Urs Tillmanns, 13. Mai 2018, 10:47 Uhr

Hoffnung für Yangri

25. April 2015, 11.56h. Die Erde bebt in und um Kathmandu. Dann nochmals am 12. Mai, wieder am Mittag. In den nächsten Monaten folgen zahlreiche Nachbeben. 800’000 Häuser stürzen ein, Tausende Menschen sterben.

Handybilder von Daniel Bürgi, unmittelbar nach dem Erdbeben aufgenommen, zeigen das Ausmass der Zerstörung.

25. April 2018, 11.56h. Zusammen mit einer Gruppe von Schweizern und Kanadiern bin ich im Yangrital, nordöstlich von Kathmandu, unterwegs. In einer Schweigeminute gedenken wir der Opfer. Daniel Bürgi, Initiator des Hilfswerks Himalayanlife, erinnert sich: «Wir waren im Yangrigebiet unterwegs, als die Erde bebte. Häuser, Strassen – alles wurde vom Erdbeben zerstört oder schwer beschädigt. Fast jede Familie hat einen oder mehrere Angehörige verloren. Da wir mit Himalayanlife schon in Pokhara tätig waren, war für mich sofort klar, dass wir auch hier im Yangrital helfen können und wollen, ja müssen. Mit Unterstützung der britischen Regierung haben wir Hilfsflüge in die von der Versorgung abgeschnittenen Dörfer rund um Yangri organisiert. Nahrungsmittel, Decken, Zelte und Medikamente wurden eingeflogen, um die Bevölkerung mit dem Notwendigsten zu versorgen. Doch meine Vision für die Gegend ging weiter …» Und so beginnt Daniel mit dem Vorstand von Himalayanlife zu träumen. Wie wäre es, wenn nicht nur die Infrastruktur wiederhergestellt würde, sondern zusätzlich eine Schule in Yangri entstehen könnte? Die Erfüllung dieses Traums hat dann dazu geführt, dass ich den Weg ins abgelegene Yangrital gefunden habe.

 

Das Leben ist zurück

Zusammen mit den Bewohnern des Yangritals hat Himalayanlife in den drei Jahren seit dem Erdbeben Unglaubliches geleistet: Das kleine Wasserkraftwerk wurde komplett neu aufgebaut. Die Hängebrücke, einziger Zugang zu Yangri, wurde mit Hilfe der «Suspension Bridge Division» wiederhergestellt. Häuser wurden wieder aufgebaut – ein Prozess, der immer noch im Gang ist. Bis vor einem Jahr führte die Strasse nur bis nach Bhotang, ein Dorf vor Yangri. Die letzten 800 Höhenmeter musste das ganze Baumaterial zu Fuss transportiert werden. Unterdessen führt die Strasse bis nach Yangri. Bei trockenem Wetter ist sie befahrbar. Für die 75 Kilometer von Kathmandu benötigt man im besten Fall sieben Stunden. Es können aber wegen Fahrzeugen, die die Strasse blockieren, auch mal elf oder zwölf Stunden daraus werden. Über die Hängebrücke und danach ins Dorf oder in die umliegenden Weiler muss alles mit Muskelkraft transportiert werden. Wenn man sich das vor Augen hält, ist es erstaunlich, wie viel die Nepali in den letzten 36 Monaten wieder aufgebaut haben.

Eine Gruppe von Schweizern machte sich unmittelbar nach dem Erdbeben auf, um Seite an Seite mit den Nepali den Wiederaufbau in Angriff zu nehmen. Mein Freund Peter Brütsch war Teil dieser Gruppe. Er erinnert sich: «Die Sherpas in Yangri und Umgebung waren durch den Schock des Erdbebens wie gelähmt. So haben wir mit einfachsten Mitteln angefangen, verschüttete Stellen wieder freizugraben. Dieser Impuls hat sie ermutigt, und bereits nach kurzer Zeit haben wir Seite an Seite geschaufelt und so mit dem Wiederaufbau von Yangri begonnen.» (Fotos: Daniel Bürgi)

Die Hängebrücke über den Fluss ist der einzige Zugang zu Yangri. Auch diese Brücke wurde durch das Erdbeben zerstört und musste wieder aufgebaut werden. Leica SL mit SL 2.8-4.0/24–90 mm auf 24 mm / 1/50 sec / f 18 / 200 ISO / Panoramastitch in Lightroom

Jeder Backstein, jeder Pfahl, jedes Wellblech muss mit Muskelkraft in die Dörfer transportiert werden. Angesichts dieser Tatsache ist es erstaunlich und ermutigend, wie viel die Sherpas im Yangrital in den letzten drei Jahren bereits wieder aufgebaut haben. Leica SL mit SL 2.8–4.0/24–90 auf 24 mm / 1/60 sec. / f 9.0 / 400 ISO

 

Noch stehen nicht alle Häuser, aber die Hoffnung und das Lachen ist definitiv zurück im Tal. Himalayanlife engagiert sich weiterhin für die Menschen in Yangri. Leica SL mit SL 2.8–4.0/24–90 mm auf 24 mm / 1/100 sec. / f 6.3 / 400 ISO / Panoramastitch und sw-Umwandlung in Lightroom

 

Die Vision einer Schule

Es gab in Yangri bereits eine Schule, doch das Gebäude war – gelinde ausgedrückt – sehr rudimentär, und der Unterricht war auf einen Tag pro Woche beschränkt. Falls die Lehrkraft kam. In einer kühnen Vision entwickelte Daniel zusammen mit dem kanadischen Architekten Florian Maurer den Plan einer erdbebensicheren Schule mit Schlafräumen für die Kinder der umliegenden Dörfer. Denn der Schulweg aus den entfernten Weilern oberhalb von Yangri kann schon mal vier Stunden dauern. Deshalb wurde der ganze Schulbetrieb so geplant, dass die Kinder mit längerem Schulweg von Montag bis Samstag in Yangri wohnen können. Am 24. April wurde das Schulhaus feierlich eingeweiht. Rund 500 Personen, darunter auch alle Ältesten der umliegenden Dörfer, strömten nach Yangri. Ein Wasserbüffel musste sein Leben lassen, um allen einen Festschmaus zu bescheren. In einer rund sechsstündigen Zeremonie mit vielen Ansprachen und Theaterdarbietungen haben alle der Freude Ausdruck verliehen, die durch die Wiederaufbauhilfe und das Schulhausprojekt zurück ins Tal gefunden hat. Nachdenklich hat einer der Dorfältesten gesagt, dass es dieses Erdbeben vielleicht gebraucht habe, um alte Strukturen aufzubrechen und Neues nach Yangri zu bringen.

Nichts erinnert noch an das alte «Schulhaus» (Insert) von Yangri. Eine Baracke, viel zu klein. Es gab einen Tag Unterricht pro Woche, falls die Lehrerin kam. Das neue Schulhaus ist erdbebensicher konzipiert und bietet helle, grosse Schulräume. Sechs Lehrerinnen und Lehrer unterrichten während sechs Tagen in der Woche die Kinder von Yangri und den umliegenden Dörfern. Der Bau der Schule war eine Parforce-Leistung. Stellen Sie sich nur vor, welchen Aufwand es bedeutet hat, all die Fensterscheiben nach Yangri zu transportieren. Doch Himalayanlife wollte eine Schule bauen, die hell und freundlich ist.

 

Die Strassenkinder in Pokhara

Nach drei intensiven Tagen in Yangri geht es über Kathmandu nach Pokhara, wo Himalayanlife mit verschiedenen Angeboten unter anderem die Not unter Strassenkindern lindert. In einer Strassenküche bekommen die Kids zu essen, eine PET-Recyclingfabrik schafft Arbeitsplätze, das Center ist eine Oase, in der die Kids sein können. In einer kleinen Ausbildungsstätte können Strassenjungen handwerkliche Grundfertigkeiten erlernen, die es ihnen ermöglichen, ein kleines Auskommen zu generieren. Auch hier fällt mir auf, wie alle Angebote sinnvoll und praktisch angelegt sind. Der ganze Fokus liegt darauf, den betroffenen Menschen nachhaltig zu helfen.

Diaschau mit Porträts von Strassenkindern in Pokhara

Nebst den beiden Zooms kommen hier noch das SL 1.4/50 mm und das brandneue SL 2.0/90 mm zum Einsatz. Zusammen mit Santos, einem Mitarbeiter von Himalayanlife, suchen wir an einem der Abende die Strassenkinder. Wir finden sie, wie sie gerade für die ganze Gang ein Abendessen zubereiten. Die Talentiertesten kochen, die grösseren Mitglieder passen auf, dass nicht eine andere Gang das Essen stiehlt. Das Leben als Strassenkind ist furchtbar, und manche sagen, dass es ein Hund auf der Strasse besser hat als ein Strassenkid. Sie sind alle in Gangs organisiert, in denen eine brutale Hierarchie herrscht. Das Eintrittsritual in die Gang ist eine Massenvergewaltigung, und mehr als einmal musste ich meine Kamera beiseitelegen und die Tränen abwischen. Ich schreibe in diesem Bericht über Kameras und Objektive, weil ich weiss, dass Sie als Leserin und Leser daran interessiert sind, wie die Fotos vor Ort entstanden sind. Doch viel wichtiger ist es mir, Sie darauf hinzuweisen, dass hier ein kleines Hilfswerk mit grossem Engagement, viel Herzblut und einer grandiosen Effizienz dazu beiträgt, dass Menschen nachhaltig geholfen wird. Auf der Homepage von Himalayanlife finden Sie weitere Informationen.

Was auf den ersten Blick wie ein romantisches Lagerfeuer aussieht, ist brutale Realität: Die Strassenkinder bereiten im Schutz der grösseren Gang-Mitglieder am Strassenrand ein Essen zu. Ob es morgen wieder etwas gibt, ist ungewiss. Die Kids schnüffeln Leim, um den Hunger und die Hoffnungslosigkeit abzutöten. Leica SL mit SL 1.4/50 mm / 1/40 sec. / f 1.4 / 2500 ISO

Manche Nepali sagen, ein Hund habe es auf der Strasse besser als ein Strassenkind. Leica SL mit SL 2.8–4.0/24–90 mm auf 54 mm / 1/125 sec. / f 8.0 / 400 ISO / sw-Umwandlung in Lightroom

 

Die PET-Recyclingfabrik von Pokhara

In der PET-Recyclingfabrik finden Strassenkinder und Einwohner von Pokhara sinnvlle Arbeit. Es ist ein harter Job, doch es gibt ein Einkommen.

Das Bild der zierlichen Nepali inmitten der PET-Flaschen ist eines meiner Favoritenfotos von dieser Reise. Leica SL mit SL 2.8–4.0/24–90 mm auf 25 mm / 1/100 sec / f 6.3 / 320 ISO

Sogar in einem der ärmsten Ländern der Welt hat man erkannt, dass PET-Recycling sinnvoll ist. Aus den dreckigen Flaschen entsteht neues Granulat, das wieder zu PET-Flaschen verarbeitet werden kann. Leica SL mit SL 2.8–4.0/24–90 mm

Doch zurück zum Fototechnischen: Wenn die einzige Lichtquelle ein Feuer ist, ist das SL 1.4/50 mm in seinem Element. Bereits bei voll offener Blende liefert das Objektiv hervorragende Resultate. Die Bilder von den Strassenkindern rund ums Feuer zeigen das Potenzial dieses Objektivs. Und endlich habe ich auch die Möglichkeit, das neue 90er auszuprobieren. Im Vergleich mit dem 1.4/50 mm ist es beinahe ein Winzling. Die maximale Blendenöffnung liegt bei 2.0 – ein Kompromiss, um das Objektiv kleiner und handlicher bauen zu können. Es verwundert mich nicht, dass es nochmals einen Tick besser als die hervorragenden SL-Zooms ist. Das Team um Peter Karbe, Leiter der Leica-Optikabteilung, hat es fertiggebracht, den Unterschied zwischen scharfen und unscharfen Zonen «aufzusteilen». Will heissen: sehr schönes Bokeh in den unscharfen Zonen und eine unglaubliche Schärfe dort, wo fokussiert wird. Bereits von Anfang an ist mir aufgefallen, dass die Leica-Objektive so ausgelegt sind, dass sie Oberflächenstrukturen sehr detailliert abbilden. Dieser sogenannte Mikrokontrast ist eines der Kennzeichen der SL-Objektive. Ich nehme an, dass auch die M-, TL- und S-Objektive entsprechend konstruiert sind. Oft ist ein Schärfegewinn mit einem Verlust an Mikrokontrast zu bezahlen. Leica schafft es immer wieder, die Quadratur des Kreises zu finden und in beiden Kategorien – Schärfe und Mikrokontrast – Bestwerte zu erzielen.

Das SL 2.0/90 mm liefert eine Leistung, wie ich sie im Kleinbildbereich so noch nie gesehen habe. Weil der Unterschied von Schärfe und Unschärfe so markant ist, kommt dem exakten Fokussieren eine noch grössere Bedeutung zu. Ein Objektiv mit geringerer Schärfeleistung verzeiht ein leichtes Danebenfokussieren. Doch bei einem Objektiv wie dem SL 2.0/90 mm muss der Fokus exakt dort sitzen, wo Sie die Schärfe haben wollen. Belohnt werden Sie mit Bildern, die eine einzigartige optische Dichte aufweisen.

Porträts von Kindern und Mitarbeitenden vom Center in Pokhara mit dem neuen Leica SL 2.0/90 mm. Die Abbildungsleistung ist überragend, aber es muss sehr sorgfältig fokussiert werden.

Die Philosophie von Leica ist es, Kameras zu bauen, die sich dem Arbeitsprozess des Fotografen unterordnen und beste Bildqualität liefern. So gesehen sind sie das perfekte Arbeitsinstrument, um die Geschichten zu erzählen, die uns Menschen bewegen. Und das ist letztlich entscheidend. Wenn Sie durch die Bilder von Nepal innerlich bewegt werden und vielleicht sogar aktiv auf die eine oder andere Art dazu beitragen, dass den Menschen in Yangri und Pokhara geholfen wird, dann ist das Ziel erreicht.

Der Wiederaufbau in Yangri geht weiter. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich nicht das letzte Mal in diesem schönen Land mit seinen wunderbaren Menschen war. (Foto: Johannes Näf)

Bilder und Text: Peter Schäublin, 720 Grad

 

 

Den Bericht in voller Länge finden Sie auf www.720.ch

Infos über die Himalayanlife Hilfsorganisation

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