Bereits zum 37. Mal wurde am Mittwoch, 13. September 2017 in der Berliner Kirche St. Elisabeth an die beiden Fotografen Terje Abusdal und Sergey Melnitchenko der renommierten Leica Oskar Barnack Award vergeben. Aus 2‘000 eingesandten Fotoserien hat eine internationale Jury insgesamt zwölf Finalisten ausgewählt, darunter auch der Schweizer Fotograf Dominic Nahr.
Der Gewinner: Terje Abusdal, Norwegen: «Slash & Burn»
In der Hauptkategorie ging der Leica Oskar Barnack Award an den Norweger Terje Abusdal, der mit der Serie «Slash & Burn» die Jury überzeugte. Er porträtierte mystisch wie eindrücklich – zwischen Fakten und Fiktion – die Waldfinnen, eine in Norwegen inzwischen staatlich anerkannte Minderheit. Als Gewinner der Hauptkategorie erhielt Abusdal eine Prämie von 25‘000 Euro sowie eine Kameraausrüstung des Leica M-Systems (Kamera und Objektiv) im Wert von 10‘000 Euro.
Der Newcomer: Sergey Melnitchenko, Ukraine: «Behind the Scenes»
Der Ukrainer Sergey Melnitchenko wurde mit seiner Serie «Behind the Scenes», aufgenommen hinter den Kulissen eines chinesischen Nachtclubs, mit dem Newcomer Award für Nachwuchsfotografen unter 25 Jahren ausgezeichnet. Er liefert seltene Einsichten in den Showbetrieb und profitiert dabei von seinen eigenen Erfahrungen als Tänzer. Als Gewinner des Nachwuchspreises erhielt er 10‘000 Euro und ebenfalls eine Leica Messsucherkamera mit Objektiv.
Darüber hinaus waren die zehn Finalisten bei der Preisverleihung anwesend und präsentierten ihre Serien dem Publikum. Sie wurden je mit einer Prämie von 2‘500 Euro geehrt.
Dominic Nahr, Schweiz: «Nothing to see here»
Unter den Finalisten war auch Dominic Nahr mit seinem Langzeitprojekt «Nothing to see here» zur Tsunami-Katastrophe 2011 in Japan. Die gigantische Flutwelle kostete schätzungsweise 20 000 Menschenleben, zerstörte Tausende Häuser und traf das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi mit voller Wucht – es kam zum Super-GAU, die Heimat unzähliger Menschen wurde zur Sperrzone erklärt. Dominic Nahr hat das Gebiet seither schon zehn Mal besucht.
«Die Arbeit in Fukushima ist mühsam, es ist schwer, die richtigen Bilder zu machen. Nichts passiert, nichts bewegt sich und doch ist eine Bedrohung da, die einen Weg auf die Bilder finden muss. Ich war bereits zehn Mal vor Ort, das erste Mal schon kurz nach der Katastrophe. Natürlich wollte ich wissen, was sich seit 2011 verändert hat. Gleichzeitig möchte ich etwas dagegen tun, dass die Menschen und ihre Situation vergessen werden. Ich möchte ihnen eine Stimme geben» sagt Dominic Nahr.
Viktoria Sorochinski, Ukraine: «Lands of No-Return»
Seit mehr als zehn Jahren bereist Viktoria Sorochinski für ihr Langzeitprojekt «Lands of No-Return» immer wieder die ländliche Umgebung der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Sie sucht dort nach den Wurzeln ihrer Familie und nach den Erinnerungen an ihre Kindheit. Mit den Einwohnern verschwinden in dem Landstrich Leben, Kultur und Traditionen. Victoria Sorochinski hatte eine starke nostalgische Bindung an den Ort, «wo der technologische Fortschritt nie angekommen war und der einst quicklebendige Alltag nicht mehr existiert».
Ekaterina Sevrouk, Deutschland: «Fremd bin ich eingezogen»
Ekaterina Sevrouk bezieht sich in den Landschaftsbildern ihrer Bilderserie auf Gemälde der deutschen Romantik und inszeniert Berg-, See- und Waldstücke, die zwar an romantische Vorbilder erinnern, mit dem Unterschied, dass die Protagonisten heute junge afrikanische Asylanten sind. Ekaterina Sevrouk setzt sie in ihre Traumlandschaft, in der sie ihre hoffnungslose Verzweiflung, die gesellschaftliche Isolation und individuelle Sehnsucht zu vergessen scheinen. Die Fotografin hat damit treffende Symbolbilder geschaffen, die sowohl die Selbstwahrnehmung der Protagonisten thematisieren, als auch auf die aktuelle weltpolitische Situation verweisen.
Emilien Urbano, Frankreich: «War of a Forgotten Nation»
Seit Sommer 2014 dokumentiert der französische Fotograf Emilien Urbano die Kämpfe der verschiedenen kurdischen Milizen für Autonomie und gegen den Islamischen Staat. Kurdische Kämpfer waren gerade an der Befreiung der irakischen Stadt Mossul aus den Fängen des IS beteiligt. Er dokumentiert einerseits, wie sich Kurden im Irak und in Syrien gegen den selbst ernannten Kalifat-Staat des Abu Bakr Al Baghadi zur Wehr setzen, andererseits geht es auch um den Aufstand der kurdischen Jugend in Südostanatolien gegen die türkische Regierung, die sie für heimliche Sympathisanten des Islamischen Staats hält.
Yoann Cimier, Tunesien: «Nomad’s Land»
Auf das Projekt «Nomad’s Land» ist der französische Fotograf ganz zufällig gestossen, als er auf der tunesischen Insel Djerba Urlaub machte und von seinem Hotelzimmer aus das Leben am Strand beobachtete. Er sah, wie viele Familien mit Mopeds und Karren, mit Kindern und Tieren ans Wasser kamen und im Sand ihre Camps aus provisorischen Unterständen aufbauten – rudimentär und genial zugleich. Daraufhin hat er mit seiner Kamera unter der sengenden Sonne diese «nomadischen Installationen» fotografiert, die immer eigenartigere Formen annahmen. Alles arrangierte sich von alleine, alles was Yoann Cimier noch tun musst, war auf den Auslöser zu drücken.
Aleksey Kondratyev, Kirgisistan: «Ice Fishers»
Astana, im Norden Kasachstans, gehört zu den kältesten Regionen der Erde. Auf dem Fluss Ishim hoffen die Eisfischer dessen ungeachtet auf einen guten Fang. Ihre Zelte gegen die eisige Kälte haben sie aus den Überresten von Konsum und Kapitalismus zusammengeflickt. In den manngrossen Plastikzelte, scheinen fischende Gespenster zu wohnen, von denen durch die Plastikfolie nicht viel mehr zu sehen ist als deren Reglosigkeit. Eine dünne Schicht Plastikfolie, zusammengeklebt aus alten Tüten und Reissäcken, aus den Abfallprodukten des Konsums, dient ihnen als Schutz gegen die unmenschlichen Temperaturen.
Patrick Willocq, Frankreich: «You cannot pick a stone with one finger»
Die Serie des französischen Fotografen Patrick Willocq ist bei den Dagomba, einer Ethnie im Norden von Ghana, entstanden. In engem Austausch mit den Menschen liess der Fotograf sechs prächtige Kulissen errichten, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Dagomba widerspiegeln. Die grösste Herausforderung war der Aufbau der Kulissen. Alles wurde von Grund auf unter Verwendung ortstypischer Materialien errichtet. Das kostet zwar mehr Zeit und Ressourcen, als es in der Fotografie sonst üblich sein mag, aber die Ergebnisse sind die Mühe wert. Und sei es nur wegen der Erfahrung, die man dabei mit diesen Menschen macht.
Vera Torok, Ungarn: «Accidentally on Purpose»
Die Aufnahmen der Serie entstanden mit einer Leica M6 in London, Hongkong und Tokio, doch nicht das Spezifische dieser Metropolen steht im Mittelpunkt, sondern die Fotografin hat für die Komplexität des alltäglichen Lebens im urbanen Raum eine universelle Bildform gefunden. Mithilfe von Doppelbelichtungen präsentiert sie eine überraschend neue Idee von Street Photography. Der Titel der Serie «Accidentally on Purpose» zu erläutern ist so komplex wie die Bilder des Projekts selbst. Einmal hatte sie versehentlich den bereits belichteten Film geladen und durch diesen glücklichen Fehler entstand dann eine Art Bild, wie sie sich Vera Tork immer vorgestellt hatte. Von diesem Moment an hat sie diesen Fehler genutzt, um ihr Ziel einer völlig zufälligen aber faszinierenden Fotografie zu erreichen.
Clara Chichin, Frankreich: «Under the eyes that few minutes exhaust»
Betörend schöne, geheimnisvolle Aufnahmen in kontrastreichem Schwarzweiss – das charakterisiert Clara Chichins Bilderserie. Doch die Bilder verbindet mehr: Sie sind Abdrücke, die nach einem Verlust zurückbleiben. Clara Chichin sieht die Serie as Teil der Entwicklung einer Arbeit, die auf das fotografische Bild fokussiert, auf das Sichtbarwerden und die Auslöschung, das Erscheinen und Verschwinden, auf die zeitliche Manifestation, die rätselhafte und poetische Spur wie es François Soulages in «La trace ombilicale» ausgeführt hat. Über allem steht die Idee von etwas, das mit Zeit und Abwesenheit zu tun hat.
Gideon Mendel, Südafrika: «Drowning World»
Das Wasser nahm ihnen alles ausser dem Leben: Gideon Mendel fotografiert im Rahmen seines Langzeitprojekts weltweit Opfer von Überschwemmungen. Seit 2007 porträtiert er Menschen, die ihr Hab und Gut durch eine Flut verloren haben. In jenem Jahr wird er Zeuge zweier Überschwemmungen, die sich binnen weniger Wochen ereigneten – zuerst in Grossbritannien, dann in Indien. Diese Erfahrungen haben Gideon Mendel tief bewegt und seither hat er Überschwemmungsgebiete weltweit bereist: auf Haiti, in Pakistan, Australien, Thailand, Nigeria, Deutschland, auf den Philippinen, in Brasilien, Bangladesch und den USA – und derzeit ist Gideon Mendel in Florida …
«Der legendäre Fotograf Henri Cartier-Bresson sagte einst: ‘Fotografieren bedeutet den Kopf, das Auge und das Herz auf dieselbe Visierlinie zu bringen‘. Die Gewinner als auch die zehn Finalisten haben mit ihren Arbeiten bewiesen, dass sie diese Gabe haben. Distanziert und gleichzeitig unmittelbar fotografierten sie Orte und Menschen, die ohne sie für uns möglicherweise weiter verborgenen geblieben wären», gratulierte Karin Rehn-Kaufmann, Generalbevollmächtigte Leica Galerien International, auf der Preisverleihung in Berlin am Abend den Gewinnern und Finalisten.
Die Bildserien der Gewinner und Finalisten sind noch bis zum 15. Oktober 2017 in einer grossen Ausstellung in der «Neuen Schule für Fotografie», Brunnenstrasse 188-190, D-10119 Berlin zu sehen. Begleitend zur Ausstellung ist der LOBA Katalog 2017 verfügbar, der die Gewinner und Finalisten mit umfangreichen Bilderstrecken und Interviews detailliert vorstellt.
Darüber hinaus werden die Arbeiten der beiden Gewinner vom 9. bis 12. November auf der «Paris Photo», der grössten internationalen Messe für Fotokunst im Grand Palais ausgestellt. Danach wandern die LOBA Siegerserien zusammen mit den zehn Finalisten Serien zum «Photolux Festival» ins italienische Lucca, wo sie vom 18. November bis 10. Dezember 2017 zu sehen sind. Weitere Ausstellungen in den Leica Galerien sind vorgesehen.
Einzelheiten zum Leica Oskar Barnack Award, sowie sämtliche Arbeiten der Finalisten finden Sie unter www.leica-oskar-barnack-award.com