Alles was in der Fotokunstszene Rang und Namen hat, pilgert anfangs November nach Paris zur «Paris Photo», der wohl grössten Fotokunstmesse der Welt. Diese wurde gestern, Mittwochabend zum 22sten Mal feierlich eröffnet und steht dieses Jahr unter dem Patronant von Präsident Emmanuel Macron. Deshalb ist auch erstmals die gesamte Elysée mit dem Paris Photo Emblem beflaggt.
Insgesamt knapp 185 Galerien und 31 Buchverlage aus 38 Ländern präsentieren die Werke von Hunderten Fotografen und zeigen neben vielen klassischen Werken Trendiges von Newcomern, deren Bilder die Szene in den nächsten Jahren bestimmen könnten.
Der Rahmen für diese gigantische Fotokunstmesse im «Grand Palais» könnte nicht besser sein. Dieses riesige Überbleibsel der Weltausstellung 1900 bietet mit seinen rund 5000 Quadratmestern und einer Länge von 250 Metern genug Platz für solche Grossausstellungen wie die Paris Photo, das mit seiner beeindruckenden hellgrünen Stahlkonstruktion einer vergangenen Epoche hervorragend zu dem Fotowerken passt. Die Aussteller ist in fünf Kategorien sind unterteilt: «Principal», welche die klassischen und zeitgenössischen Werke präsentieren, «Editions» mit 31 Verlagen und Buchhändlern, welche ihren Schwerpunkt auf Bildbände und Neuerscheinungen legen, «Prismes» mit der Präsentation von aussergewöhnlichen und grossflächigen Projekten sowie Installationen, dann – neu dieses Jahr – «Curiosa», die sich vor allem auf erotische Fotografie konzentriert und schliesslich «Films», welche den Werken des bewegten Bildes Raum bietet.
Ein auffallendes Beispiel der Kategorie «Prismes» ist die Wand mit 78 übergrossen Lippen von Daido Moriyama, die man schon vielerorts gesehen hat, die jedoch in dieser Grösse besonders eindrucksvoll wirken. Moriyama ist vor allem für seine provokativ-sexistischen Werke bekannt, die von ihm schon an früheren Paris Photos zu sehen waren. Vergessen Sie nicht einen Abstecher in die kleine Bar hinter den Wand zu machen, denn diese ist sehr originell mit dem gleichen Lippenpaar ausgelegt – diesmal in Rot. (Hamiltons Gallery, London)
Eine sehr beeindruckende Arbeit des Japaners Hiromi Tsuchida, der sich bereits in und ausserhalb Japans einen Namen mit den Bildern von Objekten gemacht hat, die durch die Atombombe auf Hiroshima deformiert und zerstört wurden. Es handelt sich um einfache Gebrauchsgegenstände wie Dosen oder Flaschen, die durch die enorme Hitze formiert wurden, oder Kleidungsstücke, welche die Frage aufkommen lassen, was mit den Menschen passiert ist, welche sie trugen. (Ibasho Gallery, Antwerpen)
Eindrucksvoll auch die Bilder von Matthias Bruggmann über den Syrienkrieg. Es sind nur gerade drei Kostproben dieser 2018 entstandenen Reportage am Stand der Galerie Polaris, Paris, die in einer umfassenden Ausstellung noch bis 27. Januar 2019 im Musée Elysée in Lausanne besichtigt werden kann. Bruggmann arbeitet in Syrien an einem Langzeitprojekt, welches er bereits vor sechs Jahren bekommen hatte.
Der in Kanada geborene und heute in Berlin lebende Künstler Philp Pocock hat in den 1980er Jahren unter dem Titel «Mauerkrankheit» die Menschen diesseits und jenseits der Berliner Mauer porträtiert. Viele der Bilder präsentieren sich durch Doppel- und Mehrfachbelichtungen surrealistisch bis hallutionistisch und geben den damaligen Zeitgeist auf original Cibachrome-Bildern eindrucksvoll wieder. (Inda Gallery, Budapest)
Beruhigend dagegen die Bilderserie «Rheingau» von Axel Hütte. Inspiriert durch das vierbändige Werk «Lob des Rheingaus» von Albert Renger-Patzsch aus dem Jahre 1953 hat Axel Hütte dieses Thema erneut aufgegriffen und zeigt in seinen grossformatigen Werke die Schönheiten dieser Landschaft wieder. Sie zeigen einerseits seltene Stimmungen und Naturphänomene, aber auch statische Raser und Muster, welche die Natur geschaffen hat. (Galerie Nikolaus Ruziczka, Salzburg)
Sebastian Riemer befasst sich zusammen mit Leyla Cardenas mit zeitgeschichtlichen Themen und abstrahiert Pressebilder mit verschiedenen Techniken der digitalen Nachbearbeitung, der Retusche oder der Umsetzung in Schwarzweissbilder, welche Momente aus dem Zeitgeschehen wiederspiegeln. (Galerie DIX9 Hélene Lècharmoise, Paris)
Das Bild «Opéra de Lille» von Martin Liebscher lässt einem kaum mehr los. Unzählige Male ist der Künstler selbst in den verschiedensten Posen darauf abgebildet, und stellt auf originelle Weise das Publikum des riesigen Theatersaales dar. Es ist eines von mehreren ähnlichen Werken, das Martin Liebschen bereits 2009 aus gegen 2000 Aufnahmen schuf, die in zirka einjähriger Arbeit zu einem Gesamtwerk zusammengestitched wurden. (Galerie Martin Asbaek, Kopenhagen)
Moyra Davey hat 2011 eine interessante Bilderreihe von lesenden Leuten in der U-Bahn von Tokio gemacht, die er auf 20 x 30 cm ausgeprintet, mit einer Adresse versehen, frankiert und so nach England geschickt hat. Die Bilder zeigen das alltägliche Leben von unbekannten Leuten, die sich auf ihrem Weg zur Arbeit oder nach Hause mit Lesen die Zeit vertreiben. (Privatsammlung)
Ori Gersht zeigt in seiner Serie «New Orders, Everytime» sorgfältig arrangierte Objekte mit subtilen Farben im Moment ihrer Zerstörung, welche er teils mit Blitz als auch mit Hochfrequenzkameras aufnahm. (Galerie Yancey Richardson, New York)
Die zersägte Sinar Fachkamera am Stand der Galleria Enrico Astuni aus Bologna dürfte auf viele Besucher eine eigenartige Wirkung gehabt haben. Sie gehört dem Fotografen und Installationskünstler Steven Pippin aus England, der sie nicht nur in akribischer Kleinarbeit in zwei Teile getrennt hat, sondern damit, nachdem der Balgen und die Filmkassette mit schwarzem Karton wieder lichtdicht gemacht wurde, auch wieder fotografiert hat. Damit ist der ebenfalls zweiteilige Print entstanden, der an der gegenüberliegenden Wand hängt.
Daniel Blaufuks hat sich in seiner dreiteiligen Arbeit mit dem Licht befasst, welches durch das Ochsenauge des Pantheon in Rom in dieses historische Gebäude einfällt. Die Arbeit wurde in verschiedenen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt und ist bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet worden. (Carlos Carvalho Arte Contemporânea, Lissabon)
Die amerikanische, heute 88-jährige Fotografin Rosalind Salomon hat für die Paris Photo eine Auswahl von Bildern mit Alltagssituationen in Amerika ausgewählt, die zwischen 1976 und 2000 entstanden sind. (Bruce Silverstein, New Yor)
Die Serie «The White Condamination» von Florian Ruiz zeigt winterliche Landschaften, die den japanischen Holzsticken von Utagawa Hiroshge stilistisch nachempfunden sind. Aber die Schönheit trügt: Die Bilder sind in den Bergen von Fukushima entstanden und charakterisieren die Gefahr den atomaren Verstrahlung, die unter der weissen Pracht verborgen ist. (Galerie Sitdown, Paris)
Klassische Fotografie findet man an der Paris Photo an vielen Ständen. Die Galerie Peter Fettermann dekoriert mit diesen kostbaren fotografischen Ikonen von Henri Cartier-Bresson, Jacques Henry Lartigues und Willy Ronis ein Teil seines Standes.
Erinnerungen, Angst, Vorstellungen und Visionen sind die Themen, welche Esther Teichmann in ihrer Installation visualisiert. Die Hintergründe sind von der Künstlerin übermalte Fotoleinwände. Gleich beim Ausgang platziert hinterlässt die Komposition einen bleibenden Eindruck. (Galerie Les Filles du Calvaire, Paris)
Damit sind wir am Ende eines kurzen Rundgangs angekommen – eines Rundgangs mit sehr persönlichen Eindrücken und Präferenzen. Doch bei rund 200 Ständen und den Werken unzähliger Künstler kann man sich nur darauf beschränken, was einem auf dem Marsch durch die Massen von Bildern und Besuchern gerade ins Auge springt. Viele Eindrücke bleiben – Eindrücke, die Tendenzen in der zeitgenössischen Fotografie erahnen lassen.
Reportage: Urs Tillmanns
Wissenswertes über die Paris Photo 2018
Eintrittspreise: Einzeleintritt EUR 30,00, reduziert EUR 15,00, Wochenende: EUR 32,00
Katalog EUR 25,00
Öffnungszeiten: Donnerstag 8. bis Samstag 10. November 2018 12:00 bis 20:00 Uhr
Sonntag, 11. November 2018 12:00 bis 19:00 Uhr
Ort: Grand Palais, Avenue Winston Churchill, F-75008 Paris
Weitere Informationen auf www.parisphoto.com