Schnee, Sonne und Berge locken uns in die Alpenwelt, um dem Skisport zu frönen und ein ganz besonderes Lebensgefühl zu geniessen. Das war nicht immer so. Vor rund hundert Jahren, als viele Bilder der Ausstellung «Das Skivirus. Eine Spurensicherung» entstanden, waren es einige wenige, meist Einheimische, die sich auf die Bretter wagten und einen neuen Sport für sich entdeckten. Das Potenzial, und die Erkenntnis, dass man damit viele Touristen auch im Winter in die Bergen locken könnte, sahen die Weitdenker der Berggemeinden schon lange. Da war die Fotografie ein geeignetes Mittel, um in breiten Volksschichten eine neue Faszination zu wecken.
In der Ausstellung «Das Skivirus. Eine Spurensicherung» im Alpinen Museum Bern sind die 100jährigen, spektakulären Skibilder von Edmund Gyger und Arnold Klopfenstein zu sehen.
Grosse Styroporkugeln mit seltenen Exponaten sorgen für ein winterliches Ambiente (Fotos: Urs Tillmanns / Fotointern.ch)
Emanuel Gyger und später Arnold Klopfenstein waren die Ersten, die mit spektakulären Skibildern auf diese neue Sportart aufmerksam machen. Die Fotos zeigten waghalsige Sprünge über Schneekuppen und Schussfahrten im frischen Pulverschnee in gleissendem Gegenlicht – Bilder, die man in dieser Art noch nie gesehen hatte.
Auf den faszinierenden Fotos des frühen Skisports sind vor allem zwei Namen zu finden: Emanuel Gyger (1886-1951) und Arnold Klopfenstein (1896-1961). Der jüngere Arnold Klopfenstein ging von 1914 bis 1917 bei Emanuel Giger in die Lehre und arbeitet dort weiter bis 1920. Dann absolvierte er ein Studium an der Höheren Fachschule für Phototechnik in München und war danach selbständig bis 1930. Danach folgte eine mehr als zwanzigjährige Zusammenarbeit der beiden, bis sie sich 1951 wieder trennten und ihre eigenen Firmen gründeten. Einerseits verbissene Konkurrenten also, vor allem was ihr Postkartengeschäft betraf, anderseits Berufskollegen, die sich gegenseitig beflügelten immer noch bessere Ski- und Landschaftsbilder zu machen als der Andere. Das zu einer Zeit, als der Skisport noch weitgehend den Abenteurern überlassen war, die einen stundenlangen Fellaufstieg auf sich nahmen, um dann in wenigen Minuten durch den Tiefschnee ins Tal zu fahren – Skilifte, wie sie heute für uns selbstverständlich sind, gab es in den 1930er-Jahren nur ganz wenige.
Die Statisten für ihre Skibilder waren Bergsteigerfreunde, welche Asse im Skisport waren und die frühen Skitechniken des Telemark oder des Drehsprungs beherrschten – und dies mit zwei Meter achtzig langen Holzskiern und einfachen Riemenbindungen. Für die beiden Fotografen bestand die Herausforderung darin, besondere Orte zu finden, die einerseits landschaftlich geeignet und anderseits von einer bisher unbefahrenen Schneeschicht bedeckt waren, in welche die Skiakrobaten nun ihre fotografisch wirksamen Skispuren ziehen konnte. Ein Versuch für ein Bild, dann war der Hügel «verbraucht» und es musste ein neuer Ort mit einer jungfräulichen Schneeschicht gefunden werden. Und jedes Mal stand ein langer Fellaufstieg auf dem Programm – für beide, den Skiartisten und den Fotografen, letzterer dazu noch mit einer schweren Ausrüstung auf den Buckel.
Womit hatten die beiden fotografiert? In den zwanziger und dreissiger Jahren wurde vorwiegend mit Plattenkameras im Format 9×12 oder 13x18cm gearbeitet – Glasplatten mit etwa 20 (!) ISO Empfindlichkeit, die so schwer waren, dass die Fotografen manchmal Träger organisierten, welche mit der voluminösen Ausrüstung durch den Tiefschnee stampften. Erst später sorgten die in Mode kommenden Kleinbildkameras, vor allem Leicas und Contax, für leichteres Gepäck und – das war ein wichtiger Schritt – für eine schnelle Bildfrequenz, was mit den anfänglichen Plattenkameras undenkbar war. Da musste jeder Schuss sitzen …
Die Bilder von Emanuel Gyger und von Arnold Klopfenstein waren eine Sensation – damals wie heute. Sie wurden einerseits in den hauseigenen Postkartenverlagen vermarktet, anderseits dienten Sie den Wintersportorten, vor allem dem aufblühenden Wintersportplatz Adelboden, zu Werbezwecken, um den damals noch jungen Skisport zu fördern. In den späteren Vierziger- bis in den Sechzigerjahren bauten die Skiorte ihre Infrastrukturen mächtig aus. Bergrestaurants wurden nun auch im Winter betrieben, Postautos fuhren mit rasselnden Schneeketten zu den entlegensten Stationen, und da und dort gab es auch erste kabelgezogene Skischlitten, welche zwölf bis sechzehn Skitouristen mitsamt ihrer Ausrüstung den Berg hinaufzogen – als Vorläufer der Skilifte, die erst allmählich als einfache Tellerlifte den Skifanatikern fahrplanunabhängig mehr Komfort boten.
Was ist das Besondere an den Bildern von Emanuel Gyger und Arnold Klopfenstein? Einmal die dynamischen Leistungen der Skiakrobaten, welche auf unbefahrenen Hängen ihre Kurven zogen und mutige Sprünge von den Schneekuppen wagten. Dann die eindrucksvollen Lichtstimmungen mit im Gegenlicht aufblitzenden Pulverschnee, welcher den Bildern eine zusätzliche dramatische Note verlieh. Letztlich auch die Bildgestaltung als Merkmal ihrer Bilder, welche den Bildraum mit dem Motiv in harmonische Flächen und Linien aufteilte. Auch reaktionsschnell mussten die Fotografen sein, denn den Schuss zu wiederholen war nur in den seltensten Fällen möglich.
Was zeigt uns die Ausstellung? Die Bilder, die im Raum Biwak#29 des Schweizerischen Alpinen Museum in Bern noch bis 1. Mai 2022 zu sehen sind, sind allesamt Originale aus der Sammlung von Daniel Müller-Jentsch, der sich auf die Geschichte der Schweizer Bergfotografie spezialisiert und die Rosinen seiner Sammlung im Buch «Emanuel Gyger & Arnolf Klopfenstein – Pioniere der Skifotografie» publiziert hat (siehe Kasten). Weiter werden in verschieden grossen Styroporkugeln, die der Ausstellung ein passendes winterliches Ambiente verpassen, Reliquien aus den Anfängen der Skizeit gezeigt – Gegenstände, an welche sich viele Besucher noch von ihren eigenen frühen Skiversuchen erinnern mögen und die in der heutigen Zeit kein Pendant mehr finden.
Ein weiterer, interessanter Aspekt der Ausstellung sind Videoaufnahmen zur neuen Pionierzeit des Skifahrens in Indoor-Anlagen im heutigen China. Sie setzen mit einer zeitlichen Distanz von fast 100 Jahren und modernster Ausrüstung einen spannenden Kontrapunkt, der mit Nichts an die Anfänge des Skisports in den Berner Alpen erinnert. Zwei Welten begegnen sich hier und beide haben ihre eigene Faszination – die historischen Eindrücke der beiden Fotopioniere Emanuel Gyger und Arnold Klopfenstein hier gegen modernste Infrastruktur in irgendeiner Halle fernab in einem anderen Erdteil.
Die Fotografen …
Emanuel Gyger (1886-1951) begann eine Bäcker-Konditorlehre, brach diese jedoch ab, um bei Fritz Gysling in Spiez eine Fotografenlehre zu machen. Nach 1909 führte er zunächst zusammen mit seinem Schwager Hermann Eggimann und später gemeinsam mit seinem früheren Lehrling und patentiertem Bergführer Arnold Klopfstein ein Fotogeschäft in Adelboden. Sie produzierten vor allem Postkarten, verkauften jedoch auch Kameras und Fotozubehör, unternahmen aber auch ausgedehnte Wanderungen ins Hochgebirge, wo sie viele Sujets für ihre Postkarten fanden. Emanuel Gyger war bis zu seinem Tod 1951 im Geschäft tätig.
Arnold Klopfenstein (1896-1961) begann 1914 seine Fotografenlehre bei Emanuel Gyger. 1921 besuchte er die Höhere Fachschule für Phototechnik in München und führte danach eine Zeit lang ein eigenes kleines Geschäft in Adelboden. Er trat aber bald darauf wieder in die Firma seines früheren Lehrmeisters Emanuel Gyger ein und wurde 1928 Teilhaber derselben. Nach dem Tod von Emanuel Gyger 1951 stieg dessen Neffe Adolf ins Geschäft ein, doch trennten sie sich acht Jahre später. Arnold Klopfenstein gründete 1959 zusammen mit seinen beiden Söhnen Peter und Markus ein eigenes Fotogeschäft.
… und das Buch
Im Shop des Alpinen Museums oder im Buchhandel kann das Buch zur Ausstellung erworben werden. «Emanuel Gyger & Arnold Klopfenstein – Pioniere der Skifotografie» zeigt auf 138 Seiten die rund 150 wichtigsten Aufnahmen der beiden Adelbodener Fotografen und beschreibt diese sowohl in einem einleitenden Text als auch mit aufschlussreichen Bildlegenden, welche eine genaue Datierung und geografische Zuordnung der Bilder ermöglichen. Herausgeber des Buches ist Daniel Müller-Jentsch, erschienen ist es im Regenbrecht Verlag (ISBN 978-3-984741-04-4). Es umfasst 140 Seiten, hat einen festen Umschlag und kostet CHF 41.80 / EUR 34,90 (im Museumsshop CHF 45.00).
Die Ausstellung
«Das Skivirus. Eine Spurensicherung» ist im Alpinen Museum in Bern im Raum Biwak #29 noch bis am 1. Mai 2022 zu sehen. Details dazu finden Sie unter www.alpinesmuseum.ch
Bilder: Pressefotos Alpines Museum Bern
Text: Urs Tillmanns
Biografische Angaben: foto-ch.ch
Als Berner Oberländer ist mir die Gegend wo die Aufnahmen gemacht wurden bekannt. Dies ist sicher ein Grund warum mich die Bilder von Emanuel Gyger und Arnold Klopfenstein so begeistern. Die Aufnahmen zeigen genau das, was aus meiner Sicht am Skisport so faszinierend ist. Es sind schlichtweg Marksteine der Skifotografie.
Fantastische dynamische Aufnahmen, die viel Lebensfreude vermitteln. Man bedenke: eine Topleistung mit den damaligen fotografischen Mitteln!