Gastautor/-in, 26. Januar 2020, 10:00 Uhr

Mit Rucksack und der Lumix S1 durch das südliche Indien

Schon länger stand der Plan, mit dem Rucksack und öffentlichen Verkehrsmitteln durch das südliche Indien zu reisen und dabei Land und Leute zu porträtieren – mit allen Farben, die die Mensch-, Pflanzen und Tierwelt zu bieten hat. Idealerweise ist man bei einem solchen Vorhaben mit leichtem Gepäck unterwegs, zumal im Süden Indiens auch im Winter Temperaturen jenseits der 30°C herrschen, gepaart mit hoher Luftfeuchtigkeit. Dann kam der Bescheid von Panasonic, dass mir zu Testzwecken eine Lumix S1 zur Verfügung gestellt würde. Ich war begeistert und unsicher zugleich – war es wirklich eine gute Idee, meine APS-C-Kamera mit ca. 900g gegen eine spiegellose Vollformatkamera mit annähernd 2kg (jeweils betriebsbereit, mit Objektiv, Akku, etc.) auszutauschen? Um das Gewicht unseres Reisegepäcks nicht noch weiter in die Höhe zu treiben war klar, wir würden weder ein zweites Objektiv noch ein Stativ mitnehmen. Beim Objektiv habe ich mich für das Lumix S PRO 2,8/24-70mm entschieden.

(Panasonic Pressebild)

 

Der erste Eindruck

Sowohl die S1 als auch das gewählte Objektiv machen schon auf den ersten Blick einen sehr wertigen Eindruck. Beide sind nicht mit dem Ziel konstruiert, klein und handlich zu sein, sondern vielmehr gut in der Hand zu liegen und Funktionalität der Spitzenklasse zu bieten. Der grosse, staub- und spritzwassergeschützte Body der S1 bietet viel Platz für Knöpfe, deren Funktion über die ausgeklügelte Software bis fast ins aberwitzige angepasst werden können. Dazu kommt die Tatsache, dass man das Menü auf mehrere Weisen bedienen kann – über das Steuerwahlrad, die Cursortasten, den Joystick oder den Touchscreen. Alles ist gut zu finden und für meinen Geschmack mit Ausnahme des Ein/Aus-Schalters am richtigen Ort. Den Ein/Aus-Schalter hätte ich zur besseren Bedienbarkeit mit dem Zeigefinger weiter in Richtung Auslöser gesetzt.

Das Objektiv der S-Reihe, zertifiziert durch Leica, ist ähnlich solide konstruiert wie die Kamera. Es bietet jedoch keinerlei Knöpfe, dafür einen Fokusring, den man zu sich herziehen kann, um in den manuellen Fokusmodus umzuschalten. Sehr intuitiv und auch blind schnell und einfach zu finden.

 

In der Praxis

Schnell nach Ankunft an unserem ersten Ort in Indien, Mumbai, und vor der Weiterreise in den Süden wurde klar, dass «meine» grosse Kamera Interesse auf sich zieht, und so wurde ich während der gesamten drei Wochen regelmässig von Passanten gefragt, ob ich nicht ein Bild von ihnen machen könne. Sowohl bei Porträtaufnahmen als auch am Chowpatty Beach machen das Zusammenspiel aus Gesichts- bzw. Körpererkennung, grosser Blende, Auflösung des Objektivs und dem grossen Sensor der S1 grosse Freude.

 

Frau mit Kind in Mumbai, F/2.8, 32mm, 1/320s, ISO 100

 

Chowpatty Beach, Mumbai, mit Skyline im Hintergrund, F/2.8, 58mm, 1/160s, ISO 100

Am Fischereihafen von Mumbai, den Sassoon Docks, bekam ich Gelegenheit, die Tiererkennung zu testen. Diese hat zwar nicht bei allen Vögeln und in jeder Situation einwandfrei funktioniert, aber sie war häufig eine grosse Hilfe, wie beispielsweise bei diesem Seidenreiher, auf der Suche nach essbaren Überresten inmitten von Schalen gepulter Crevetten.

 

 

Seidenreiher am Fischereihafen von Mumbai, F/2.8, 70mm, Belichtungsausgleich +1EV, 1/160s, ISO 100

Dann unsere Weiterreise in den grünen Süden Indiens. In den Westghats, dem Gebirgszug im Südwesten, befindet sich Munnar, ein von den Briten gegründetes Städtchen inmitten von kilometerweiten Teeplantagen. Es wachsen dort auch eine Vielzahl weiterer uns bekannter Nutzpflanzen, wie Kaffee, Kakao, Kardamom, Muskatnuss und viele mehr. Die hügelige Landschaft und das milde Klima auf gut 1’500m ü. M. laden zu Wanderungen ein, bei denen man auch dem Lärm und Abfall der Stadt entkommt.

 

Teeplantagen im Süden Munnars, F/8, 67mm, 1/80s, ISO 100

Immer wieder war das in drei Achsen kippbaren Displays eine Hilfe, so etwa bei der Aufnahme von Früchten in Bodennähe, wie dieser Ananas.

 

Ananaspflanze mit Frucht, F/2.8, 67mm, 1/80s, ISO 100

Mit einer Seidenspinne in ihrem Netz war, wie kaum anders zu erwarten, der Autofokus überfordert, und so hatte ich Gelegenheit, den manuellen Fokus testen. Wie bereits erwähnt ist die Aktivierung über den Fokusring eine Freude, und die Ausschnittsvergrösserung auf dem Display oder im Sucher tragen ihren Teil dazu bei, dass problemlos auf Spinne und Netz scharf gestellt werden kann. Überhaupt ist der elektronische Sucher mit seinen 5’760’000 Bildpunkten eine Klasse für sich. Er macht einen fast vergessen, dass man nicht durch einen optischen Sucher blickt – wären da nicht die vielen unterstützenden Überblendungen wie Fokusbereiche, Wasserwaage, die anpassbare Ausschnittsvergrösserung in bestimmten Fokusmodi inklusive Fokus-Peaking. Nicht nur der ca. 5 cm lange Körper der Spinne, sondern auch ihre feinen Beine wurden farblich hervorgehoben, sobald sie sauber fokussiert waren.

Welcher Ausschnitt vergrössert werden soll, kann auch z.B. über den Joystick oder den Touchscreen gesteuert werden. Die Touchscreen-Steuerung lässt sich über das Menü sogar deaktivieren, was ich versucht, aber leider bis zum Ende der Reise nicht geschafft habe. So hat regelmässig meine Nase über den Touchscreen den Ausschnitt oder auch den mit dem Joystick gewählten Fokusbereich verschoben, wenn mein rechtes Auge dem Sucher nahe kam. Dies konnte ich jeweils anschliessend über den Joystick wieder korrigieren.

 

Seidenspinne mit Netz, Aufnahme mit gestreckten Armen und manuellem Fokus, F/2.8, 49mm, 1/640s, ISO 100

An der nördlichen Küste Keralas, in den Dörfern um die Stadt Kannur, finden in den Wintermonaten Theyyamrituale statt, bei denen verkleidete und geschminkte Akteure in den Status einer bestimmten Gottheit erhoben werden und während des Rituals auch deren Kraft und Macht übernehmen. Das Schminken unter freiem Himmel begann beim von uns besuchten Ritual schon vor sechs Uhr morgens, so dass anfangs mangels eingebautem Blitz das lichtstarke Objektiv in Zusammenspiel mit dem grossen Sensor der S1 die Dunkelheit ausgleichen durfte. Dank des exzellenten Rauschverhaltens der S1 selbst bei ISO 6’400 kein Problem.

Besonders eindrücklich waren die Bemalungen, die einer der vier Götter in unserem Ritual – Gott Bali – in mehrstündiger Detailarbeit im Gesicht erhalten hat. Und erneut die hohe Auflösung des Objektivs, mithilfe derer noch so kleine Details festgehalten werden können. In manchen Aufnahmen sind sogar einzelne Schweisstropfen erkennbar, wie sie während des wilden und schweisstreibenden Tanzes auch für Götter unvermeidbar sind.

 

Bali Theyyam, 1/800sec, 70mm, F/2.8, ISO 1’000

Am Busbahnhof der Stadt Kannur haben wir dann folgendes Büro entdeckt, das sehr energiesparend den lokalen klimatischen Bedingungen angepasst ist. Die meisten Busse werden übrigens auch ohne seitliche Fensterscheiben gebaut, was die Temperaturen im inneren der Busse auch ohne technischen Aufwand sehr erträglich macht. Das Energiesparen bzw. die Akkulaufzeit ist jedoch ein Thema, bei dem die Lumix S1 Luft nach oben hat. Laut Benutzerhandbuch sind bei Benutzung des Suchers 360 Aufnahmen möglich. Die Mitnahme eines zweiten Akkus ist zu daher empfehlen, wenn man den ganzen Tag unterwegs ist und nicht riskieren möchte, dass plötzlich gar nichts mehr geht. Dafür kann die S1 den Akku innerhalb der Kamera laden, was zwar weiterhin die Mitnahme des Netzteils notwendig macht, jedoch nicht zwingend die zusätzliche Ladeschale.

 

Büro im Busbahnhof von Kannur, F/9, 31mm, 1/80s, ISO 100

Mit am meisten begeistert haben mich die vielen und vielseitigen Autofokusmodi. Neben der Gesichts-/Körpererkennung mit oder ohne Tiererkennung gibt es ovale, balkenförmige und quadratische Fokusbereiche zu wählen, deren Grösse in den meisten Fällen auf die jeweilige Situation angepasst werden kann. Dazu kommt ein Fadenkreuz, das auf einen einzelnen Punkt fokussiert. Ähnlich wie beim manuellen Fokus wird dann automatisch die Ausschnittsvergrösserung auf dem Display bzw. im Sucher aktiviert. Besonders hilfreich ist dies z.B. in einer solchen Situation, wo ein junger Makake in der Nähe des Kabiniflusses teilweise hinter Bambusblättern sitzt.

 

Makake in Bambusbaum, Autofokus mit Fadenkreuz, F/8, 70mm, 1/80s, ISO 800

Neben vielen Kühen, die einem in jeder erdenklichen Situation in oder ausserhalb von Städten begegnen, können an vielen Orten auch Schweine oder Ziegen ein farbenfrohes Fotosujet bilden.

 

Ziege vor Wohnhaus in Mysore, F/2.8, 70mm, 1/1’300s, ISO 100

Wie Eingangs erwähnt, war ich ohne Stativ unterwegs. Wir hatten aber Glück, dass der Palast von Mysore doch nicht nur wie im Reiseführer beschrieben Sonntags beleuchtet ist, sondern für eine viertel Stunde auch an jedem anderen Abend der Woche. Diese Gelegenheit musste ich nutzen, um aus der Hand diese Aufnahme zu machen. Trotz der Entfernung von rund hundert Meter zur Fassade des Palasts und auch dank des 5-Achsen-Hybrid-Bildstabilisators der S1 ist dies kein Problem.

 

Mysore Palace, Freihandaufnahme, F/2.8, 32mm, 1/60s, ISO 3’200

Mit vielen RAW-Aufnahmen auf meinen Speicherkarten musste ich nach der Rückkehr in die Schweiz leider feststellen, dass meine bevorzugte Software zur Entwicklung von RAW-Aufnahmen, DxO PhotoLab, immer noch kein Profil für das von mir gewählte Objektiv S PRO 2,8/24-70 anbietet. Verschiedene andere Objektive der S PRO-Reihe werden jedoch bereits unterstützt, so dass es hoffentlich nur noch eine Frage der Zeit ist, bis ich die Aufnahmen aus meinem Urlaub ohne manuelle Objektiveinstellungen entwickeln kann.

 

Rückblick und Fazit

Das Extragewicht war es wert. Die Freude an den Möglichkeiten mit der S1 hat die etwas eingeschränkte Handlichkeit aufgrund von Gewicht und Abmessungen jederzeit klar überwogen. Was nicht heisst, dass ich über eine paar hundert Gramm weniger Gewicht traurig gewesen wäre. Schliesslich war ich drei Wochen lang von morgens bis in die Nacht mit dieser Kamera unterwegs.

Was die Lumix S1 in Kombination mit dem Lumix S PRO 2,8/24-70mm möglich macht, ist beeindruckend. Auch wenn sie sicher nicht in erster Linie für Reisefotografen entwickelt wurde, so kann sie mit dem Standardzoomobjektiv höchster Güte in vielen Einsatzbereichen überzeugen – Portrts, Landschaft, Fotografie bei schlechten Lichtverhältnissen, Makroaufnahmen, etc.. Durch die robuste Bauweise ist diese Kombination bestens gewappnet für den Einsatz bei Spritzwasser in den Backwaters, bei grossen Staubwolken auf Elefantensafari und im Gedränge des öffentliche Personennahverkehrs in indischen Grossstädten. Besonders überzeugt haben mich neben der hohen Bildqualität die vielseitigen Autofokusmodi und der elektronische Sucher. Leider war es nur ein Testgerät, gerne hätte ich es behalten.

Text und Bilder: Michael Bolleber

 

Kurzporträt Michael Bolleber

Ich wohne und arbeite in Zürich – als Business Engineer und IT-Projektleiter im Nahrungsmittelbereich. 2006 habe ich mir im Alter von 30 Jahren meine erste Kamera gekauft, auf Anraten eines guten Freunds, um von meinem Arbeitsaufenthalt in Marokko nicht ganz ohne Erinnerungen zurück zu kommen. Es war eine einfache digitale Kompaktkamera, auf die jedoch bald bessere folgen sollten. Wenige Jahre später entschied ich mich für die erste Spiegelreflexkamera.

Mit dem grösser werdenden Interesse für die Fotografie hat sich auch meine Wahrnehmung meiner Umwelt geändert. Ich denke viel mehr in Bildern und habe einen Blick für Lichtstimmungen und interessante Perspektiven, selbst wenn ich ohne Kamera unterwegs bin. Als Hobbyfotograf fotografiere ich hauptsächlich auf der Strasse und in der Natur, egal ob in der Schweiz oder im Ausland.

Reisen wie die durch Südindien bieten viele besondere Motive, und mit einer wirklich guten Kamera macht das Fotografieren und die anschliessende Entwicklung der RAW-Aufnahmen noch mehr Freude. Schon vor meinem Test der Lumix S1 habe ich mich mit dem Umstieg auf ein spiegelloses System beschäftigt, nun bin ich dank der sehr positiven Erfahrungen mit der S1 meiner Entscheidung ein ganzes Stück näher.

 

 

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