Was man unter dem Begriff «Kleinbasel» versteht, muss man den Nicht-Baslern vielleicht erklären: Es sind die Stadtteile Basels auf der rechten Seite des Rheins, in denen früher vor allem Arbeiter, Handwerker und Einwanderer lebten, während die noblen Familien im Grossbasel linksseitig des Rheins residierten. Kleinbasel wurde früher auch «das mindere Basel» bezeichnet, wobei «minder» damals für «kleiner» stand und nicht etwa für «minderwertig». Dass der Lällekönig an der Schifflände den Kleinbaslern mit rollenden Augen regelmässig die Zunge (die «Lälle») entgegenstreckt, ist wohl aus einem Scherz entstanden und wurde von den Kleinbaslern nie als Beleidigung empfunden. Dennoch sind die Kleinbasler ein eigenes Völkchen, bei dem es aufgeschlossener und familiärer zu- und hergeht als «jenseits». Man kennt sich, man findet schnell Kontakt zueinander und ist irgendwie stolz eben nicht zu den Grossbaslern zu gehören, sondern zu einer eigenen Gemeinde, welcher eine legendäre Heraldikfigur vorsteht, nämlich der «Vogel Gryff», dem sogar ein spezieller Feiertag gewidmet wird.
Dass die Kulturplattform BelleVue nun «Kleinbasel» zum Ausstellungsthema gewählt hat, soll diese kommunale Zusammengehörigkeit noch unterstreichen. Das BelleVue hat vier FotografInnen beauftragt «ihr Kleinbasel» zu visualisieren, was mit historischen Bildern aus dem Staatsarchiv und Gruppenarbeiten von zwei Schulkassen ergänzt wurde. Es ist dabei eine interessante Vielfalt an Bildserien herausgekommen, welche nicht nur verschiedene Interpretationen zeigen, sondern eigenständige Umsetzungen, welche das Leben und die Charakteristik Kleinbasels auf originelle Weise dokumentieren.
Maria Patzschke berichtet in einer Art fotografischem Tagebuch über Alltagssituationen, die sie zufällig angetroffen hat.
Ursula Sprecher und Viviane Herzog präsentieren in Bild und Text Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft, die in diesem Stadtteil zu Hause sind.
Roland Schmid zeigt das Gewerbe von Kleinbasel bei der Arbeit und setzt stadtbekannte Persönlichkeiten ins beste Licht.
Christian Jaeggi zeigt in seinen Reportagen das Leben in den Grün- und Erholungsräumen von Kleinbasel.
Zusätzlich haben zwei Klassen aus dem Bläsi- und dem Sandgruben-Schulhaus Fotoarbeiten entwickelt.
Den zeitgenössischen Bildern stehen in der Ausstellung historische Fotografien aus dem Staatsarchiv Basel-Stadt gegenüber. Die vom Staatsarchiv ausgewählten Strassenansichten, Porträts und Baustellenbilder aus den 1880er- bis 1920er-Jahren veranschaulichen, welche fotografischen Zeugnisse überliefert sind.
Richard Spillmann bietet mit einer Auswahl alter Ansichtskarten aus seiner privaten Sammlung weitere Einblicke in das frühere Kleinbasel und in ein Bildmedium, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen rasanten Aufschwung erlebte. Weiter gibt es in der Ausstellung eine Bildanimation, Fotoalben und eine Installation zu sehen, die einladen, sich in unzählige Details zu vertiefen und überraschende Entdeckungen zu machen.
Dank dem fotografischen Blick auf einzelne Menschen, Strassen und Plätze und den interessanten Bezügen zwischen der historischen und der zeitgenössischen Fotografie macht die Ausstellung nicht nur ein Stück Kleinbasler Alltag sichtbar, sondern öffnet auch neue Blickwinkel auf das Altbekannte. Eine Einladung zum Hinsehen, Entdecken und Nachdenken, aber auch zu eigenen Streifzügen durch die Stadt.
Fotografische Impressionen von Regine Flury.
Die Ausstellung ist noch bis 26. Juni 2022 zu sehen. Sie ist jeweils Samstag und Sonntag von 11:00 bis 17:00 Uhr geöffnet.
BelleVue – Ort für Fotografie
Breisacherstrasse 50
CH-4057 Basel
Das Kleinbasel ist: multikultureller, lauter, dreckiger, liebenswerter, charmanter, offener, spontaner, gefährlicher, linker, verfressener, rauher, authentischer, bierseliger (für nicht Basler UELI-Bier), fotogener, alternativer, durchgehängter , modischer, chaotischer, weltoffener, kontaktfreudiger und unverwechselbarer als das «noblere» Basel auf der anderen Rheinseite. Schön, dass sich diese Ausstellung dem «minderen» Basel widmet.