Ich gebe es zu: Kompromisse sind nicht so mein Ding. Wie wohl viele Fotografierende wünsche ich mir eine Kamera, die nicht allzu schwer und gross ist, Top-Objektive in hoher Lichtstärke und geringen Dimensionen, einen Sensor mit extrem viel Auflösung und wenig Bildrauschen plus ein paar sehr hilfreiche elektronische Assistenten hat. Das Ganze soll natürlich möglichst wenig kosten.
Tja – die Physik und die Elektronik setzen diesem Wunsch gewisse Limiten. Und doch haben sich Kameras und Objektive in den letzten Jahren enorm entwickelt. Mein Traumszenario rückt immer näher. Und als ich dann auf der Photokina 2018 ein erstes Mockup der Fujifilm GFX100 in den Händen hielt und mir Walter Weber von Fujifilm Schweiz das Konzept der Kamera erklärte, wusste ich: Mit dieser Kamera komme ich meinem Wunschszenario wieder einen Schritt näher. Doch der Reihe nach:
Die Fotografie wird spiegellos
Im Amateursegment war der Verzicht auf den Spiegel in der Kamera schon lange Usus, auf der professionellen Schiene hat es etwas länger gedauert. Doch seit etwa vier bis fünf Jahren zeigt es sich, dass der Spiegel – wie von meinem Freund Urs Tillmanns prophezeit – aus der Kamera verschwinden wird. Die Vorteile einer spiegellosen Konstruktion liegen auf der Hand. Wer dieses Thema vertiefen möchte, kann dazu meinen Artikel «Spieglein, Spieglein in der Kamera – wie lange wird es dich noch geben?» vom Februar 2016 lesen. Als dann Fujifilm und Hasselblad praktisch zeitgleich die erste spiegellose Mittelformatkamera vorstellten, war klar: Adieu Spiegelreflexkamera.
Erfahrungen mit der Fujifilm GFX50s
Zusammen mit meiner Frau Ursula bin ich im Sommer 2017 mit unserem betagten Land Rover «Sir George» der Normandie-Küste entlanggetuckert (Fotointern berichtete). Mit im Gepäck die Fujifilm GFX50s und das GF 4.0/32-64 mm LM WR – das damals einzig erhältliche Objektiv. Plötzlich konnte man mit einer Mittelformatkamera mit 50 Megapixeln im Reportagebereich arbeiten. Ein Novum. Es wurde aber auch klar, dass die hohe Auflösung nach sehr exaktem Arbeiten verlangt. Die Faustregel «Brennweite = längste aus der Hand mögliche Verschlusszeit» galt plötzlich nicht mehr. Denn bei 50 Megapixeln sieht man auch kleinste Verwackler. Also doch wieder aufs Stativ oder mit kürzeren Verschlusszeiten arbeiten. Oder die ISO hochschrauben und höheres Bildrauschen in Kauf nehmen. Alles Kompromisse. Aber eben: Kompromisse sind nicht so mein Ding.
2017 habe ich die Fujifilm GFX50s getestet. Spätestens dann war mir klar, dass der Spiegel in der Kamera ausgedient hat. Mehr Informationen zu diesem Test im Artikel «Fujifilm GFX50s – wenn Grenzen verschwimmen» (Foto: Fujifilm)
Die «Vollformatkameras» rüsten auf
Lange galt bei den Kameras mit APS-C- oder Vollformatsensoren 24 Megapixel als bester Kompromiss zwischen Auflösung und Bildrauschen. Einige verwegene Hersteller hatten wohl Kameras mit höherer Auflösung im Programm, doch sobald man die ISO-Schraube etwas nach oben drehte, begann es zu rauschen. Nun scheint es aber, dass die neue Best-Kompromissgrösse bei rund 50 Megapixeln liegt. Sony hat ja kürzlich mit der Alpha 7R IV sogar eine 61-Mpx-Kamera vorgestellt. Unterdessen sind auch Objektive erhältlich, die diese Auflösung abbilden können. Für die Mittelformatkameras wurde die Luft dünn, und es war eigentlich nur eine Frage der Logik und der Zeit, dass es dort ebenfalls einen Sprung nach oben geben muss, wollte der grosse Sensor seine Berechtigung nicht verlieren.
Die Fujifilm GFX100 – nicht gerade die kleinste Kamera, aber in etwa gleich schwer wie die Flaggschiff-DSLR’s der bekannten Hersteller. (Foto: Jonas Rask für Fujifilm)
Von Anfang an auf 100 Megapixel ausgelegt
Bereits bei der Präsentation der Fujifilm GFX50s hat der Hersteller verlauten lassen, dass das ganze System – und vor allem die Objektive – auf 100 Megapixel ausgelegt ist. So war es denn keine Überraschung, dass die GFX50s nach der kleinen Schwester GFX50r mit der GFX100 auch eine grössere Schwester bekam. Positiv überrascht hat dann, dass Fujifilm der GFX100 einen eingebauten Bildstabilisator, eine 4K-Filmfunktion und sonst noch ein paar Gadgets mit auf den Weg gegeben hat. Und der Preis von knapp CHF 12’000 ist eine ziemlich offene Kampfansage an die anderen Hersteller von Kameras mit einer dreistelligen Megapixel-Auflösung. Für mich war klar: Ich muss das Ding testen, und zwar in einem Setting, in dem möglichst viele Aufnahmesituationen vorkommen – Landschaft, Reportage, Porträt, Stills. Und warum dafür in die Ferne schweifen, wenn das Gute so nahe liegt? Auf der «Otterealp» oberhalb Frutigen bei Fredy und Lea, Bergbauer und Käser aus Leidenschaft, haben wir alle fotografischen Disziplinen auf einem Platz gefunden. Und einige grossartige Menschen kennengelernt.
Reportage / Porträt | Unsere Gastgeber Fredy und Lea. Fujifilm GFX100s mit GF 4/120 mm LM OIS WR Macro // 1/320 sec // f 8.0 // 200 ISO // leichte Vignette in Lightroom hinzugefügt
Reportage / Landschaft | «Sir George», unser fahrbares Zelt, wird von den Pferden auf der Otterealp begutachtet. Ursula sucht das Gespräch mit den Besuchern. Fujifilm GFX100s mit GF 2,8/45 mm R WR
Sie ist leichter als sie aussieht
Über die vielen technischen Einzelheiten der GFX100 wurde auf dem Internet schon viel geschrieben. Ich konzentriere mich deshalb vor allem auf den Einsatz der Kamera in der Praxis: Ich nehme die Kamera bei Fujifilm Schweiz in Empfang und bin zuerst ob des Gewichts überrascht. Rein vom Volumen her hätte ich den Body schwerer erwartet. Es sind viele neue Materialien mit bestem Stabilitäts-/Gewichtsverhältnis verbaut worden, erklären mir Marcel und Walter Weber von Fujifilm Schweiz. Das hat übrigens auch dazu geführt, dass Teile der Kamera dunkelgrau und nicht schwarz sind. Man hätte das Metall – eine neue Magnesiumlegierung – noch schwarz spritzen können, doch darauf hat Fujifilm verzichtet. Mir hätte sie ganz in Schwarz besser gefallen, doch ich gehe mit der Kamera ja nicht an eine Modeschau, sondern möchte mit ihr arbeiten. Der Body liegt gut in der Hand, und sogar der oft gescholtene Hochformatgriff erfüllt seine Aufgabe besser als gedacht.
Ich «customize» – wie man auf Neudeutsch sagt – die GFX100 gleich mal auf meine Bedürfnisse. Weissabgleich auf eine separate Taste, die Blende wird am Objektiv eingestellt, ein Rad für die ISO-Einstellung und eines für die Verschlusszeit. So kann ich die drei wichtigsten Grössen, die das Bild beeinflussen, sofort einstellen. Nebst der GFX100 versorgt mich Fujifilm mit allen Objektiven, die ich selbst nicht habe. Mit dem neuen Body, acht Objektiven und dem 1.4x Extender tuckern Ursula und ich an einem Freitag los – wiederum mit Sir George, der uns mit seinem 4×4-Antrieb auf einer abenteuerlichen Schotterpiste auf die knapp 2000 Meter über Meer liegende Otterealp bringen und auch gleich als Schlafzimmer dienen muss. Fredy und Lea empfangen uns herzlich und führen uns in die Geheimnisse der Alpkäse-Herstellung ein.
Reportage | Wer Käse will, braucht erst einmal Milch. Ich begleite Fredy in den Stall, um ihn beim Melken zu fotografieren. Ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen, denn es kann durchaus einmal sein, dass man dabei nass wird, wenn man nicht aufpasst … Fujifilm GFX100s mit GF 4/23 mm R LM WR // 1/30 sec // f 11.0 // 2000 ISO
Reportage | Ich liebe extreme Perspektiven. Und wie es sich für eine gute Profikamera gehört, verfügt die GFX100 über einen schwenkbaren Screen. Denn wenn man im Kuhstall fünf Zentimeter über Boden fotografiert, liegt man ohne schwenkbares Rückdisplay buchstäblich in der Sch … ;-). Oben: Fujifilm GFX100s mit GF 4/23 mm R LM WR // 1/30 sec // f 4.5 // 1250 ISO; unten: Fujifilm GFX100s mit GF 2/110 mm R LM WR // 1/160 sec // f 2.0 // 640 ISO
Reportage | Im Wissen um den grossen Dynamikumfang belichte ich so, dass die Spitzlichter nicht ausreissen. Das Originalbild sieht ziemlich duster aus, doch die RAW-Daten geben trotz 800 ISO so viel her, dass ich die extremen Lichtverhältnisse problemlos ausgleichen kann. Der Gegenlichtcharakter darf durchaus erhalten bleiben, doch möchte ich in den wichtigen Bildbereichen Zeichnung haben. Um den Dynamikumfang voll auszureizen, lohnt es sich, mit 16-Bit Farbtiefe zu fotografieren. Die Files werden dadurch grösser, aber der Bearbeitungsspielraum erhöht sich. Fujifilm GFX100s mit GF 4/23 mm R LM WR // 1/100 sec // f 4 // 800 ISO
HDR | Mit HDR können auch Motive mit extremem Dynamikumfang realisiert werden. Links die vier Ausgangsbilder und daneben das finale HDR-Bild. Fotografiert mit dem GF 2,8/45 mm R WR // Blende 11 // 200 ISO // Verschlusszeiten 1/15, 1/6, 0.5 und 1 Sekunde
Alles Käse
Das Leben eines Bergbauern ist hart. Frühmorgens raus, Kühe am Berg einsammeln, melken, Käse machen, bereits gemachten Käse pflegen, Kühe wieder melken, Milch für den nächsten Morgen richten, Kühe auf die Alp lassen, und … und … und … Der Käse diktiert den Rhythmus. Fredy und Lea lieben dieses Leben. Für sie ist es der erste Sommer auf der Alp, aber sie sind bereits ein top eingespieltes Team, und Fredy käst mit einer Leidenschaft und Präzision, als wäre es schon sein x-ter Sommer auf der Otterealp. Ein kleiner Rundgang bestätigt mir, dass ich hier alle gewünschten Fotobereiche abdecken kann. Ich mache am Freitagabend noch ein paar Fotos, und dann kriechen wir früh in unsere Schlafsäcke, denn wir wollen am anderen Morgen dabei sein, wenn Fredy kurz nach 6 Uhr die Kühe von der Weide holt.
Was so einfach tönt, ist dann aber eine sportliche Herausforderung. Die Kühe sind überall am Berg verteilt. Fredy hüpft wie ein junges Reh den Berg hinauf, während ich als Stadtmensch in etwas gemächlicherem Tempo hinterherhechle. Da es nicht alle Kühe toll finden, wenn sie wieder in den Stall gehen müssen, hat das eine oder andere Rindviech die Idee, aus der Herde auszubrechen, um noch ein paar Extraminuten auf der Weide zu kriegen. Fredy scheint aber die Gedanken seiner Tiere gut zu kennen und schneidet ihnen jeweils elegant den Weg ab, so dass sie dann doch alle Richtung Stall trotten.
Nachdem der Frühsport erledigt ist, geht’s ans Melken. Im Stall ist wenig Licht, und da bewährt sich das Fujinon GF 2,8/45 mm R WR. Es ist die ideale Reportagebrennweite, und die hohe Lichtstärke hilft, dass ich die ISO-Zahlen meist im dreistelligen Bereich halten kann. Mit Stativ ist hier natürlich nix, und der Bildstabilisator kommt voll zum Einsatz. Dank ihm kann ich wieder mit der alt bewährten Formel «Brennweite = längste aus der Hand mögliche Verschlusszeit» arbeiten. Wenn man irgendwo aufstützen kann, geht sogar mal eine längere Verschlusszeit. Der klappbare Screen bewährt sich sehr, denn bei extremen Perspektiven nur wenige Zentimeter über dem Boden müsste ich sonst buchstäblich in die Sch… liegen. Der Autofokus arbeitet präzise. Vielleicht mag er für schnelle Actionfotos im Sportbereich etwas zu langsam sein, aber für alle anderen Motivsituationen erledigt er seinen Job tiptop.
Reportage / Landschaft | Erstes Morgenlicht auf der Otterealp. Die Kühe geniessen noch die letzten Minuten auf den saftigen Weiden, bevor es zum Melken in den Stall geht. Kein HDR – der Dynamikumfang der GFX100-Files ist enorm. Fujifilm GFX100s mit GF 4/23 mm R LM WR // 1/160 sec // f 16 // 640 ISO
Reportage / Landschaft | Lea in einem kurzen Moment des Wartens beim Hereintreiben der Kühe. Das Foto wirke wie ein Segantini-Bild, hat mir eine Bekannte gesagt. Nun, das mag etwas hoch gegriffen sein, aber es ist definitiv eines meiner Lieblingsbilder von der Otterealp. Fujifilm GFX100s mit GF 2,8/63 mm R WR // 1/160 sec // f 13 // 200 ISO
Reportage / Landschaft | Immer wieder suche ich ganz einfache Motive. Fredys Nachbar treibt gerade seine Kühe in den Stall. Für einen kurzen Augenblick erscheint er als Silhouette. Ich habe keine Zeit zum Objektivwechseln und drücke ab. Danach wähle ich den geeigneten Ausschnitt, der dann immer noch 24 Mpx hat. Fujifilm GFX100s mit GF 2/110 mm R LM WR // 1/125 sec // f 8.0 // 100 ISO
Reportage | Fredy beim Pflegen der Käselaibe. Ausser einer nackten Glühbirne gibt es kein Licht im Keller. Im Reportagebereich kann man meines Erachtens die ISO-Empfindlichkeit problemlos bis 3200 hochschraueben. Hier ging ich noch etwas höher. Auch dieses Bild hat trotz croppen auf Panoramaformat im Original noch 54 Mpx. Fujifilm GFX100s mit GF 4/23 mm R LM WR // 1/30 sec // f 4 // 4000 ISO
Nach dem Melken und einem einfachen Frühstück kümmert sich Fredy um die Käselaibe vom Vortag, die gehegt und gepflegt werden müssen. Nebst Reportagemotiven entdecke ich jetzt auch viele Still-Life-Sujets, die sich mit der GFX100 natürlich wunderbar ablichten lassen. Ich arbeite oft ab dem Stativ – einerseits, um die ISO tief und so den Dynamikbereich hoch zu halten – aber auch, um zu entschleunigen. Mit Stativ fotografiert man anders als ohne. Während den ganzen vier Tagen auf der Otterealp erschliessen sich mir immer wieder neue Stills. Und wenn dann der 2 ½-jährige Levi zwischendurch Rambazamba macht, kann ich die GFX100 blitzschnell vom Stativ nehmen und sie als Actionkamera einsetzen. Genau das, was ich mir gewünscht habe. Und alles ohne Kompromisse.
Reportage / Still Life | Die Grenzen der fotografischen Genres sind fliessend. Fredy hat den Frischkäse in die Form gelegt. Gleich danach kommt dann noch ein zweiter Käselaib, und beide Laibe werden danach bis am anderen Morgen gepresst (s. nächstes Bild). Fujifilm GFX100s mit GF 2,8/45 mm R WR // 1/125 sec // f 2.8 // 1250 ISO
Still Life | Eine Alpkäserei bietet Still Life Motive in Hülle und Fülle. Hier zwei Käselaiber im Tuch unter der Presse. Fujifilm GFX100s mit GF 4/120 mm R LM OIS WR Macro // 1/13 sec // f 5.6 // 200 ISO // Stativ // sw-Umwanldung und Vignette in Lightroom
Still Life | So sieht der Käse aus, wenn er frisch aus dem Kupferkessel kommt. Mit der urchigen Holzplatte und dem schönen Teller entsteht ein Still Life, nur von Tageslicht beleuchtet. Fujifilm GFX100s mit GF 2,8/45 mm R WR // 1/60 sec // f 6.4 // 400 ISO
Reportage | Der 2 1/2-jährige Levi hat es faustdick hinter den Ohren und für viele erheiternde Momente gesorgt. Trotz ihrer Grösse kann man die GFX100 meines Erachtens als Reportagekamera einsetzen – auch mit dem 250 mm-Objektiv. Fujifilm GFX100s mit GF 4/250 mm R LM OIS WR // 1/400 sec // f 4 // 1600 ISO
Verändert die hohe Auflösung das Fotografieren?
In der Vergangenheit hat man das Bild in der Kamera komponiert und den Ausschnitt so weit wie möglich final gewählt und dann das Bild realisiert. Die hohen Pixelzahlen ermöglichen einen ganz neuen Fotostil: Man fotografiert eine Szene bewusst mit viel Umfeld und definiert den Ausschnitt danach erst am Computer. Das hat den Vorteil, dass man aus ein und derselben Datei ein Hoch- oder Querformat oder ein Quadrat ziehen kann. Das gewählte Seitenverhältnis beeinflusst die Bildwirkung wesentlich. Von daher ist es sinnvoll, mehr Umfeld mit aufs Bild zu nehmen und danach noch mit dem Ausschnitt zu experimentieren. Ich merke aber, dass ich mich als Fotograf erst an diese neue Arbeitsweise gewöhnen muss.
Hier ein Beispiel. Der final gewählte Ausschnitt hat immer noch knapp 40 Megapixel und kann problemlos noch 150 x 100 cm gross gedruckt werden:
Ein Extremtest
Kann man auch längere Verschlusszeiten aus der Hand halten? Ich mache den Extremtest und montiere das GF250 mm mit dem 1.4 Extender. Das ergibt eine Brennweite von 300 mm. Ohne Abstützen belichte ich 1/100 sec. bei Blende 5.6 mit 500 ISO. Hier das Resultat, links als Komplettansicht, rechts ein Ausschnitt:
Besuch kommt
Am Sonntag ist dann viel los auf der Otterealp. Die Kühe wollen natürlich auch am «freien» Tag versorgt werden, aber Fredy und Lea nehmen sich an diesem Tag doch ein wenig mehr Zeit für anderes. Zum Mittagessen kommen einige Freunde vorbei. Für mich ideal, um die GFX100 als Porträtkamera zu testen. Der Augen-Autofokus funktioniert wirklich sehr gut, so dass ich auch mit dem 110 mm bei voll offener Blende f2 praktisch keinen Ausschuss produziere. Und wenn dann noch Nachbar Walter mit seiner Milchtanse aufkreuzt und ich ihn ebenfalls porträtieren darf, ist das richtig genial. Ich fotografiere alle Porträts ohne zusätzliche Lichtquelle, oft ohne Stativ, und ich bin von den Resultaten sehr angetan.
Porträt | Mein Freund Andy kommt mit seiner Familie zu Besuch. Er und seine Frau Susette haben uns den Kontakt zu Lea und Fredy vermittelt. Dank Eye-Autofokus habe ich trotz voll offener Blende fast alle Bilder scharf. Fujifilm GFX100s mit GF 110 mm F2R LM WR // 1/320 sec // f 2.0 // 100 ISO
Porträt / Reportage | Nachbar Walter bringt jeden Tag die Milch seiner Kühe zum «Verkäsen». Nächstes Jahr wird er 70. Auf die Frage, ob er denn nächstes Jahr wieder auf die Otterealp kommt, antwortet er mit einem schelmischen Augenzwinkern, dass es bei ihm wie bei den teuren Fussballern sei – er verlängere seinen Vertrag jeweils erst Ende Saison für ein weiteres Jahr … Fujifilm GFX100s mit GF 2/110 mm R LM WR // 1/500 sec // f 2.0 // 100 ISO // leichte Vignette in Lightroom
Morgenstund hat …
… na ja, vielleicht nicht nur Gold im Mund, sondern auch noch Mundgeruch. Fredy bietet an, mit uns am nächsten Morgen auf den nächstgelegenen Gipfel hochzukraxeln, um den Sonnenaufgang zu geniessen. Kurz vor 5 Uhr Tagwache, um 5.15 losmarschieren, eine halbe Stunde später stehen wir oben auf dem Gipfel und sind vom atemberaubenden Panorama überwältigt. Kühe noch in der morgendlichen Blue Hour als Silhouette, Fredy, der nachdenklich ins Tal schaut, die Gipfel im ersten Sonnenlicht. Ich habe nebst dem 23 mm die beiden Zooms 32¬–64 und 100–200 mm dabei. Letzteres hat wohl nur eine Lichtstärke von 5.6, aber eine tolle Bildqualität. Wieder vieles aus der Hand, da die Szenerie sich sehr schnell verändert. Ich schiesse dann noch eine Bildreihe für ein Panorama, in der Hoffnung, dass mein Computer die grossen Files zusammensetzen kann.
Landschaft / Reportage | Wieder ein ganz einfaches Motiv. Wir sind auf dem Aufstieg zum Sonnenaufgang, es ist noch sehr dunkel. Weil wir vor Sonnenaufgang auf dem Grat sein wollen, gibt es keine Zeit, um das Stativ aufzubauen. Obwohl ich mit der Verschlusszeit über die Grenze gehe, ist das Bild auch bei 100% Vergrösserung perfekt in der Schärfe. Fujifilm GFX100s mit GF 5,6/100–200 mm R LM OIS WR auf 200 mm // 1/125 sec // f 5.6 // 3200 ISO
Landschaft | Kitschig, aber einfach trotzdem so schön. Panoramabild aus vier Einzelaufnahmen. Der gezeigte Ausschnitt hat im Original 150 Megapixel. Fujifilm GFX100s mit GF 4/32–64 mm R LM WR auf 32 mm // 1/80 sec // f 8.0 // 200 ISO
Landschaft / Reportage | Fredy vor der Bergwand. Das 100–200er Zoom liefert eine dichte Perspektive und zeichnet sehr fein. Es ist für ein Mittelformatzoom mit dieser Brennweite sehr kompakt und leicht. Einziger Wermutstropfen: Die Lichtstärke beträgt lediglich 1:5.6. Fujifilm GFX100s mit GF 5,6/100–200 mm R LM OIS WR auf 200 mm // 1/200 sec // f 5.6 // 200 ISO
… und schon heisst es Abschied nehmen
Die Tage auf der Otterealp verfliegen wie im Nu. Wenn man dieselben Abläufe mehrere Male sieht, erschliessen sich immer wieder neue Motive. Nicht nur Auflösung in Hülle und Fülle, sondern auch verhältnismässig viel Zeit zu haben, ist ein grosser Luxus. Für den Schluss hat Fredy noch eine Überraschung aufgespart: Zusammen mit seinem Vater Hans hangelt er einen Motormäher über eine Schlucht. Dieser Mäher wird immer anfangs Jahr an einem Stahlseil über das Tobel transportiert, denn nur so können einige der Wiesen gemäht werden. Das Gras wird dann in Netzen ebenfalls via Stahlseil auf die andere Seite transportiert. Jetzt sind alle Wiesen abgemäht, und der Mäher muss wieder über das Tobel zurückschweben.
Fredy hat diese Arbeit extra aufgespart, damit wir sie dokumentieren können. Nochmals zeigt die GFX100, was sie kann: Continuous Autofokus, schnelle Bildfolgen und – wie wir später am Computer sehen – Bilder mit umwerfendem Dynamikumfang. Es ehrt mich, dass Hans mir dann auch gestattet, einige Porträts von ihm zu machen. Wir diskutieren über das Leben und Gott, ich drücke dann und wann den Auslöser und weiss bereits, dass diese Porträts zu den eindrücklichsten Bildern dieser Serie gehören werden.
Reportage | Am Drahtseil schwebt der Mäher über das Tal. Links das gesamte Bild und rechts ein extremer Ausschnitt, der zeigt, dass man auch in der Reportagefotografie von der hohen Auflösung der GFX100 profitieren kann. Fujifilm GFX100s mit GF 4/32–64 mm R LM WR auf 32 mm // 1/200 sec // f 14 // 200 ISO
Reportage | Vater und Sohn arbeiten Hand in Hand und wickeln das Stahlseil auf, nachdem der Mäher übers Tobel geschwebt ist. Jeder kennt die Problematik, wenn eine zu fotografierende Person bei hochstehender Sonne einen Hut trägt. Das Gesicht ist beinahe schwarz. Ich helle Fredys Gesicht punktuell in Lightroom auf – kein Problem bei diesen Daten. Fujifilm GFX100s mit GF 4/23 mm R LM WR // 1/500 sec // f 8 // 400 ISO
Porträt | Hans. Ein Gesicht, das Geschichten erzählt … Fujifilm GFX100s mit GF 2/110 mm R LM WR // 1/125 sec // f 8.0 // 400 ISO
Zurück im Unterland
Wir verabschieden uns von Fredy, Lea, Levi und Jael, Hans, Walter und all den anderen und fahren etwas wehmütig zurück ins Unterland. Es ist noch ein Stück heile Welt da oben in den Bergen, aber es muss hart erarbeitet werden. Der Respekt vor den Bergbauern ist nochmals gewachsen.
Ich ziehe die Files zuerst über Lightroom auf den iMac Pro, und der braucht alle RAM’s und Megaherzen, um mit den RAW-Dateien zurechtzukommen. Ich habe komprimierte 16 Bit-RAW erstellt, und jedes File hat zwischen 80 und 150 MB. Bei knapp 1800 Bildern kommt da einiges zusammen. Die Hersteller von Speichermedien wird’s freuen …
Die Daten sind überwältigend gut. Man spricht ja von 15 Blendenstufen Dynamikumfang, und das kann durchaus sein. Ich hatte noch nie Dateien mit einer solchen Spanne auf meinem Rechner. HDR ist fast nicht mehr notwendig. Ich habe von einem einzigen Motiv eine HDR-Reihe realisiert, und wenn man diese Daten zusammensetzt, schlägt das alles, was ich bisher kannte. Natürlich funktioniert das nur bei nicht bewegenden Sujets, aber in der Landschaftsfotografie tun sich mit der GFX100 in Bezug auf Auflösung und Dynamikumfang neue Welten auf. Kombinieren Sie dann noch HDR mit Panorama – was ja in Lightroom problemlos verarbeitet werden kann – explodiert das Datenvolumen, aber Sie werden Dateien erhalten, wie Sie wohl kaum schon gekannt haben.
Da Kompromisse – wie Sie unterdessen wissen – nicht so mein Ding sind, lade ich mir dann auch noch CaptureOne auf den Rechner. Denn überall lese ich, dass diese Software noch ein Quäntchen mehr aus den Daten der GFX100 herausholt. Und es verblüfft mich: Dasselbe RAW-File in Lightroom oder in CaptureOne geöffnet, sieht nicht identisch aus. In CaptureOne sind die Files nuancierter, etwas weniger kontrastig, und die Software holt tatsächlich ein wenig mehr Dynamikumfang aus den Daten raus. Wer Kompromisse nicht so mag, kommt wohl um CaptureOne nicht herum … Ich werde mich in den nächsten Wochen vertieft mit dieser Software befassen und gerade heikle Motive auf jeden Fall über CaptureOne öffnen. Gut möglich, dass ich sie danach in Lightroom oder Photoshop endbearbeite, denn diese beiden Programme haben Funktionen, die ich in CaptureOne – zumindest bis jetzt – noch nicht gefunden habe.
Dasselbe RAW-File, einmal in CaptureOne (links) und einmal in Lightroom (rechts) geöffnet und ohne Bearbeitung exportiert. Man sieht, dass die beiden Programme die Bilder leicht unterschiedlich interpretieren. Subjektiv würde ich nach ersten Bearbeitungsversuchen sagen, dass ich in CaptureOne etwas mehr Dynamikumfang aus den Daten herauskitzeln kann. Dafür geht in Lightroom etwas mehr mit dem Hinzufügen von Klarheit und Struktur. Die besten Resultate habe ich erzielt, indem ich das Bild in CaptureOne geöffnet, grundbearbeitet, als 16 Bit TIF exportiert und dieses dann in Photoshop oder Lightroom finalisiert habe. Das liegt sicher mit daran, dass ich mich in Lightroom und Photoshop wesentlich besser auskenne. Unter Umständen kann man dieselben Resultate auch direkt in CaptureOne erzeugen. Um das herauszufinden, brauche ich allerdings noch etwas Zeit
Ein erstes Fazit
Einmal mehr sprengt Fujifilm Grenzen – die Fujifilm GFX100 hält, was sie verspricht. Obwohl die GFX100 eine der höchstauflösenden Kameras ist, kann ich mit ihr sehr viele fotografische Bereiche abdecken, die bisher mit einer solchen Kamera nicht machbar waren. Nur wenn ein extrem schneller Autofokus, hohe Bildraten, spezielle Objektivbrennweiten oder eine extrem gute Performance bei hohen ISO-Werten gefordert ist, muss man Abstriche machen.
Die hochauflösenden Files mit grossem Dynamikumfang sind ein perfektes Ausgangsmaterial für alle denkbaren Anwendungen. Wer seine Bilder nur auf Instagram zeigt, braucht die GFX100 nicht unbedingt, aber wer Fotos auch gross zeigt, in Publikationen drucken lässt und generell Kompromisse nicht mag, sollte die Kamera unbedingt mal testen.
Mit einem Brennweitenbereich von 23 bis 350 mm (250 mm mit Extender) stellt Fujifilm zudem ein Objektivprogramm zur Verfügung, das wenige Wünsche offenlässt. Ein extremes Weitwinkel für Architekturfotografie findet man bei Canon mit dem TS 17 mm oder bei Laowa mit dem angekündigten 4.0/17mm Zero D. Für mich zwei interessante Brennweiten, die ich auf jeden Fall testen werde.
Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir noch eine klassische Reportagebrennweite mit hoher Lichtstärke wünschen – zum Beispiel ein 2,0/40 mm, welches das 2,0/110 mm ergänzen würde. Mal schauen, was die Zukunft bringt.
Und während der technische Fortschritt galoppiert, käsen Fredy und Lea in aller Ruhe auf der Otterealp weiter, und sind genau das, was Fredy als Status in seinem What’App-Profil geschrieben hat: Zfride.
Sie hat ein Lächeln auf mein Gesicht und ein Loch in meinen Geldbeutel gezaubert – die Fujifilm GFX100. Auf der Otterealp sind in den vier Tagen rund 1800 Bilder entstanden. Eine etwas grössere Auswahl meiner Favoritenfotos finden Sie auf meiner Fotohomepage.
Text und Fotos: Peter Schäublin, www.720.ch
Bravo, sehr schön geschrieben! Kommt gepflegt und echt rüber. Hab Dank!
Umfassender und detaillierter Bericht, der – im Gegensatz zu anderen Texten zur GFX100 – die Erfahrung im Feld ins Zentrum stellt. Äusserst informativ und hilfreich. Danke!
Mandi
Ein wirklich glaubwürdiger Artikel. Die heile Welt von gestern und eine Spitzenkamera von heute, hier wird es glaubwürdig zusammengeführt.
Hier vermisst man weder Tabellen noch Gegenüberstellungen. Es hat Spaß gemacht, daß man die drei Tage miterleben durfte.
Danke.
Schöner Beitrag und schöne Bilder. Der extrem Test mit dem Mond. Hier arbeitet aber nur der interen Stabilisator der Optik, ab einer bestimmten Brennweite schaltet sich der IBIS ab. Dennoch, sehr beeindruckend.