Seit 2014 dokumentierte Tomas Wüthrich den Alltag und die Kultur der Penan. Das ursprünglich nomadisch lebende Volk im Dschungel von Sarawak auf Borneo ist von der Abholzung des Regenwalds bedroht und teilweise sesshaft geworden.
Tomas Wüthrich besuchte die Penan zwischen 2014 und 2019 insgesamt achtmal und lebte mehrere Monate mit ihnen. Seine Fotos hat er im kürzlich erschienen Bildband «Doomed Paradise» publiziert, nachdem er diese bis Mitte Oktober im Berner Kornhausforum ausgestellt hatte. Tobias Kühn sprach mit dem Freiburger Fotografen über die Entstehung des Projekts, die Arbeit im Dschungel und die Botschaft seiner Bilder.
Tomas Wüthrich in seiner Ausstellung «Doomed Paradise» im Kornhausforum Bern. Foto: Tobias Kühn
Tobias Kühn: Tomas Wüthrich, 2014 warst du zum ersten Mal bei den Penan in Borneo. Seither hast du während mehreren Besuchen ihr Leben dokumentiert. Wie hat das alles angefangen?
Tomas Wüthrich: Ich hatte vom «Beobachter» den Auftrag, eine Reportage über ein Medizinprojekt des Bruno Manser Fonds zu machen. Wir hatten die Idee, wir gehen in den Dschungel und dort von Dorf zu Dorf. Es kam aber ganz anders: Wir sind mit dem Jeep zu den Dörfern der Sesshaften gefahren und wir haben eigentlich nicht viel von dieser Kultur gesehen. So bin ich ein Jahr später noch einmal hin um zu schauen, ob es Leute gibt, die noch im Wald leben.
Wie erfolgte der Zugang, wie kommt man als Fotograf da hinein?
Ich ging wieder mit dem Bruno Manser Fond und dem gleichen Arzt auf einen zweiwöchigen Trip, bei dem wir zu Fuss von Dorf zu Dorf gingen. Im Dorf Long Tevenga habe ich Peng Megut, den Häuptling, getroffen. Die Chemie stimmt von Anfang an. Ich habe ihm erzählt, dass ich Fotos machen will und er fand das super. Er sagte: «Schau, ich lebe hier in diesem Wald und ich will auch weiterhin in diesem Wald leben, aber dort draussen stehen die Holzfäller». Er hat mir das wirklich ein bisschen als Auftrag gegeben und gesagt: «Du kannst raus und Fotos machen und den Leuten erzählen, was hier passiert. Ich aber kann nicht. Ich bin einfach hier im Wald.». Ich glaube, er hat das von Anfang an gecheckt, dass das eine Zusammenarbeit ist.
Die Gruppe von Häuptling Peng Megut lebt in der Siedlung Long Tevenga am Meli’it-Fluss inmitten vom intakten Regenwald
Wie funktionierte die Kommunikation?
Ich hatte immer einen Dolmetscher dabei, ein Penan, der in der Stadt lebt. Das war sehr wichtig, obwohl ich die Sprache unterdessen auch ein bisschen kann.
Du hast dann mit diesen Leuten gelebt, gewohnt und gegessen. Wie wurdest du aufgenommen?
Ich erlebte eine unglaubliche Gastfreundschaft. Vor allem auch beim zweiten Besuch. Über die Jahre waren einige Fotografen dort, aber nie kehrte einer zu ihnen zurück. Die Penan haben grundsätzlich Freude, wenn Weisse kommen. Das hat mit den Engländern zu tun, bei denen sie zur Kolonialzeit garantierte Preise für die Produkte, die sie ablieferten, erhielten. Heute freuen sie sich, wenn Leute vom Bruno Manser Fonds und den NGOs kommen.
Wie bist du vorgegangen, wenn du als Fotograf dort warst?
Ich glaube, ein wichtiger Faktor war, dass ich einfach immer sehr viel Zeit hatte und nichts gepusht habe. Ich habe von Anfang an gemerkt, dass das nicht geht. Ich kann nicht dorthin und sagen ich habe eine Woche Zeit und will eine Reportage machen. Das ist von den Distanzen her nicht möglich, aber auch von dem her wie sie leben, nämlich ganz ruhig und ganz langsam.
Peng Megut und sein Sohn Uled an der Blockade, die sie gegen die Holzfäller errichtet haben.
Durftest du uneingeschränkt fotografieren oder gab es Momente, bei denen du dich zurückhalten musstes?
Beim ersten Mal als ich da war, gab es eine alte Frau, die war herzkrank. Sie ist dann während unserem Aufenthalt gestorben. Das war ganz eine schwierige Situation. Ich habe mich sehr zurück gehalten. Als die Penan ein letztes Mal auf die Leiche im Sarg schauten, nahmen einige ein Handy hervor und haben ein Foto gemacht. Also habe auch ich ein Foto gemacht. In der Nacht hat mir der Häuptling dann Essen gebracht. Und er hat mir gesagt, es sei gut, wenn ich da bin. Ich habe auch beim Begräbnis Fotos gemacht und einfach probiert, sehr zurückhaltend zu sein. Und doch wusste ich, dass ich das fotografieren will.
Welche Ausrüstung hattest du dabei?
Während den ersten drei Reisen hatte ich eine Nikon D810 mit einem 24-70mm, einem 70-300mm und einem 20mm-Objektiv. Das hat alles schön Platz gehabt in meinem Mindshiftgear-Rucksack, der sehr wichtig war, denn er hat eine integriert Bauchtasche, so dass man ihn nicht abnehmen muss um etwas rauszuholen. Weiter hatte ich immer noch einen zweiten Body, und fast 30 Akkus, damit es für einen Monat reichte. Sonst fast nichts: Ein Schlafsack, zwei T-Shirts, zwei Hosen, das Satellitentelefon. Später habe ich mir eine Sony A9 gekauft, weil ich für Fotos auf einem Filmset etwas lautloses benötigte. Jetzt bin ich ein richtiger Sony-Fan.
Tepeket Agan in seiner Hütte: «Ich habe Angst vor den Holzfällern»
Wie ist die Idee für das Buch entstanden?
Der Plan war ursprünglich, eine GEO-Geschichte zu machen, was dann auch geklappt hat. Doch auch für das Buch hatte ich schon einen Plan. Ich wollte nicht ein klassisches Coffee Table Book machen, denn ich finde es ist nicht mehr zeitgemäss, an einen exotischen Ort zu gehen, dort die Leute zu fotografieren und das dann hier zu zeigen. Das hat immer etwas Kolonialistisches und ist irgendwie vorbei. Die Welt ist so klein geworden. Wenn der Regenwald in Borneo abgeholzt wird, dann hat das auch Auswirkungen auf uns. Und wenn wir die ganze Zeit Palmöl konsumieren, hat das Auswirkungen auf die Penan. Wir sind also ganz nahe. Es war mir wichtig, nicht nur die Exotik zu zeigen, sondern dass da auch eine Nähe ist und dass das ganz normale Leute sind.
Die Bilder sollen nicht nur dokumentieren und schön sein, sie haben eine gewisse Botschaft…
Mir ist komplett bewusst, dass man mit Fotografie nicht die Welt verändern kann. Aber trotzdem kann man probieren die Leute zu sensibilisieren. Zeigen, dass es Leute gibt, die ganz weit weg Leben aber trotzdem mit uns verhängt sind.
Peng Megut und Tepeket Agan frühmorgens auf der Jagd. Sie zählen zu den letzten teilnomadisch lebenden Penan
Das Buch kommt tatsächlich anders daher als ein klassisches Fotobuch. Was steckt da dahinter?
Das Buch ist auf Rockpaper gedruckt. Das ist ein Papier, das zu 80 Prozent aus Kalkmehl und zu 20 Prozent aus Polyethylen besteht. Für die Herstellung braucht es weder Wasser noch Holz. Das Papier hat einen riesigen Vorteil: Es ist wasserfest. In der Feuchte des Dschungels geht das normale Papier kaputt. Und ich will das Buch ja zurückbringen. Das Buch ist deshalb auch nicht geleimt, sondern genagelt und es hat einen Plastikumschlag, so dass es beständig ist.
Zweitens wollte ich nicht nur ein Fotobuch machen, sondern ich wollte mit dem Linguisten Ian Mackenzie aus Kanada zusammenarbeiten, der die Penan-Sprache während 30 Jahren erforscht hatte. Er hat die oralen Mythen der Penan gesammelt. Diese Geschichten publizierten wir auf penan, deutsch und englisch.
Dann hatte ich noch eine dritte Idee. Den Penan sind die Waldgeräusche des Dschungels extrem lieb. Ich habe deshalb Aufnahmen gemacht, die man über einen QR-Code auf dem Buch aufrufen kann. Weiter haben wir eine zweite Sounddatei erstellt. Da kann man hören, wie der Häuptling Peng Megut eine Geschichte über den Vogel auf dem Cover erzählt.
Kinder der Siedlung Ba Persek baden im gleichnamigen Fluss
Wie hast du das Buch und die Reisen dafür finanziert?
Das Buch zu finanzieren war ganz schwierig. Ich habe viele Stiftungen angeschrieben und schnell gemerkt, dass es nicht reicht. Also habe ich versucht, mit einem Crowdfunding 20’000 Franken zu finden. Das hat gut geklappt. So ist es knapp aufgegangen.
Die Reisen habe ich selbst finanziert. Ich habe fast zehn Jahre für GEO Schweiz gearbeitet. Die Aufträge aus der Presse sind aber immer weniger geworden. Also habe ich gedacht, ich mache jetzt etwas Eigenes. Ich habe über 20’000 Franken investiert. Finanziell hat sich das bis jetzt nicht gelohnt. Aber sonst sehr.
Hat diese Arbeit deine Lebensweise verändert?
Ja, sehr. Erstens war es die ganzen fünf Jahre sehr intensiv immer die Penan im Kopf zu haben. Zweitens ist das Leben dort ganz anders: man braucht sehr wenig, schläft einfach in dieser Hütte, schlachtet Tiere und dann zieht man wieder weiter. Ausserdem haben die Penan ein ganz anderes Zeitverständnis. Sie leben wirklich im Moment. Alles was etwas länger als drei, vier Tage vorbei ist, ist Vergangenheit und auch was morgen kommt, ist auch nicht so wichtig.
Peng Meguts teilnomadische Familie ist mit Tepeket Agut unterwegs zu einem neuen Standort
Was bedeutet das für dich als Fotograf?
Als freier Fotograf bekommst du zum Beispiel den Auftrag, in fünf Tagen einen Bundesrat zu fotografieren. Dann überlegst du, was du mit dem machen wirst. Heute recherchiere ich zwar immer noch im Voraus, aber ich vertraue auch darauf, dass mir dann vor Ort eine Idee kommt. Das ist recht beruhigend. Und auch, dass man mit einem kleinen Equipment eigentlich immer etwas machen kann. Ich glaube, ich habe gelernt, wirklich im Moment zu leben und das tut mir gut.
Die Holzfirma Sound Timber rodet den Regenwald, um eine Akazienplantage anzulegen
Zur Person
Tomas Wüthrich, geboren 1972, ist nach einer Berufslehre als Möbelschreiner und der Arbeit mit geistig behinderten Menschen sowie einer Fotografie-Ausbildung am Medienausbildungszentrum MAZ Luzern seit 2001 als Pressefotograf tätig. Seit 2007 arbeitet er freischaffend im Bereich Reportage und Porträt und veröffentlicht seine Bilder regelmässig in Zeitschriften und Zeitungen. Wüthrich wurde unter anderem mit dem Swiss Photo Award und mehrmals mit einem SwissPressPhoto Award ausgezeichnet. Er ist European Sony Ambassador.
Die Penan wurden in den 1980er-Jahren durch den Schweizer Umweltaktivisten Bruno Manser erstmals international wahrgenommen. Manser engagierte sich jahrelang mit Leidenschaft für die indigene Bevölkerung und wird seit Mai 2000 in Malaysia vermisst; 2005 wurde er für verschollen erklärt. «Doomed Paradise» erscheint im Vorfeld dieses zwanzigsten Jahrestages.
Das Buch «Doomed Paradise» von Tom Wüthrich ist im Verlag Scheidegger & Spiess erschienen und kostet CHF 49.00. Begleitet werden Tomas Wüthrichs Farbfotografien von Texten zweier Kenner der Penan: Der kanadische Linguist Ian Mackenzie, der ihre Sprache und Mythen untersucht, gibt Einblick in ihr Denken und Fühlen. Der Geschäftsführer des Bruno Manser Fonds, Lukas Straumann, ordnet ihre aktuelle Situation (wirtschafts-) politisch ein und verschafft einen Überblick über ihre jüngste Geschichte.
Das Interview von Tobias Kühn wurde auf der Webseite www.42mm.ch erstpubliziert.
Bilder (falls nicht anders vermerkt) © Tomas Wuethrich
Hinweis: Der Film «Bruno Manser – Die Stimme des Regenwaldes» läuft ab 7. November 2019 im Kino.
Lesen Sie auch unsere Buchbesprechung von Tomas «Doomed Paradise» vom 3. November 2019