verblüffend, und auch in der Reportagefotografie von Wichtigkeit ist der schnelle Autofokus mit seinen 693 AF-Punkten, der 93 Prozent des Bildfeldes abdeckt. Weiter ist der 5-achsige kameraintegrierte Bildstabilisator ein nützliche Hilfe, denn damit gewinnt man nicht nur Verschlusszeit, sondern dieser ist in vielen Fällen so etwas wie eine «Versicherung für scharfe Bilder».
Auch bezüglich «Kontaktfreudigkeit» hat Sony einiges bei der a9 getan. Sie verfügt über eine Multi/Micro-USB Buchse, eine HDMI-D Mikrobuchse, Stereo-Minibuchsen für Mikrofon und Kopfhörer, einen LAN-Anschluss für die schnelle Internetanbindung und (das freut die Studioprofis) endlich wieder einen Blitzstecker. Ferner ermöglicht sie Bluetooth-Kommunikation gemäss Standard Version 4.
Auch ein Schwenkdisplay fehlt nicht. Allerdings ist es nur nach oben und unten schwenkbar, was bei Hochformataufnahmen wenig Sinn macht. Trotzdem ich in vielen Fällen um den beweglichen Monitor froh gewesen.
Was natürlich bei der neuen a9 besonders interessiert ist das Rauschverhalten des neuen 24-Mpix-Sensors bei hohen Empfindlichkeiten. Wenn die PR-Texte von «neuen Massstäben» und Ähnlichem erzählen, bin ich immer extrem vorsichtig und lasse automatisch den Superlativ-Filter laufen. Diesmal jedoch bin ich fast geneigt, dieses ungeliebte Wort selbst zu tippen.
Ich bin spät abends zum Place du Forum gegangen und habe dort mit den hohen Empfindlichkeiten in eine belebte Seitengasse fotografiert. Das Resultat: bis ISO 6400 ist das Ergebnis sehr gut. Bei ISO 12800: gut. ISO 25600: akzeptabel. ISO 51200: noch brauchbar. ISO 102400: wenn es sein muss. ISO 204800: besser als gar kein Bild. Auf jeden Fall übertrifft das Ergebnis alle Erwartungen. Wenn ich da an die analoge Zeit zurückdenke, wo wir mit warmen Entwickler gerade mal bis ASA 3200 unsere Griesssuppe kochten … Wer braucht sie denn, diese ISO 204800? Wahrscheinlich niemand. Aber das Ergebnis zeigt, dass die Entwicklung neuer Sensoren (und der entsprechenden Software!) noch lange nicht am Ende ist.
Urs Tillmanns (Text und Bilder)
Weitere Informationen zur Sony a9 und ihrem Zubehör finden Sie auf www.sony.ch
und den Bericht über die Rencontres in Arles finden Sie auf www.fotointern.ch