Urs Tillmanns, 1. Oktober 2022, 10:00 Uhr

Buchtipp: «Reto Camenisch – Das vierte Drittel und die Poesie der Angst»

Reto Camenisch muss man eigentlich nicht vorstellen. Wir kennen ihn als berühmten Schweizer Fotografen mit herausragenden Reportagen ferner Destinationen, wir kennen ihn als Jurymitglied bei den verschiedensten Wettbewerben und Awards, oder er bleibt vielen Absolvent/innen des MAZ oder der HKB als brillanten Dozenten in Erinnerung. Anders als seine bisherigen Arbeiten ist das vorliegende Buch. Es enthält bisher ungesehene Farb- und Schwarzweissbilder, einige davon wie mit einem Grauschleier überzogen, die etwas ungewohnt, fast unrealistisch wirken. Sie zeigen Landschaften, Innenräume, botanische Objekte – sie vermitteln Stimmungen, die uns zum Nachdenken anregen, die mehr Fragen stellen als Antworten geben. Es sind Bilder von Reto, wie man sie nicht kennt, in denen er eine neue Bildsprache zum Ausdruck bringt – und die einen ganz speziellen Hintergrund hat.

Auslöser war die Krebsdiagnose, welche Reto in Lebensangst versetzte und langwierige, schmerzhaften Behandlungen nach sich zog. Um wieder zu sich selbst zu finden nahm er eine längere Auszeit für eine Therapie in einem Ayurveda-Spital in Südindien, die zunächst seinen Zustand verschlimmerte, dann aber zusehends zu Heilung und Klärung führte. «Ich begann dem Unverständlichen Bilder zuzuweisen, in diesem Moment die einzige Möglichkeit ein ‘Gespräch’ mit mir und der ‘Äusserlichkeit’ anzufangen» schreibt Reto in seinem eindrücklichen Vorwort, «das nicht vor Angst, Verzweiflung und Ablehnung geprägt war.»

Die Bilder sprechen zu uns. «Sie eröffnen uns eine Welt, die fast rauschhaft erfahren ist, wie tausend kleine Explosionen auf unseren Geschmackszellen» schreibt Daniel Blochwitz in seinem Essay, das weit mehr ist als nur ein erklärender Begleittext zu Retos Buchprojekt. «All die kleinen Nuancen, Verweise, Zwischentöne und Referenzen kommen in den Bildern zusammen, die auf den ersten Blick einfach erscheinen mögen, aber hochkomplex sind.» Es sind Bilder, die keiner systematischen Ordnung folgen, sondern den Gefühlmomenten des Fotografen, um mit den Bildern und in den Bildern seine Depression zu überwinden und wieder zu sich selbst zu finden. Reto hat dies geschafft, hat seine Krankheit besiegt und schenkt uns (und sich selbst) ein Bilderwerk, wie wir es bisher nicht kannten. Er hat eine neue, stimmungsvolle Bildsprache gefunden und macht uns diese in seinem Buch zum Geschenk.

Für wen ist dieses Buch? Es ist ein Bildband mit Fotos, die dem Betrachter einen hohen Anspruch abverlangen, die mit dem Wissen um seine Krankheit und seinen Heilungsprozess eine besondere Aussagekraft gewinnen. Es sind Bilder, mit dem man sich auseinandersetzt, die nicht nur Reto einen neuen Weg gezeigt haben, sondern möglicherweise auch uns.

Urs Tillmanns

 

Buchbeschreibung des Verlags

Camenischs Arbeiten reihen sich in die Tradition der analogen, schwarzweissen Reportage- und Porträtfotografie. Das neue Buch von ihm beinhaltet erstmals digitale Farbfotografien. Diese entstanden als Reaktion auf eine Krebsdiagnose, die er im Sommer 2019 erhielt.

«Dieses Projekt beschäftigt sich mit der Transformation meiner Ordnungssysteme, hervorgerufen durch eine vor zweieinhalb Jahren erhaltene Krebsdiagnose. Innerhalb kurzer Zeit veränderten sich die Wegpunkte, die mir über viele Jahre als Orientierung dienten. Meine Wahrnehmungs- und Deutungskonzepte verschwanden mit der Diagnose in einen lichtarmen Raum, mehr schwarz als grau. Über einen Zeitraum von zwei Jahren entwickelte sich dann aber auf wunderbare Weise eine andere Wirklichkeit und Wahrnehmung nicht nur als Mensch, sondern auch als Fotograf.

Bisher hatten Farben in meiner Arbeit kaum eine Bedeutung, und auf einmal wirkten diese mit grosser Kraft auf mich ein, trugen mich förmlich durch den Tag. Um nichts möchte ich diese Erfahrung missen». Reto Camenisch

 

Der Inhalt

Vorwort von Reto Camenisch

Bildteil

«Kaputt» von Daniel Blochwitz

«Versuch über das Subjektiv» von Balts Nill

Biografien, Danksagungen, Impressum

 

Die Autoren

Reto Camenisch, geboren 1958 in Thun, ist ein bekannter Schweizer Fotograf und Filmemacher. Bildjournalist für diverse nationale und internationale Tageszeitungen, Magazine und Illustrierten. Nationale und internationale Ausstellungen, Autor diverser Monografien, Multimedia Produktionen und 2020 einen Dokumentarfilm «Heicho» – Der Blues des Walter Liniger. Freier Referent, Gastdozent (HKB Hochschule der Künste Bern, ETH Zürich). Studienleiter Fotografie MAZ – Die Schweizer Journalistenschule Luzern, Jurymitglied bei diversen Wettbewerben/Awards.

Daniel Blochwitz, geboren 1973, ist freier Kurator für Fotografie in Zürich. Er hat in den USA Fotografie studiert und 2003 mit einem Master von der University of Florida abgeschlossen. Nach einem postgraduierten Programm am Whitney Museum in New York arbeitete er lange für Galerien in New York und zuletzt in Zürich. Er war künstlerischer Leiter der photo basel und ist seit 2020 Kurator des Fotofestivals Lenzburg.

Balts Nill, geboren 1953, studierte Germanistik und Philosophie. 1989 gründete er mit Endo Anaconda die Band «Stiller Has», mit der er bis 2005 durch die Lande tourte. Als Musiker und Autor ist er an zahlreichen musikalisch-literarischen Projekten beteiligt.

Gegenwärtige Ausstellungen

Galerie Bernhard Bischoff & Partner, Zürich, noch bis 22. Oktober 2022
Museum Franz Gertsch, Burgdorf, Gruppenausstellung noch bis 27. November 2022

 

Bibliografie

«Reto Camenisch – Das vierte Drittel und die Poesie der Angst»
« Reto Camenisch – Le quatrième tiers et la poésie de la peur »

208 Seiten, 125 Farb- und Schwarzweiss-Abbildungen,
Format 22 × 29,5 cm, gebunden, Leinenumschlag, 2022
Mit Texten deutsch / französisch von Reto Camenisch, Balts Nill und Daniel Blochwitz
Till Schaap Edition, Bern  
Preis: CHF 68.00 / EUR 65,00
ISBN 978-3-03878-068-7

Das Buch kann im Buchhandel gekauft, beim Autor (signiert, mit optionaler Widmung) oder beim Verlag direkt bestellt werden.

 

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