Künstliche Intelligenz (KI) ist derzeit in aller Munde und macht auch vor uns Fotografierenden nicht Halt. Nach den selbst fahrenden Autos werden uns mittlerweile auch selbst fotografierenden Kameras prognostiziert. Das ist kein verfrühter Aprilscherz, sondern mit Googles Modell «Clips» bereits seit kurzem (vorerst in den USA) Realität. Und auch Amazon hat die KI-unterstützte Video-Kamera AWS Deeplens angekündigt, die ab Mitte des Jahres in Europa erhältlich sein soll.
Kameras der Zukunft? Google Clips (links) und Amazon AWS Deeplens (rechts) fotografieren von künstlicher Intelligenz gesteuert selbsttätig
Der Auslöser soll überflüssig werden
Als «eine neue Art, die grossen und kleinen Momente festzuhalten» preist Google seine etwa zigarettenschachtel-grosse Kamera im hauseigenen Shop an. Und in der Tat birgt sie einen entscheidenden Unterschied zu konventionellen Geräten: Ein Auslöser soll überflüssig werden, weil die Kamera durch künstliche Intelligenz unterstützt selbst entscheidet, wann sie was aufnimmt. Aber wie kann das funktionieren? Anders als beim selbstfahrenden Auto, das auf einem definierten Weg von einem festgelegten Ausgangspunkt zu einem ebenso festgelegten Ziel fährt, steht beim Fotografieren das Zielbild ja in der Regel nicht fest. Es zu finden und auf möglichst originelle Art festzuhalten, ist ja gerade das Wesen der kreativen Fotografie.
Kein Problem für die künstliche Intelligenz: «Smile-Automatik» gibt es bei vielen Kameras heute schon. (Bild Fotolia)
Selbst fotografierende Kamera hinter den Kulissen
Wenn man sich genauer anschaut, wie solch ein Gerät funktioniert, wird deutlicher, was man erwarten darf: Im Kern handelt es sich um eine Art abgewandelte Überwachungs-Videokamera ohne Ton. Sie zeichnet einen Bilderstrom auf und die Herausforderung für die KI liegt darin, Schnappschüsse oder Sequenzen herauszufischen, die für den Betrachter relevant sein könnten. Genau hier zeigt sich schon die erste Einschränkung dieses Kameratyps: Es geht nicht darum, selbständig auf Motivsuche in der Welt zu gehen. Die Miniknipse nimmt mit ihrem extremen Weitwinkel einfach nur kontinuierlich auf, worauf sie gerichtet wird. Das ist dann spannend, wenn vor ihrer Nase etwas Interessantes passiert oder mindestens passieren könnte – ein Babylächeln etwa oder ein Kind, das einen Ball fangen will. Wer den Kamera-Clips dagegen mit Blick der Linse in den Himmel hängt, wird wenig Spannendes zu sehen bekommen.
Schafft künstliche Intelligenz nicht: Ein sauber gestaltetes Bild mit gekonnt gewählter Perspektive. «Montane «Mansion Hong Kong», © Anne Lenters Blende-Fotowettbewerb / Photoindustrie-Verband
Die zweite Einschränkung zeigt sich, wenn man sich die Bildauswahl genauer anschaut. Was durch künstliche Intelligenz unterstützte Bildverarbeitung mittlerweile recht gut kann, ist die (Wieder)Erkennung von Gesichtern sowie Katze und Hund. Selbst menschliche Emotionen sind – mit gewisser Fehlerquote – identifizierbar. Vor allem Lachen und Lächeln sind recht leicht durch Computerprogramme erkennbar. Damit zeigt sich schon recht gut, was so eine KI-Kamera derzeit leisten kann: Wer sie etwa über die Wiege seines Babys hängt, wird vermutlich recht zielsicher ein Lächeln einfangen. Auch, wer sein Kind beim Fussballspielen ablichten will, kann auf ein gutes Ergebnis hoffen.
Was wir als Menschen jedoch können, das wird die «intelligente» Kamera wohl noch länger nicht beherrschen: Einen typischen Gesichtsausdruck eines uns nahe stehenden Menschen einfangen – ob es das Patenkind ist, das immer den Mund schief verzieht, wenn es sauer über etwas ist, oder die hochgezogene Augenbraue des Grossonkels, die sein Markenzeichen ist. Solche Besonderheiten zielsicher von weniger bedeutungsvollen Gesichtsausdrücken zu unterscheiden, würde erfordern, dass auch die Emotionen des Fotografierenden in Bezug auf den Fotografierten mit einbezogen werden. Da ist die aktuelle Technik noch recht weit entfernt. Allenfalls mit Tricks und Umwegen versuchen es die KI-Anbieter, in die Richtung zu gehen.
Hier ist künstliche Intelligenz sinnvoll: Bei vielen Überwachungsaufgaben werden selbsttätige aufnehmende Kameras heute schon eingesetzt. (Bild Fotolia)
Emotionen einbeziehen, um den Fotografen überflüssig zu machen
Allerdings gibt es schon Gedankenspiele und Ansätze, sich den Emotionen zu nähern. Im Sommer 2015 etwa startete ein Crowdfunding-Projekt für ein Gerät namens «Graava», das automatisch relevante Video-Clips aufnehmen sollte. Dabei war geplant, dass auch Körper-Parameter in die Auswahl einbezogen werden, die sich bei Emotionen verändern. Letztlich wurde nichts aus dem Projekt, aber technisch denkbar ist es sehr wohl, wenn man sich vor Augen führt, dass mit Smartwatches und im Rahmen der «Quantify Yourself»-Bewegung mittlerweile sehr viele Parameter vom Herzschlag bis zur Schlaftiefe mobil messbar sind.
Allerdings fehlt selbst dann immer noch ein entscheidender Faktor, der ein herausragendes Foto ausmacht: Es zeigt eben nicht nur den richtigen Moment, sondern bildet diesen auch auf originelle Weise ab. Auch diese menschliche Fähigkeit soll nicht unsere Domäne bleiben. KI-Forscher versuchen durch bereits bewertete Fotos herausfinden, was als «schön» empfunden wird. Das gelingt sogar erschreckend gut, wenn es darum geht, ein eher gewöhnliches Foto auf den gerade angesagten Massengeschmack zu trimmen. Etwas wirklich Neues zu erschaffen, das ästhetisch begeistert, davon sind Computerprogramme im Foto-Bereich aber noch sehr weit weg.
Schafft die selbsttätige Kamera nicht: Ein perfekt komponiertes Bild mit speziellen Lichteffekten. «Gelasert», © Norbert Hammer, Blende-Fotowettbewerb / Photoindustrie-Verband
Fazit: Selbermachen macht mehr Spass
Die Essenz des Fotografierens lässt sich also lange nicht automatisieren – selbst bei Googles Clips findet sich übrigens dann doch noch ein Auslöser. Teilbereiche werden uns in Zukunft durch KI abgenommen. Im Sinne einer Assistenzfunktion könnten zukünftige Kameras etwa die mühsame Bildauswahl einer Serienaufnahme oder das Kürzen von Videos durch Vorschläge abkürzen. Auch alle, die wenig Geduld für Schnappschüsse haben, dürften sich über die sich ankündigende Unterstützung freuen. Doch die Fotografie beinhaltet mehr, als nur das Auslösen. Bilder durchbrechen Sehgewohnheiten durch die individuelle Sicht. Fotografien sind so viel mehr als nur konservierte Momente. Die Fotografie ist ein höchst kreativer Schaffensprozess und dazu bedarf es Fotografen.
Quelle: prophoto-online.de
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