Jetzt ist es da: das Buch über Albanien von Hans-Peter Jost, das Fotointern.ch im letzten November als Vorfinanzierungsprojekt angekündigt hatte. Es ist nicht einfach ein Buch über Albanien geworden, sondern es zeichnet sich sowohl durch seinen eindrucksvollen Bildbestand als auch durch die Präsentationsform als etwas Besonderes aus. Es ist nicht ein Buch im herkömmlichen Sinne, sondern es präsentieren sich in einem knallroten Schuber acht Broschüren, die das Gesamtwerk ergeben. Jede diese Broschüren würde einem Buchkapitel und damit einem fotografischen Thema entsprechen. Eine Broschüre ist für den Textteil reserviert, eine weitere für die Bildlegenden.
Die Präsentationsform ist nicht nur originell, sondern auch praktisch, weil die Broschüre mit dem Schuber im Büchergestell einen festen Platz haben, und weil die Broschüren sehr handlich sind, besonders, wenn mehrere Leute gleichzeitig das Werk betrachten und darüber gemeinsam diskutieren wollen.
Ungewöhnlich sind auch die Bilder. Hans Peter Jost kennt Albanien seit rund dreissig Jahren und fotografierte dort, seit das Land nach dem Kalten Krieg allmählich für Touristen geöffnet wurde. Er hat die Entwicklung des Landes an verschiedensten Orten und in allen Sozialschichten mit seiner Kamera verfolgt und die Leute in ihrer Arbeitswelt, bei ihrer Freizeit und in ihrer Privatsphäre dokumentiert. Es ist dadurch nicht nur eine sehr vielschichte Langzeitreportage geworden, sondern das Porträt eines Landes, das nur sehr am Rand vom allgemeinen Wirtschaftsaufschwung profitieren konnte – es ist eines der ärmsten Länder der Welt geblieben. Das kommt auch in vielen Bildern von Hans Peter Jost zum Ausdruck, während andere den Trend zur Moderne und zu einer neuen Gesellschaftsform dokumentieren.
Hans Peter Jost hat den Bildinhalt geschickt in sechs Kapitel, beziehungsweise Broschüren aufgeteilt, die sich mit den Themen «Brot», «Glaube», «Familie», «Bauboom», «Vergangenheit» und «Träume» befassen. Er deckt damit die wichtigsten Sozialbereiche des wirtschaftlichen und familiären Lebens Albaniens ab, womit ihm nicht nur eine breit aufgestellte Dokumentation über Albanien im Wandel der Zeit gelungen ist, sondern ein starkes Portfolio mit aussergewöhnlichen und noch nie gesehenen Bildern.
Ein Grund, weshalb diese Bilder einen hohen Dokumentations- und Seltenheitswert haben, liegt auch in der Tatsache, dass in Albanien zu jener Zeit relativ wenig fotografiert wurde, weil sich dies die Bevölkerung nicht leisten konnte, und weil nur wenige Fotografen den Weg dorthin über eine längere Zeitspanne fanden.
Interessant sind nicht nur die Bilder von Hans Peter Jost, sondern auch die Textbroschüre, welche drei Essays enthält – einmal die Erzählung von Hans Peter Jost «Die Entzauberung einer Utopie», in welcher er schildert wie er Albanien erstmals kurz nach der Öffnung erlebte, und wie sich das Land seitdem veränderte. Dann die Abhandlung der Balkanwissenschaftlerin Nathalie Clayer «Albaniens einzigartiger Werdegang in Südost-Europa», in welchem interessante geschichtliche Aspekte des Vielvölkerstaates und dessen einstige sozialistische Diktatur ans Licht kommen, und schliesslich der Aufsatz des Schriftstellers Fatos Lubonja «Albanien ohne Stern», in dem es um die Entfernung des kommunistischen Sterns auf dem Mosaik am Nationalhistorischen Museum in Tirana und dessen Symbolik geht, der im Wandel der politischen Struktur des Landes eine wichtige Rolle spielte.
Für wen ist dieses Buch? Einmal für all jene, die sich für das Land Albanien und seine Geschichte interessieren oder mit dem Land irgendwie verwurzelt sind. Dann aber auch für Leserinnen und Leser, die ein Interesse an einer aussergewöhnlichen fotografischen Langzeit-Reportage haben – zu einem Thema, das noch von keinem Fotografen mit dieser Konsequenz bearbeitet wurde.
Urs Tillmanns
Buchbeschreibung des Verlages
Vor 30 Jahren veränderten historische Ereignisse die Welt grundlegend – das Ende des Kalten Krieges läutete die Demokratisierung der osteuropäischen Staaten ein. Auch in Albanien, das sich nach fast 50-jähriger Diktatur als letztes Land Europas davon befreite. Der Fotograf Hans Peter Jost dokumentiert die Entwicklung Albaniens von den chaotischen, turbulenten und leidvollen Tagen der 1990er-Jahre bis in die Gegenwart des Raubtierkapitalismus. Ein einmaliges Zeitzeugnis mit vielen unwiederbringlichen Bildern.
Begleitet werden die Fotografien von zwei essayistischen Auseinandersetzungen. Die Historikerin und Balkanwissenschaftlerin Nathalie Clayer gibt einen geschichtlichen Überblick, während der albanische Journalist und Literat Fatos Lubonja eine feinfühlige Bestandsaufnahme seines Landes beiträgt.
Der Inhalt
01 Bread / Brot
02 Faith / Glaube
03 Familiy / Familie
04 Building Boom / Bauboom
05 The Past / Vergangenheit
06 Dreams / Träume
Textbroschüre
Bildlegenden / Impressum
Fotograf und Autor/innen
Hans Peter Jost (geb. 1953), Fotograf. Nach einer Lehre als Maschinenschlosser in Zürich war er als Strassenfotograf in Griechenland unterwegs. Ab 1976 beschäftigte er sich mit Arbeiterfotografie, arbeitete mehrere Jahre in Italien als Fotograf und Landwirt. Seit 1984 fotografiert er für zahlreiche Medien. Menschen und ihr soziales Umfeld stehen im Zentrum seiner Tätigkeit. Er ist Sekretär des Verbands Schweizer Pressefotografen und Videojournalisten SPV lebt und arbeitet in Zürich. www.hanspeterjost.com
Nathalie Clayer lebt in Paris, ist Professorin an der EHESS, Balkanwissenschaftlerin und Autorin
Fatos Lubonja lebt in Tirana und in der Nähe von Pisa, ist Schriftsteller und Menschenrechtsaktivist. Er kam erst 1991, nach 17 Jahren, aus dem Gefängnis frei. 2004 wurde er mit dem Herder-Preis für Literatur ausgezeichnet.
Bibliografie
Hans Peter Jost; «Albania in Between 1991 – 2021»
8 Broschüren, total ca. 444 Seiten, gebunden
Format A5, im Schuber, 180 Fotografien
Texte englisch / deutsch
PLAK-Verlag, Zürich
Preis: CHF 80 / 78 Euro
ISBN 978-3-033-08720-0
Das Buchwerk kann bei diesen Buchhandlungen gekauft, direkt beim Verlag bestellt oder hier im Ausland geordert werden.