Urs Tillmanns, 30. April 2022, 10:00 Uhr

Buchtipp: «A Woman’s Place» – Ein Postkartenbuch

Frauen und Bergsteigen – das war lange Zeit keine Selbstverständlichkeit. Ähnlich wie Sport war das Klettern über Jahrzehnte reine Männerdomäne. Für Frauen zu anstrengend, zu gefährlich! Zudem fehle ihnen die körperliche Kraft, der Durchsetzungswille und der Kampfgeist – so argumentierte die patriarchalische Gesellschaft. Und die wenigen Frauen, die sich trotz dieser Vorurteile in die Berge wagten, blieben unerwähnt, ihre Berichte und Erlebnisse ungelesen, ihr Einsatz verschwiegen. Das verdeutlicht auch die Dokumentensammlung des Alpinen Museums in Bern, welches diese Thematik zum Ausstellungsthema machte. Seit der Sammlungsgründung im Jahre 1902 bis heute sind nur 41 Bergsteigerinnen dokumentiert, dies neben 208 Bergsteigern. Der fotografische Bestand fällt noch spärlicher aus: nur gerade mal 4,5 Prozent der Fotokonvolute sind weiblicher Herkunft – 9 von insgesamt 197.

Umso interessanter präsentiert sich dieses Bildmaterial, das nicht nur in der Ausstellung noch bis Oktober 2023 zu sehen ist, sondern das auch in diesem Postkartenbuch zusammengefasst ist. Es sind 40 Postkarten, die älteste stammt von Adolf Braun (1812-1877) um 1875, die letzte dieser Reihe zeigt eine Frauengruppe im Basecamp K2 im Jahre 1985.

Die Idee eines Postkartenbuches ist gleichermassen originell wie nützlich. Einerseits ist es eine handliche Erinnerung an die Ausstellung, anderseits bietet es die Möglichkeit, einzelne Postkarten herauszutrennen und zu verschicken. Unzeitgemäss? Ich glaube nicht, denn Postkarten erfreuen sich wieder zunehmender Beliebtheit und fallen als Grussmedium in der täglichen Werbepost persönlich und positiv auf. Beliebt auch bei Sammlerinnen und Sammlern, besonders bei jenen, die sich mit diesem Randthema befassen oder ihren Spass an den Bildern haben.

Die Bildauswahl dieser 40 Postkarten ist ausgesprochen gelungen. Grundsätzlich sind die Bilder in chronologischer Reihenfolge angeordnet und zeigen Bilder aus allen Epochen. Sie dokumentieren damit auch, wie sich die Ausrüstung der Bergsteigerinnen entwickelt hat, vom Faltenjupe und langen Haltestöcken, bis hin zum wetterfesten Tenü, das sich von demjenigen der Männer kaum mehr unterscheidet.

Den heraustrennbaren Postkarten ist ein 32 Seiten starkes Textbuch vorangestellt, das interessante Essays von vier Autorinnen enthält, die sich besonders mit diesem Thema auseinandergesetzt haben. Absolut lesenswert! Während sich Monika Hofmann mit den Fragen auseinandersetzt, weshalb Bergsteierinnen in der Gesellschaft eine Randerscheinung waren, geht Michelle Huwiler auf deren Sammlungspräsenz im Alpinen Museum ein. Ingrid Runggaldier hebt berühmte Bergsteierinnen hervor, und Rita Christen schliesslich «geniesst ihre Rolle als Exotin», weil sie seit mehr als 20 Jahren Bergführerin ist und heute den Schweizer Bergführerverband (SBV) präsidiert. Eine Zusammenfassung dieser Texte auf Französisch und Englisch macht das Interesse an diesem Büchlein internationaler.

Für wen ist dieses Postkartenbuch? In erster Linie natürlich für Frauen, welche die Berge und Bergtouren lieben, und ihre Kolleginnen mit einem gelegentlichen Postkartengruss dazu motivieren möchten, auf eine Tour mitzukommen. Dann ist es eine Erinnerung an die Ausstellung im Alpinen Museum mit Bildern, die Seltenheitswert haben und einen interessanten gesellschaftlichen Wandel dokumentieren. Allerdings könnte das Büchlein in ein Dilemma führen: Trenn man die Postkarten heraus, oder behält man es im Urzustand? Die Gewissensfrage lässt sich wohl nur damit lösen, dass man sich gleich zwei davon zulegt, ein Benutzbares und ein Bibliophiles – was bei dem günstigen Preis von nur 24 Franken durchaus lohnend ist.

Urs Tillmanns

 

Buchbeschreibung des Verlages

Seit den Anfängen des Alpinismus sind Frauen in den Bergen unterwegs. Sie organisieren und planen Hochtouren, besteigen Gipfel, halten Aussicht und Leistung fotografisch fest und erzählen in Berichten von ihren Erlebnissen. Dennoch sind ihre Geschichten in der Öffentlichkeit nur wenig bekannt und in der Sammlung des Alpinen Museums der Schweiz kaum dokumentiert – bis jetzt!

Das neue Postkartenbuch belegt, dass die Berge seit jeher ganz eindeutig auch «A Woman’s Place» waren: 40 Fotografien aus diversen Beständen zeigen Frauen in alpinistischer Praxis vom späten 19. Jahrhundert bis in die 1980er-Jahre. Die Bilder erzählen von Mut, Ungezwungenheit sowie Willenskraft.

 

Der Inhalt

Beat Hächler – Auftakt

Monika Hofmann – Eine Sonderbehandlung für «die Frauen»

Michelle Huwiler – Sie sind in der Minderheit, aber es gibt sie!

lngrid Runggaldier – Frauen in den Bergen: Der Weg aus dem Haus war schwieriger als der Weg zum Gipfel

Rita Christen – «lch geniesse meine Rolle als Exotin»

Résumé en français

Summary in English

 

Die Autorinnen und Autoren

Rita Christen ist Bergführerin und präsidiert seit 2020 als erste Frau de n Schweizerischen Bergführerverband (SBV).

Rebecca Etter ist seit November 2020 Projektleiterin des Fundbüros für Erinnerungen im Alpinen Museum der Schweiz.

Beat Hächler ist seit 2011 Direktor des Alpinen Museums in Bern. 2002-2011 war er Co-Leiter des Stapferhaus Lenzburg.

Monika Hofmann ist Co-Autorin des Buches «Vorbild und Vorurteil. Lesbische Spitzensportlerinnen erzählen» (2020) und arbeitet am lnterdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern.

Michelle Huwiler ist seit 2019 Sammlungskuratorin im Alpinen Museum der Schweiz.

Anita Mischler ist sei t 2020 verantwortlich für die Fotosammlung des Alpinen Museums der Schweiz.

lngrid Runggaldier ist freischaffende Journalistin und Autorin von «Frauen im Aufstieg. Auf Spurensuche in der Alpingeschichte» (2011).

 

Bibliografie

A Woman’s Place – Ein Postkartenbuch
Fundsachen von Bergsteigerinnen aus der Sammlung

Erschienen im Rahmen der Ausstellung «Frauen am Berg» (4.12.2021 – 31.10.2023) im Alpinen Museum, Bern. 

40 Postkarten zum Heraustrennen und 32 Seiten Begleittext
Hardcover, Format 12,5 x 17,1 cm
Mit Textbeiträgen von Rita Christen, Rebecca Etter, Beat Hächler, Monika Hofmann, Michelle Huwiler, Anita Mischler und lngrid Runggaldier
Sprachen Deutsch, Zusammenfassungen Französisch und Englisch
Verlag Scheidegger & Spiess AG, Zürich
Herausgeberin: Alpines Museum der Schweiz, 2021
Preis: CHF 24.00 / EUR 24,00
ISBN 978-3-03942-039-1

Das Buch kann im Buchhandel gekauft, im Shop vom Alpinen Museum in Bern erstanden oder direkt beim Verlag bestellt werden.

 

 

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