In den 1970er- und 1980er-Jahren haben sich die Fotografie und ihre Rezeption signifikant verändert. Die klassische Fotoreportage der vorangegangenen Jahrzehnte war an ein Ende gekommen. Künstlerinnen und Künstler inspirierten die Szene. Es setzte ein Pluralismus der Stile ein, der – von neu gegründeten Verlagen und Galerien verbreitet – bald von Kunstmuseen beachtet wurde. Die aus den Beständen der Fotosammlung des Kunsthaus Zürich und einigen Leihgaben konzipierte, von Joachim Sieber kuratierte Ausstellung stellt diese visuellen, konzeptionellen und auch strukturellen Neuerungen der Fotografie vor.
Neue Wege postmoderner Diversität
Ausgehend von den Einflüssen der Konzeptkunst, Minimal Art und Pop Art der 1960er-Jahre in den Werken von John Hilliard, David Hockney, Stephen Shore und Dan Graham sowie Urs Lüthi, Dieter Meier und Fischli/Weiss werden Arbeiten der frühen Schweizer Vertreterinnen und Vertreter der künstlerischen Fotografie (Balthasar Burkhard, Hans Danuser, Felix Stephan Huber, Beat Streuli, Hannah Villiger, Bernard Voïta, Cécile Wick) präsentiert.
Walter Pfeiffer, Ohne Titel. Aus der Serie «Walter Pfeiffer 1970–1980», Kunsthaus Zürich, 1999, © 2019 ProLitteris, Zurich
Feministische und gesellschaftskritische Positionen (Alexis Hunter, Marilyn Minter), Bohème-Bilder Walter Pfeiffers, Körperstudien von Simone Kappeler und intime Interieurs von Annelies Štrba kontrastieren mit menschenleeren öffentlichen Innenräumen von Candida Höfer.
Candida Höfer, Zoologisches Museum Genf, 1989, Kunsthaus Zürich, Vereinigung Zürcher Kunstfreunde, Gruppe Junge Kunst, 1991, © 2019 ProLitteris, Zurich
Fischli / Weiss, In den Bergen, 1979, Kunsthaus Zürich, Vereinigung Zürcher Kunstfreunde, Gruppe Junge Kunst, 1989, © Peter Fischli /David Weiss
Die Themen reichen von «Von der konzeptuellen Fotografie zur Medienkunst» über «Fotografische Erkundungen des Selbst» zu «Un-/Orte der Gesellschaft». Sie reflektieren einen Trend, der alle Ebenen umfasst – von der Produktion über die Verbreitung bis zur Rezeption durch ein Publikum, welches aufgrund technischer Innovationen zusehends in die Lage versetzt wurde, selber zu fotografieren oder sich zeitnah und kostengünstig (Bewegt-)Bilder zu beschaffen.
Dieter Meier, Jumps, 1974, Kunsthaus Zürich, 2012, © Dieter Meier
Neue Orte – Neue Medien
Nach der Einstellung der tonangebenden Zeitschrift «Life» zu Beginn der 1970er-Jahre, verlor die Fotografie an nachrichtlichem Stellenwert und erkämpfte sich eine Position im Kunstbetrieb. Das Fotobuch und die Ausstellung als primäre Medien zur Präsentation fotografischer Arbeiten wurden wiederentdeckt. Fotogalerien wurden eröffnet und eine wachsende Zahl von Kunstmuseen nahm Fotografie in ihr Programm auf. Einige international bedeutende Fotobuchverlage wurden in der Schweiz gegründet, darunter der Lars Müller Verlag (Baden), die Edition Patrick Frey und der Verlag Der Alltag (beide Zürich), der ab 1984 die Kunstzeitschrift «Parkett» publizierte und später in den Fotobuchverlag Scalo überging. Mit ihren neuartigen Publikationsformen sorgten sie dafür, dass die zeitgenössische Schweizer Fotografie internationale Anerkennung fand.
Fotografie im Kunsthaus
Auch das Kunsthaus begann ab den 1970er-Jahren zeitgenössische Fotografie zu sammeln. Dabei spielte, neben den Erwerbungen durch das Kunsthaus selbst, die seit 1968 aktive Gruppe Junge Kunst des Fördervereins Vereinigung Zürcher Kunstfreunde eine zentrale Rolle. Sie beschloss, zwischen 1975 und 1980 ausschliesslich Werke junger englischer Künstlerinnen und Künstler anzukaufen. So kamen Werke von John Hilliard und Alexis Hunter in die Fotosammlung, welche heute nahezu 1300 Werke umfasst.
Da die 1971 gegründete Stiftung für die Photographie (heute Fotostiftung Schweiz) von 1976 bis 2003 im Kunsthaus beheimatet war und einen breiten Bereich des dokumentarischen Fotoschaffens abdeckte, orientierte sich die Sammlungs-kommission des Kunsthauses ab Mitte der 1970er-Jahre für Neuankäufe verstärkt an künstlerischer Fotografie, die teilweise in Verbindung mit anderen Bildmedien, insbesondere Malerei, Grafik, Zeichnung, Video und Neuen Medien stand.
Die Verschmelzung von Kunst und Fotografie findet ihre Hochblüte in den 1990er-Jahren. Der Fotografie gelingt es erfolgreich, sich die klassischen malerischen Genres wie das Stillleben oder die Historienmalerei zu eigen zu machen. Diesem Trend folgte die Sammlungspolitik des Kunsthauses, indem sie wandfüllende Werke von Thomas Struth und Jeff Wall oder Diaprojektionen von Beat Streuli erwarb. Die Ausstellung vergewissert sich der Ursprünge dieser Entwicklung.
Pressetext Kunsthaus Zürich
Situationsfotos: Urs Tillmanns
Das Buch
Eine begleitende Publikation erschien im Verlag Scheidegger & Spiess und ist im Buchhandel oder im Kunsthaus-Shop erhältlich.
Die neue Fotografie – Umbruch und Aufbruch 1970–1990
Neupositionierung der Fotografie: Jahrzehnte des Umbruchs eines Mediums
Der Inhalt. Die späten 1970er- und die 1980er-Jahre stellen in der Fotografiegeschichte eine Zeit des Umbruchs dar: Der fototheoretische Diskurs zog die «Wahrheit des Augenblicks» in Zweifel. Das fotografische Selbstverständnis manifestierte sich in der Heterogenität ihrer Sparten – wie etwa der «dokumentarischen» oder der «künstlerischen» Fotografie.
Der Autor Joachim Sieber, geboren 1985, ist seit 2017 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kunsthaus Zürich tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind Provenienzforschung, digitale Kunstgeschichte, Fotografiegeschichte, Sozialgeschichte der Kunst sowie Foto-, Kunst und Kulturzeitschriften des 20. Jahrhunderts.
80 Seiten, 76 farbige und 4 sw-Abbildungen
Broschiert, Format 17 x 23.5 cm
Autor: Joachim Sieber
Herausgegeben vom Kunsthaus Zürich
1. Auflage, 2019
ISBN 978-3-85881-655-9
Preis: CHF 19.00 / EUR 19.00
Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich
Allgemeine Informationen zur Ausstellung
Ort: Kunsthaus Zürich, Heimplatz, CH-8001 Zürich, Tel. 044 253 84 84
Dauer: noch bis 7. Februar 2020
Eintritt: CHF 16.–/11.– reduziert und Gruppen.
Kombi-Ticket Sammlung und Ausstellungen CHF 26.–/19.–. Bis 16 Jahre Eintritt frei.
Vorverkauf: Zürich Tourismus. Tourist Information im Hauptbahnhof, Tel. 044 215 40 00, info@zuerich.com.
SBB RailAway-Kombi. Ermässigung auf den Eintritt bei An- und Rückreise mit dem Öffentlichen Verkehr.