Urs Tillmanns, 20. Februar 2022, 22:52 Uhr

«Un monde à guérir»: Fotografien aus den Sammlungen des Roten Kreuzes

Die Bilder humanitärer Einsätze sind allgegenwärtig in den Medien. Sie gehören seit mehr als einem Jahrhundert zu unserem Alltag. Oft wirken sie unmittelbar und eindeutig. Ein Foto rahmt eine Szene ein und bietet uns eine klare Interpretation eines Ereignisses. Wir glauben, dass wir genau verstehen, worum es geht und denken überhaupt nicht daran, was ausserhalb des Bildes vor sich gehen könnte. Die Realität vor Ort ist jedoch stets komplexer als ihre Darstellung, denn Letztere kann nur Fragmente festhalten.

Mehr als 600 Fotografien aus 160 Jahren Arbeit des Roten Kreuzes präsentiert die Ausstellung «Un monde à guérir»

Mit über 600 Fotografien von 1850 bis heute zeigt «Un monde à guérir» (Eine Welt zum Heilen) im Rotkreuzmuseum Genf 160 Jahre humanitäre Hilfe in bewegenden Bildern. Die Sonderausstellung ist das Ergebnis einer mehr als zweijährigen Recherche in den Sammlungen des Museum des Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond (MICR), des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) und der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC). Bilder für die Öffentlichkeit, welche die Dringlichkeit der humanitären Hilfe zu vermitteln versuchen, werden ergänzt von Fotos mit privaterem Charakter.

 

 

Auguste Bauernheinz: «Verwundete in Lausanne Internierte der Bourbaki-Armee», 1871 – Archiv CICR (DR)

Anonym: «Verwundete in Lausanne Internierte der Bourbaki-Armee», 1871 – Archive CICR (DR)

Die Ausstellung zeigt auf vielfältigen Bildträgern ein bisher wenig erforschtes Bildarchiv. Bekannte Fotograf/innen, unter anderem der Agentur Magnum Photos wie Werner Bischof und Susan Meiselas, oder auch Henri Cartier-Bresson sind vertreten. «Un monde à guérir» umfasst aber auch Fotos, die von den Mitarbeiter/innen der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung oder direkt von Betroffenen in Krisen aufgenommen wurden. Ein Teilbereich der Ausstellung präsentiert zudem die Arbeiten von Alexis Cordesse mit persönlichen Fotos von Migrant/innen. Hier bietet sich ein breites Spektrum an Blickwinkeln, und die Aufmerksamkeit der Besucher/innen wird über die Darstellung der Realität hinaus auf ihre wahre Komplexität gelenkt.

 

Anonym: Gruppe von Rotkreuz-Rettungssanitätern auf Sumatra, Indonesien, 1873 – Archiv MICR (DR)

Jugendliche Rotkreuz-Rettungssanitäter im amerikanisch-spanischen Krieg 1898 – Archiv CICR (DR)

 

«Un monde à guérir» vermittelt Schritt für Schritt die Bildercodes für ein besseres Verständnis der humanitären Arbeit. Die Besucher/innen sind eingeladen, ihre bildhafte Vorstellung von humanitärer Arbeit kritisch zu hinterfragen und sich zu überlegen, woher diese stammt, was sie vermittelt und was verborgen bleibt. Durch die Hinterfragung der Absichten hinter den Bildern wird ihnen eine Art visuelle Grammatik der humanitären Arbeit aufgezeigt, die ihren Blick schärft.

 

Rotkreuz Bereitschaftsfahrzeuge, 1944 © CICR

Rückführung von ägyptischen Kriegsgefangenen während des Bürgerkriegs im Jemen unter der Schirmherrschaft des IKRK, 1965© CICR

Neben der Ausstellung «Un monde à guérir» präsentiert das Museum auch ein Video von Henry Leutwyler, welches dieser 2021 für die Genfer Biennale der Fotografie «No’photo» erstellt hat. Unter dem aufmerksamen und einladenden Blick seiner Kamera erwachen die unterschiedlichsten Gegenstände zum Leben und erzählen uns eine ganz neue Geschichte. Zudem gibt es eine Sonderschau berühmtester Magnum-Fotografen, die in den Kriegs- und Krisengebieten tätig waren und dort die humanitäre Hilfe eindrucksvoll dokumentiert haben.

 

J. M. Gourstikker, «Ankunft von Boat People», Malaysia, 1979 – © IFRC

Alan Meier «Demonstration von weiblichen Familienmitgliedern von Gefangenen», Gaza, 2005 – © IKRK

Für die Ausstellungskuratorin Nathalie Herschdorfer geht es darum, den Nutzen der Fotografie hervorzuheben und zu zeigen, was diese Bilder über unsere Zeit aussagen: «Das Wissen über die Vergangenheit, über unsere Geschichte, wurde häufig mittels Schriftdokumenten erlangt. Doch die Geschichte der humanitären Arbeit kann nicht ohne die Geschichte der Fotografie betrachtet werden. Die Erfindung der Fotografie im Jahr 1839 liegt nur 25 Jahre vor der Gründung des Internationalen Rotkreuz-Komitees (IKRK) 1864 – ihre Schicksale sind eng miteinander verknüpft. Heute ist es schwieriger denn je, sich die humanitäre Arbeit ohne Bilder vorzustellen.»

 

Jonathan Pease «Zerstörungen und Obdachlose auf den Philippinen», 2012 – © CICR

Sana Tarabishi: «Kriegerische Zerstörungen in Aleppo», Syrien, 2017 – © CICR

Das MICR wirft eine zentrale Frage auf: Inwiefern betrifft die humanitäre Arbeit uns alle, hier und jetzt? Die Ausstellung gibt Hinweise für eine mögliche Antwort. Pascal Hufschmid, Direktor des Museums und Initiator des Projekts, erklärt: «Mit ‘Un monde à guérir’ möchten wir ein aussergewöhnliches fotografisches Erbe, das im Herzen des internationalen Genf aufbewahrt wird, ans Licht bringen. Dank dieser Ausstellung können wir die Bilder von Konflikten und Katastrophen, die täglich in unseren Medien zu sehen sind, aus einem anderen Blickwinkel heraus betrachten. Denn im humanitären Bereich stimmt die Aussage, ein Bild sage mehr als tausend Worte, im Grunde genommen nie.»

 

Das Projekt ist eine Zusammenarbeit mit dem internationalen Fotofestival «Rencontres internationales de la photographie d’Arles» (4. Juli bis 25. September 2022), wo die Ausstellung ebenfalls zu sehen sein wird. 

Die Sonderausstellung: «Un monde à guérir», 160 Jahre Fotografien aus den Sammlungen des Roten Kreuzes, ist noch bis 24. April 2022 im
Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum (MICR)
Av. de la Paix 17
CH-1202 Genf
zu sehen. Das Museum ist Dienstag bis Sonntag jeweils von 10 bis 18 Uhr geöffnet.

Weitere Informationen finden Sie unter www.redcrossmuseum.ch

Redigierter Pressetext
Situationsaufnahmen: Urs Tillmanns

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