Urs Tillmanns, 9. März 2019, 09:37 Uhr

Buchtipp: «Foto: Niklaus Stauss»

Niklaus Stauss ist überall mit dabei und fällt dabei nicht auf. Er zückt seine Kamera, macht drei, vier Bilder und zieht sich wieder zurück. So habe ich Niklaus unzählige Male an Pressekonferenzen, bei Vernissagen oder an anderen Anlässen erlebt. Bescheiden, eher wortkarg, aber aktiv und kompetent. Dabei hat er in den mehr als sechzig Jahren seiner Fotografentätigkeit ein privates Archiv mit Personenbildern aufgebaut, das wohl eines der wichtigsten der Schweiz ist.

Niklaus Stauss ist dafür bekannt, dass er Prominenz aus Kunst, Musik, Theater, Oper, Literatur, Film und Tanz fotografiert. So umfasst sein Archiv Bilder von mehr als 50’000 Persönlichkeiten, die er über sechs Jahrzehnte in Interviews oder unbemerkt abgelichtet hat. Dazu gehören Grössen wie Louis Amstrong, Lionel Hampton, Niklaus Meienberg, Andy Warhol, Brigitte Bardot, Mario Merz, Robert Frank, William Burroughs, Max Frisch und zahllose weitere bekannte Namen aus den vielfältigen Interessensgebieten von Niklaus Stauss.

Das Buch vermag nur einen kleinen Teil dessen wiederzugeben, was Niklaus in seinem Leben alles fotografiert hat. Es ist ein kleiner Streifzug durch seine Motivwelt, mit vielen Höhepunkten, Erlebnissen und Begegnungen, von denen andere nur träumen. Es ist aber auch ein Familienalbum, eine illustrierte Biografie und vor allem ein Geschenk seiner Tochter Barbara an ihren Vater.

Das verleiht dem Buch eine besonders spannende Note. Barbara hat das Buch heimlich inszeniert und hat ihren Vater erst dann mit dem Projekt konfrontiert, als sie die Zusage des Verlegers Patrick Frey hatte. So gab es kein Zurück mehr. Denn aus eigenem Antrieb hätte Niklaus nie ein fast 450 Seiten starkes Buch über sich selbst realisiert.

Daraus ist eine sehr persönliche Biografie geworden – ein «Familienalbum» eben, wie Tochter Barbara in ihrem Vorwort schreibt. Sie erzählt darin aus ihrer Jugendzeit, wie sie in der Zürcher Altstadtwohnung aufgewachsen ist, wie sie ihren Vater in der Dunkelkammer erlebt hat, die zugleich Küche war. Barbara ist dann nach Berlin gezogen, um ihr eigenes Leben zu gestalten, um Russisch zu studieren, um nicht mehr immer nur von Fotografien umgeben zu sein und ist schliesslich – Fotografin geworden. Heute leitet sie die Bildredaktion der Zeitschrift «mare» und hat täglich mit Bildern zu tun. Wie das Leben eben so spielt …

Aufschlussreich und sehr lesenswert sind die Zwischentexte zu den einzelnen Zeitabschnitten. Sie sind von Zora del Buono geschickt in Ich-Form verfasst und lesen sich als spannende Autobiografie von Niklaus Stauss. Die Texte vermitteln das Zeitgeschehen des jeweiligen Jahrzehnts und erzählen viele Episoden, die Stauss beim Fotografieren in den abenteuerlichsten Situationen erlebt hat.

Die Bilder von Niklaus Stauss seien «ehrlich und direkt, keiner gesuchten Ästhetik verpflichtet» betont Hans-Michael Koetzle in seinem Essay «Der Kunst auf den Fersen». Niklaus Stauss sei so etwas wie ein «Go-Between, ein Postillon der Kunst, der uns die Welt der grossen Macher in Bildern näher bringt». Koetzle weist auf die nationale und internationale Bedeutung von Stauss‘ Archiv hin, das mit Hilfe seiner Frau Rosmarie mit akribischer Gründlichkeit organisiert, beschriftet und datiert worden sei. Interessant ist der Hinweis, dass das Archiv von Niklaus Stauss demnächst in der Nationalbibliothek Bern eine neue Heimat finden wird und damit der Nachwelt gesichert ist.

Für wen ist dieses Buch? Für alle, die an der Biografie eines der bedeutendsten zeitgenössischen Schweizer Fotochronisten interessiert sind. Für Leute, die gerne Prominenz in Bilder sehen, in Bildern, die im natürlichen Umfeld entstanden sind – ungekünstelt, ungestellt und unretuschiert. Für Fotografen, die sich die Herangehensweise und die Umsetzungskunst eines Niklaus Stauss als Vorbild nehmen wollen für einen ehrlichen, aber direkten Bildjournalismus. Dem Buch fehlt auch eine Prise trockenen Humors nicht, welche Barbara wahrscheinlich von ihrem Vater geerbt hatte. Jene Barbara, die ihrem Vater immer einen Jaguar schenken wollte – jetzt sei daraus halt ein Buch geworden.

Urs Tillmanns

 

Buchbeschreibung des Verlags

Der Zürcher Fotograf Niklaus Stauss ist in seiner langen und aussergewöhnlichen Karriere schon immer an Kulturellem interessiert gewesen: Im Verlauf von mehr als sechzig Berufsjahren hat er über 50’000 Persönlichkeiten aus Kunst, Musik, Theater, Oper, Literatur, Film und Tanz fotografiert. Er war in der Garderobe von Louis Armstrong, fotografierte die Bardot von seiner Luftmatratze aus und begleitete Schweizer Kulturgrössen wie etwa Niklaus Meienberg, Harald Szeemann oder Daniel Schmid über viele Jahre hinweg. Dabei ist er kein Paparazzo, er fotografiert einfach die Menschen an dem Ort, an dem er sich selbst gerade aufhält. Auch wenn diese (noch) gar nicht berühmt sind, sind für ihn alle Akteure interessant, weil in ihnen etwas stecken könnte, das erst künftig zutage tritt. So finden sich denn in dieser Werkschau häufig Bilder aus den Anfängen grosser Karrieren und Ereignisse. Dass zahlreiche Porträtierte später tatsächlich berühmt wurden, zeigt Stauss‘ feines Gespür für ihr Potential.

Das Buch liefert einen Überblick über das Schaffen des Fotografen, aber es ist auch eine sehr persönliche Dokumentation der Schweizer und europäischen Kulturszene der letzten sechzig Jahre. Nicht zuletzt ist das Buch eine Hommage an den Vater zum runden Geburtstag, herausgegeben von seiner Tochter Barbara Stauss.

 

Der Inhalt

Ein Familienalbum oder wie aus einem Jaguar ein Buch wurde. Vorwort der Herausgeberin Barbara Stauss

«Der Kunst auf den Fersen». Zum Lebenswerk des Zürcher Fotografen Niklaus Stauss. Von Hans-Michael Koetzle

Gespräche mit Niklaus Stauss, aufgezeichnet von Zora del Buono

1950 – 1954
Lichtensteig liegt im Toggenburg / Ein Künstler und eine / Damenschneiderin als Eltern / Und Mönche als Lehrer / Das geheime Fotolabor im Estrich / Bocciabahn im Knabeninternat / Auftritt als Mammon im Jedermann / Und natürlich: die erste Gevabox

1955 – 1959
Zürich! / Kunstgewerbeschule und Ausdruckstanz / Mit zwei Koffern auf der Vespa durch Frankreich / Von Le Corbusier zum FKK im Sperrgebiet / Was ist eigentlich ein Filmbaum? / Schaufensterdekorateur im Jelmoli / Das erste Titelbild für die Zeitschrift Clou

1960 – 1964
Die wichtigste Frau / Ein Klavier auf dem Döschwo / Die Bugwelle der Bardot / 50 Wörter Französisch / Mit Hitchcock auf der Croisette / Überraschungen auf dem ersten Farbfilm / All that Jazz / Wohnt eine Trompete in Louis Armstrongs Aktentasche? / Heureka!

1965 – 1969
Im Keystone-Auto auf Fahrradtour / Ein echter Leopard in Cannes / Halten Sie eine Hand frei für einen Drink / Die Erfindung des Schiwago-Looks / Ein Kalender, eine Uhr und ein zwei Minuten altes Kind / Zürich zwischen Heintje und Fellatio / Die Jugend wird unruhig

1970 – 1974
Die Zeit der grossen Reisen / in Badehose vor Prinz Aga Khan / Ein Elefantenoberschenkelknochen landet im Kindergarten / Der verlorene Film von Muhammad Ali / Eine echte Fürstin filmt die Formel 1 / Wo ist es am schönsten in der Schweiz? / Rustico ist kein Schimpfwort

1975 – 1979
Migros das asoziale Kapital hat meine Tat gekillt / Niklaus Meienberg war ein scheues Bürschchen / Eine Wohnung für 110 Franken in der Altstadt / Reitrac, ein Anagramm als Künstlername / Die Avantgarde kommt nach Zürich / Christo ist grösser als sein Reichstag

1980 – 1984
Eine Staffelei für Pavarotti / Die Krönung der ersten Bundesrätin / Das Zürcher Establishment stiehlt Blumengesteck / Kunst im Schliessfach, eine lebende Maus und der Hang zum Gesamtkunstwerk / 7000 Eichen und noch eine Krone / Fast das Ende: Es brennt lichterloh!

1985 – 1989
Und ewig locken zehn Weiber / Das Auge von HenriCartier-Bresson / Kleine und grosse Köpfe / Erhobene Zeigefinger und ganz viel Rauch / ich sterbe nie, es geht mir gut / Von der Probe im Opernhaus zur Demo am Limmatquai / Die Jugend wird wieder unruhig

1990 – 1994
Doppelte Küsse und andere Doppelungen {auch nackte) / Vor wem Männer auf die Knie fallen / Das meistverkaufte Bild ist nicht von einem Star / Ich rede mit jedem so wie mit dir / Die Singpausen der Hildegard Knef / Zehn Franken von Prince / Schwein gehabt!

1995 – 1999
Schon wieder Cannes / Wer fotografiert hier eigentlich wen? / Auftritt der Crème de la Crème der Literaturszene (und aller anderen Künste) / Mit Putins Hilfe aus der Hüfte schiessen / Ein hilfsbereiter Privatbankier / Der Kampf für ein freies Kosovo vor der Haifischbar

2000 – 2004
Rasend schnell von Analog auf Digital / Sade Surreal / Eine lebenslange Verbindung zum Zirkus Knie / Vor den beiden Christophs muss man keine Angst haben / Die eine hängt unter der Decke, die anderen schweben in der Luft, und ein Schneemann steht Kopf

2005 – 2009
Die Bugwelle der Bardot revisited / Nicht nur die Queen liebt Corgis – Männer unter Schafen und hinter Blumen / Im Niger Express nach Bamako / Eine Roboterhand massiert Wolf Wondratscheks Haupt / Man will mir mein Kind wegnehmen! / Ende gut alles gut. Und zwar in Bern

2010 – 2014
10’000 Franken und eine Streichholzschachtel / Wer braucht schon einen Presseausweis? / Viele Zungen für eine Briefmarke / Flüche, Tänzerinnen und ein geheimer Tunnel / Auf der Suche nach der nicht verlorenen Zeit in Venedig / Die Churfirsten, eine Liebe fürs Leben

2015 >
Es bleibt dabei: Am liebsten mag ich Tanz / Es ist schön, wenn Freunde wieder auftauchen / Bei Klassik stört das leiseste Klicken / Der Mensch wird gläsern, und Dimitri klont sich selbst / Zwei Liegestühle warten auf zwei Drinks / Und jetzt muss ich los, weiterfotografieren

Biografien

Namensregister

Dank und Impressum

 

Biografien

Niklaus Stauss (*1938), Fotograf seit Jugendtagen, Absolvent der Kunstgewerbeschule Zürich, Schaufensterdekorateur, reiste immer wieder um die ganze Welt, nahm Unterricht in Ausdruckstanz, eröffnete ein Fotoatelier und publiziert in vielen Medien- und Buchverlagen. Seit den 1950er-Jahren arbeitet Stauss als freier Fotograf auch für die Bildagentur Keystone.

Barbara Stauss (*1967) zog Ende der 80er-Jahre aus Zürich ins geteilte Berlin, wo sie Russisch studierte, Fotografin wurde und 1997 die Meereszeitschrift «mare» mitgründete, deren Fotoredaktion sie bis heute betreut.

 

Bibliografie

«Foto: Niklaus Stauss»
448 Seiten, 800 Farbabbildungen
Format 22 × 33 cm, gebunden, Fester Umschlag
Herausgeberin: Barbara Stauss
Mit Texten von Zora del Buono, Hans-Michael Koetzle, Barbara Stauss
Gestaltung: Hanna Williamson-Koller
Edition Patrick Frey, Zürich
Erschien im August 2018
ISBN: 978-3-906803-56-2
Preis: CHF 70:00 / EUR 60,43

Das Buch kann im Buchhandel, beim Verlag oder hier im Ausland erworben werden.

 

HINWEIS: Noch bis 3. März 2019 ist in der Photobastei die Ausstellung von Niklaus Stauss zum Thema «Punk-Zeit» zu sehen.

 

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