Den meisten, die in den letzten vier Jahrzehnten eine Fotografenausbildung an der Schule für Gestaltung in Zürich genossen haben, kennen Jost J. Marchesi, oder zumindest sein legendäres «Photokollegium», das an vielen Foto-Ausbildungsstätten, über die Schweizergrenzen hinaus, zu einem der wichtigsten Lehrmittel geworden ist. Seit ein paar Jahren ist Jost pensioniert und kann – wie könnte es anders sein – von der Fotografie nicht ganz ablassen.
Etwas hat ihn von jeher fasziniert, nämlich die Camera obscura als Urform der Kamera. «Seit ich pensioniert bin, kann ich mir die teuren Objektive nicht mehr leisten …» sagt er scherzhaft. Der Grund, weshalb er sich heute mit der Lochkamera befasst, ist ein ganz anderer …
Rathaus und Grossmünster, Zürich
Münsterbrücke, Zürich
Das physikalische Phänomen der Camera obscura ist seit mehr als zwei Jahrtausenden bekannt. Man schreibt die Entdeckung der Erscheinung, dass Licht, das durch ein kleines Loch in einen dunklen Raum einfällt auf der gegenüberliegenden Wand ein seitenverkehrtes und kopfstehendes Bild erzeugt, den Griechen zu. Vor allem Aristoteles (384–322 v. Chr.) im 4. Jahrhundert v. Chr. hat dieses Phänomen erstmals beschrieben und viele andere Wissenschaftler, wie der arabische Gelehrte Ibn-al-Haitham (965 – 1040) oder Leonardo da Vinci (1452–1519), haben sich seither intensiv mit diesem Abbild befasst. Und während all diesen Jahrhunderten haben Zeichner und Maler diese Erscheinung praktisch genutzt, um sich die Arbeit zu erleichtern, und Wissenschaftler haben verzweifelt versucht, dieses Bild mit chemischen Mitteln zu fixieren. Und so ist die Fotografie entstanden …
Surfen an der Atlantikküste
Salins-des-Giraud (Bouches-du-Rhône, Frankreich)
Flamants roses
Fleures de soleil
So einfach das Prinzip der Camera obscura ist, so tückisch ist es, damit ein einigermassen scharfes Bild zu erzeugen. Das kleine Loch muss exakt den idealen Durchmesser zur Brennweite haben. Ist es zu gross, ist das Bild unscharf, ist es zu klein, leidet die Schärfe bereits wegen Beugungsfehlern. Vielleicht ist es gerade dieser Nervenkitzel, welcher Jost dazu getrieben hat, sich als Pensionshobby mit dem bildgebenden Loch minutiös zu befassen, um die bestmögliche Qualität herauszuholen.
Nottreppe im Gaswerk
Impressionen aus einem Kieswerk
Natürlich dient ihm heute als Werkzeug nicht mehr die legendäre Ovomaltine-Büchse, mit welcher er jeweils seinen Studenten das Phänomen in einem spannenden physikalisch-chemischen Experiment erklärte. Die Welt ist digital geworden – und so auch die Lochkamera. Heute dient der Gehäusedeckel der digitalen Spiegelreflexkamera als bildgebendes «optisches» Element, in welchen Jost ein munzigkleines Loch gebohrt hat. Aber eben – wie gross muss es idealerweise sein? Mit dieser modernen Technik hat die Lochkamera-Fotografie die Farbe als neues Gestaltungselement gewonnen.
Gondeln an der Piazza San Marco in Venedig
Dogenpalast und Piazza San Marco in Venedig
Die Bilder, welche Jost J. Marchesi heute auf seiner Webseite galeriaobscura.ch präsentiert und diese als originelle und aussergewöhnliche Œvres verkauft, spiegeln mit ihrem gemäldehaften Charakter einen besonderen Charme wider. Sie sind nicht eigentlich unscharf, sondern eher «verschwommen» – ein sonst in der Fotografie unbeliebtes, da selten zutreffendes Adjektiv. Dabei faszinieren die verlaufenden Konturen mit zarten Übergängen und bunten Farben und verleihen den Bildern mit eigenartiger Originalität eine ganz besondere Note.
Impression eines Friedhofs in Venedig
Schwarzweiss-Impression eines Friedhofs in Venedig
Marchesi vermittelt auf seiner Webseite galeriaobscura.ch ein breites Angebot an Werken als zertifizierte Kleinauflagen. Er achtet bei der Herstellung der FineArt-Prints auf höchste Archivqualität des Materials für Passepartouts und Rahmen, so dass die Bilder als besondere Geschenke viele Jahrzehnte überdauern sollten.
Triptychon der Blauen Stunde in Venedig
Sonnenuntergang
Text: Urs Tillmanns
Hier geht es zur Website Galeria obscura von Jost J. Marchesi
Biografie
Nach seiner Erstausbildung zum Primarlehrer hat sich Jost J. Marchesi vollumfänglich der Fotografie verschrieben. Nach einer Fotografenlehre studierte er Foto-Ingenieur, betrieb ein Fotostudio für Werbe- und Modefotografie und wurde nach bestandener Meisterprüfung als Fachlehrer für Fotografie an die Schule für Gestaltung Zürich berufen. Während seiner Lehrtätigkeit erlebte Marchesi den Wandel von der analogen zur digitalen Fotografie und baute die notwendigen Erkenntnisse dazu und zur elektronischen Bildbearbeitung in seinen Unterricht ein.
Parallel zu dieser Tätigkeit verfasste er etliche Lehrmittel, wie das dreibändige «Handbuch der Fotografie», das legendäre «Photokollegium» als offizielles Lehrmittel an Fotoschulen im deutschsprachigen Raum sowie die «Canon Fotoschule» und weitere Fachbücher zur Grossformat-Fotografie und zur Beleuchtungstechnik.
Seit seiner Pensionierung widmet sich Marchesi der kreativen Fotografie mit der Lochkamera und stellt seine Kenntnisse des digitalen Farbworkflows von der Aufnahme über den Monitor bis zum abgestimmten Druckergebnis beratend und unterrichtend zur Verfügung.
Hallo
Nachdem ich mich über ein Jahrzehnt um maximale Auflösung mit der kritischen Blende und Fokus Stacking beschäftigt habe,
das PHOTOKOLLEGIUM mehrfach durchgeackert und inzwischen pensioniert bin,
lese ich immer öfter die ersten Seiten der PHOTOKOLLEGIUM Band 2, „Fotografieren ohne Objektiv“.
Zur Entspannung keine Probleme mit den Aberrationen, lediglich etwas verschwommen, aber stimmungsvoll.
Kleine, saubere Löcher in Alu-Folie zu fertigen ist nun mein Passion.
Kurt
Die schärfsten Pinholes kommen von James Guerin- Reality So Subtle. Werd die gelegentlich mit anderen vergleichen auf digital und analogkameras. James baut auch Kameras mit gewölbter Filmebene um Lichtabfall massiv zu vermindern. Bisher 6×6 bis 8×10 inch Pinholekameras aller Art. Hat neues Produkt angekündigt-4×5 inch Kamera aufgegeben.
Jost Marchesi ist nicht nur der Doyen der Fotografen-Ausbildung, er zeigt mit diesen Aufnahmen auch, dass er ein überzeugender Gestalter ist und die technischen Mittel zugunsten des eigentlichen Ziels einzusetzen vermag: Der inspirierenden Fotografie. Die Aufnahmen gefallen mir sehr gut!