Ein Objektiv sollte im Idealfall einen Gegenstandspunkt als scharfen Bildpunkt innerhalb der Schärfetoleranz abbilden. Der Abbildungsmassstab müsste dabei über das gesamte Bildfeld konstant bleiben. Diese Eigenschaften dürften auch nicht durch die Wellenlängen des Aufnahmelichts beeinflusst werden. Leider treten bei der Bilderzeugung durch Linsen oder Objektive eine Reihe verschiedenartiger Fehler auf, deren Summe die Abbildungstreue eines optischen Systems bestimmt, so dass es ein Objektiv mit den oben postulierten Anforderungen bis heute gar nicht gibt.
Abbildungsfehler
Durch sinnvolle Anordnung verschiedener Linsen aus unterschiedlichsten Glassorten lassen sich die im Einführungstext angedeuteten optischen Abbildungsfehler auf ein erträgliches Mass reduzieren, so dass beim Gebrauch eines Objektivs kaum mehr ein einzelner Abbildungsfehler deutlich als solcher in Erscheinung tritt.
Um den Korrekturzustand moderner Objektive beurteilen zu können, ist es jedoch notwendig, die bekannten sogenannten Seidelschen Abbildungsfehler einfacher Linsen und Systeme als solche einzeln zu kennen.
Chromatisch Aberration
Da der Brechungsindex eines durchsichtigen Mediums (siehe Folge 3) von der Wellenlänge des Lichts abhängig ist, tritt beim Durchgang von weissem Licht Dispersion ein. Dabei werden kurzwellige Strahlen (blau) stärker gebrochen als langwellige (rot). Geht weisses Licht durch ein Prisma, wird es in seine einzelnen Wellenlängen zerlegt. Es entsteht ein Spektrum, wie wir es auch vom Regenbogen her kennen.
Dispersion
Farblängsfehler
Bei der Brechung von Licht durch Linsen tritt ein gleicher Effekt ein, denn eine Linse lässt sich bekanntlich als Körper interpretieren, der aus lauter Prismen aufgebaut ist.
Eine Linse kann man sich aus lauter Prismen aufgebaut vorstellen.
Sendet man daher ein Parallelbündel weissen Lichts durch eine einfache Linse, entsteht nicht ein einzelner Brennpunkt. Vielmehr besitzt jede Farbe, das heisst sogar jede Wellenlänge der gebrochenen Strahlung, eine andere Bildweite, wie es die Abbildung für die additiven Grundfarben Blau, Grün und Rot zeigt.
Chromatische Längsaberration an einer Sammellinse
Je nach Glassorte liegt der Unterschied zwischen den Brennpunkten für blaue und rote Strahlung im Bereich von 2 % bis 5 % der Durchschnittsbrennweite. Die Differenz zwischen diesen Brennpunkten bezeichnet man als Fokusdifferenz. Sie stellt den eigentlichen Farblängsfehler (auch Farbortsfehler, Farbschnittweitenfehler) dar.
Chromatische Längsaberration an einer Zerstreuungslinse
Diesen chromatischen Fehler können Sie mit jeder Einzellinse – so auch mit einer einfachen Briefmarkenlupe – von blossem Auge nachprüfen. Betrachten Sie dazu mit der Lupe eine schwarze Linie auf weissem Papier. Je nach Distanz zwischen Lupe und Papier sowie Lupe und Auge sehen Sie am Rand der schwarzen Linie eine gelblich-rötliche oder eine blaue Schattierung.
Für die eigentliche fotografische Aufnahme mit weissem Aufnahmelicht und einem auf alle Farben empfindlichen Film (panchromatisches Material) oder Sensor ist die Abbildung immer unscharf, gleichgültig auf welche Wellenlänge man die Schärfe einstellt. Bestückt man zum Beispiel eine Mattscheibenkamera mit einem aus nur einer positiven Linse bestehendem Objektiv und stellt von Auge scharf, so steht die Mattscheibe irgendwo zwischen der Bildweite für grüne und für rote Strahlung, da unser Auge seine grösste Empfindlichkeit im Bereich von Gelb hat. Dieses Bild, auf das man von Auge eingestellt hat, bezeichnete man früher als «optisches Bild».
Fotografische Aufnahmematerialien (vor allem die früheren üblichen Filmmaterialien) weisen jedoch ihre grösste Empfindlichkeit im Bereich von Blau auf (was man damals sinngemäss als «chemisches Bild» bezeichnet hat). Eine scharfe Abbildung mit einem Objektiv, das mit chromatischer Aberration behaftet ist, wäre nur mit streng monochromatischem (absolut einfarbigem) Aufnahmelicht möglich.
Ein chromatisch nicht korrigiertes optisches System bildet aufgrund des nachfolgend beschriebenen Farbquerfehlers Gegenstandsflächen nicht für alle Wellenlängen gleich gross ab. Es entstehen Farbsäume, wie wir sie bei unserem Versuch mit der Briefmarkenlupe gesehen haben. Bei ungleich grossen Flächenabbildungen für verschiedene Farben spricht man vom Farbvergrösserungsfehler (Farbvergrösserungsdifferenz).
Farbquerfehler
Chromatische Aberration tritt nicht nur auf der optischen Achse auf, sondern auch bei schief einfallenden Bündeln. Diesen Farbfehler bezeichnet man als Farbquerfehler. Er beeinträchtigt besonders bei grossen Bildwinkeln die Bildqualität merklich und muss bei hochwertigen Objektiven besonders sorgfältig korrigiert werden.
Farbquerfehler
Wie bereits in Folge 8 angedeutet, tritt der Farbquerfehler auch bei modernen Weitwinkel-Objektiven (sofern diese nicht hervorragendst korrigiert sind) vor allem in der digitalen Fotografie störend in Erscheinung, indem – unterstützt durch das Randstrahlenproblem bei herkömmlichen, frontal beleuchteten Sensoren – am Bildrand erkennbare Unschärfen entstehen können.
Korrektur der chromatischen Aberration
Das Ausmass der chromatischen Aberration ist von der Glassorte abhängig. Stark brechende Gläser (mit hohem Brechungsindex) weisen normalerweise auch eine entsprechend höhere Farbzerstreuung auf als Gläser mit niedrigerem Brechungsindex. Durch Kombination von schwach (Krongläsern) und stark (Flintgläsern) zerstreuenden Glassorten mit unterschiedlichen mittleren Brechungsindizes lässt sich die chromatische Aberration verringern, wie es in der Abbildung vereinfacht mit blauem und rotem Strahl anhand von Prismen gezeigt wird (Achromasie).
Prinzip der Achromasie
Der Achromat
Betrachten Sie bitte noch einmal die Abbildungen 9.3 (Längsaberration an Sammellinse) und 9.4 (Längsabberration an Zerstreuungslinse). Sie stellen dabei fest, dass sich Sammel- und Zerstreuungslinse chromatisch gerade umgekehrt verhalten. Bei der Sammellinse werden blaue Strahlen stärker konvergiert als rote. Bei der Zerstreuungslinse hingegen werden die blauen Strahlen – weil sie einer stärkeren Brechung unterworfen sind – stärker zerstreut als die langwelligen roten Strahlen. Man spricht bei der Sammellinse von einer chromatischen Unterkorrektur, bei der Zerstreuungslinse von einer chromatischen Überkorrektur.
Die Stärke des Fehlers ist übrigens nicht abhängig von der Form der Linse (ihrer Durchbiegung), sondern lediglich von Glasart und Brennweite sowie von der Stellung der entsprechenden Linse im optischen Strahlengang.
Es liegt auf der Hand, dass sich die chromatische Aberration durch Kombination zweier entgegengesetzt brechender Linsen mildern lässt. Die Kombination einer stärkeren Sammellinse aus Kronglas mit einer schwächeren Zerstreuungslinse aus Flintglas führt die Brennpunkte von zwei Spektralfarben (Spektrallinie F‘ = 480,0 nm = Blaugrün und C‘ = 643,9 nm = Rot) zusammen. Es ist das einfachste farbkorrigierte Objektiv entstanden, der Achromat.
Achromat: Die zwei Wellenlängen für Blaugrün und Rot weisen die gleiche Brennweite auf.
Zwar sind dadurch nur zwei Farborte korrigiert. Dies genügt jedoch für Betrachtungszwecke. Daher sind Achromaten gebräuchlich für bessere Lupen und Okulare. Dies gilt auch für Systeme aus Kunststoff. Die für Kunststofflinsen verwendeten Materialien Polystrol und Acrylglas verhalten sich nämlich ähnlich wie Flint- und Kronglasarten.
Sekundäres Spektrum
Die nunmehr noch übrig bleibenden Restfehler des Farborts für die restlichen Wellenlängen werden als «sekundäres Spektrum» bezeichnet. Im modernen fotografischen Sprachgebrauch hat es sich eingebürgert, auch dann noch von einem sekundären Spektrum zu sprechen, wenn durch optische Kombinationen zwar mehr als nur zwei Farborte zusammengelegt wurden, trotzdem aber noch ein unkorrigierbarer Restfehler zurückbleibt, der sich bei manchen Aufnahmen – vor allem bei Fernaufnahmen mit langbrennweitigen Objektiven durch mangelnde Farbsättigung – nachteilig bemerkbar macht.
Erst die Verwendung von optischen Gläsern mit anormaler Teildispersion (ED-Gläser) haben es dem Objektivhersteller ermöglicht, das sekundäre Spektrum drastisch einzudämmen. Nikon beispielsweise schlägt daraus Kapital, indem dieser Hersteller Objektive mit ED-Gläsern mit einem dekorativen goldenen Schmuckring versieht.
Anormale Teildispersion
Im Lauf der Zeit ist es gelungen, Glassorten herzustellen, die sich bezüglich ihrer Dispersion nicht normal verhalten, sondern in spektralen Teilbereichen abweichen. Als Beispiel sei ein Glas erwähnt, das zwischen den Farborten Blau und Grün nur eine sehr geringe Dispersion aufweist, zwischen den Farborten Grün und Rot dagegen eine ausserordentlich grosse.
Je mehr solche unterschiedliche Gläser mit anormaler Teildispersion zur Verfügung stehen, umso mehr Parameter haben die Objektivhersteller für die Korrektur optischer – vor allem chromatischer – Fehler zur Verfügung.
Der Apochromat
Deutlich komplizierter aufgebaute Objektive aus mindestens drei, meist aber einer grösseren Anzahl von Einzellinsen (häufig 4 bis 6) aus verschiedenen Glassorten, ermöglichen gleiche Brennweiten für mindestens drei wichtige Wellenlängen:
F‘ = 480,0 nm = Blaugrün
C‘ = 643,9 nm = Rot
e = 546,1 nm = Gelbgrün
Üblicherweise werden solche Objektivtypen als Apochromaten bezeichnet. Der Korrekturzustand ist über den gesamten Bereich der fotografisch aktinischen (belichtungswirksamen) Wellenlängen genügend gewährleistet, das heisst, im Bereich von 400 nm bis 700 nm treten nur sehr geringfügige Brennweitenunterschiede auf, die sich in der praktischen Fotografie nicht bemerkbar machen.
Der Begriff «Apochromat» ist jedoch nicht genau definiert oder genormt, als dass man allein nur aus der Namensbezeichnung «apo-» eines Objektivtyps direkt auf seinen Korrekturzustand schliessen könnte. Es gibt auch Spezialobjektive bei denen die apochromatische Korrektur zusätzlich zum sichtbaren Spektrum sogar noch mehr oder weniger weit in den UV- und/oder Infrarotbereich reicht.
Farbige Rand-Artefakte
Eine zu Unrecht als chromatische Aberration bezeichnete Abweichung kann bei digitalen Kameras an den Bildrändern auftreten, wenn zur Aufnahme extreme Weitwinkel-Objektive herkömmlicher Bauart verwendet werden. Da die Sensoroberfläche im Gegensatz zum Film eine dreidimensionale Struktur aufweist, kann es am Bildrand zu Übergriffen auf benachbarte Pixel führen, was Farbinterferenzen und Artefakte entstehen lässt. Sofern die optische Korrektur des Objektivs auf den chromatischen Querfehler nicht bis zum Bildrand (und diese Korrektur ist sehr schwierig und demzufolge teuer) hochperfekt optimiert ist, wird die Bildung derartiger Artefakte noch unterstützt.
In Photoshop ist unter dem Filter Objektivkorrektur ein Punkt Chromatische Aberration zu finden, mit welcher man diese farbigen Ränder korrigieren kann (auch wenn die Bezeichnung dafür falsch ist). Im Camera-RAW PlugIn ist unter dem Menü «Objektivkorrektur» unter Punkt «Farbe» dieselbe (falsch bezeichnete) Korrekturmöglichkeit vorgesehen.
Entfernung farbiger Randartefakte im Camera RAW PlugIn von Photoshop
Sphärische Aberration
Unseren Betrachtungen in Folge 4, nach denen ein parallel zur optischen Achse einfallendes Bündel durch eine Linse auf einen einzelnen Punkt, den Brennpunkt, gebrochen wird, lagen starke Vereinfachungen zugrunde. In Tat und Wahrheit ist eine Linse nichts anderes als ein aus lauter Prismen aufgebauter Brechkörper. Die äusseren Linsenzonen entsprechen jedoch einem bedeutend stärker brechenden Prismenwinkel als die Linsenmitte.
Unterschiedliche Prismenwinkel zwischen Zentrum und Peripherie
Achsferne Randstrahlen werden deshalb stärker gebrochen und zu einem Brennpunkt näher der Linse konvergiert, als dies für achsnahe Strahlen der Fall ist. Diesen Fehler bezeichnen wir als sphärische Aberration, auch Kugelgestaltsfehler oder Öffnungsfehler genannt.
Sphärische Aberration und ihre Auswirkung
Die Brennweite der Linsenrandzone ist kleiner als diejenige der Linsenmitte, und somit entstehen je nach Linsenzone unterschiedlich grosse Bilder. Ein unendlich weit entfernter Gegenstandspunkt – der ja bekanntlich ein divergentes Strahlenbündel aussendet, das in unendlicher Entfernung als Parallelbündel angesehen werden kann – wird bildseitig nicht als Bildpunkt (Brennpunkt) dargestellt. Statt eines Brennpunkts entsteht ein Brennkörper mit einer mehr oder weniger ungenau ausmachbaren grössten Einschnürung. Die im Bildraum die gebrochenen Strahlen umfassende «Hülle» bezeichnen wir als Kaustik.
Stellt man mit einer solchen Linse bei geöffneter Blende scharf, so stellt das Auge die Mattscheibe automatisch auf den Ort der grössten Allgemeinschärfe; das ist dort, wo die Kaustik ihre engste Einschnürung aufweist.
Blenden wir nach der bei offener Blende erfolgten Scharfeinstellung ab, werden durch die Blende die Randstrahlen beschnitten, und das Bild wird nur noch durch die achsnahen Strahlen gebildet. Die beste Einstellebene wandert dabei nach hinten. Den Auszugsunterschied zwischen Scharfeinstellung bei offener und geschlossener Blende wird als Blendendifferenz bezeichnet.
Scharfeinstellung
Hinweis: Die Korrektur der sphärischen Aberration (wie im Übrigen anderer optischer Fehler auch) gelingt nicht für jeden Abbildungsmassstab und oft auch nicht ganz bis zum Rand des Bildwinkels. Die optischen Fehler verhalten sich zudem bei der Korrektur recht diametral – ist ein Fehler gut korrigiert, kann dafür ein anderer stärker in Erscheinung treten. Heute gelingt es, einen guten Korrekturgrad über weite Bereiche des Bildwinkels vorzunehmen, immer jedoch nur für einen bestimmten Abbildungsmassstab. Weicht man bei der Aufnahme stark von diesem Massstab ab, treten einzelne Fehler – so vor allem die sphärische Aberration – wieder stärker hervor. Daraus ergibt sich folgende Empfehlung:
Beim Fotografieren mit stark von der Norm (für die das betreffende Objektiv konstruiert ist) abweichendem Massstab sollte man statt mit offener Blende mit Arbeitsblende scharf stellen. Bei starken optischen Verschiebungen mit Fachkameras wird entweder mit Arbeitsblende scharf gestellt oder – wenn die Lichtverhältnisse diese Art der Scharfstellung nicht zulassen – auf einen Kompromiss zwischen Bildmitte und Bildecke.
Für normale Zwecke muss ein Objektiv für den vorgesehenen hauptsächlichsten Abbildungsmassstab sphärisch so gut wie möglich korrigiert sein. Es gibt indes bestimmte Zwecke, die den Einsatz eines sphärisch nicht korrigierten Objektivs rechtfertigen: Die sphärische Aberration führt je nach Einstelltechnik zu einer phantastischen Weichzeichnung. Echte Weichzeichner-Objektive sind mit sphärischer Aberration behaftet und erzeugen Bilder mit scharfem Bildkern, jedoch überlagerten «weichen» Lichtern. Die Bildresultate von echten Weichzeichnern sind in keiner Weise zu vergleichen oder zu verwechseln mit den eher faden Bildern, die mit Hilfe sogenannter «Soft-Vorsätze» erreicht werden, wobei es auch bei diesen sehr unterschiedliche Ansätze gibt.
Die Scharfeinstellung bei sphärisch nicht oder ungenügend korrigierten Objektiven hat je nach dem gewünschten Effekt unterschiedlich zu erfolgen: Für ein möglichst scharfes Bild stellt man mit der für die Aufnahme vorgesehenen Blende (Arbeitsblende) auf grösste Allgemeinschärfe ein (Einstellung auf die engste Einschnürung der Kaustik). Um dagegen ein weichgezeichnetes Bild zu erhalten, stellt man bei offener Blende auf schärfsten Bildkern ein und blendet danach, je nach dem gewünschten «Softgrad» ab.
Korrektur
Die vollständige Korrektur der sphärischen Aberration bei einer Einzellinse ist nur mit nichtsphärischen Linsenformen möglich. Eine Paraboloid-Form, bei welcher die prismatische Randzone verhältnismässig spitzwinklig ist, könnte den Öffnungsfehler korrigieren. Die Herstellung asphärischer Linsen ist jedoch teuer, so dass in der Praxis häufig mit sphärischen Linsenformen gearbeitet wird.
Beim Einsatz einer Einzellinse ist es günstig, wenn die Fläche mit dem kleineren Krümmungsradius zur Seite mit der grösseren Schnittweite zeigt. Noch günstigere Resultate entstehen, wenn die Einzellinse in zwei plankonvexe Linsen aufgeteilt wird, deren konvexe Seiten zueinander zeigen. Im Falle von Kondensoren zur Lichtbündelung (zum Beispiel bei Vergrösserungsgeräten) findet diese Kombination oft Verwendung. Normalerweise kombiniert man eine Sammellinse und eine Zerstreuungslinse, deren Duchbiegungen so unterschiedlich sind, dass die Kugelgestaltsfehler beider Linsen einander entgegengesetzt wirken.
Die Korrektur der sphärischen Aberration ist umso schwieriger, je lichtstärker ein Objektiv und je länger seine Brennweite ist. Gewisse Restzonen bleiben in der Regel unkorrigiert, wir sprechen dann von Zonenfehlern. Eine absolute Korrektur ist zudem für viele Zwecke nicht unbedingt erstrebenswert. Ich denke dabei an Objektive, die beispielsweise für Portraits eingesetzt werden. In diesem Fall wäre die trockene Schärfe eines sphärisch hochkorrigierten Objektivs eher störend.
Durch die zusätzliche Verwendung asphärischer Linsen (in annähernd paraboloider Form) und den Einsatz moderner hochbrechender Gläser ist eine weitgehend genügende Korrektur auch bei hochlichtstarken Objektiven realisierbar geworden.
Weichzeichnerobjektive
Geradezu Kultcharakter hat das Objektiv Imagon von Rodenstock erhalten. Dabei handelt es sich eigentlich nur um einen Achromaten, bei dem die chromatische Aberration gut korrigiert ist, das jedoch praktisch keine Milderung der sphärischen Aberration aufweist. Das Objektiv wird mit auswechselbaren Steckblenden (entsprechend Blende 8 und 11) ausgerüstet, die im äusseren Bereich siebartige Löcher aufweisen. Durch einen Drehmechanismus lassen sich diese Sieblöcher mehr oder weniger schliessen. Das Arbeitsprinzip ist ganz einfach: Normalerweise wird bei Arbeitsblende scharf gestellt. Durch das zunehmende Öffnen der Siebblendenlöcher werden zusätzlich Randstrahlen – die ja bei unkorrigierter sphärischer Aberration einen anderen Fokus aufweisen – zugelassen. Dadurch ist der Weichzeichnereffekt sehr subtil steuerbar. Die Resultate sind absolut zauberhaft – scharfer Bildkern mit weich überstrahlender Aura.
Rodenstock Imagon mit Siebblenden
Das Imagon ist nicht billig und nur lieferbar für den Einsatz an Fachkameras und an der Hasselblad. Es gibt jedoch von einigen Systemkamera-Herstellern Weichzeichner-Objektive meistens in der etwas längeren Brennweite von 135 mm – geeignet für den Portrait-Einsatz. Ein Beispiel ist das Canon EF 135/2,8 Softfocus. Durch verstellbare optische Korrekturglieder kann die Stärke der sphärischen Korrektur von nahezu vollständiger Korrektur bis zu gar keiner Korrektur beliebig eingestellt werden. Die Weichzeichnerwirkung ist dadurch in weiten Grenzen regelbar.
Porträtaufnahme mit dem Imagon (mit vollständig geöffneter Siebblende)
Weichzeichnervorsätze
Wer nur gelegentlich weichzeichnen will und sich somit die Anschaffung eines speziellen Objektivs nicht in Frage kommt, kann sich mit Weichzeichner-Vorsätzen behelfen. Die preisgünstigste Methode erfolgt durch eine Fettscheibe. Dazu beschmiert man einen vor das Objektiv aufsetzbaren Filter (UV-Sperrfilter, Skylight-Filter) mit wenig Vaseline. Eine subtile Pseudoweichzeichnung entsteht, wenn man den Vaselinebelag wieder teilweise abwischt und grundsätzlich nicht sehr stark abblendet.
Es gibt im Handel Weichzeichner-Vorsätze, die sich wie Filter vor ein Objektiv schrauben lassen. Eine ausgezeichnete Wirkung kann mit den Softar-Weichzeichnern von Carl Zeiss oder mit Soft Pro von B+W erreicht werden Beide haben eingearbeitete Minilinsen und verändern die eingestellte Grundschärfe nicht. Natürlich haben auch andere Filterhersteller Weichzeichner-Vorsätze im Sortiment, so beispielsweise die Softener von Hoya (mit einer Art Hammerschlageinkerbung) sowie Duto von Heliopan mit kreisrunden prismatischen Rillen.
Ebenfalls eine Art überstrahlender Weichzeichnung kann erreicht werden, indem man kurz vor der Aufnahme das Objektiv anhaucht, etwas wartet bis die Feuchtigkeit zu verdunsten beginnt und im genau richtigen Augenblick auf den Auslöser drückt. Natürlich funktioniert diese einfache Methode im Sommer bei hoher Temperatur und Luftfeuchtigkeit nicht.
Weichzeichnerwirkung durch angehauchtes Objektiv
Koma
Liegt ein Gegenstandspunkt ausserhalb der optischen Achse, treten die einfallenden Strahlen nicht parallel zur Achse, sondern als schiefes Bündel ein. Der Bildpunkt wird am Bildrand abgebildet. Bei solchen schiefen Bündeln aber wirkt sich die sphärische Aberration asymmetrisch und dadurch noch viel stärker aus. Achsferne Gegenstandspunkte werden am Bildrand als oval verzerrte, kometenähnliche Gebilde dargestellt, daher der Name des Fehlers Koma, der manchmal auch als Asymmetriefehler bezeichnet wird.
Bei schief eintreffenden Strahlenbündeln werden je nach Lage der Strahlenbegrenzung (Blendenlage) für dasselbe Strahlenpaar auf der einen Linsenseite weiter aussen liegende Abschnitte benützt, was eine asymmetrisch verzerrte Kaustik entstehen lässt, die sich im Bildpunkt als kometenartig verlaufende Begrenzung bemerkbar macht. Je nach Blendenlage ist dabei der Kometenschweif nach aussen oder nach innen gerichtet. Selbst wenn die spährische Aberration für achsparallele Bündel behoben ist, kann bei grossen Linsenöffnungen (offener Blende) immer noch Koma auftreten.
Koma (Asymmetriefehler)
Koma hängt stark mit der Blendenlage zusammen. Werden bei bestimmter Lage gerade diejenigen Strahlen durchgelassen, die eine relativ symmetrische Strahlenvereinigung ergeben, so verschwindet der Fehler. Eine Korrektur erfolgt denn auch durch symmetrisch angeordnete Linsengruppen mit einer zentralen Mittelblende. Koma-Erscheinungen sind selbst bei modernen hochlichtstarken Objektiven noch gelegentlich zu beobachten, wenn mit ganz geöffneter Blende und hohen Kontrasten gearbeitet wird. Wir erwarten von einem guten Objektiv jedoch, dass der Effekt nach bereits einstufiger Abblendung nicht mehr auftritt.
Ob Ihr Objektiv bei bestimmten Brennweiteneinstellungen noch Koma aufweist, können Sie einfach nachprüfen, indem Sie beispielsweise ab Stativ Nachtaufnahmen in der Stadt machen und darauf achten, dass in einer Bildecke eine Strassenlampe abgebildet ist. Bei allen Brennweiteneinstellungen müsste diese eigentlich bereits nach einstufiger Abblendung rund (bzw. in korrekter Form) dargestellt sein und höchtens bei offener Blende (mit der man ja in der Regel nicht fotografiert) eine kometenartige Verzerrung aufweisen.
© by Jost J. Marchesi
In der 10. Folge am nächsten Freitag geht es um Astigmatismus und Bildfeldwölbung.
Lesen Sie auch
Folge 1: «Licht, das «Rohmaterial» der Fotografie» (28.05.2021)
Folge 2: «Lichtausbreitung, Reflexion und Absorption» (04.06.2021)
Folge 3: «Wie das Licht gebrochen wird» (11.06.2021)
Folge 4: «Abbildungsverhältnisse und Perspektive» (18.06.2021)
Folge 5: «Schärfe und Unschärfe» (25. Juni 2021)
Folge 6: «Kanteneffekt, Streuung und Polarisation» (02.07.2021)
Folge 7: «Objektiv – das Auge der Kamera» (08.07.2021)
Folge 8: «Bild-, Format- und andere Winkel» (16.07:2021)
Interessante Serie, die ich gern als Auffrischung lese. Aber wie jemand mit einem auf f=22 oder f=32 abgeblendeten Objektiv an einer GF / technischen Kamera präzise scharfstellen will, wird wohl ein ewiges Rätsel bleiben. Mein Leben lang habe ich mit offener Blende, also f=4.5 oder 5,6 oder 8.0 fokussiert, und alle Aufnahmen sind perfekt geworden… Und nein ich habe keine Super-Duper-Hyper-Objektive, sondern ganz »normale« Grossformat Objektive von Rodenstock, Schneider, Nikon und Fuji. Und nun? Ist das wieder ein typischer Fall von Theorie und Praxis?
Wenn Sie die Aussage genau lesen, stellen Sie fest, unter welchen (wirklich speziellen) Voraussetzungen ein Scharfstellen mit Arbeitsblende empfehlenswert ist. Dass es dabei schwierig oder unmöglich ist, mit von Ihnen erwähnen Blenden 22 oder 32 scharf zu stellen ist klar. Aber das ist auch nicht gemeint. Mit entsprechenden Lupen ist die Scharfeinstellung bei guten Lichtverhältnissen und perfekter Mattscheibe durchaus bis Blende 16 möglich. Ich denke nicht, dass sich hier Theorie und Praxis beisst, selbst wenn es Leute gibt, die meinen, ich sei ein Theoretiker.
Aber wenn Sie mit Ihren erwähnten Objektiven bei herkömmlicher Arbeitsweise (selbst bei starker Verschiebung oder Verschwenkung zufrieden sind, gehören Sie zu den Glücklichen und sollten Ihre Arbeitstechnik keinesfalls ändern!
Danke für Ihre Antwort! Nein, ich meine nicht, dass Sie ein Theoretiker sind. Ja, ich bin mit meinen Objektiven mehr als zufrieden. Gute Lichtverhältnisse habe ich nur an einem Sonnentag oder im Studio — in Norddeutschland fehlt draussen sehr oft das gute Licht, um sogar bei f=16 noch etwas auf der Mattscheibe erkennen zu können.
Sie schreiben das Imagon sei nur lieferbar für den Einsatz an Fachkameras und an der Hasselblad.
Ist das Imagon neu überhaupt noch lieferbar? Wenn ja, welche Brennweiten?
Pardon, die genannte Aussage verstehe ich auch inhaltlich nicht. Was spricht gegen eine Benutzung des Imagons mit einer Kamera (analog und digital) mit Schlitzverschluß oder gar einer Digitalkamera mit elektronischem Verschluß?
Gerade die Brennweite 120 mm drängt sich geradezu auf mit einer digitalen „Mittelformatkamera“ verwendet zu werden. Und nein, ich danke da nicht an eine Hasselblad.
Meines Wissens wurde die Produktion des Imagon in den 90er Jahren eingestellt. Aber sie sind über die bekannten Secondhand-Börsen noch zu finden. Da sehe ich beispielsweise Imagon 250 mm für Grossformat für rund € 600 oder ein Imagon 120 mm für Nikon oder ein imagon 150 mm für eine Pentacon usw.
Ihre Frage, was gegen eine Benutzung mit einer Kamera mit Schlitzverschluss oder einer Digitalkamera spreche, verstehe ich nicht. Wer behauptet denn so etwas?
Sehr geehrter Herr Marchesi,
wie soll man Ihre Aussage bzgl. Großformat bzw. Hasselblad anders verstehen als dass es nur mit diesen beiden Systemen ohne Probleme bzw. Bastellösungen möglich wäre ein Imagon zu verwenden? Ich habe Sie ausdrücklich wörtlich zitiert um keine Fehler zu begehen! Lesen Sie bitte Ihren eigenen Text noch einmal in aller Ruhe durch oder geben Sie ihn jemanden fremdes als Lektor. Manchmal sieht man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr.
Wow – vielen Dank für den tollen Artikel!
Ich las auch schon, dass die sphärischen Aberrationen umso KLEINER sind, je länger die Brennweite ist. Der Weg fürs Aberrieren ist dann zwar länger, die Lichtbrechung aber auch weniger stark. Wie verhält sich’s nun, die Aberrations-Stärken zur Brennweite? Bei der Blende ist’s klar: je geschlossener, desto besser …
Herzliche Grüße und DANKE! –
Sorry für die späte Antwort. Es ist in der Tat so, dass die sphärische Aberration bei langen Brennweiten geringer ist als bei kurzen. Kurzbrennweitige Objektive haben zumeist stark gekrümmte Aussenlinsen, welche die sphärische Korrektur ungleich aufwändiger machen.