Urs Tillmanns, 8. September 2019, 10:00 Uhr

Verzasca Foto Festival: Ein Weg mit Fotokunst

Das Verzasca Foto Festival, das dieses Jahr bereits zum sechsten Mal durchgeführt wird, ist bekannt für eine aussergewöhnliche Location: Sonogno. Das schmucke Tessinerdorf entpuppt sich zuhinterst im engen (und motivreichen) Val Verzasca als eine grüne Oase. Hier, beim Zusammenfluss der «Verzasca» und der «Redorta», findet jedes Jahr das Verzasca Foto Festival statt, wobei die Ausstellungen mehrheitlich im Freien sowie in einem nicht mehr genutzten, typischen Tessiner Bauernhaus gezeigt werden.

 

Zuhinterst im engen Verzascatal präsentiert sich das Dörfchen Sonogno wie eine grüne Oase

Das diesjährige Verzasca Foto Festival folgt einem neuen Konzept: Die Bilder der insgesamt 27 ausstellenden Fotokünstlerinnen und Fotokünstler sind nicht nur im schmucken Tessinerdorf zu finden, sondern mehrheitlich entlang eines romantischen Waldwegs im nahe gelegenen Val Redorta. Dieser gibt dem diesjährigen Foto Festival auch sein Motto «In Cammino» – auf dem Weg – wo man auf einem 20minütigen Spaziergang überall wieder Fotos und die dazugehörigen Projektbeschreibungen findet. Abgesehen von diesen Entdeckungen lohnt sich dieser Spaziergang auch, weil das Tal voll von lohnenden Motiven ist.

 

Auf einem Waldweg – in cammino – entlang des Flüsschens Redorta entdeckt man 21 Werke von Fotokünstlern aus elf Ländern. Die Inserts in unserem Bild (von oben links bis unten rechts) von Carlo Rusca (CH) «Turistico», Marylise Vigneau (FR) «Little Stories of Phnom Pen», Thomas Weisskopf (CH) «Jail» und Alessia Rollo (IT) «Fata Morgana».

Die im «in cammino» ausstellenden Fotokünstlerinnen und Fotokünstler sind: Elena Anosova (RU) | Isabelle Blanc (CH) | Thomas Brasey (CH) | Cesar Dezfuli (ES) Andrea Ebener (CH) | Mohamed Keita (CI) | Yann Laubscher (CH) | Lisa Lurati (CH) | Alessia Olivieri (CH) | Alessia Rollo (IT) | Carlo Rusca (CH) | Arianna Sanesi (IT) | Maria Sturm (RO) | Roberto Tondopó (MX) | Diego Vidart (UY) | Marylise Vigneau (FR) | Thomas Weisskopf (CH) | Christian Werner (DE) | Patrick Wichert (GB) | Ruben Wyttenbach (CH) | Luca Zanetti (CH).

 

Freiluftausstellungen in Sonogno

In Sonogno selbst sind entlang der Hauptstrasse zwei Fotoprojekte ausgestellt: gegen Westen dasjenige der diesjährigen Preisträgerin des Verzasca Photo Awards Ana Zibelnik aus Slowenien mit «We are the Ones Turning» und gegen Osten zeigt Ayline Olukman aus Frankreich ihre Bilder zur Ausstellung «Women Grant».

 

Ana Zibelnik: hat mit der Serie «We are the Ones Turning» die diesjährigen Verzasca Photo Awards gewonnen

Ana Zibelnik befasst sich in ihrer Bilderserie «We are the Ones Turning» mit der Erforschung unserer Einstellung zum Sterben. Wir alle befassen uns damit in allen Lebenslagen, lesen Bücher darüber, schauen uns Filme dazu an oder diskutieren mit unseren Angehörigen darüber. Ana Zibelnik verarbeitet das Thema in ihren Bildern, die Menschen in allen Momenten zeigen, aber auch Landschaften, die in subtiler Ausdrucksweise zu diesem Thema passen. Die Bilder sind entlang der Hauptstrasse in Sonogno vielerorts zu entdecken, in Fensternischen, an Hausfassaden, als Miniaturen auf Steine oder auf das Kopfsteinpflaster geklebt.

 

Ayline Olukman aus Frankreich mit «Women Grant» befasst sich in ihren Bildern mit Frauen und ihrer Ausdrucksweise

Ayline Olukman interessiert sich für die visuelle Symbolik und thematisiert in ihrer persönlichen Bildersprache die Ausdrucksweise der Frauen. Als Fotografin (und Malerin) ist sie oft alleine zu Orten auf der Welt unterwegs, welche sie durch ihre Schönheiten oder Mythen inspirieren, zu Orten, die sie erleben und fotografieren möchte. Sie pflegt dabei eine starke Verbindung zur Natur, die sie zu neuen Werken anspornt. Meist sind einfache Elemente Motive ihrer Bilder: Wolken, Himmel, Flüsse, Meer und Strassen, oft sind es auch zufällig gesammelte Objekte wie Muscheln, Schädel oder Steine, welchen sie eine eigene Symbolik auferlegt.

 

Residenze artistiche in Valle Verzasca

In der «Tecc der Giacomina», einem restaurierten alten Bauernhaus, zeigen gleich vier Fotokünstler ihre Arbeiten: Halik Azeez aus Sri Lanka, Olga Cafiero aus der Schweiz, Malika Sqalli aus Marokko und Jin Zhang aus China. Sie alle haben letztes Jahr die Künstlerresidenz Valle Verzasca absolviert, die von Pro Helvetia und der Substainable Mountains Art (SMART) als Kulturförderungsprogramm unterstützt wird. Jedes Jahr werden fotografisch arbeitende Kunstschaffende aus dem In- und Ausland eingeladen, um sich während mehreren Wochen mit dem Verzascatal, Sonogno, der Bevölkerung und ihrer Lebensweise kreativ zu befassen.

 

Halik Azeez kommt aus Sri Lanka, einem Land, das jahrelang von Kriegswirren erschüttert wurde und mit Mühe zu einem normalen Gesellschafts- und Wirtschaftsleben zurückfindet. Die Schweiz und das Verzascatal kamen ihm vor wie ein «exotisches Paradies». Seine vielen Eindrücke, die Halik Azeez in den sechs Wochen hier gewann, hat er in seiner Collage «The Screaming Inca» zusammengefasst, die durch ein Türfenster in einer kleinen Kammer eingesehen werden kann. Das meiste davon sind persönliche Erinnerungsstücke, die eine ihm völlig fremde Kultur dokumentieren – fernab vom unsicheren Sri Lanka.

 

Olga Cafiero ist Schweiz-Italienerin und arbeitet als Fotografin in Lausanne. Sie war inspiriert von Mythen, Märchen und Legenden, die zu dieser Landschaft im entlegen Verzascatal passen. Vieles davon ist unerklärlich, angsteinflössend, bleibt rätselhaft – weit weg von der realistischen Fotografie. In ihrer Serie «costiss» – was im Tessiner Dialekt des Verzascatals «zuhören» heisst – versucht sie vor dem Hintergrund von Fabeln und Legenden dieses für das Tessin Typische fotografisch zu interpretieren.

 

Malika Sqalli, ursprünglich aus Marokko, hat sich durch die farbenfrohe und motivreiche Bergwelt des Verzascatals schnell inspiriert gefühlt. Sie war von dieser Landschaft beeindruckt, vom engen Tal und den Granitdächern, von der Öffnung des Plateaus von Sonogno, von einer eigenen Kultur und einer Bevölkerung, die noch weitgehend altes Handwerk pflegt. Ihre Installation «Encounter» ist eine Ode «to get on top of the things», um mit unserem Wirken auf und mit unserem Planeten das Beste zu erreichen.

 

Jin Zhang kommt aus China und war vom Verzascatal auch deshalb beeindruckt, weil viele der hier anwesenden Touristen aus einem mittelmässigen Leben ausbrechen wollen, um zu schwimmen, zu wandern und zu campieren, um ihren perfekten Tag zu erleben. «Ich kann das nicht kritisieren» sagt er, «weil ich ja selbst Tourist bin, aber ich versuchte jeden Tag etwas Interessantes in diesem Tal zu entdecken, um diese Eindrücke in meinen Fotos wiederzugeben.» Zur Betrachtung der Installation «One Moment after Another» von Jin Zhang ist in der Mitte des Raumes eine Pritsche aufgebaut, wo sich die Besucher hinlegen sollen, um die Fotos auf einem darüber angeordneten Bildschirm zu verfolgen.

 

Fotografisches Erbe des Verzascatals

Seit den sechs Jahren ihrer Existenz hat sich die Gesellschaft «Verzasca Foto» zusammen mit dem Ortsmuseum von Sonogno mit dem Sammeln und Archivieren alter Fotos und Dokumente des Tales befasst. So ist eine spannende Collection historisch wichtiger Fotografien zusammen gekommen, von denen ein Teil nun im Rahmen des Verzasca Foto Festivals im Museum ausgestellt ist. Es zeigt frühere Ortsansichten, Porträts von bekannten und unbekannten Verzaskern, dokumentiert das Brauchtum des Tales und präsentiert als interessante Gegenüberstellung einerseits die Fotos des Tales, anderseits die fremdartigen Bilder, welche die vielen Auswanderer aus dem Verzascatal, vorwiegend aus Amerika, an ihre Eltern und Verwandte heimgeschickt haben.

Text und Bilder: Urs Tillmanns

Die Ausstellungen des Verzasca Foto Festivals sind noch bis 5. November 2019 zu sehen und sind frei zugänglich.

Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite www.verzascafoto.com

 

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