Urs Tillmanns, 27. März 2022, 11:06 Uhr

Manon – Performance-Künstlerin im Spiegel ihrer Fotografien

Mitte der 1970er-Jahre gab sich eine junge Schweizer Künstlerin den programmatischen Namen «Manon». Mit ihren Auftritten als Femme fatale, provokanten Performances und Installationen mischte sie die Zürcher Kunstszene auf, stellte Männer in einem Schaufenster aus oder präsentierte ihr von laszivem Dekor überbordendes Schlafzimmer als Lachsfarbenes Boudoir in einer Galerie. Manon ist Drehbuchschreiberin, Bühnenbildnerin, Regisseurin und Schauspielerin – aber auch Fotografin. Die Ausstellung in der Fotostiftung Schweiz würdigt ein international wegweisendes Werk und legt den Fokus auf das fotografische Œuvre der Künstlerin, zeigt Manon-Klassiker neben weniger bekannten Arbeiten, vereint die frühen Serien und die fotografischen Tableaus der vergangenen Jahre.

 

Mit dem «Selbstporträt in Gold» (2014) und «Lippen» (2014), die in der Ausstellung prominent platziert sind, spitzt sich ein Unbehagen zu, das auch zuvor schon spürbar ist: Schönheit kippt ins Artifizielle – der Körper wird zur unheimlichen Skulptur.

Manon (mit ledigem Namen Rosmarie Küng) wurde 1940 in Bern geboren, lebt und arbeitet in Zürich. Das Werkzeug der Kamera dient ihr bis heute bei ihrer Arbeit an Selbstinszenierungen und Stillleben. Feinfühlig komponiert sie ihre Bilder, zitiert aus der Kunstgeschichte und der Popkultur und thematisiert existenzielle Fragen und Ängste.

 

Ihr fotografisches Œuvre wurde angeführt von «La dame au crâne rasé», der legendären Serie aus den Jahren 1977/78, mit welcher sie internationale Berühmtheit erlangte. Jene Selbstinszenierung als Grossstadtengel, der mit kahlgeschorenem Schädel androgyn und sexy, verletzlich und dennoch unantastbar cool wirkt, ist die erste fotografische Werkgruppe der Künstlerin, die auch internationale Beachtung fand. Manon hinterfragt hier Konzepte von Weiblichkeit und verwendet die Fotografie einerseits als Spiegel ihrer Identitätssuche und andererseits als Möglichkeit, aus Einzelbildern eine lose Geschichte zu weben, die viel Raum für Interpretationen lässt. In den folgenden Fotoprojekten geht sie bei der Bildgestaltung noch konzeptioneller vor, die Auseinandersetzung mit Rollenmustern und Lebensentwürfen bleibt aber grundlegend.

 

Von den bekannten Serien aus den 1970er-Jahren sind neben «La dame au crâne rasé» eine Auswahl aus «Die graue Wand» oder «36 schlaflose Nächte» und die grossformatige Neuinterpretation von «Elektrokardiogramm 303/304» in der Ausstellung präsent. Diese Klassiker stehen neben den Arbeiten, die – nach einer längeren Schaffenspause – ab den frühen 1990er-Jahren entstanden sind.

 

Mit «Künstler Eingang» (1990) suchte Manon eine distanziertere Form der Selbstinszenierung, wobei sie wie schon in Elektrokardiogramm auf die Verwendung von gemalten Hintergründen zurückgriff.

 

Die lustvolle Maskerade «Einst war sie Miss Rimini» (2003) der über 60-jährigen Frau leitet über zu Manons Beschäftigung mit dem Alter und der Vergänglichkeit, die sie auch in ihrem Langzeitprojekt Hotel Dolores (2008 – 2011) umtreibt. In der Kulisse der zerfallenen Badener Kurhotels taucht die Künstlerin nur hin und wieder auf, wie ein Phantom: Manon übt darin das Verschwinden, indem sie die Repräsentation ihrer Person auf das Interieur, Requisiten ihrer Installationen und Performances sowie Zitate ihrer frühen Fotografien überträgt.

 

Um dem installativen Charakter von Manons Werk ebenfalls Rechnung zu tragen, wird die Präsentation der fotografischen Arbeiten in der Ausstellung durch Objekte und Interventionen wie die Zeitansage aus «Die gesammelten Ängste» (2015) ergänzt und in gestaltete Räume eingebettet. Zudem wird in einem Nebenraum der Ausstellung der SRF-Dokumentarfilm Manon – Glamour und Rebellion von Lekha Sarkar projiziert.

 

Anlässlich des 80. Geburtstags der Künstlerin sollte ihr Schaffen 2020 mit einem Joint Venture dreier Ausstellungshäuser – dem Kunsthaus Zofingen, dem Centre culturel suisse in Paris und nun der Fotostiftung – und dem Buch «Manon» als gemeinsame Publikation gefeiert werden. Die drei aufeinanderfolgenden monografischen Ausstellungen bietet 14 Jahre nach der umfassenden Schau im Helmhaus Zürich wieder einen grösseren Überblick, der auch die neueren Arbeiten von Manon berücksichtigt. Die Ausstellung wurde von Sacha Nacinovic (Assistent von Manon) und Teresa Gruber (Fotostiftung Schweiz) im Austausch mit Manon kuratiert.

Das Buch zur Ausstellung

Begleitend zu den Ausstellungen in der Fotostiftung Schweiz (2022), im Kunsthaus Zofingen (2019) und im Centre culturel suisse, Paris (2021), ist die Publikation «MANON» dreisprachig (d/e/f) im Verlag Scheidegger & Spiess erschienen. Es umfasst 352 Seiten mit 211 farbigen und 71 schwarzweissen Abbildungen und kostet CHF 49.00 / EUR 48.00.
Es ist im Buchhandel, beim Verlag und im Shop der Fotostiftung Schweiz in Winterthur erhältlich. (ISBN 978-3-85881-639-9)

 

Die Ausstellung ist noch bis 29. Mai 2022 zu sehen in der

Fotostiftung Schweiz
Grüzenstrasse 45
CH–8400 Winterthur
Tel. 052 234 10 30

 

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