Kurz vor Weihnachten erschien das Werk «Vom Holzschnitt zum Smartphone» von Hans Rudolf Gabathuler und Dieter Fey. Das Buch deckt die vielfältigsten Interessen all jener ab, die an der Geschichte der Bildmedien interessiert sind, und dies am Beispiel des Städtchens Diessenhofen und seinen bildschaffenden Künstlern (Fotografen, Maler, Lithografen, Zeichner, Amateure u.a.).
Interessante Klarstellung: Die Autoren sprechen konsequent von «Bildmedien», nicht einfach von «Fotos» oder «Bildern», weil nach dem kanadischen Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan «die Kanäle der Informationsübertragung möglicherweise wichtiger sind als die Bildinformation». Es ging demzufolge den Autoren nicht in erster Linie darum einen schönen Bildband zur Geschichte von Diessenhofen zu schaffen, sondern die Geschichte der verschiedenen Bildmedien, von frühesten Zeichnungen und Lithografien über Gemälde bis hin zu fotografischen Darstellungen und deren historischer Wandel aufzuzeigen. Damit hat Diessenhofen ein wohl einmaliges Geschichtsbuch bekommen, das die verschiedensten Arten von Bildwerken und ihrer Verfahren aufzeigt.
Dass dabei die Fotografie eine dominante Rolle einnimmt, ist einerseits auf die Bedeutung und Popularität dieses Mediums zurückzuführen, anderseits aber auch auf den grossen Bestand seltenster Fotos, sowohl in den Sammlungen der beiden Autoren als auch in verschiedenen öffentlichen und privaten Archiven. Die Erfinder der Fotografie und ihre Verfahren werden ebenso aufgezeigt, wie das Schaffen frühester Schweizer Fotografen, wie beispielsweise des Daguerreotypisten Johann Baptist Isenring (1796-1860), der als Reisefotograf in vielen Städten der Schweiz und Südbadens Halt machte, wahrscheinlich auch in Diessenhofen, wie die Autoren vermuten. Dann wird die leider verschollene, stark kolorierte Kalotypie «Mutter mit Kind» gezeigt, die 1844 vom damals 13-jährigen Anton Keller (1831-1852) mit einer selbst gebastelten Kamera nach dem komplizierten Verfahren von Henry Fox Talbot entstand. Sie gilt als die älteste Fotografie, die in Diessenhofen entstanden war. Dann sind verschiedene lokalhistorische Ereignisse wichtig, wie Brände und Katastrophen, allen voran aber die Bombardierung von Diessenhofen vom 9. November 1944. Weiter geht das Buch auf die verschiedenen Fotografen und Fotohändler ein, die in Diessenhofen domiziliert waren, vor allem auf die beiden bekannten Fotografen Boleslaw Dobrzanski (1843-1916) im Haus «zur Höll» und Max Seidel (1904-1993) als Mitbegründer des modernen Fotojournalismus, welche nicht nur die lokalen Ereignisse Diessenhofens dokumentierten, sondern mit ihrem Bildschaffen international bekannt wurden. Das Schaffen von Max Seidel wird mit verschiedenen Druckbelegen von Reportagen der 1930er- bis 1950er-Jahre gewürdigt, die vor allem in der «Zürcher Illustrierten» und der «Schweizer Illustrierten Zeitung» erschienen waren.
Wenn die meisten Geschichtsbücher spätestens mit dem Ende des 20. Jahrhunderts enden, geht dieses Buch mit dem Kapitel «Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Erfindung des Smartphones», bis in die Gegenwart. Das letzte Bild des Buches zeigt sogar die Grenzschliessung vom 20. März 2020 auf Grund der Corona-Pandemie, die einmal in die Geschichtsbücher eingehen dürfte. Mit verschieden farbigen Seiten bietet das Werk immer wieder Zusatzinformationen zur generellen Geschichte der Bildmedien und zu deren lokalen Bedeutung für Diessenhofen, wobei einzelne besonders wichtige Aspekte in farbig unterlegten Kasten betont werden. Man richtet sich damit an den Schnellleser des Buches, der an einer bestimmten Begebenheit interessiert ist oder das Buch einfach nach Interessantem durchstöbert. Und davon gibt es auf den mehr als 330 Seiten vieles …
Für wen ist dieses Buch? Es ist weit mehr als eine illustrierte Geschichte von Diessenhofen, aber es ist auch kein Buch ausschliesslich zur Fotogeschichte. Es deckt als grosszügigen Exkurs zur Entwicklung von Bildmedien alle Epochen und relevanten Verfahren ab und erreicht somit eine sehr vielfältig interessierte Leserschaft. Es ist jedoch kaum ein Buch, welches man von vorne bis hinten durchliest, sondern viel mehr eines zum Stöbern, Staunen und Recherchieren. Für Diessenhofen ist es ein dokumentarischer Meilenstein, für Leser, die generell an der Geschichte von Bildmedien interessiert sind, ein einmaliger und bedeutender Wissensfundus.
Urs Tillmanns
Buchbeschreibung des Verlages
Seit dem Mittelalter wurden Städte und ihre Bewohner in Bildern festgehalten. Zuerst durch Künstler und Kartografen und seit Mitte des 19. Jahrhunderts auch durch Photographen. Andere Bildmedien wie Film und Fernsehen kamen mit der Zeit hinzu, und in den letzten Jahren wurde die Welt durch Computer, Internet, Smartphone und Soziale Medien so grundlegend verändert, dass man bis zur Erfindung des Buchdrucks zurückgehen muss, um ein ähnlich einschneidendes Ereignis zu finden. Der Buchdruck hat zur Reformation, zum Dreissigjährigen Krieg und zur Aufklärung geführt – wohin führt «Big Data»?
Die mittelalterliche Kleinstadt Diessenhofen, die am Rhein zwischen Stein am Rhein und Schaffhausen liegt, ist ein gutes Beispiel, um diese Entwicklung der Bildmedien in den letzten 500 Jahren aufzuzeigen. Aus weit über tausend Bildern wurden etwa 700 Beispiele ausgewählt. Holzschnitte, Kupferstiche, Lithographien und Photographien bis hin zu Smartphonephotos und Selfies, die auf den Sozialen Medien gepostet wurden, werden abgebildet und im geschichtlichen Kontext zu Diessenhofen beschrieben.
Diessenhofen ist «photogen», entsprechend häufig wurde es im Bild festgehalten. Doch nicht allein die Inhalte der Bilder sind entscheidend: Neue Medien bewirken, unabhängig von ihren Inhalten, eine Veränderung der Wahrnehmung und des Denkens der Menschen. Dies bedeutet, dass die Aufmerksamkeit nicht allein auf die Inhalte der Bilder von Diessenhofen (Stadtansicht, Siegelturm, Holzbrücke …) gerichtet wird, sondern auch auf die Art der Herstellung und Verbreitung dieser Bilder (Holzschnitt, Analogkamera, Smartphone …).
Der Inhalt
lnhaltsverzeichnis
Einleitung und Dank / Vorbemerkung / Wovon handelt das Buch und wie ist es aufgebaut? / Was sind Bildmedien? / Wieso «Bildmedien» und nicht einfach «Schöne Bilder von Diessenhofen»?
Diessenhofen im Mittelalter
Die Höfe des Diezo / Durch die Kyburger zur Stadt erhoben / Das Kloster St. Katharinental / Das Graduale von St. Katharinental / Das Diessenhofer Schwesternbuch / Prozessionale aus dem Kloster St. Katharinental / Das Diessenhofer Liederblatt / Bildmedien und Kommunikation i m Mittelalter / Bilder und Trinkstuben im mittelalterlichen Diessenhofen
Erste Bilder der Stadt Diessenhofen
Eroberung Diessenhofens durch die Eidgenossen / Phantasie-Ansichten / Baugeschichtlich zuverlässigere Darstellungen / Vergleich einiger Diessenhofer Bauwerke / Wappenscheibe der Stadt Diessenhofen / Heilige Diessenhofer Klosterfrauen / Diessenhofer Ärzte und Apotheker Brunner und Aepli / Technische Reproduktion von Schrift und Bild / Popularisierung und Demokratisierung des Bildes in Diessenhofen
Diessenhofen kommt zum Kanton Thurgau
Diessenhofen von der Helvetik bis zum Wiener Kongress / Zeitgenössische Darstellungen Diessenhofens und seines Klosters / Dampfschifffahrt auf Untersee und Rhein / Bau der Hauptstrasse und der Rheinhalde / Gründung des Schweizerischen Bundesstaates / Grenzkorrektur zwischen Gailingen und Diessenhofen / Erfindung der Fotografie / Erste Massenmedien in Diessenhofen
Erste Fotografen in Diessenhofen
Anton Keller / Reisende Fotografen-Ateliers / Jacques Küchlin / M. Benon und K. Wysocki / Karl Wagner / lnternierung von Soldaten der Bourbaki-Armee in Diessenhofen / Rotfärberei und Zeugdruck im Oberen Amtshaus und Hänkiturm / Die Spielkarten- und Carton-Fabrik von Johannes Müller / lnternationale Verbandstoff-Fabrik und Familie Ettinger in der Rheinmühle / Fortschritte in der Fotografie / Die Fotografie kommt nach Diessenhofen
Die Fotografendynastie Dobrzanski im Haus «zur Höll»
Übersicht / Quellenlage / Sprachliche Probleme / Bedeutende Vorfahren und Zeitgenossen mit dem Namen Dobrzanski / Boleslaw Dobrzanski senior / Todesanzeige, Nachruf und Totenregister / Porträtfotografien / Die Fotomontage «Männerchor „Rhein“» / Der Gründer des «Anzeigers am Rhein» Louis Stephan / Diessenhofer Ansichten / Eine Anekdote von Jean Gnädinger / Boleslaw Dobrzanski junior / Stanislaw Dobrzanski / Miro Dober / Edmondo Dobrzanski / Theodor Dobrzanski / Bau der Eisenbahnlinie Schaffhausen-Romanshorn / Gasbeleuchtung und erstes Automobil in Diessenhofen / Erfolgreiche Diessenhofer Opernsängerin / Diessenhofer «Miscellen» / Popularisierung der Fotografie / Erste Amateurfotografen in Diessenhofen
Grögli und Bernauer im Haus «zur Höll»
Häufige Besitzerwechsel i m Haus «zur Höll» / Jules Grögli / Otto Bernauer / W. Zimmermann / Jakob Vetterli / E. Gubler-Fischer / Franz Ehinger / Ansichtskarten-Verlage und -Verkaufsstellen in Diessenhofen / Die Maler August Schmid und Carl Roesch / Diessenhofer Freilichtspiele / Das erste Kinotheater im Haus «zum Widder» / Zünfte und Vereine / Diessenhofer «Miscellen» / Diessenhofens deutscher Nachbarort Gailingen / Situation der Juden in Diessenhofen und Gailingen / Jüdische Geschäfte in Diessenhofen / Leica, Rolleiflex, Kodak, Agfa / Diessenhofer Fotohändler und Radio-lnstallateure
Max Seidel im Haus «zur Höll»
Schweizerischer Vaterländischer Verband und Frontenbewegung / Seidels erste Reisereportagen in den 1920er Jahren / Max und Marianne Seidel kommen nach Diessenhofen / Arnold Kübler und die «Zürcher lllustrierte» / Seidel und die Schweizer Pressefotografie / Fotoreportagen für die «Zürcher lllustrierte» / Wechsel zur «Schweizer lllustrierten Zeitung» / «In freien Stunden» / Bisher unveröffentlichte Fotoreportage über den Bau des Rheinuferweges / Der «Spionagefall Seidel» / Waldvogel vs. Seidel / In hoffnungsloser Lage / Krieg, lnternierung und Verlust des Hauses / Neuanfang in Mittenwald / Heinrich Waldvogel – Diessenhofer Chronist des Zweiten Weltkriegs / Schweizer Fotojournalismus / Von der «Bildmässigen» zur «Neuen Fotografie» in Diessenhofen
Giger und Hadorn im «Photo-Atelier» und letzte Fotogeschäfte
Reparatur der Rheinbrücke / Hans Giger / Marguérite Hadorn / Kino «Urban» / Lokalfernsehen Diessenhofen «Tele D» / Diessenhofen als Drehort für einen Spielfilm über zwei Fotografen / Die letzten Fotogeschäfte in Diessenhofen / Hans D. Dossenbach / Derek Bennett / Olaf Breuning / Rückbesinnung auf die «gute alte Zeit» / Die Stadt verändert sich – Brände und Abbrüche / Die Hochwasser werden häufiger und die Sommer heisser / Auflösung des Simultanverhältnisses / Bau der Umfahrungsstrasse / Der Blick von oben / Von der analogen zur digitalen Fotografie / Diessenhofen in den Bildmedien nach dem Zweiten Weltkrieg
Posten, teilen, liken
Fragwürdiger Blick in die Zukunft / «Gute» und «schlechte» Bilder / Undurchschaubare Kamera-Algorithmen / Vom Berufsfotografen über den Amateurfotografen zum Knipser / Erinnerungsfotos, Selfies / «Das Medium ist die Botschaft»
Anhänge
Plan der Altstadt / Kurzbiografien / Literaturverzeichnis / Personen-, Orts- und Sachregister
Die beschriebenen Bildmedien:
Holzschnitt, Kupferstich, Radierung, Lithografie, Daguerreotypie, Fotografie, Film, Fernsehen, Digitalfotografie, Internet, Google, Smartphone, Facebook, Twitter, Instagram und Youtube
Die Autoren
Hans Rudolf Gabathuler ist Fotohistoriker, Spezialist für fotohistorische Literatur und Inhaber der privaten Sammlung Photobibliothek.ch in Diessenhofen.
Dieter Fey ist Lokalhistoriker und Inhaber einer umfassenden Sammlung von Bildern über Diessenhofen mit Schwerpunkt Holzschnitte, Stiche und Fotografien.
Bibliografie
Hans Rudolf Gabathuler und Dieter Fey: Vom Holzschnitt zum Smartphone. Diessenhofen in den Bildmedien.
331 Seiten, über 700 Bilder, gebunden, Hardcover, Format 24 x 30 cm
Sprache: Deutsch
Edition ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ, Diessenhofen, 2020
Gestaltung: Fritz Franz Vogel, Diessenhofen
ISBN 978-3-03858-406-3
Preis: CHF 40.00 (zzgl. Versand in der Schweiz CHF 13.00) / EUR 39.00
Bestellungen: info [at] photobibliothek.ch
oder über den Buchhandel und hier im Ausland bestellen.