Was 1970 mit der Idee des Fotografen Lucien Clergue, des Museumkonservators Michel Tournier und des Schriftstellers Jean-Maurice Rouquette begonnen hatte, ist im Laufe von fünf Jahrzehnten zu einem internationalen Grossanlass der Fotokunst geworden. Dieser wird auch dieses Jahr wieder Tausende Besucher vom 1. Juli bis 22. September 2019 aus allen Erdteilen in die Hauptstadt der Provence anlocken. «Arles» wurde zu einem Inbegriff einer jährlichen Standortbestimmung der Fotokunst.
Dicht gedrängt warten die Besucher auf ihren Badge – bei knapp 40 Grad Sommerhitze
Auf dem Programm stehen dieses Jahr 50 hochkarätige Fotoausstellungen, welche alle Bereiche der Fotografie abdecken – von den Werken der Klassiker über noch nie gesehene Experimente bis hin zu den Werken von Newcomern. Hinzu kommen 230 (!) Ausstellungen von «Voies-off», eine Schwesterveranstaltung, die von ihrem Grundgedanken her vor allem jungen Talenten mit ausgefalleneren Kreationen den Weg in die Öffentlichkeit öffnen soll. Abgesehen davon gibt es, vor allem in der jetzigen Eröffnungswoche, jede Menge von Workshops, Podiumsdiskussionen, Fotografentalks und Abendprojektionen, welche zu einem übervollen Programm beitragen. Daneben gibt es noch verschiedene Randveranstaltungen, wie das VR Festival für virtuale Realität oder verschiedene Preisauszeichnungen wie der «Prix du Livre» mit 6000 Euro Preisgeld in verschiedenen Kategorien oder der Luma Dummy Book Preis, der mit einer Gesamtpreissumme von 25’000 Euro sehr hoch dotiert ist.
Originelle Ausstellungsorte: ausgediente Kirchen, über Abbruchobjekte bis hin zu Museen und Institutionen. Hier die Eglise des Frères Préchuers mit der Ausstellung von Philippe Chancel,
Originell sind auch die Ausstellungsorte, in denen die Bilderschauen stattfinden. Dies geht von ausgedienten Kirchen, die nicht mehr für Gottesdienste benutzt werden – und davon gibt es in Arles jede Menge – über Abbruchobjekte, die demnächst Neuem weichen werden, dann Museen und Institutionen, die dadurch zu einer höheren Besucherfrequenz kommen, bis hin zu Ausstellungen im Freien, welche mit der natürlichen Umgebung den Bildern ein ganz spezielles Umfeld vermitteln. Ganz neue räumliche Dimensionen vermitteln die riesigen Hallen der früheren SNCF-Ateliers, wo damals Eisenbahnwagen gebaut und gewartet wurden, und die nun für Grossausstellungen den erforderlichen Platz bieten.
Unweit davon ist das Kunst- und Kulturzentrum «Luma», das von der Schweizer Mäzenin Maja Hoffmann zusammen mit dem Architekten Franck Gehry initiiert wurde. Das gigantische Bauwerk wurde 2014 begonnen und soll 2020 fertiggestellt sein – hoffentlich rechtzeitig zu den nächsten Rencontres.
Das gigantische Bauwerk des Kunst- und Kulturzentrum «Luma» soll nächstes Jahr fertiggestellt sein
Eigentlich hätte auch der Neubau der Höheren Fachschule für Fotografie (Ecole nationale supérieure de la Photographie ENSP) zum Jubiläumsjahr fertiggestellt sein sollen, doch es hat nicht ganz gereicht: Zwar findet im Eingangsbereich zu den Rencontres eine Fotoausstellung statt, doch der Studienbetrieb soll frühestens Ende Jahr aufgenommen werden können.
Der Neubau der Höheren Fachschule für Fotografie ist bereits Ausstellungsort, soll aber erst Ende Jahr bezugsbereit sein.
Die Ausstellungen zum Fünfzigsten
Die eigentliche Gedenkausstellung «Toute une histoire» ist in der Eglise des Trinitaires zu sehen. Sie zeigt bildmässige Meilensteine der Festivalgeschichte und seiner 26 Artdirektoren, welche insgesamt mehr als 1200 Ausstellungen gestalteten. Die Rencontres haben damit Geschichte gemacht, haben für viele Neuentdeckungen und Überraschungen gesorgt und haben vielen Fotografen eine lebenswichtige Karrieren beschieden.
Die Gedenkausstellung «Toute une histoire» zeigt die bildmässigen Meilensteine der Festivalgeschichte auf
Interessant ist die Präsentation fast aller Ausstellungsplakate von 1970 bis heute – einige davon konnten offensichtlich nicht mehr aufgefunden werden. Sie erinnern nicht nur an die Daten und die grossen Fotografennamen, sondern sie zeigen auch spannend den Wandel der grafischen Gestaltung im Laufe eines halben Jahrhunderts auf.
Fast lückenlos ist die Präsentation der Plakate der Rencontres von 1970 bis heute
Eindrücklich ist die Gedenkausstellung «Lucien Clerque – Edward Weston», welche an die Eröffnungsausstellung von 1970 erinnern soll, in welcher Erstlingswerke dieser beiden bekannten Fotografen zu sehen waren. Die Bilder von Weston sind Klassiker aus den 1950er Jahren, die heute zu den höchstdotieren des Kunstmarktes gehören und sich neben die frühesten Werke von Lucien Clerque stellen. Diese zeigen Bilder früheste, teilweise unbekannte Werke des Soziallebens Arles vor 50 Jahren, sowie seine Serie angespülter Tierkadaver an den Stränden der Camarque.
Die Gedenkausstellung «Lucien Clerque – Edward Weston» zeigt frühe Werke dieser Fotografen und erinnert an die Eröffnungsausstellung von 1970
Eine dritte Ausstellung widmet sich den Fotobüchern der letzten fünfzig Jahre. «50 Jahre – 50 Bücher» zeigt eine Selektion von Martin Parr und der Fondation Luma, welche für jedes Jahr das wichtigste Fotobuch präsentiert. Natürlich ist die Auswahl sehr subjektiv, doch sie zeigt einen eindrücklichen Querschnitt durch das fotografische und verlegerische Schaffen dieser Zeitspanne und weckt den Wunsch tiefer in diese faszinierende Buchwelt eindringen zu können. Einige der wichtigen Erscheinungen zeigen wir in unserem Bild.
«50 Jahre – 50 Bücher» zeigt für jedes Jahr das wichtigste Fotobuch, ausgewählt von Martin Parr.
Soviel als erster Stimmungsbericht dieses riesigen Fotofestivals. In einem weiteren Artikel gehen wir auf einige der Ausstellungen ein, wobei die Auswahl, wie immer, eine sehr subjektive ist.
Die meisten Ausstellungen der Rencontres und der Voies-offs sind noch bis 22. September 2019 zu sehen.
Weitere Information finden Sie hier über die Rencontres und über die Voies-Offs.
Text und Fotos: Urs Tillmanns
Merci Urs, j espère vque tout va bien.
Bis bald
Amitiés
MP