Sie erinnern sich: In der letzten Lektion (5) haben wir zum Schluss die Normfarbwertanteile x und y in ein Koordinatensystem eingetragen, wodurch jede Farbvalenz durch einen Punkt in der Ebene darstellbar wurde. Weil die Summe von x + y + z gleich 1 sein muss, liegen die Farbvalenzen in einem gleichschenkligen Dreieck, dessen Eckpunkte die Koordinaten Blau (x = 0; y = 0), Rot (x = 1; y = 0) und Grün (x = 0; y = 1) besitzen.
Stellt man innerhalb dieses Dreiecks die aus den Normspektralwerten errechneten Normfarbwertanteile (die sogenannten Normspektralwertanteile) x und y grafisch in einer Ebene dar, entsteht eine Art hufeisenförmiger Kurvenzug, auf dem die Farborte der Spektralfarben 380 bis 770 nm liegen. Nur innerhalb dieses Kurvenzuges kann der Normalbeobachter Farbemissionen unterscheiden, ausserhalb der Kurve jedoch nicht. Schliesst man gedanklich den offenen Kurvenzug durch eine Gerade, liegen darauf die Magentatöne. Diese Gerade heisst deshalb Purpurlinie. Man kann Purpur (Magenta) keine Regenbogenfarbe zuordnen; es gibt keine Spektralverteilung mit einem Maximum, welche Magenta erzeugt. Deshalb ist Magenta auch nicht auf dem Kurvenzug vertreten. Magenta entsteht durch additive Mischung der beiden Enden des Spektralfarbenzugs Blau und Rot (in unserem Gehirn). Innerhalb des Spektralfarbenzugs und der Purpurlinie liegen sämtliche visuell unterscheidbaren Farbvalenzen, die sich durch additive Mischung aus den spektralen Primärvalenzen erzeugen lassen.
CIE-Farbendreieck 1931
Auf dem hufeisenförmigen Kurvenzug – der liebevoll oft auch als «Schuhsohle» bezeichnet wird – liegen die Farborte der Spektralfarben 380 bis 770 nm. Streng genommen trennt diese hufeisenförmige Kurve nicht etwa den sichtbaren Teil der Farben von den unsichtbaren, sondern den unterscheidbaren Teil der Emissionen von den nicht mehr unterscheidbaren. Eigentlich müsste man das CIE-Diagramm bis zu den Koordinatenachsen und bis zur Grenzgeraden x + y = 1 von der Grenzkurve aus in radialer Richtung mit der jeweils äussersten Farbe ausfüllen, um Fehlinterpretationen zu vermeiden. Eine solche Darstellung ist indes nicht üblich.
Da die Gesamtheit aller vom Menschen unterscheidbaren Farben (d.h. alle Farbwerte innerhalb des hufeisenförmigen Kurvenzugs) mit keinem Druckverfahren und keinem Bildschirm darstellbar sind, dienen die in der Grafik dargestellten Farben nur der visuellen Orientierung.
Die zweidimensionale Darstellung erlaubt jedoch nur eine Farbortsangabe durch die zwei Koordinatenzahlen x und y, welche eine kombinierte Auskunft über Farbton und Sättigung gibt, nicht aber explizit über die Helligkeit. Um diese mit dem Wert Y (Luminanz) darzustellen, muss die Darstellung um eine dritte Dimension erweitert werden. Trägt man in diesem dreidimensionalen Koordinatennetz die maximal möglichen Helligkeitswerte für jeden Farbort der Ebene auf, entsteht ein asymetrischer Höhenzug, da die wenigsten Farborte eine Maximalhelligkeit von Y=100 erreichen können.
Die vollständige und eindeutige Farbmasszahl für ein ganz bestimmtes Rot (in sprachlicher Umschreibung: helles, verweisslichtes Rot mit einer schwachen Tendenz gegen Orange oder sehr helles Braun) könnte nach diesem System beispielsweise x = 0.46; y = 0.287; Y= 13.0 lauten. Sogenannte Spektralfotometer können bei der Messung einer Körperfarbe solche eindeutige Farbwertangaben liefern und ermöglichen damit eine absolut präzise und unmissverständliche Farbkommunikation, die nichts mit den Zufälligkeiten von Abmusterungssystemen oder der Missverständlichkeit der Sprache zu tun hat.
Spektralfotometer von X-Rite
Im CIE-Farbendreieck kann man feststellen, dass die kurzwelligen und langwelligen Spektralfarben jeweils äusserst nah beieinander liegen. Die Spektralfarben von 380 bis 410 nm und diejenigen von 690 bis 780 nm haben sogar identische Farborte, was nichts anderes bedeutet, als dass unser Auge Licht in diesen Spektralbereichen überhaupt nicht unterscheiden kann.
Da der hufeisenförmige Spektralfarbenzug in einem rechtwinkligen und gleichschenkligen Dreieck liegt, wird als Mittelpunkt x = y = 0,333 betrachtet. Naheliegenderweise bezeichnet man diese Valenz als Mittelpunktvalenz, welche mit dem Buchstaben E bezeichnet wird. Die Mittelpunktvalenz E ist identisch mit dem Unbuntton (Grau). Die Verbindung eines beliebigen Punkts auf dem Spektralfarbenzug durch eine Gerade mit der Mittelpunktvalenz zeigt sämtliche Mischfarben zwischen der Spektralfarbe und der Unbuntvalenz an, das heisst, auf einer solchen Geraden liegt immer derselbe Farbton, mit abnehmender Sättigung gegen die Mittelpunktvalenz. Der Abstand eines Farbortes von der Mittelpunktvalenz kann daher als Mass für die Sättigung betrachtet werden.
Zwei Farborte, welche durch eine Gerade, die durch die Mittelpunktsvalenz verläuft, verbunden werden können, sind Komplementärfarben. Aus dem Koordinatenschnittpunkt x, y ergibt sich der Farbton mitsamt der Sättigung und der Wert Y in der senkrecht darauf stehenden Achse sagt, wie hell dieser Farbton ist.
Das CIELUV-System
Mit dem CIE xyY Farbsystem von 1931 lassen sich Farben exakt und reproduzierbar bestimmen, und dies, sowohl rechnerisch aus dem Spektrum, wie auch direkt messtechnisch mit einem Spektralfotometer oder einem 3-Farben-Colorimeter. Das System hat aber den grossen Nachteil, dass die so erhaltenen Farbkoordinaten schlecht mit der Farbempfindung des Menschen übereinstimmen; die Farben sind sehr ungleichmässig im Farbempfindungsraum verteilt.
1976 wurde deshalb von der CIE der CIELUV-Farbraum als Modifikation eines ursprünglich bereits 1964 vorgeschlagenen Farbraums eingeführt, der den erwähnten Mangel behebt und mit dem auch Farbdifferenzen anschaulicher umschrieben werden können. Zur Bestimmung der CIELUV-Koordinaten geht man von den Farbmasszahlen x, y und Y aus, indem zuerst die Normfarbwertanteile x und y ohne Berücksichtigung der Luminanz zu einer sogenannten gleichabständigen Farbtafel transformiert werden, welche die beiden Koordinaten u’ und v’ aufweist. Die Berechnung von u’ und v’ erfolgt aus x und y mittels zweier linearer Gleichungen, was im Prinzip nichts anderes darstellt, als eine lineare Verzerrung des CIE-Dreiecks.
CIE u’v’
Die gleichabständige CIE u’v’-Farbtafel 1976 eignet sich sehr gut zur Veranschaulichung farbmetrischer Zusammenhänge, wie sie zum Beispiel im Mehrfarbendruck, im Farbfernsehen bzw. auf dem Computer-Monitor vorkommen. Für die Darstellung abbildbarer Farbräume oder die Darstellung selbstleuchtender oder fluoreszierender Farben – zum Beispiel bei farbigen Bildschirmen – ist die u’v’-Farbtafel allen anderen Darstellungen deutlich überlegen. In der obigen Abbildung sind verschiedene Arbeitsfarbräume eingezeichnet, wie sie in der digitalen Bildverarbeitung Verwendung finden.
Die dreidimensionale Farbbeschreibung CIELUV entsteht, wenn die Koordinaten u’ und v’ unter Berücksichtigung der Helligkeit umgerechnet werden. Die helligkeitsbezogenen Koordinaten werden mit u* und v* bezeichnet. Bei der Umrechnung müssen die Koordinaten der verwendeten Beleuchtungslichtart in die Rechnung einbezogen werden. Schliesslich wird zur vollständigen Beschreibung die Helligkeit mittels einer Kubikwurzel-Gleichung aus dem Normfarbwert Y errechnet und im CIELUV-System mit L* bezeichnet. Aus den vollständigen Koordinaten L*u*v* lassen sich noch weitere (für die grafische Industrie) sehr wichtige Werte berechnen, so beispielsweise die Buntheit und die Sättigung, aber auch Farbtondifferenzen und Farbtonwinkeldifferenzen zwischen zwei Farbwerten – alles Masszahlen, die insbesondere im grafischen Gewerbe interessieren.
Das CIELAB-System
Ebenfalls im Jahr 1976 führte CIE das CIELAB-System ein, in erster Linie, um schon existierende Farbabstandsformeln zu vereinheitlichen. Die dem CIELAB-System zugrunde liegende Formel stellt einen guten Kompromiss zwischen der verlangten linearen Gleichabständigkeit der Farben mit vernünftig zumutbarem Rechenaufwand dar. Zur Abgrenzung von früher vorgeschlagenen LAB-Koordinaten werden die Koordinaten des CIELAB mit einem Stern bezeichnet: L*a*b*. Die Grösse L* ist identisch mit der Helligkeitskoordinate im CIELUV-System, die ja mit Hilfe einer Kubikwurzelberechnung aus Y entstanden ist. Im CIELAB-System entstehen auch die Koordinaten a* und b* durch dieselbe Rechnungsart aus den CIE-Normfarbwerten X, Y und Z und den Koordinaten der beleuchtenden Lichtart (im Wesentlichen der hauptsächlichste mathematische Unterschied zum CIELUV-System).
Der CIELAB-Farbraum. Links: die Lage der Farben im CIELAB-Farbraum. Rechts: Modell des dreidimensionalen CIELAB-Farbraums
Im CIELAB-System (oder CIE L*a*b*) liegen alle Farbtöne gleicher Helligkeit auf einer kreisförmigen, flachen Ebene, auf der sich die a*- und b*-Achsen befinden. Positive a*-Werte sind rötlich, negative a*-Werte grünlich, positive – b*-Werte gelblich und negative b*-Werte bläulich. Am Äquator der Farbscheibe liegen die reinen Farbtöne hoher Sättigung. Nach innen nimmt die Sättigung ab, im Zentrum ist sie null (Unbunt, Grau). Komplementärfarben liegen einander gegenüber. Die Helligkeit im kugelförmigen Farbkörper variiert in vertikaler Richtung von 0 (Schwarz) bis 100 (Weiss).
Farbabstand
Oft ist es notwendig, Farbabweichungen darzustellen, das heisst, die farblichen Unterschiede zweier Farben nummerisch zu erfassen. Möglich ist dies nur mit einem Farbsystem, das visuell gleich abständig ist (CIELUV und CIELAB). Nehmen wir die Masszahlen eines kräftigen Karminrots (Probe A) und vergleichen sie mit denjenigen einer zweiten Probe (Probe B), deren Farbe geringfügig blasser ist.
Farbwertunterschied
Die Gesamtheit der Abweichung setzt sich zusammen aus der Farbtondifferenz (Delta H*), der Helligkeitsdifferenz (Delta L*) und der Buntheitsdifferenz (Delta C*). Mathematisch sind diese drei Komponenten mit dem Farbabstand (Delta E) verbunden. Der Farbabstand Delta E ist eine Distanz im Farbraum und enthält daher kein Vorzeichen. Die drei anderen Komponenten dagegen sind Grössen, die sowohl negativ als auch positiv sein können. Als weitere Grösse wird vom Farbtonwinkel (h) gesprochen, der Winkel, unter dem ein Farbton vom Zentrum des Farbsystems aus gesehen wird, ausgedrückt in einer Winkelfunktion.
Die Definition der Farbabweichung (Farbabstand) hat beispielsweise dann eine Bedeutung, wenn ein Auftraggeber festlegt, wie gross die maximale Abweichung im Druck für seine Hausfarbe sein darf.
Text © by Jost J. Marchesi
Abbildungen: Archiv Jost J. Marchesi
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Am nächsten Freitag in der 7. Folge: «Normlichtarten und Farbräume»
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