Gastautor/-in, 27. August 2017, 11:00 Uhr

 «Slow photography» mit mobilen Fachkameras

In der Hektik des modernen «fast-food-Alltags» kommt nicht nur der Genuss zu kurz, sondern oft auch die Qualität der Speisen. Dem widersetzt sich die «slow food» Bewegung mit hochwer­tigen regionalen Lebensmitteln und exquisiter Zubereitung. Die Parallele zur Fotografie liegt auf der Hand: Technische Mittelformatkameras, mobil, vielseitig, verstellbar und mit Systemteilen allen Aufgaben gewachsen, liefern unglaublich gute Bilder, die alles übertreffen, was in der hyperaktiven, voll elektronischen und durchautomatisierten Bilderwelt heute massenweise produziert wird. Der Autor ist mit einer handlichen Fachkamera von Arca-Swiss unterwegs und geniesst dabei das stressfreie ruhige Bildermachen, eben die «slow photography». Er berichtet von seinen Erfahrungen und stellt überdies, im schmalen Marktsegment, alle Kamerasysteme mit ihren besonderen Merkmalen vor.

 

Das Mittelformat erlebt aktuell in der ambitionierten und professionellen Fotografie eine Art Renaissan­ce, vor allem dank den beiden neuen spiegellosen Kameras von Fujifilm GFX50S und Hasselblad X1D-50C. Diese besonders kompakten Modelle trumpfen auf mit Autofokus, Belichtungsprogrammen, Wechselobjektiven – also allem, was im Sektor der Spiegelreflexkameras schon längst Stand der Tech­nik ist. Gleichzeitig machen Marktbeobachter zwei Retrotrends aus. Einer weist zurück zur analogen Fotografie mit Film. Der andere zelebriert handliche, mechanische, voll verstellbare Fachkameras ohne optische Bank, mit Wechselobjektiven, frei wählbaren Rückteilen – in umfangreichen Systemen vielfach um- und ausbaubar. Die Schweiz ist in diesem schmalen Segment nominell gleich mit drei hochkaräti­gen Marken präsent: Alpa, Sinar und Arca-Swiss, letztere firmiert seit 1999 mit zwei Unternehmen, Arca-Swiss International im französischen Besançon sowie Arca-Swiss Phototechnik AG in Wollerau. Sie alle stellen sich den beiden verbliebenen Konkurrenten, der holländischen Cambo und der Silvestri, aus Florenz, Italien.

Kirche Santa Maria Degli Angeli in Monte Tamaro, Architektur: Mario Botta. Arca-Swiss Rm2d, 35 mm, Leaf Aptus-II 12

 

Mobil und verstellbar

Im Vergleich zu den aktuellen Mittelformat-Autofokus-Spiegelreflexsystemen von PhaseOne und Mamiya, Hasselblad, Pentax 645 und Leica S – alle hervorragend bestückt und automatisiert, aber als Kameras mit mächtigen Objektiven gross und schwer – setzen die technischen Fachkameras auf Handlichkeit, Leichtgewicht, ambulante Einsatzfähigkeit und ihre besonderen Stärken, nämlich die Verstellbarkeiten horizontal, vertikal und beim Schwenken. Das alles bei höchster Präzision, grösster Flexibilität dank anpassbaren Systemen und topmodern mit digitalen Rückteilen.

Diese werden mit dem Blitz-Synchrokabel zum Objektiv verbunden, auf den Betrieb mit Fachkameras eingestellt und speichern beim mechanischen Auslösen das Bild durch den Impuls vom Verschluss, der sonst den Blitz aktiviert; Blitzleuchten werden direkt am Digiback angeschlossen. Hinsichtlich Verschluss ganz neue Perspektiven eröffnen Rückteile, wel­he über einen «electronic shutter», auch als «rolling shutter» bezeichnet, verfügen. Das sogleich kontrollierbare Bild am Display macht den früher oft benutzten Sofortbild-Kontrollabzug überflüssig. Neuere Digibacks, z.B. der IQ-Serie von PhaseOne, nutzen ein «wake-up-Kabel», mit dem das Digiback auf Knopfdruck aus dem stand-by-Modus erwacht und danach die Belichtung erfolgt. Alpa bietet für die Auslösung von Rückteilen mit integriertem Sleep-Mode die sogenannte «Sync Solution» an. Damit wird in einem einzigen Vorgang das Rückteil aufweckt und anschliessend die Aufnahme ausgelöst, was eine sehr geringe Erwärmung des Sensors bewirkt, das Bildrauschen vermindert und den Stromverbrauch senkt.

Architekturfotografie einer Turnhalle mit Mischlicht-Situation. Aufgenommen mit der unverstellten Arca-Swiss Rm2d, 35 mm Objektiv und Leaf Aptus-II 12

Wer mit solchen Kameras fotografiert, wagt den Spagat zwischen modernsten Präzisionsinstrumenten exzellenter Fertigung, kombiniert mit digitalen Technologien – und nahezu archaischer Bedienung: Motiv im optischen Sucher anvisieren, Distanz mit einem Telemeter, meist einem elektronischen Dis­tanzmessgerät ermitteln, Fokus einstellen, Belichtung messen, Zeit und Blende am Objektiv einstellen, Verschluss spannen und auslösen, alles manuell – im Grunde genommen wie zu den Urzeiten der Fotografie. Einfacher geht es mit CMOS-Sensor-bestückten Rückteilen. Sie erlauben im LiveView-Modus die Bildkomposition, die Fokussierung und in gewisser Weise sogar die Belichtungsmessung: Man schätzt grob die Parameter und justiert mit dem Histogramm auf dem Monitor des Rückteils. Damit erübrigen sich mittelfristig optische Sucher oder das Visieren mit dem iPhone, allerdings nicht bei der Arbeit mit den älteren, aber verbreiteten Digibacks mit CCD-Sensoren, deren LiveView-Modus, wenn überhaupt verfügbar, nicht an jenen der CMOS-Backs heranreicht.

Eine Dokumentationsaufnahme für die Denkmalpflege: restaurierte historische Hofmauer mit Brunnen. Arca-Swiss Rm2d, 35 mm, Leaf Aptus-II 12, Stativ

 

Nischenprodukte in schwierigem Umfeld

Bei genauerem Hinsehen ist es mit der Auswahl der wichtigsten Komponenten für die handlichen Fachkameras – Objektive und Verschlüsse – nicht mehr weit her: Als einziger Hersteller bietet Rodenstock Photo Optics, nunmehr ein Unternehmen der Qioptiq im us-amerikanischen Excelitas Technologies Konzern, noch Objektive für die professionelle digitale Fachfotografie an. Schneider-Kreuznach hat das Feld bei den digitalen Fachobjektiven ebenso geräumt, wie vor Jahren schon Nikon mit ihren jeweils exzellenten Konstruktionen. Immerhin, Apo-Digitare, Apo-Symmare, Tele-Xenar- oder Super-Angulon-Objektive sind gebraucht ganz gut erhältlich, meist mit Zentral-Verschlüssen von Copal. Diesbezüglich bedauerlicherweise nicht mehr lange, denn auch Copal hat angekündigt, die Produktion seiner mechanischen Verschlüsse einzustellen. Was bleibt in Zukunft noch, in einem ohnehin schmalen Nischenmarkt? Der führende Hersteller Alpa hat bereits reagiert und bietet für seine Kameras voll integrierte Adapter für die wichtigsten Mittelformat-Objektive von Hasselblad und Mamiya sowie die legendären Contax- und Rollei-Konstruktionen an, zudem sind Adapter für Canon, Nikon und Objektive mit Arri-Anschluss erhältlich. Zusammen mit dem Schlitzverschlussmodul ist man hier für die Zukunft voll gerüstet. Auch elektronische Zentralverschlüsse werden angesteuert. Es dürfte, um am Markt zu bestehen, nur eine Frage der Zeit sein, bis auch andere Anbieter solche Adapter für aktuelle Mittelformatobjektive anbieten.

Bei den digitalen Rückteilen sieht die Situation noch etwas besser aus: Hasselblad, Leaf, Phase One und Sinar bieten Systeme mit unterschiedlichen Sensoren und Auflösungen bis 100 Mpx an, die alle an die mobilen Fachkameras adaptiert werden können.

Die Europa-Allee in Zürich mit der Arca-Swiss Rm2d, 35 mm und Leaf Aptus-II 12 aus freier Hand fotografiert

 

 

Illustres Fünfer-Feld

Die Sinar LanTec ist von allen fünf Kameras die grösste, solid und vergleichsweise schwer gebaut, mit zwei optionalen, seitlich angebrachten massiven Handgriffen. Die Feintriebe und Verschiebebewegungen könnte man sich feiner abgestimmt vorstellen. Speziell ist auch, dass beim horizontalen Verschieben das Rückteil, vertikal das Vorderteil bewegt wird. Bedauerlicherweise läuft die vertikale Verschiebung nicht selbsthemmend. Dass sich mancher Kunde mehr Bedienkomfort mit selbsthemmenden Trieben wünsche, sei bekannt und man arbeite daran, heisst es seitens des Werks.

Die LanTec wurde von Sinar speziell für die Architektur- und Landschaftsfotografie entwickelt

Sinar liefert für die LanTec ausschliesslich Sinaron Digital Objektive, aus dem Hause Rodenstock, alle auf unendlich kalibriert. Überdies lassen sich auch Objektive aus dem Leica S-System per Adapter an­bringen. Ein Um- oder Nachrüsten, z.B. mit Apo-Digitaren von Schneider-Kreuznach, die sich eignen würden, ist jedoch nicht vorgesehen. Alpa, Arca-Swiss und Cambo bieten hingegen diesen Service. Die LanTec wird vorzugsweise mit dem vielseitigen Sinar-Digitalrückteil S 30|45 geliefert, in dem der aus der Leica S bekannte CMOS-Sensor im dem kleinbild-klassischen 2:3-Seitenverhältnis 30×45 mm steckt. Die Bildkontrolle erfolgt in der Regel direkt auf dem Display und mit der Lupenfunktion sehr präzise. Alternativ können auch ein iPhone oder ein iPodTouch als Sucher zum Einsatz kommen. Selbstverständlich sind auch Adapter für andere Rückteile lieferbar. Die Verbindung zwischen Objektiv und Rückteil erfolgt klassisch über das Blitzanschlusskabel, ausgelöst wird am gut positionierten Draht­auslöser im Handgriff.

 

Die holländische Cambo Wide WRS-1600 ist hochwertig und feinmechanisch sehr präzis konstruiert, wie alle Modelle in der interessanten Palette unterschiedlicher Kameras des Herstellers. Die Verstellungen am Rückteil horizontal und vertikal laufen mit walzenartigen Rändelschrauben gesteuert seidenweich und selbsthemmend, informativ unterstützt durch die Anzeige in den Skalen seitlich und oben. Alle 5 mm sind die Positionen gerastet.

Die Cambo Wide WRS-1600 lässt sich verblüffend einfach vom Quer- ins Hochformat umstellen.

Das Modell WRS-1600 hat einen genialen Umstellmechanismus zwischen Hoch- und Querformat, ohne Umstecken des Rückteils und ohne die Kamera vom Stativ zu nehmen: man löst den Apparat im beweglichen Stativfussanschluss und schiebt die ganze Kamera um 90 Grad um die Ecke herum, ein verblüffendes Merkmal. Standardmässig sind Rodenstock-Objektive im Programm. Das Werk in Holland passt auch andere Fachobjektive an. Cambo arbeitet mit seitlich konvex geformten Objektivplatten, die durch zwei Hebel oben fixiert werden. Zwei auffällige seitliche Bügel schützen die Optiken, die auf Wunsch auch mit einer Schwenkfassung geliefert werden. Adapterplatten ermöglichen den Anschluss für alle gängigen Digibacks. Laut Schweizer Vertretung GraphicArt ist der optionale Durchsichtssucher kaum mehr gefragt, die Bildkontrolle erfolgt direkt per LiveView am digitalen Rückteil oder über einen iPhone-Adapter.

 

Vom Design her fällt die Silvestri Bicam III gegenüber ihren Mitkonkurrentinnen deutlich aus dem Rahmen: sie wirkt bullig, trendig mit den markant hervorstehenden Drehknöpfen für die Horizontal- und Vertikalverschiebungen am Rückteil, wo auch hier die gängigsten Rückteile angedockt werden. Die Verschiebungen laufen geschmeidig über jeweils +/- 15mm, sind in der Nullstellung aber nicht gerastet, horizontal fehlen sogar die numerischen Verschiebewerte oben, die vertikale Skala ist jedoch gut gestaltet.

Silvestri Bicam III, das Topmodell des italienischen Kameraherstellers

Dosenlibelle und Wasserwaage, zeigen wie bei allen anderen Kameras auch die exakte Ausrichtung der Kamera. Die Frontplatte mit der Objektivfassung wird unten mit dem massiven verchromten Drehknopf gesichert. Fest integriert auf dem Gehäuserahmen oben ist ein normaler Zubehörschuh, wo optionale Durchsichtssucher mit Formatmasken – einer mit Shift-Funktion, der zweite als Superweitwinkelsucher mit 120 Grad Blickwinkel ausgelegt, eingesteckt werden. Zusätzlich zum Set von Rodenstock-Objektiven führt Silvestri einen interessanten Adapter für Hasselblad-V-Objektive im Sortiment, welcher die Funktionen der eingebauten Zentralverschlüsse nutzt. Die Bicam III lässt sich mit zahlreichen Systemelementen wie Mattscheibe samt Reflexsucher, Schieberückteil, Balgen zum Verschwenken udgl. erweitern.

 

Der Markenname Alpa weist zurück auf das Traditionsunternehmen Pignons SA in Ballaigues, im Waadtländer Jura, das einst für die Uhrenindustrie Teile fertigte und später Kleinbild-Spiegelreflexkameras herstellte. Legendär waren insbesondere die späten Modelle Alpa 9d, Alpa 10d und Alpa 11si, bei denen als Normalobjektiv das ebenso legendäre Makro-Switar 50mm 1,8 zum Einsatz kam, das Kern Aarau bis 1991 exklusiv für Alpa konstruierte. An diese Gene des Schweizer Kamerabaus in Uhrmacherpräzision knüpften Capaul & Weber an, als sie 1996 die Markenrechte der mittlerweile untergegangenen Traditionsfirma erwarben. Zwei Jahre später verhalfen sie mit der Alpa 12 der einst traditionsreichen Marke zu einer strahlenden Auferstehung. Von Anbeginn an kam für beste Qualität nur das Mittelformat in Frage, im anbrechenden Digitalzeitalter zwingende Voraussetzung für die hinsichtlich mechanischer Toleranzen weit anspruchsvolleren digitalen Rückteile als herkömmliche Filmmagazine.

Alpa 12 MAX, die voll verstellbare Kamera mit maximalen Verstellwegen, rechts die Alpa 12 STC mit dem iPhone als Sucher

Heute ist das Alpa 12 System an Präzision, Materialisierung, durchdachten Konstruktionsdetails bis in die feinsten Bauelemente Branchenführer, namentlich auch was die Modularität anbetrifft. Die kom­pakte Alpa 12 STC eignet sich mit +/- 18mm Verstellbarkeit, allerdings nur in einer Richtung, entweder horizontal zum Stitchen (Zusammensetzen von Einzelbildern zu Panoramen) oder vertikal umgestellt zum Shiften, um stürzende Linien in der Architekturfotografie zu verhindern. Wer zugleich beide Verstellbarkeiten braucht, greift zur grösseren, aber immer noch handlichen Alpa 12 MAX, diese nun mit vertikal enormen Wegen, + 25 mm – 18 mm aufwartet, horizontal +/- 18 mm. Tilt/Swing-Verstellungen erfordern ein Zusatzmodul. Die Feinheit der Shift-Bewegungen, selbstverständlich per selbsthemmenden Feintrieben, verdankt die Kamera den üppig verbauten miniaturisierten Rollenlagern am Gehäuse. Der Verschiebemechanismus lässt sich mit einem kleinen Hebel vom Gewinde lösen und beliebig wieder fixieren, zum schnellen manuellen Verschieben des Rückteils statt aufwändigem Drehen des Einstellknopfes, ein cleveres Konstruktionsdetail, typisch Alpa.

Das innovative und technologisch dynamische Unternehmen lancierte als erstes auch eine App, welche das iPhone zum brillanten, für nahezu alle Objektiv- und Verschiebefunktionen adaptierbaren Sucher macht. Alternativ sind auch optische Sucher mit Formatmasken erhältlich. Seit einiger Zeit setzt die Firma erfolgreich auf das «additive manufacturing», wie sie das Fertigen von Bauteilen in hochwertigen 3D-Druckern nennt, und dies nicht nur für Muster bei Prototypen, sondern auch bei Einzelanfertigungen z.B. für versteifte Spezialkameras der Photogrammetrie, sowie, neuerdings, für spezifisch berechnete Gegenlichtblenden.

Die Objektive stammen alle aus dem Hause Rodenstock, werden aber nach den Spezifikationen von Alpa gefertigt und justiert. Mit dem entsprechenden Branding – die Objektive heissen «Alpar» und «Alpagon» – garantiert das Unternehmen seinen Kunden die bestmögliche Qualität. Feinste mechanische Abweichungen werden, wenn überhaupt nötig, in den Rückteil-Adaptern durch Foliendistanzhalter ausgeglichen und so justiert in der eigenen Endkontrolle durch Testaufnahmen abgenommen.

Das alles hat seinen Preis, der je nach Konfiguration der gewünschten Kamera an das obere Ende der Kostenskala zu liegen kommt. Als Gegenwert kauft sich der Kunde in ein einzigartiges System, das an Präzision, Modularität und Zukunftssicherheit aktuell nicht zu überbieten ist.

 

Aus dem  Arca-Swiss R-System kommt hier das Basismodell Rm2d zum Einsatz. Das traditionsreiche Unternehmen geht beim R-System mit aussergewöhnlichen Konstruktionsmerkmalen seinen eigenen Weg. Die R-Kameras – es gibt verschiedene Modellvarianten – besitzen alle eine fest eingebaute, also universelle, numerisch skalierte Fokussiereinheit mit einem Bajonett, welches die entsprechend ausgestatteten Objektive aufnimmt. Alle Konkurrenzsysteme arbeiten demgegenüber mit Wechselobjektiven mit integriertem Schneckengang. Das macht diese Objektive erheblich teurer, erleichtert indessen mit der herkömmlichen metrischen Skala das Einstellen der Distanz, denn man kann die gemessenen Werte direkt an der einzigartigen Fokussiereinheit einstellen.

Links: Die Arca-Swiss Rm2d mit Schneider Kreuznach Apo-Digitar 5,6/35 mm XL und Variofinder-Sucher. Mitte: Digitale Rückteile, hier das Leaf Aptus II 12, werden mit dem Blitz-Synchrokabel mit dem Verschluss des Objektivs verbunden. Rechts: Mit der Arca-Swiss Rm2d ambulant unterwegs: Sucher, Kleinstativ, Belichtungsmesser, Distanztabelle und Leica Distometer

Der grosse Schneckengang mit 110 mm Aussendurchmesser ist ausgesprochen flach ausgelegt, was eine hoch präzise Einstellung ermöglicht, pro numerischer Einheit ändert der Auszug um winzige 15 Mikron. Der gesamte Auszug von gut 10 mm erfordert knapp fünf ganze Umdrehungen der Fokussier­einheit, die vollen Umdrehungen sind verschiedenfarbig am Tubus markiert. Um perfekte Ergebnisse zu garantieren, empfiehlt der Hersteller, jede Objektiv-Rückteil-Kombination zu kalibrieren. Dies geht recht einfach – 3 Aufnahmen eines mindestens 2 km entfernten kontrastreichen Objekts mit jeweils um einen Skalenwert verändertem Auszug ab 0 fotografieren. Anschliessend die klarste Aufnahme auswählen und den entsprechenden Wert fortan zum gemessenen Distanzäquivalent dazuzählen.

Die Rm2d lässt sich horizontal von Hand stufenlos um 15 mm verstellen, die zentrale Nullstellung ist präzis gerastet. Die vertikale Verstellung um + 20 /- 10 mm erfolgt dagegen per Mikrometer-Feintrieb selbsthemmend. Diese Verstellbarkeit genügt für die meisten Architektur- und Landschaftsaufnahmen, sie wird eher durch den Bildkreis des Objektivs auf dem jeweiligen Bildformat (digital 33×44 mm bzw. 44×50 mm) limitiert, als durch die Verstellwege. Einen Schwenkmechanismus nach Scheimpflug besitzt die Rm2d nicht, ein solcher ist den grösseren Modellen, etwa der Rm3d vorbehalten. Am empfindlich fein gebauten R-Bajonett lassen sich Fachobjektive von Rodenstock, bis vor kurzem auch von Schneider-Kreuznach, mit Brennweiten von 23 bis 250 mm anbringen; Objektive anderer Hersteller werden im Werk adaptiert und kalibriert.

Aufnahmeseitig ist die Kamera für digitale Rückteile aller Hersteller vorbereitet, alternativ passt auch das bekannte Horsemann-Rollfilmmagazin. Die quadratischen Adapterplatten im Format 110x110mm sind voll kompatibel mit den Fachkameras der Arca-Swiss F-Linie, fixiert werden sie mit dem einhändig bedienbaren selbstverriegelnden Sicherungs-Drehknopf. Daher passen auch Mattscheibenadapter oder das Schieberückteil des Systems.

 

Fokussierung nach Arca-Swiss Manier: Telemeter und Tabelle – oder mit E-Modul

Die Konkurrenz spendiert allen Wechselobjektiven zu ihren Kameras jeweils eine Fokussiereinheit, wie man das von Systemkameras gewohnt ist. Anders geht wie erwähnt Arca-Swiss vor, welche den aus­sergewöhnlichen Schneckengang fest an den R-Kameras verbaut. Doch wie soll nun daran die Distanz eingestellt werden? Mit jedem Objektiv liefert das Werk eine doppelseitige Tabelle im Kreditkartenformat mit numerischen Werten, welche den mit einem externen Telemeter gemessenen Distanzen, also den Gegenstandsweiten, entsprechen. Diese Werte – plus ein allfälliger Korrekturwert der Kalibrierung – werden auf der Fokussiereinheit eingestellt. Die Tabelle, dieses unscheinbare Zubehör, ist also absolut unerlässlich, wenn es um die perfekte Einstellung der Distanz geht, mithin das wichtigste Kleinteil zur Kamera. Zusätzlich zur Distanz-Tabelle liegt jedem Objektiv auch ein putziges Röhrchen, «lens-drum» genannt, bei, das für eine oder zwei Brennweiten und jeweils 6 Distanzen von 0,5 bis 8 m und unendlich die Fokussierwerte sowie für die 5 Blendenwerte von 5,6 bis 16 die Schärfentiefe angibt. Das clevere Zubehör wird unten am Sucher eingesteckt und hilft, wenn Distanzmesser und Tabelle ausnahmsweise nicht vorhanden sein sollten. Bei Weitwinkelobjektiven mit ihrer grossen Schärfentiefe genügen diese groben Angaben.

Links: Arca-Swiss Rm2d mit Schneider Kreuznach Apo-Digitar 4,5/90mm, Variofinder mit zur Optik passender Suchermaske. Mitte: Die exklusive Fokussiereinheit an den Arca-Swiss R-Kameras lässt eine äusserst präzise Scharfeinstellung zu. Rechts: Die per Leica Distometer ermittelten Distanzen werden anhand der brennweitenspezfischen Tabelle in numerische Werte umgerechnet und an der Fokussiereinheit der Arca-Swiss R-Kameras eingegeben

Komfortabler geht die Fokussierung mit den wiederum einzigartigen E-Moduln von Arca-Swiss. Es handelt sich dabei um multifunktionale Distanzmessgeräte, die per Kabel mit der Kamera verbunden werden. Dort greifen sie intern an der Fokussiereinheit den Auszug ab und geben auf dem Display die Distanz in Metern an, zusammen mit den entsprechenden Schärfebereichen pro Blende, Objektiv- und Sensortyp. Das Standardgerät für den Studiobetrieb misst Distanzen bis 11m, das E-Modul mit Visiereinheit ist auch für den Ausseneinsatz konzipiert.

Handgriff, Stativplatte, Sucherbefestigung und Kabelauslöser ergänzen die Grundausstattung. Der helle Sucher «Variofinder» verzeichnet leicht tonnenförmig, er lässt sich optisch stufenlos und mit magnetisch haftenden Masken an alle Objektive und Aufnahmeformate anpassen. Die Skalen dazu sind oben aufgedruckt. Für Bilder im Hochformat wird der Sucher auf den zweiten Fuss umgesteckt und das Rückteil um 90 Grad gedreht angebracht, die Kamera selbst kann also auf dem Stativ wie gewohnt in Normalstellung bleiben. Mit dem hier verwendeten Leaf Aptus-II 12 Rückteil und dem Schneider-Kreuznach Apo-Digitar 5,6/35mm XL bringt die Rm2d rund 2,25 kg auf die Waage.

Im Vergleich zur Konkurrenz ist die Arca-Swiss Rm2d-Kamera ein Unikum, aber gerade dank ihren spezifischen Merkmalen von hoher Alltagstauglichkeit. Mit Objektiven längerer Brennweiten sieht diese Kamera etwas skurril aus, was aber weder dem Konzept noch dem preisgekrönten Design – reddot design award winner 2009 – noch der Handhabung abträglich ist.

Architekturfotografie des Zürcher Hauptbahnhof Süd Richtung Sihlpost. Aus freier Hand fotografiert mit der Arca-Swiss Rm2d, 35 mm, Leaf Aptus-II 12

 

Universelle Kameras für Natur, Architektur und Landschaft – aber nicht nur

Handgriffe und ergonomisch positionierte Auslöser zeigen: mobile Fachkameras lassen sich wirklich gut ambulant einsetzen, sind also nicht a priori auf ein Stativ angewiesen. Empfehlenswert ist es gleichwohl, die Kamera z.B. auf einem kleinen Bruststativ abzustützen. So ausgerüstet gelingen auch draussen unter schwierigen Bedingungen exzellente Aufnahmen von unglaublicher Schärfe und Detailreichtum.

Das eigentliche Fotografieren folgt im Übrigen dem klassischen Ritual, um ein paar digitale Routinen erweitert: ISO-Wert der Empfindlichkeit am digitalen Rückteil eingeben, ebenso die Farbtemperatur. Belichtung messen, Zeit und Blende am Objektiv einstellen, Verschluss spannen, Distanz zum Hauptmotiv messen und am Fokussierring eingeben, Motiv anvisieren, auslösen, Bild kontrollieren. Hektik kommt dabei kaum auf, ganz im Gegenteil. Man kann, in Analogie zur genussreichen «slow food» Bewegung durchaus von «slow photography» sprechen.

Wer zum ersten Mal mit solchen Kameras und einem weitwinkligen Objektiv loslegt, erschrickt mächtig: Die Bilder zeigen randlich meist flächige Farbfehler, Magenta bis Grün. Das hat mit dem Einfallswinkel des Lichts am Rand des Sensors zu tun und erfordert eine kalibrierte Korrektur. Am elegantesten löst dies der mittlerweile umfangreich ausgestattete Raw-Converter Capture One 10 von PhaseOne. Man fotografiert durch eine homogene Milchglasscheibe ein Kontrollbild, lädt dieses in das Programm, das nun in der LCC-Routine (lens cast calibration) eine Kompensationsdatei erzeugt, welche die Farbstiche und die Vignettierung – und zusätzlich auch Staub auf dem Sensor – aus den Aufnahmen herausrechnet. Die gespeicherte LCC-Datei lässt sich für alle Aufnahmen mit diesem Objektiv aufrufen. Bei verstellter Kamera empfiehlt sich für jedes Motiv eine individuelle Korrekturaufnahme.

Porträtaufnahme bei vorhandenem Licht im Studierzimmer mit der Arca-Swiss Rm2d ab Stativ, 90 mm, Leaf Aptus-II 12, Stativ, offene Blende, Verschlusszeit 1/8 sec

Besonders faszinierend ist – eine Stärke des Mittelformats – das Spiel mit Schärfe-Unschärfe und zwar ganz besonders mit weitwinkligen Objektiven. Darüberhinaus gelingen mit Fachkameras dieses Typs auch wunderbare Porträts, vor allem, weil die meisten Leute von der naturgemäss etwas umständlichen Bedienung fasziniert sind. Das Einrichten der Szene mit den Personen, dem Licht, dem Hintergrund im Studio oder am jeweiligen Aufnahmeort beruhigt, es entsteht eine erwartungsvolle Spannung, ganz ohne Hektik. Dazu kommt dann auch noch eine vergleichsweise lange Belichtungszeit, sodass man die Leute bitten muss, ruhig zu sitzen. Das verleiht solchen Porträts oft jene besondere Würde, wie sie von Aufnahmen alter Meisterfotografen bekannt ist.

Henri Leuzinger, CH-4310 Rheinfelden

Weitere Infos zu Alpa, Arca-Swiss, Cambo, Silvestri und Sinar

Firmenkontakte in der Schweiz:  Alpa, Arca-Swiss, Cambo, Silvestri und Sinar

Bildnachweis: Produkteaufnahmen: Alpa, Cambo, Silvestri. Alle übrigen Aufnahmen: Henri Leuzinger

 

Preise für mobile Fachkameras
Set bestehend aus:
• Kameragehäuse, mit Frontteil vorbereitet für ein Objektiv
• Verstellbarkeit horizontal und vertikal
• inkl. 1 Backadapter für ein 50 MP Digitalrückteil
• inkl. Stativadapter, sofern nicht eingebaut
• inkl. 1 Handgriff rechts, sofern nicht eingebaut
Alpa 12 STC (1) CHF 5’808.00
Alpa 12 MAX CHF 8’055.00
Arca-Swiss Rm2d CHF 4’785.00
Cambo WRS-1600 CHF 3’909.00
Sinar LanTec (2) CHF 4’999.00
Silvestri BICAM III CHF 3’825.00
(1) nur in einer Richtung verstellbar / (2) mit Handgriffen links und rechts
Angaben ohne Gewähr

 

5 Kommentare zu “ «Slow photography» mit mobilen Fachkameras”

  1. Es sind aber die Portaitierten(Politiker, Künstler) welche den Fotografen wenig Zeit lassen. Dann liest man dann: Musste das „Meisterbild“? in 5 Minuten machen, konnte nur 12 Bilder schiessen…
    Auch die neue Hasselblad X1D macht schöne Bokeh-Bilder meinte der Vertreter gestern. Nur meine Karte war zu langsam!

  2. Lieber Henri, was für ein toller Bericht.
    Vielen Dank dafür!
    Ich habe es genossen zu lesen und hätte direkt Lust, auch auf diese Art Architektur zu fotografieren. Leider ist nicht jeder Kunde ein Architekt und oft fotografiere ich im öffentlichen Raum. Je mehr Aufwand ich dann betriebe, große Kamera, Tiltshif, Stative usw, je öfter werden ich mit der Frage konfrontiert: „was machen Sie da?“ Es lässt sich immer klären, ist aber in manchen Wohngebieten auch schwierig und dann muss es bei der einen oder anderen Aufnahme auch mal schnell gehen. Trotzdem, die nächste Nacht wird unruhig. Ich würde es lieben, ein must have.

  3. Ein sehr gut geschriebener und illustrierter Artikel, dre mich an meine beiden ersten Alpas vor einem halben Jahrhundert erinnert. Da war schon das Kern-Objektiv und die TTL-Messung der Hammer und der andersherum funktionierende Filmtransport faszinierte sogar Akio Morita bei Sony. Toll, die Angaben der Schärfentiefe, wie sie Zeiss bei einigen Objektiven nun auch macht. Wenn da nur die Stars mitmachen würden. Schlimm eine Pianistin am Vorabend des heutigen KKL-Auftittes: Vor dem Probekonzert musste sie sich konzentrieren, was verständlich war, aber danach war sie geschafft und fand sich zu wenig fotogen….
    Ich liebe diese altmodischen, präzisen Kameras, wenn zumindest etwas Zeit für die Bedienung bleibt!
    Dass Cambo zwar in den Niederlanden, aber nicht in Holland produziert, stört kaum.

  4. Schade, dass keine Linkof mit Scheimpflug-Korrektur auftaucht. Die spötere Korrektur per Software ist recht komplex, wenn die Verhältnisse stimmen sollen.

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