Urs Tillmanns, 25. Februar 2018, 10:00 Uhr

Adolphe Braun, Photo-Unternehmer: «Gutenberg der Kunst»

Aus einem Nachlass von über 167’000 fotografischen Arbeiten des Massstäbe setzenden Fotounternehmers des 19. Jahrhunderts, Adolphe Braun, zeigt das Unterlinden-Museum in Colmar noch bis 14. Mai 2018 mit rund 220 Fotos, Panoramas, Bildern und Grafiken sowie unikaten Apparaten die erste grosse Retrospektive in Frankreich. Sie folgt im wesentlichen dem Konzept einer Ausstellung des Münchner Stadtmuseums von Oktober 2017 bis Januar 2018.

Die französischen Tageszeitungen vermeldeten Anfang des Jahres 1878 gleichwertig prominent sowohl den Tod des Malers Gustave Courbet (der Begründer der «Moderne») als auch von Adolphe Braun als einen «grossen Verlust für die Kunst und für die Industrie». Der 1812 in Besançon geborene und später in die Textilmetropole Mülhausen (das Manchester des Festlandes) zugezogene Braun gehört zu den einflussreichsten Fotografen des 19. Jahrhunderts mit einem Radius von weit über Europa bis Amerika hinaus. Bemerkenswert sind unter anderem seine Bilder aus der Schweiz, aber ebenso, dass er als Unternehmer mit zeitweise mehr als 40 Angestellten den grössten Reproduktions-Betrieb in unerreichbarer Qualität aufbaute, womit er eben in der Kunstwelt Massstäbe setzte.

 

Adolphe Braun, «Alpinisten auf dem Morteratsch-Gletscher», 1875, Albuminprnt. Adolphe Braun wurde mit solchen Fotos aus den Schweizer Alpen berühmt.

Adolphe Braun verwirklichte zielstrebig seine ursprüngliche berufliche Laufbahn als Textilzeichner, begann dann aber nach Förderung durch den schweizerisch-französischen Glaziologen Daniel Dollfus-Ausset (der Sohn des Industriegründers von Dollfus, Mieg & Cie – DMC, Mulhouse, Zürcher Oberland etc.) sich 1851 leidenschaftlich mit dem damals neuen Medium Fotografie auseinanderzusetzen. Seine Vervielfältigungen von Fotografien von herausragender Qualität verschafften ihm einen enormen Ruf auch in der Kunstwelt und in der europäischen und in der amerikanischen Gesellschaft.

 

Adolphe Braun, «Lauterbrunnental, Staubbachfall», um 1875, Kohledruck

Der Mode des Empire gemäss waren in dieser Zeit in der Textilindustrie Blumenmotive vorherrschend. Die Fotografie eröffnete ungeahnte Möglichkeiten, Blumen «plastischer» und realitätsnaher abzubilden. Zumal in der Technik der Stereoskopie, die Braun unnachahmlich vervollständigte, als er nach einem ungeahnten Erfolg an der Pariser Weltausstellung sich fortan nur noch der Fotografie widmete.

 

Adolphe Braun «Cháteau de Chillon, Lac de Genève», um 1870 (links). Die Fotografie diente Gustave Courbet als Vorlage für das berühmte Gemälde des Schlosses.

Zunächst beschäftigte er sich mit der näheren Heimat im Elsass, erweiterte dann aber rasch seinen motivischen Horizont, indem er einmalig gut gelungene Aufnahmen der Schweizer Alpenwelt mit den Gletscher- und Schnee-Landschaften erstellte. Die topographischen Motive ertielten in der Kunstwelt grosse Beachtung. So wurde die Aufnahme von Schloss Chillon am Genfersee vom Künstler Gustave Courbet für sein berühmtes Gemälde zum Vorbild genommen. Anderseits liess sich Braun von Gemälden von zeitgenössischen Künstlern von Monet bis van Gogh inspirieren und interpretierte sie mit seinen Aufnahme in noch heute Erstaunen erweckender Empathie und verzückte damit das Bildungsbürgertum durch seine Reproduktions-Perfektion. In der Schweiz begleitete er den Bau des Gotthard-Eisenbahn-Tunnels, lichtete das Matterhorn von einem Standort ab, der heute noch von vielen Fotografen bevorzugt wird. Sein Sohn Gaston und der für Braun arbeitende Fotograf Amédéé Mouilleron reisten nach Aegypten, nahmen an der Eröffnung des Suez-Kanals 1869 teil und fotografierten dabei die Pyramiden, die Sphinx und die Wüstenlandschaft.

 

Gaston Braun (1845 – 1928), «Pyramiden von Gizeh», 1869, Albuminprint. Damals waren solche Bilder aus unbekannten Erdteilen in Europa eine Sensation.

Braun war technisch seinen Zeitgenossen weit voraus, indem er speziell beschichtete Glasnegative, Abzüge auf Salz- oder Albuminpapier und vor allem Kohleabzüge herstellen konnte. Dadurch war er in der Lage hohe Auflagen zu erzielen, was sich natürlich auf den Preis auswirkte und somit weite Verbreitung seiner Abzüge ermöglichte.

Zu den 200 im Unterlinden-Museum ausgestellten Originalaufnahmen von Adolphe Braun sind weitere 20 Gemälde-Aufnahmen zeitgenössischer Künstler wie Monet, Courbet, Fromentin oder J.J. Henner ausgestellt. Damit will der Kurator Raphaël Mariani den wechselseitigen Einfluss zwischen Malerei und Fotografie der damaligen Zeit dokumentieren.

 

Adolphe Braun, «Die Ruinen der Tuillerien», Paris 1871. Albuminprint. Braun hielt die Zerstörungen von Paris nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 in beeindruckenden Bildern fest.

Als Adolphe Braun 1877 verstarb, war Mülhausen/Mulhouse als Folge des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 deutsch besetzt. Wie viele der damaligen Industriegründer musste er sich mit den neuen Gegebenheiten arrangieren und wurde aber sowohl bei der französischen wie auch bei der deutschen Seite beargwöhnt – das elsässische Drama. Sein Sohn Gaston jedoch, der schon zuvor gewissermassen seines Vaters Geschäftspartner war und ebenfalls als Autor vieler Fotografien zum Label Ad. Braun beitrug, führte trotz der Erschwernisse der Besetzung das Geschäft weiter. Er gründete nebst der Produktionsstätte in Mulhouse-Dornach (nicht zu verwechseln mit dem Dornach bei Basel) Verkaufsstellen in London, Rom, Sankt Petersburg, Leipzig und zuletzt 1905 in New York.

 

Einer der wichtigsten Geschäftsbereich des Fotoverlages von Adolphe Braun war die Herstellung von Stereobildern, die um 1900 in Mode kamen. Die dreidimensionalen Bilder brachten den Menschen ferne Welten näher.

Wie ebenfalls die berühmtesten Künstler seiner Zeit (z.B. Rodin, Bartholdi etc.) beschäftigte Adolphe Braun zusammen mit seinem Bruder Charles und seinem Sohn Gaston bis zu fünf Fotografen, die unter seiner Aufsicht und in seinem Namen, respektive unter dem Label Ad. Braun et Cie Fotos aufnahmen. Die hauptsächlich von Ulrich Pohlmann in Zusammenarbeit mit Paul Mellenthin von der Universität Basel («eikones» – Zentrum für die Theorie und Geschichte des Bildes) erforschten Bestände aus den Zehntausende umfassenden Gegenstände konnten daher nicht in jedem Fall einem der mitwirkenden Autoren zugeordnet werden. Auch für Christian Kempf aus Colmar, dem besten Kenner des Werkes von Braun, erschlossen sich nicht alle Spuren. Zumal die weit verstreut gewesenen Bilder nur nach und nach gesicherte Erkenntnisse ermöglichten und mit der Zeit teilweise sogar Korrekturen von falschen Zuordnungen nötig machten.

 

Adolphe Braun, «Panorama von Paris mit der Ile de la Cité und dem Hôtel de Ville», 1867, Kohledruck.

Trotz Umgestaltungen der Firma überlebte das Unternehmen Braun im Familienbesitz bis 1968, als es nach einer weiteren Handänderung an die deutsche Mediengruppe Burda veräussert wurde. Einem Urenkel gelang es nicht, das fotografische und kulturelle Erbe der Stadt Mulhouse in Obhut zu geben (sprich: zu verkaufen). Schliesslich schenkte er dem Museum Unterlinden einen Teil des fotografischen Fonds des Unternehmens Braun. So sind heute Teile im Stoffdruck-Museum von Mulhouse, beim Departement du Haut-Rhin oder im Park des Textilmuseums von Husseren-Wesserling am Fuss der Vogesen hinterlegt.

Auf schätzungsweise 150 Laufmetern lagert der Fonds des Erbes im Unterlinden-Museum, unter anderen 10’500 Glasplatten und 55’000 Abzüge, sowie weitere weiteren 20’000 Glasplatten und 112’000 Abzüge aus dem Hause Mayer & Pierson, die zusammen eine einmalige zeitgenössisch komplette Fotosammlung bilden, obwohl beide Unternehmen bis 1876 getrennte Wege gingen.

 

Adolphe Braun, «Troupeau de moutons s’abreuvant» um 1858, Albuminprint. (Sammlung Münchner Stadtmuseum)

Für die Wissenschaft hat die Wiederentdeckung der fotografischen Sammlung internationale Bedeutung, weiss Kurator Mariani. Die Forschung der letzten 20 Jahre des «Fonds Braun» konnten den Einfluss auf die Künstler seiner Zeit aufzeigen. So schufen Fotoalben Ikonen der bildenden Kunst, wie sie Adolphe Braun mit seinen Fotografien von Michelangelos Fresken in der Sixtinischen Kapelle Ende der 1860er Jahre herstellte und veröffentlichte – nebst den Porträts der damaligen Päpste Pius IX und Leo XIII. In Amerika erhielt er postum den Ehrentitel «Gutenberg der Kunst» …

Die Ausstellung im Unterlinden-Museum vom 17. Februar bis 14. Mai 2018 ist in einem thematischen Rundgang in zehn Sektionen gegliedert. Zum einen mit den Blumenmotiven von der Zeichnung zur Fotografie. Nebst Tierfotos, berühmten Sichtweisen historischer Kulturdenkmäler im Elsass, stereoskopischen Ansichten mit preisgünstig erstellten Kleinformat-Apparaten, sind Schweizer Trachten, Schweizer Ansichten und Panoramen in grossformatigen Abzügen zu sehen. Hinzu kommen Ansichten aus Aegypten und Bilder von Kriegsschauplätzen von 1870/71 im Elsass, in Paris und aus der Kommune sowie «Weltkunst» aus dem Louvre, aus Florenz und aus anderen bedeutenden Sammlungen Europas.

Braun erstellte Porträts von preussischen Generälen und Würdenträgern – darunter Wilhelm I., die Generäle Helmuth Karl Bernhard von Moltke und Hasso von Manteuffel, und auf ausdrücklichen und exklusiven Wunsch des «eisernen Kanzlers», eben von Otto von Bismarck. Auch für den Bayernkönig Ludwig erstellte er Fotografien, wobei ihm diese deutschen Porträts in Frankreich, namentlich in Paris, ziemlich herbe Kritik eintrugen.

Adolphe Braun hat in seiner Fotofabrik in Mulhouse-Dornach stets die neusten technischen Errungenschaften seiner Zeit eingesetzt. So eine eigene Dampfmaschine und ein chemisches Labor, das ihm vor allem das nötige Material für seine Qualitätsansprüche lieferte. Er experimentierte bereits mit Farben und hat dabei aber gleichwohl die Leistungsgrenze der damaligen Zeit hinnehmen müssen.

 

Raphaël Mariani, Kurator der Fotoausstellung zeigt Originalnegative von Adolphe Braun (Foto: Jürg-Peter Lienhard)

Abschliessend bleibt noch zu bemerken, dass Brauns Beitrag zur Fotografie ohne den «Faden», wie man heute noch der vergangenen gloriosen Textilindustrie im Elsass sagt, nicht hätte geschehen können. Und seine Tätigkeit muss eben auch in Zusammenhang mit der grafischen Industrie Mülhausens gesehen werden, die ebenfalls aus den Bedürfnissen des «Fadens» entstand (Etiketten- und Kataloge-Drucke) und eine Erfindung hervorbrachte, die in millionenfacher Auflage höchste Qualität von Schwarzweiss-Bildbänden und Magazinen ermöglichte und auch von Schweizer Verlagen bis in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts vertrieben wurde: der Heliografie.

Text: Jürg-Peter Lienhard
Illustrationen: Pressebilder Unterlinden-Museum

Infos:

Adresse
Musée Unterlinden, Place Unterlinden, F-68000 Colmar, Tel. +33 389 20 15 50

Katalog:
Deutsch: «Adolphe Braun. Ein Europäisches Photographie-Unternehmen und die Bildkünste im 19. Jahrhundert». Schirmer/Mosel, Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie. Hrsg. Ulrich Pohlmann und Paul Mellenthin, in Zusammenarbeit mit Franziska Kunze. 360 Seiten, 2017. ISBN/EAN 978-3-8296-0823-7 (Buchhandelausgabe). Preis: CHF 79.80 / EUR 66.50
Französisch: «Adolphe Braun – Une entreprise photographique européenne au 19e siècle», sous la direction du Dr Ulrich Pohlmann et de Paul Mellethin, avec la collaboration de Franziska Kunze. Editions Schirmer / Mosel. 260 pages (version française) / EAN 978-3-8296-0843-5 /  EUR 35 

 

Weiterführende Links

Video-Rundgang durch die Fotoausstellung

• «eikones» – Zentrum für die Theorie und Geschichte des Bildes, Universität Basel»

Eröffnung des Neu- und Umbaus des Unterlinden-Museums der Basler Architekten Herzog & De Meuron:

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