Dreidimensionale Darstellung von Farbräumen
Wie bereits in der letzten Lektion vermutet, genügen die in der darstellenden Kunst verwendeten Farbtheorien berühmter Künstler und Lehrer genau so schlecht wie ein bisschen physikalisches Farbtheorie-Wissen, um alle sichtbaren und darstellbaren Farben in allen Helligkeits- und Sättigungsstufen eindeutig genormt zu kommunizieren. Proprietäre Farbmustersysteme eignen sich dazu ebenfalls nicht. Gesucht sind vielmehr genormte, absolut gleichabständige Farbraumsysteme, die sich – wenn notwendig – möglichst problemlos und verlustfrei in andere Farbräume transformieren lassen und mit denen auch Farbabweichungen mit einer eindeutigen Grösse bezeichnet werden können. Seit 1931 gibt es deshalb das CIE-Normvalenz-System, welches zusammen mit seinen Erweiterungen in der Farbkommunikation keinen Interpretationsspielraum mehr zulässt.
Kommen wir zurück auf unsere Überlegungen am Beispiel eines Malfarbenherstellers über die prozentualen Farbverhältnisse. Es wäre vor allem für die materielle Farbmischung optimal, man könnte angeben, wieviel von welcher Farbe notwendig ist, um eine genau bestimmte andere Farbe ausmischen zu können. In diesen Fällen handelt es sich aber um Farbpigmente, das heisst, es kommt nur die subtraktive Farbmischung in Frage, die nicht ohne weiteres gesetzmässigen Begebenheiten gehorcht. Eindeutig einer klaren Gesetzmässigkeit zu unterziehen ist dagegen die additive Farbmischung, bei der keine Absorption durch Farbstoffpigmente eintritt und dadurch bei einer Mischung ausschliesslich nur die Farbvalenzen der Einzelkomponenten wichtig sind. Diese Überlegungen hat bereits im Jahr 1853 Hermann Grassmann gemacht und die heute noch gültigen Grassmannsche Gesetze postuliert.
Begriffe
Farbreiz: Strahlung, welche durch Reizung der Netzhaut eine Farbwahrnehmung hervorruft.
Farbvalenz: Resultat des Farbreizes im menschlichen Auge bzw. das vom Auge für die Weiterleitung ans Gehirn erzeugte Farbsignal.
Primärvalenz: Grundfarbe in einem additiven Farbmischsystem (z.B. R, G, B).
Farbwert: Anteil der drei Primärvalenzen, die in einem bestimmten Farbreiz enthalten sind (z.B. Farbreiz A besteht aus den Mengenanteilen der Primärvalenzen 1R + 2 G + 3 B).
Um diese Gesetzmässigkeit zu verstehen, müssen wir uns der Grassmannschen Versuchsanordnung bedienen: Drei verschiedenfarbige Lampen, deren Lichtstärke variabel ist, wurden übereinander auf eine weisse Wand projiziert. Daneben projizierte man das Licht einer beliebigen vierten Lampe. Grassmann stellte nun die Aufgabe, durch Variationen der drei ersten Lampen genau die Farbe der vierten Lampe visuell nachzumischen.
Hermann Grassmann (1809 – 1877), Professor an einem Gymnasium in Stettin (heutiges Polen) postulierte 1853 in seiner Abhandlung «Zur Theorie der Farbenmischung» die Grundlagen zur Farbmetrik. Seine heute noch gültigen Postulate lauten (vereinfacht):
• Drei Parameter sind genügend, um die Farbe eines Lichts zu definieren
• Additive Farbmischungen sind stetig
• Das Resultat der additiven Mischung hängt allein von der visuellen Erscheinung der Einzelkomponenten ab und ist unabhängig vom physikalischen Ursprung.
Rasch stellt man bei der Versuchsausführung fest, dass das Gelingen der gestellten Aufgabe davon abhängt, wie man die Farben der drei Lampen gewählt hat. In sehr vielen Fällen gelingt das Nachmischen problemlos, wenn nämlich die Farben der ersten drei Lampen Blau, Grün und Rot sind. Grassmann stellte aber interessanterweise fest, dass mit einem Kunstgriff bei jeder denkbaren Kombination von vier Farben eine präzise Ausmischung vorgenommen werden kann, indem man nämlich dem vorgegebenen Licht der vierten Lampe das Licht einer der drei ersten Lampen zumischt. Wird die genaue Übereinstimmung nur mit diesem Kunstgriff erreicht, so spricht Gassmann von einer «uneigentlichen Mischung» (im Gegensatz zur «eigentlichen Mischung», mit der die Referenzfarbe ohne Kunstgriff nachgemischt werden kann). Zieht man diese uneigentliche Mischung mit in die Möglichkeiten ein, ergibt sich folgendes Mischgesetz: Wenn vier Farben vorliegen, ist es immer möglich, entweder mit drei Farben die vierte nachzumischen, oder zwei Farben paarweise so zu mischen, dass beide Mischungen identisch sind.
Auf den ersten Blick erkennt man in dieser Formulierung nichts Geniales, denn in der Praxis wird ja üblicherweise verlangt, die vierte Farbe mit den gegebenen «Grundfarben» nachzumischen, ohne die Referenz in irgendeiner Weise zu verändern. Das Gesetz sagt jedoch, jeder beliebige Farbreiz könne unter Verwendung von nur drei Farbreizen ausgemischt werden, wenn auch manchmal nur unter Einbezug der uneigentlichen Farbmischung. Die Bedeutung liegt daher nicht in der praktischen Anwendung, sondern in der Möglichkeit, damit beliebige Farben zahlenmässig zu beschreiben. Machen wir dazu ein Gedankenexperiment: Wir haben drei Lampen in den willkürlichen Farben Blau, Grün und Rot zur Verfügung und wollen ein ganz bestimmtes Gelb und ein ganz bestimmtes Blaugrün ausmischen. Die visuelle Ausmischung nach dem vorher erläuterten Grassmannschen Prinzip könnte zum Beispiel mengenmässig folgende Resultate ergeben: Gelb = 10 Teile Rot + 11 Teile Grün + 1 Teil Blau oder anders geschrieben:
Gelb = 10 R + 11 G + 1 B
Die Ausmischung ist in diesem Fall mit den drei Ausgangsfarben möglich, das heisst, es handelt sich um eine eigentliche Mischung.
In unserem nächsten Beispiel dagegen ist die direkte Ausmischung nicht möglich. Wir erreichen eine präzise Übereinstimmung nur mit uneigentlicher Mischung:
Blaugrün + 5 R = 5 G + 6 B
Ganz offensichtlich handelt es sich bei diesen Angaben um Gleichungen, die wir daher auch als solche behandeln und somit die Glieder transponieren dürfen. Die Blaugrün-Gleichung kann daher auch so geschrieben werden:
Blaugrün = 5 G + 6 B – 5 R
Das Minuszeichen zeigt die dabei notwendig gewordene uneigentliche Mischung an. Die Zahlenwerte der Gleichungen bezeichnet man als Farbwerte. Beliebige Kombinationen von vier Farbvalenzen lassen sich gemäss obiger Überlegung durch vier Zahlenwerte miteinander verknüpfen, was bedeutet, dass ausgehend von drei Primärvalenzen, jede beliebige vierte Farbvalenz schliesslich durch drei Zahlenangaben umschrieben werden kann (in unseren beiden Endformeln stehen rechts des Gleichheitszeichens immer drei Farbwerte).
Begriffe
Spektralreize: Einzelne Wellenlängen (des Spektrums) aus denen ein Farbreiz besteht.
Spektralwerte: Farbwert eines Spektralreizes (bezogen auf ein bestimmtes Primärvalenz-System).
Virtuelle Primärvalenzen (Y, Y, Z): Nicht real existierende, übersättigte Grundfarben durch deren Definition es möglich ist, sowohl bei eigentlichem wie auch uneigentlichem Farbmischen immer positive Spektralwerte zu erzielen.
Normalspektralwert (x, y, z): Farbwert eines Spektralreizes bezogen auf virtuelle Primärvalenzen (X, Y, Z).
Normfarbwert: Anteil der drei virtuellen Primärvalenzen, die in einem bestimmten Farbreiz enthalten sind.
Das Grassmannsche Postulat entstand aus dieser nunmehr nachvollzogenen Überlegung. Es sagt im Übrigen nicht, dass ein bestimmter Farbreiz durch ganz bestimmte Grundfarben mischbar ist, sondern es gilt allgemein, dass diese Mischung mit beliebigen drei Ausgangsfarben möglich ist, wobei allerdings keine Ausgangsfarbe verwendet werden darf, welche sich durch Mischung der beiden anderen herstellen lässt. Die drei verwendeten Grundfarben müssen voneinander linear unabhängig sein. Folgende Hinweise sind in diesem Zusammenhang wichtig: Jede Farbe kann durch drei Zahlenwerte umschrieben werden. Da das Ausmischen mit Hilfe des Auges erfolgt, muss man sich aber fragen, wie genau damit das Festlegen des Mischungsverhältnisses ist. Das menschliche Auge ist in dieser Hinsicht äusserst exakt, es kann zwei Farbreize bezüglich ihrer Identität mit einer sehr hohen Präzision beurteilen.
Durch die Grassmannschen Gesetze sind aber nicht nur zahlenmässige Farbbestimmungen durch das Experiment möglich geworden, sie gestatten vielmehr, Mischungsverhältnisse ausgehend von beliebigen anderen Primärvalenzen zu berechnen, sofern man dies einmal für drei festgelegte Grundfarben experimentell ermittelt hat. Die visuelle, experimentelle Ausmischung muss daher nur ein einziges Mal mit drei Primärvalenzen vorgenommen werden (vorzugsweise mit einer grösseren Gruppe von normalsichtigen Menschen; sogenannte «Normalbeobachter»). Das experimentelle Nachmischen der Spektralreize muss heute nicht mehr praktisch vorgenommen werden. Die entsprechenden Werte wurden bereits vor Jahrzehnten mit sehr hoher Sorgfalt ermittelt und bilden die Basis der farbmetrischen Literatur, aus welcher man die präzisen Werte übernimmt. Sind die Farbwerte für eine einzige Kombination von Primärvalenzen einmal experimentell bestimmt, lassen sich Umrechnungen für beliebige andere Primärvalenzen durch lineare Transformation vornehmen.
CIE-Normvalenzsystem
Im Jahr 1931 hat das CIE-Gremium (Commission Internationale de l’Eclairage) drei Primärvalenzen einheitlich festgelegt und mit den Buchstaben R, G und B bezeichnet. R = 700,0 nm; G = 546,1 nm; B = 435,8 nm. Die Wahl dieser Primärvalenzen ist willkürlich und allein durch technische Begebenheiten bestimmt. 546,1 und 435,8 nm sind z. B. typische Spektrallinien des Quecksilberspektrums und lassen sich daher einfach und eindeutig erzeugen.
Ausgehend von diesen Primärvalenzen bestand die Aufgabe, eine grosse Zahl von verschiedenen Farben (Farbreizen) experimentell nachzumischen. Jeder Farbreiz kann als additive Mischung der einzelnen Wellenlängen aufgefasst werden. Umgekehrt kann jeder Farbreiz einfach und ohne Zuhilfenahme des Auges wieder in seine einzelnen Wellenlängen, in die sogenannten Spektralreize, zerlegt werden. Durch diese Tatsache ist es möglich, eine sehr grosse Zahl von möglichen Farbreizen in eine bedeutend kleinere Anzahl von Spektralreizen zu überführen. Bedenken wir, dass das menschliche Auge vermutlich über 10 Millionen Farbreize noch unterscheiden kann (!), die Zahl der Spektralreize im sichtbaren Bereich des Lichts aber höchstens 400 beträgt, wird die Nützlichkeit der Überführung von Farbreizen in Spektralreize klar. Man kann die Zahl der Spektralreize ohne merkliche Nachteile sogar noch weiter vermindern, wenn man mehrere Wellenlängen zu einzelnen Paketen zusammenfasst und dabei das Spektrum in Spektralbereiche von beispielsweise 10 nm unterteilt. Durch diese einfache Massnahme reduziert sich die Anzahl der Spektralreize auf 40.
Spektralwerte für die Wellenlängen 400 bis 700 nm für die CIE-Primärvalenzen R (700.0 nm), G (546.1 nm) und B (435,8 nm). Zur besseren Darstellung in der Tabelle sind die Funktionswerte mit dem Faktor 1000 multipliziert.
Nur durch die Aufspaltung in Spektralreize sind jedoch noch keine Farbwerte entstanden. Diese lassen sich aber nach dem Grassmannschen Gesetz berechnen, sofern die Farbwerte ihrer Mischungskomponenten bekannt sind. Aus diesem Grund ist es nur notwendig, die Farbwerte dieser reduzierten Anzahl Spektralreize, die sogenannten Spektralwerte, experimentell einmalig zu bestimmen und als Funktion zwischen Wellenlänge und relativer Strahlungsenergie darzustellen. Die einzelnen Funktionswerte, mit denen die ausgewählten Primärvalenzen R, G und B in den ausgemischten Spektralreizen vertreten sind, bezeichnet man mit r(λ), g(λ) und b(λ); sie stellen mathematisch nichts anderes als die Mischungsbeträge dar, in denen die drei Primärvalenzen R, G und B vertreten sind. Negative Werte bedeuten, dass von der uneigentlichen Farbmischung Gebrauch gemacht werden musste. Da die Sättigung einer Mischfarbe bei additiver Mischung nicht grösser sein kann als die Sättigung der verwendeten Grundfarben, lassen sich Farben mit hoher Sättigung nicht nachmischen. Um trotzdem zu positiven Spektralwerten zu gelangen, definierte man nicht existente, übersättigte Grundfarben. Mit Hilfe der Grassmannschen Gesetze sind Umrechnungen der Primärvalenzen R, G und B selbst in nicht existierende, sogenannte virtuelle Primärvalenzen möglich.
CIE-Normspektralwerte der Wellenlängen 400 bis 700 nm für die virtuellen Primärvalenzen X, Y und Z.
CIE wählte für die so errechneten virtuellen Primärvalenzen (auch virtuelle Tristimulus-Werte genannt) die Buchstaben X (virtuelles Rot), Y (virtuelles Grün) und Z (virtuelles Blau). Die schliesslich errechneten Normalspektralwerte heissen sinngemäss x(λ), y (λ) und z (λ). Verständlicher werden die oben tabellarisch aufgelisteten Normspektralwerte bei grafischer Darstellung mit Normspektralwertkurven, welche die spektrale Augenempfindlichkeit des sogenannten CIE-Normalbeobachters darstellt. Dabei hat die y (λ)-Kurve eine besondere Bedeutung. Sie wurde nämlich so gewählt, dass sie mit der spektralen Empfindlichkeit des helladaptierten Auges eines Normalbeobachters übereinstimmt. Das heisst nichts anderes, als dass der Normfarbwert Y eine direkte Aussage über die Helligkeit einer Farbe macht. Verdoppelt man bei einem gegebenen Farbreiz die Helligkeit, so verdoppeln sich ebenfalls alle drei Farbwerte.
Spektralwertkurven
Die virtuellen Primärvalenzen X, Y und Z wurden übrigens bewusst so gewählt, dass die Summe der Normfarbwerte für das ideale Weiss (Remission 1,0 bei allen Wellenlängen) genau 100 beträgt (bei idealem Weiss ist X = Y = Z = 100). Analog dazu führen andere Farbreize, deren Remissionswerte bei allen Wellenlängen gleich sind, zu drei gleich grossen Normfarbwerten, was für unser Auge ein Neutralgrau (unbunt) darstellt. Das Verhältnis der drei Farbwerte X, Y und Z kann wegen der oben erwähnten Verknüpfung als Information sowohl für den Farbton, wie auch für die Sättigung angesehen werden. Drückt man die Verknüpfung zahlenmässig aus, ergeben sich die Normfarbwertanteile x, y und z (siehe folgende Gleichung).
Aus der Gleichung sieht man, dass die Summe der Normfarbwertanteile immer 1 ist: x + y + z = 1. Diese Verknüpfung erlaubt, Farbton samt Sättigung mit nur zwei Zahlenwerten anzugeben (der dritte Wert ist immer errechenbar). Dabei ist es gleichgültig, welche zwei Werte gewählt werden. Man hat sich jedoch geeinigt, die Werte x und y anzugeben. Anstelle der Farbbeschreibung mit drei Normfarbwerten X, Y und Z kann die Farbbeschreibung somit samt Aussage über Farbton und Sättigung mit nur zwei Normfarbwertanteilen x und y vorgenommen werden. Spielt eine explizite Aussage über die Helligkeit eine Rolle, kann diese zusätzlich mit dem Normfarbwert Y angegeben werden.
Um die Zusammenhänge zu erkennen, müssen die Normfarbwerte grafisch aufgezeichnet werden, wobei man die Werte x und y in ein Koordinatensystem einträgt. Dadurch ist geometrisch jede Farbvalenz durch einen Punkt in der Ebene darstellbar. Weil die Summe von x + y + z gleich 1 sein muss, liegen die Farbvalenzen in einem gleichschenkligen Dreieck, dessen Eckpunkte die Koordinaten (Blau x = 0; y = 0), (Rot x = 1; y = 0) und (Grün x = 0; y = 1) besitzen (Farbdreieck).
Eckpunktkoordinaten des Farbdreiecks
Text © by Jost J. Marchesi
Abbildungen: Archiv Jost J. Marchesi
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Am nächsten Freitag in der 6. Folge: «Grundlagen der Farbmetrik 2»
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