Die Photobastei widmet sich vom 16. Mai bis 7. Juli 2019 der unbekannten Seite zweier Künstler aus ehemals verfeindeten Welten, dem New Yorker Fotografen Robert Frank und der Ostberliner Fotografin Gundula Schulze Eldowy. Ihre Wege kreuzten sich erstmals am 8. Juni 1985 in Ostberlin. Die Fotografin war damals einunddreissig Jahre, er doppelt so alt. Nachdem er ihre Fotos angesehen hatte, fragte sie spontan, ob sie nicht in New York ausstellen wolle? Das Zusammentreffen zeigte über die Zeit grosse Wirkung auf das Schaffen beider Ausnahmekünstler.
Robert Frank und Gundula in Leipzig 1993. (Foto: Helfried Strauss)
Die Ausstellung «Halt die Ohren steif / Keep A Stiff Upper Lip – Robert Frank und Gundula Schulze Eldowy in New York» spürt dieser Begegnung nach. Zwischen 1985 und 1989 schrieben sie sich über einen Westberliner Kontaktmann Briefe, die in wenigen Worten den Zeitgeist wiedergeben; 1988 schmuggelte sie ihre ersten Fotografien nach New York. In Robert Frank hatte Gundula Schulze Eldowy einen Verbündeten und Gleichgesinnten gefunden. Trotz der Unterschiede schienen sie sich erstaunlich nah. Sie waren Menschen, die sich gegenseitig ins Herz schauten.
Gundula Schulze Eldowy, New York 1992 – aus «Spinning on my Heels»
Im Herbst 1989 überschlugen sich die Ereignisse in Berlin, die Mauer fiel. Robert Frank erneuerte seine Einladung; für ihr Einreisevisum unterschrieb er die obligatorische Verpflichtungserklärung, im Krankheitsfall die Kosten zu tragen. Schon im Mai 1990 wohnte Gundula Schulze Eldowy wochenlang bei Robert Frank und seiner Frau June Leaf in der Bleecker Street, Downtown New York.
Gundula Schulze Eldowy, NewYork 1990 – aus «In einem Wind aus Sternenstaub»
Oft luden sie die Berliner Fotografin abends zum Essen ein und waren neugierig auf ihre Erlebnisse. Sie amüsierten sich über ihren naiven Blick oder wunderten sich, wie gut sie beispielsweise über das Werk von Diane Arbus Bescheid wusste. Gundula Schulze Eldowy fühlte sich angekommen in ihrer Gemeinde.
Gundula Schulze Eldowy, New York – ohne Titel
Eines Tages kritzelte sie auf einen Zettel, bevor sie ausging, die folgenden Zeilen:
Zwei Eisbären unter Wasser
Ich bin nicht
nach Rom gefahren
und auch nicht nach Paris
jedoch bin ich hinüber
ins kleine Paradies
Er antwortete auf dieselbe Art, schrieb «Keep A Stiff Upper Lip» auf ein weisses Blatt, was frei übersetzt «Halt die Ohren steif» heisst, manchmal schrieb er aber auch nur: «Gundula, warte aufs Essen». Auf diese Weise kommunizierten sie häufig miteinander.
Gundula Schulze Eldowy, New York 1992
Von 1990 bis 1993 lebte Gundula Schulze Eldowy in New York. Es entstanden die folgenden fotografischen Zyklen in dieser Zeit, aus denen Bilder in der Ausstellung zu sehen:
Gundula Schulze Eldowy und Cindy Sherman in Tokio 1996
Halt die Ohren steif / Keep A Stiff Upper Lip zeigt Künstlerporträits von Robert Frank, Pablo Frank, June Leaf, Robert Wilson, Allen Ginsberg, Peter Orlowsky, Cindy Sherman, Bob Dylan, Ann Mandelbaum, Ted Croner und Jay Manis. Auch Bilder Robert Franks sind in der Ausstellung zu finden, die er von Gundula Schulze Eldowy, Pablo Frank und seiner Frau June Leaf machte. Die Fotografien werden von Auszügen aus dem Briefwechsel zwischen Robert Frank und Gundula Schulze Eldowy, Texten aus ihrem Tagebuch und einem Video begleitet.
Gundula Schulze Eldowy, New York 1990 – «In einem Wind aus Sternenstaub»
Die Werkgruppe In einem Wind aus Sternenstaub knüpft an die legendäre «straight photography» New Yorks an, die Gundula Schulze Eldowy schon bei Berlin in einer Hundenacht Pate stand. Aber ausgerechnet in der Stadt ihrer Träume begann sich ein neuer Stil abzuzeichnen. An Stelle der Berliner Hinterhof-Dunkelheit war das gleissende Licht New Yorks getreten, das sich in unzähligen Fensterscheiben und Spiegeln verdoppelte und verdreifachte und nicht ohne Einfluss blieb. Ihre Bilder begannen, in freien Tönen zu tanzen.
Gundula Schulze Eldowy, New York 1992 – aus «Spinning on my Heels»
Spinning on my Heels scheint mehr der Malerei und Musik entlehnt zu sein als der Fotografie. Die Bilder beschreiben eine Geisterstadt, die sie traumwandelnd durchstreift, sie formulieren aber auch schon Zivilisationskritik.
Gundula Schulze Eldowy in New York, 1992 «Flügelschlag des Herzens»
Die Polaroids mit dem poetischen Titel Flügelschlag des Herzens sind Ausdruck ihrer Romanzen, Freundschaften und Selbstbetrachtungen.
Foto von Robert Frank mit Notiz an Gundula, 1996. Er vermerkt darauf handschriftlich «Liebe Gundula. Alles geht schnell, zieht vorbei und so ist es gut – Vergessen so viel ich kann. Der Baum steht noch, aber für immer ohne Blätter. Ich will nicht, dass unsere Freundschaft kaputt geht – wünsche Dir alles Gute überall und auch im Herz. January 1996, Salut von Robert»
(Pressetext photobastei)
Die Ausstellung «Halt die Ohren steif! Keep A Stiff Upper Lip! – Robert Frank & Gundula Schulze Eldowy in New York» ist noch bis 7. Juli 2019 zu sehen in der
photobastei.ch
Sihlquai 125
CH-8005 Zürich
Weitere Informationen finden Sie unter www.photobastei.ch
Beachten Sie auch das Video von Gundula Schulze Eldowy auf der Webseite des Kunstmuseum Erfurt.
Gundula Schulze Eldowy und ihre Werke
Geboren 1954 in Erfurt, Deutschland
Studium der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig
Berühmte Zyklen: «Tamerlan», «Berlin. In einer Hundenacht», «Arbeit», «Aktportrait», «Strassenbild», «Der Wind füllt sich mit Wasser», «Der grosse und der kleine Schritt»
1985: erste Begegnung mit dem amerikanischen Fotografen Robert Frank, der sie 1990 nach New York einlädt
1990–93: Reisen in die USA, «Spinning on my Heels» (Zyklus), «Keep A Stiff Upper Lip – Der
Briefwechsel zwischen Robert Frank und Gundula Schulze Eldowy» (Zyklus), «Die Wahrheit ist eine versunkene Stadt» (Film)
1992: Beteiligung an der Ausstellung «Photography 8» im Museum Of Modern Art New York
1993: zeigt der Direktor des MOMA, Kirk Varnedoe, ein Bild der Serie «Waldo’s Schatten» in der ständigen Ausstellung; kurz darauf Beteiligung an der Ausstellung «WHITE» der New Yorker Laurence Miller Gallery, an der u.a. Robert Frank, Lee Friedlander, William Eggleston, Hiroshi Sugimoto teilnehmen
1993–2000: Reisen nach Ägypten, «Ägyptische Tagebücher» (Zyklus), «Die Mumien der Pharaonen» (Film)
1996/97: Reise nach Japan, «Das flüssige Ohr» (Zyklus), «Eine halbe Stunde Zeit» (Film). Sie gewinnt den “12th Prize for Overseas Photographers of Higashikawa Photo Fiesta ’96” in Japan
1997: Reise nach Moskau, «Das Blatt verliert den Baum – Moskau 1997» (Zyklus)
1997: Reise in die Türkei, «Das lebendige Bild» (Zyklus)
2001: Reise nach Perú und Bolivien, «Das unfassbare Gesicht» (Zyklus)
2004: Gründung des Casa de Arte «El rostro inconcebible» in Perú (mit Javier A. Garcia Vásquez)
2004–09: «Eulenschrei des Verborgenen» (Zyklus)
2004–16: weitere Reisen nach Perú und Bolivien
2009: «Im Herbstlaub des Vergessens» (Film), «Den Letzten beissen die Hunde» (Zyklus)
2010: Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste
2011/12: Ausstellungen «Die frühen Jahre» C/O Berlin und «Verwandlungen» im Kunstraum des Deutschen Bundestages,
2012: Beteiligung an der «GOLD» und 2015 an der «Schlaflos» Ausstellung des Belvedere Museums Wien,
2016: «Zuhause ist ein fernes Land» im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig und dem Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Bonn
2016/17: Beteiligung an der C/O Berlin Ausstellung «Kreuzberg-Amerika»
2016: «Tänzerflügel», zweiter Erzählband nach «Am fortgewehten Ort»
Neben der fotografischen und filmischen Arbeit entstanden Erzählungen, Gedichte, Aufsätze, Ton-Collagen und Gesänge. Gundula Schulze Eldowy ist eine Künstlerin von internationalem Rang. Ihre Bilder befinden sich in Sammlungen wie dem Museum of Modern Art in New York, dem Museum of Fine Arts Houston, dem LACMA in Los Angeles und der Bibliothèque Nationale in Paris. Sie lebt in Paris, Peru und auf Reisen.