Urs Tillmanns, 27. Juli 2020, 15:00 Uhr

Geta Brătescu – ein Leben für die Kunst

Geta Brătescu (1926-2018) war nicht Fotografin, und die Exponate in der retrospektiven Ausstellung, die noch bis 15. November 2020 dauert, sind vorwiegend grafische Gestaltungen, in denen die Fotografie und der Film eine wichtige Rolle spielen.

Georgeta Comănescu, wie die Künstlerin mit ihrem ledigen Namen hiess, wurde am 4. Mai 1926 in Ploiești, Rumänien, als einziges Kind einer Apothekerfamilie geboren. Sie interessierte sich schon früh für das Zeichnen, die Literatur und das Theater und schrieb sich 1945 an der Bukarester Fakultät für Literatur und Philosophie ein. Allerdings wird sie 1948 aufgrund ihrer bürgerlichen Herkunft von der Kommunistischen Partei vom Hochschulstudium ausgeschlossen und arbeitet fortan freiberuflich und als technische Zeichnerin.

Im ersten Raum ist die Biografie von Geta Brătescu zu finden, sowie die neunteilige Fotografie «Alteritate» 2002 – 2011 (oben rechts). Am informativen Video «The Gesture, the Drawing» von 2018 zu verweilen, lohnt sich.

Die Beziehung zur Fotografie und deren Einflussnahme auf ihre Werke, beginnt 1951 mit ihrer Beziehung zum Ingenieur und passionierten Fotografen Mihai Brătescu, der ihre Werke stark beeinflusst und Geta auch oft als Model für seine Werke und Experiment wählt. So kommt es, dass auf den meisten Fotos in der Ausstellung Geta mit im Bild ist.

Allerdings sind die Fotos nicht Schwerpunkt der Ausstellung, sondern ihre grafischen Arbeiten. Neben collagierten Arbeiten auf Papier, fotografisch oder filmisch festgehaltenen Performances sowie repräsentativen Serien von Selbstbildnissen, bilden raumgreifende Installationen aus fragilen Materialien Bestandteil der Präsentation. Im Zentrum stehen dabei Werke aus den 1970er und 1980er Jahren, die formale Ähnlichkeiten mit zentralen Positionen des Postminimal aufweisen.

Ein Schwerpunkt der Ausstellung ist die Fotomontage «Magneți în oraș» (Magnete in der Stadt, 1974/2016) mit den kompositorischen Detailsbildern «Magneti», sowie ihre Selbstdarstellung im Spiegel «Autoportret în oglindă» aus dem Jahr 2001

In Zusammenarbeit mit dem rumänischen Konzeptkünstler Ion Grigorescu (*1945 Bukarest) entstehen zwei Videos, 1977/78, die neben dem Atelier die Künstlerhände thematisieren. Diese Hände sind auch für die Medien der Zeichnung und der Collage wichtig, die zeitlebens den Dreh- und Angelpunkt ihres künstlerischen Schaffens bilden. In den 1980er Jahren beginnt sie mit geschlossenen Augen zu zeichnen. Ein Vorgehen, das sie auch später immer wieder aufnimmt. Sie ersetzt in den 1990er Jahren den Stift durch die Schere, so dass der Schnitt durch das Papier dem zeichnerischen Strich entspricht, der eine farbige Fläche umspannt und definiert.

In den 1950er-Jahren finden ihre Werke öffentlich wieder mehr Anerkennung. Sie wird 1957 in die Rumänische Künstlervereinigung UAP aufgenommen, was ihr Reisen in die UdSSR, nach Ungarn und nach Polen ermöglicht. Seit 1963 arbeitet sie Künstlerin für das Magazin Secolul 20 (20. Jahrhundert), das wichtigste intellektuelle Publikationsorgan Rumäniens. Über 20 Jahre lang verantwortet sie die grafische Gestaltung des Magazins, dessen Profil für ihre Laufbahn von entscheidender Bedeutung ist. Brătescu widmet sich einer Vielzahl von Themen der klassischen und modernen Literatur, die mit dem Programm der Zeitschrift eng verflochten sind. 1966/67 folgen erste Aufenthalte in Italien. Stilistisch wird ihr Werk in dieser Zeit durch die dokumentarische Zeichnung geprägt.

Besonders interessant ist sie Installation «Secrete» aus dem Jahr 2002, eine zehnteilige Collage mit Modefotos, die aus Modezeitschriften stammen. An der Wand sind die Werke «Cărți ritualice» (1991) und «Forma magică» (2008 und 2013) zu sehen. 

Eine wichtige Rolle in der Ausstellung spielen die Videos, in welchen Geta Brătescu ihre Arbeitsweise vorstellt und ihre Werke kommentiert. «L’art c’est un jeu sérieux» ist einer der Kernsätze von Geta Brătescu, welcher der Ausstellung ihren Namen gegeben hat und die Philosophie von Getas Schaffen charakterisiert. Die Werke sind nicht einfach aus Intuition entstanden, sondern die Künstlerin verfolgte in ihrem Schaffen klare Konzepte nicht zuletzt auch zu theoretischen und formalen Debatten ihrer Zeit. Heute zählt Geta Brătescu zu den bedeutendsten rumänischen Avantgardistinnen des 20. Jahrhunderts: Sie vertrat ihr Land auch an der Biennale di Venezia 2017.

Die von Lorenz Wiederkehr kuratierte Ausstellung ist noch bis 15. November 2020 zu sehen im

Kunstmuseum St.Gallen
Museumstrasse 32
CH-9000 St. Gallen
Tel. 071 242 06 85

Weitere Informationen finden Sie unter www.kunstmuseumsg.ch

Situationsfotos: Urs Tillmanns / Fotointern.ch

Schreibe einen Kommentar

  • Kommentare werden erst nach Sichtung durch die Redaktion publiziert
  • Beachten Sie unsere Kriterien für Kommentare im Impressum
  • Nutzen Sie für Liefer- und Kontaktnachweise die Angaben im entsprechenden Artikel
  • Für Reparaturanfragen und Support bei Problemen wenden Sie sich bitte direkt an den Hersteller (siehe dessen Website) oder Ihren Händler
  • Beachten Sie, dass Fotointern.ch eine reine und unabhängige Informationsseite ist und keine Waren verkauft oder vermittelt
  • Ein Kommentar darf maximal 800 Zeichen enthalten.

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Noch 800 Zeichen

Werbung

Abonnieren Sie jetzt Fotointern per E-Mail direkt in Ihr Postfach und verpassen Sie keine Beiträge mehr. Wir nutzen MailChimp für den Versand. Weitere Infos finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Ihr Browser ist veraltet!

Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser, um diese Website korrekt dazustellen.Den Browser jetzt aktualisieren

×