Während Jahren ein wirrer Bauplatz ist nun im Westen und in unmittelbarer Nähe des Bahnhof Lausanne des Kunstquartier «Plateform 10» entstanden. Es umfasst mitten in der Stadt eine Fläche so gross wie fünf Fussballfelder und ist am Wochenende des 18. und 19. Juni 2022 als kulturelles Begegnungszentrum und Standort von drei Museen offiziell eröffnet worden. Dominant, wenn man das Gelände vom Bahnhof her in drei Minuten zu Fuss erreicht, ist linkerhand das «Musée Cantonale des Beaux-Arts» (Kantonales Kunstmuseum Lausanne) zu sehen. Dann, weiter hinten im Areal in einem gigantischen Betonkubus, ist das «Photo Elysée» im Untergeschoss und das «Mudac» (Musée Cantonal de Design et d’Arts Appliqués Contemporains – Museum für Gestaltung und angewandte, zeitgenössische Kunst) im Obergeschoss untergebracht – der markante Komplex könnte so etwas wie ein neues Wahrzeichen der Stadt Lausanne werden.
«Plateform 10» (Geleis 10) ist ein neues Kunstquartier beim Bahnhof Lausanne, welches drei Museen beherbergt, darunter das Museum für Fotografie «Photo Elysée»
Der gigantische Komplex war das Ergebnis von drei Architekturwettbewerben, welche zum Schluss vom den portugiesischen Architekten Manuel und Francisco Aires Mateus (in enger Zusammenarbeit mit dem Ingenieur Rui Furtado) gewonnen worden waren. «Wir mussten zwei Museen berücksichtigen. Das eine brauchte viel Licht, für das wir den oberen Teil mit einem lichtdurchlässigen Dach gestaltet haben. Das andere brauchte sehr gerichtetes Licht, wir platzierten es im unteren Bereich, mit Öffnungen zu Innenhöfen, um echte Kontrollmöglichkeiten zu haben» erklärt der Architekt Manuel Aires Mateus. «Wir wollten, dass man überall, wo man sich im Foyer aufhält, immer den Bezug zum Aussenbereich hat. Wir wollen bei den Besucher/innen ein besonderes räumliches Gefühl hervorrufen. Für uns ist das die wichtigste Aufgabe der Architektur. Die Struktur muss die Möglichkeit geben, den Raum zu begreifen». Im Obergeschoss profitiert das Mudac (die «white box») vom Deckenlicht, das für die Ausstellung von Objekten – insbesondere einer bedeutenden Sammlung zeitgenössischer Glaskunst – günstig ist, während das Photo Elysée als eine Art «black box» im Erdgeschoss für das Medium Fotografie konzipiert ist und dort besondere Lichtgestaltungen zulässt.
Den monumentalen Bau teilen sich das Musée Elysée im Untergeschoss und das Designmuseum «Mudoc» im Obergeschoss
Der Bau des Gebäudes mit 42 x 42 Meter Grundfläche erforderte umfangreiche Ingenieurarbeit, insbesondere für die Herstellung eines Systems aus Beton und inneren Stahlträgern, das es ermöglicht, das obere Volumen (über 1100 Tonnen Beton) auf nur drei Säulen zu tragen. Diese werden von 72 Facetten «abgedeckt», die alle unterschiedlich sind und Lichtspiele entsprechend der Sonneneinstrahlung ermöglichen. Das gesamte Dach ist mit Sonnenkollektoren bedeckt und das Gebäude ist an das Fernwärmesystem der Stadt Lausanne angeschlossen. Der Bau wurde 2018 begonnen, und es dauerte 1’291 Tage bis er fertiggestellt war. Die gesamte Konstruktion bietet eine Fläche von 14’400 Quadratmetern. Ausser den Ausstellungsräumen beherbergt sie Büros, Konferenzsäle, ein Auditorium für 80 Personen, Depot- und Archivräume sowie die technischen Anlagen.
Die Eingangshalle ist ein offener, heller Raum, den sich die beiden Museen mit dem Empfang, der Billettkasse, einer Café-Bar, dem Museumsshop und der Garderobe teilen.
Das Photo Elysée, das bisher in einem Herrschaftshaus mit Park oberhalb des Olympischen Museums auf mehreren Stockwerken untergebracht war, profitiert nun von einem einzigartigen Geschoss mit einer Fläche von ca. 1’520 Quadratmetern. Darin sind Ausstellungsräume, das LabElysée für die Bildkonservierung und die Vermittlung untergebracht. Die Ausstellungsräume bestehen aus einer teilbaren Fläche von 800 Quadratmetern für temporäre Ausstellungen und 150 Quadratmetern für die Sammlung.
Alle drei Museen zeigen bis 25. September 2022 die Themenausstellung «Train Zug Treno Tren». Das Musée Elysee kann hierzu mit dem reichhaltigen Bildarchiv aus dem Vollen schöpfen.
Der grosse Ausstellungsraum kann mit Zwischenwänden bedarfsweise unterteilt werden. Zur Zeit wird die Ausstellung in 60 thematischen Kojen gezeigt.
Das neue Laboratorium für die Bearbeitung der Sammlungsbestände, das sich in einem separaten Gebäude befindet, besteht aus mehreren Fachräumen für die Forschung, die Sammlungsbearbeitung, die Digitalisierung, Rahmung, Konservierung und Restaurierung sowie für Beratungen. Die Sammlungen des Photo Elysée befinden sich zur Zeit noch am früheren Ort und werden in zirka einem Jahr umgesiedelt, wenn die Temperatur und Luftfeuchtigkeit am neuen Ort in vier aufeinanderfolgenden Jahreszeiten getestet worden ist. Das Volumen der Depoträume wird dann mit 1’900 Quadratmetern an einem zentralen Ort rund dreimal grösser sein als bisher.
Das Designmuseum Mudac profitiert von einem hellen Oberlicht. In allen drei Museen wird noch bis 25. September 2022 die Ausstellung «Train Zug Treno Tren» gezeigt.
Das Designmuseum Mudac verfügt über eine grosszügige Ausstellungsfläche von 1’580 Quadratmetern, die es möglich macht, eine oder mehrere Ausstellungen gleichzeitig zu präsentieren. Der Wunsch nach mobilen Ausstellungswänden ist nicht nur eine Aufwertung der Architektur, sondern auch eine Bestätigung der nahezu unendlichen Plastizität von Ausstellungsräumen. Das Mudac hat seine Ausstellungsfläche gegenüber früher verdoppelt und wird künftig in der Lage sein, Projekte von bisher unmöglichem Ausmass zu realisieren. Die neuen Depoträume des Mudac mit einer Fläche von 3’162 Quadratmetern werden viermal mehr Volumen aufnehmen können als bisher.
Das Kantonale Kunstmuseum MCBA
Das «Musée Cantonale des Beaux-Arts» (Kantonales Kunstmuseum Lausanne MCBA) wurde aufgrund eines Wettbewerbs 2011 von den Architekten Estudio Barozzi Veiga aus Barcelona gestaltet und bereits im Oktober 2019 mit der ersten Ausstellung eröffnet. Das Gebäude ist rund 145 Meter lang, 22 Meter breit und 22 Meter hoch. Die Ausstellungsfläche von 3’215 Quadratmetern wurde gegenüber vorher fast verdreifacht, wovon 1’240 m² für Wechselausstellungen und 1’560 m² für die Präsentation der Sammlung genutzt werden. Hinzu kommen 230 Quadratmeter für den «Espace Projet» mit zeitgenössischer Kunst und 135 Quadratmeter für den «Espace Focus», welcher die Vertiefung von bestimmten Aspekten der Sammlungen ermöglicht. Ein Auditorium von 260 Quadratmetern bietet Platz für bis zu 200 Personen.
Vor dem Kunstmuseum erinnert eine monumentale Skulptur an die ehemalige Lokomotivhalle, mit welcher früher dieses Gelände genutzt wurde.
Die dunkelgrün gestrichene Eisenskulptur wiegt etwa sieben Tonnen, ist 17 Meter lang, 2,5 Meter breit und 3,3 Meter hoch. Sie weist die identischen Proportionen der legendären Krokodil-Lokomotive Ce 6/8II aus dem Jahre 1919 auf. Die Skulptur wurde von den beiden Künstlern Olivier Mosset und Xavier Veilhan gestaltet und realisiert.
Die Bücher zu den Ausstellungen
Zu jeder Ausstellung ist ein ausführliches Begleitbuch erschienen, welches es im Museumshop zum Preis von je CHF 35.00 zu kaufen gibt. Alle drei Bücher zusammen gibt es in einem Kartonschiuber im Shop, im Buchhandel oder beim Verlag Scheidegger & Spiess für CHF 95.00.
Das dreibändige Werk dokumentiert nicht nur die drei Ausstellungen der neu eröffneten Plateform 10, sondern es dokumentiert die Faszination der Eisenbahn im Spiegel der drei Kunstrichtungen Fotografie, Design und Malerei mit repräsentativem Bildmaterial und kompetent verfassten Texten. Die Bücher sind sowohl Begleitliteratur als auch eine nachhaltige Erinnerung an diese wohl einmalige Trilogie zum Thema Eisenbahn.
TRAIN ZUG TRENO TREN
Treffen wir uns am Bahnhof – Imaginäre Reisen – Freie Bahn
3 Bände, kartoniert in Schuber, total 528 Seiten, 372 farbige und 29 Schwarzweiss-Abbildungen, Format 18 x 24 cm, 1. Auflage, 2022, ISBN 978-3-03942-110-7, CHF 95.00 | EUR 95.00
In Zusammenarbeit mit dem Musée cantonal des Beaux-Arts (MCBA), dem Musée cantonal de design et d’arts appliqués contemporains (mudac) und dem Photo Élysée, Lausanne
Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich
Der Kulturplatz wird auf seiner Nordseite mit dem Kunstraum Signal L und den Arkaden abgeschlossen, in denen Künstlerinnen und Künstler, Kuratorinnen und Kuratoren oder Partnerinstitutionen Projekte präsentieren, die mit den aktuellen Themen der Plateform 10 in Zusammenhang stehen.
Nathalie Herschdorfer ist die neue Direktorin des Photo Elysée
Nathalie Herschdorfer ist als Kunst- und Fotohistorikerin, Kuratorin und Autorin aus ihrer Funktion als Direktorin des Musée des Beaux-Arts in Le Locle schon bekannt. Sie hatte dort mehr als 50 Sonderausstellungen kuratiert und war als künstlerische Leiterin des Festivals Alt.+1000 tätig. 2021 kuratierte sie für die Messe Paris Photo das Programm Elles x Paris Photo, das Künstlerinnen gewidmet war. Sie ist in der zeitgenössischen Fotografie sehr aktiv und tritt regelmässig auf internationaler Ebene als Kuratorin und Referentin auf. Sie hat Ausstellungen auf allen Kontinenten organisiert, unterrichtet an der ECAL und ist Autorin mehrerer Bücher über Fotografie. Sie hat im Juni 2022 beim Photo Elysée die Nachfolge von Tatjana Frank angetreten.
Situationsbilder: Urs Tillmanns, Fotointern
Weitere Informationen finden Sie im Internet über
• das Kulturzentrum Plateform 10
• das Photo Elysée
• das Designmuseum Mudac
• das Kunstmuseum MCBA
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UPDATE: 23.06.2022, 09:50 Kasten mit Hinweis auf die drei Begleitbücher