Urs Tillmanns, 30. Oktober 2022, 11:40 Uhr

«Peter Knapp – Mon temps» – Fotografie und Mode im Dialog

«Modefotografie wird gemacht, um gedruckt zu werden. Dahinter steht immer ein Auftrag, es handelt sich um angewandte Kunst. Eine Modefotografie für die Zeitschrift Vogue weist eine andere Haltung auf als eine für Elle. Eine Aufnahme für einen Modedesigner ist etwas anderes als ein Bild für die Werbung. Wenn ein Fotograf diesen Unterschied nicht merkt, macht er einen Fehler. Es geht um eine spezifische soziale Information.» Mit diesem Credo wird Peter Knapp in den 1960er- und 70er-Jahren zu einer einflussreichen Figur der internationalen Modewelt.

Peter Knapp wurde 1931 in Bäretswil im Zürcher Oberland geboren. Nach seiner Ausbildung an der Kunstgewerbeschule Zürich hat er insbesondere als Art Director der in Paris erscheinenden Zeitschrift «Elle» grossen Erfolg: In einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, der sich nicht zuletzt in der Mode spiegelt, findet er die passenden Bilder für die Befreiung des Körpers und der Gedanken. Elle, unter der Chefredakteurin Hélène Lazareff ein Leitmedium der Emanzipation, trägt wesentlich zu einer lebensfrohen Demokratisierung weiblicher Kleidung bei: Prêt-à-porter statt Hautecouture, Minijupe statt Korsett, Funktionalität statt steifer Eleganz, selbstbewusste Frauen auf den Strassen statt Mannequins im Studio. Sowohl die Layouts wie auch die Fotografien von Peter Knapp vermitteln dieses neue Körper- und Lebensgefühl, in dem sich viele Frauen der sechziger Jahre wiedererkennen. Dieselbe kreative Freiheit und spielerische Lust, mit der Knapp im Lauf der Jahrzehnte unzählige eigene Kunstprojekte, Filme und Ausstellungen realisiert, prägen auch seine Arbeiten im Bereich der angewandten Fotografie. «Was mich antreibt: Ideen in Bilder zu übersetzen. Ich möchte meine Gedanken visualisieren, meine Fantasien und Geschichten bildlich ausdrücken. Je ne prends pas de photos, je les fais.»

 

Von Zürich nach Paris

Sein Rüstzeug holt sich Peter Knapp ab 1947 an der Zürcher Kunstgewerbeschule, die sich vor allem an den Gestaltungsideen des Bauhauses orientiert: Form und Funktion sollten aufeinander abgestimmt sein, auf geometrischen Grundsätzen beruhen und überflüssige Verzierungen vermeiden. Auch das Allrounder-Prinzip ist hoch im Kurs. Die Verbindung von Typografie, Fotografie, Malerei, Bildhauerei, Drucktechniken und Layout prägt Peter Knapp ebenso nachhaltig wie die Suche nach reduzierten, einfachen Formen.

1951 zieht der frisch diplomierte Künstler und Gestalter nach Paris, um sich weiterzubilden und freischaffend Aufträge zu realisieren. Sein Stil und sein Talent fallen auf, denn was man in jenen Jahren in Frankreich an Grafik zu sehen bekommt, ist «démodé». Schon nach kurzer Zeit bietet das renommierte französische Kaufhaus Galeries Lafayette dem erst 24jährigen Schweizer die Stelle des künstlerischen Leiters an. Er ändert die gesamte Typografie und ersetzt die Zeichnungen, die für Plakate und Anzeigen verwendet werden, durch Fotografie.

 

Art Director bei Elle

1959 wird Peter Knapp Art Director von Elle – die progressive Chefredakteurin Hélène Lazareff, die zuvor bei Harper’s Bazaar in New York mit dem legendären Designer Alexey Brodovitch zusammengearbeitet hat, beauftragt ihn, das Erscheinungsbild radikal zu modernisieren. Elle sollte auf kultivierte, aber leicht zugängliche Weise neue Generationen von Frauen ansprechen und die Emanzipation vorantreiben – durch die Verbreitung von weiblichen Stimmen der Literatur, die Vermittlung eines zeitgemässen Frauenbilds und die Demokratisierung der Mode. Elle präsentiert Kleider, die der ausser Haus arbeitenden Frau entsprechen und im Alltag oder auf der Strasse getragen werden können.

Tatsächlich ändert sich das Gesicht des Magazins in kürzester Zeit: Peter Knapp gibt der Fotografie und der Arbeit mit Fotografinnen und Fotografen einen hohen Stellenwert; er engagiert Models, die nicht als Haute-Couture-Mannequins, sondern vor allem als starke Persönlichkeiten beeindrucken; er verabschiedet sich von illustrativen Modezeichnungen; und er nutzt jede Doppelseite als ein Spielfeld, auf dem Bilder und Texte frei arrangiert werden dürfen. Die Auflösung des strengen Layout-Rasters ist eine von Knapps Innovationen. Der Art Director kreiert einen Gesamtablauf – den sogenannten «chemin de fer» –, überlässt aber die Gestaltung der Doppelseiten seinen Grafikerinnen und Grafikern. Aus diesem Teamwork entsteht von Woche zu Woche eine neue Zeitschrift, abwechslungsreich, frisch und überraschend, ohne dass die Identität des Hefts in Frage gestellt wird.

 

Bewegte Bilder für eine bewegte Zeit

Wenn die Fotografen, die sich Peter Knapp wünscht, nicht zur Verfügung stehen, stellt er sich selbst hinter die Kamera. Zentrales Element seiner Modefotografie ist die Bewegung: Die neue Freiheit des Denkens und des Körpers soll auch in einer visuellen Dynamik ihren Ausdruck finden. Zwar gab es schon in den 1930er-Jahren einzelne Fotografen wie Martin Munkácsi, die mit Bewegungsaufnahmen neuartige Modebilder kreierten – mit Modellen, die über den Strand liefen und Kleidern, die im Wind flatterten; in den 1950er-Jahren experimentierte auch Richard Avedon mit bewegten Bildern und bereitete das Terrain für das nachfolgende Jahrzehnt. Aber erst um 1965 setzt sich die dynamische gegenüber der statischen Modefotografie durch. Die Models, die Knapp festhält, wenn sie über die Strasse springen oder eine Treppe hocheilen, bewegen sich so natürlich und unbeschwert, dass ihnen die Leserinnen und Leser der Zeitschrift auf Augenhöhe begegnen. Ab 1966 verwendet Peter Knapp einzelne Bilder aus den Aufzeichnungen einer 16mm-Filmkamera: Unschärfe, schnappschussartiger Bildausschnitt, Details und unbeabsichtigte Bewegungen tragen zu jener luftigen Dynamik bei, die dem Zeitgeist entsprechen.

 

Mode als Vorwand

Kreativ und erfinderisch sucht Knapp immer wieder nach neuen Ansätzen: Seine Experimente erinnern manchmal an die surrealistischen Werke von Erwin Blumenfeld oder Man Ray, dann wieder an die Bauhaus-Künstlerinnen und -Künstler, die mit Mehrfachbelichtungen operierten. Da er die Models selbst nicht zu sehr idealisieren will, arbeitet er unter anderem mit Close-ups, projiziert Stoffmuster auf den weiblichen Körper oder benutzt das Weitwinkel-Objektiv – auch dies eine Innovation für die Modefotografie.

Mit der Anordnung der Figuren im Raum oder der Betonung der Diagonalen gelingen ihm auffällige Bilder und Inszenierungen. Er fotografiert die Modelle in der Luft hängend und auf dem Boden liegend oder lässt sie auf Fahrradsättel steigen, die auf langen Stangen montiert sind. Die in der Höhe sitzenden Frauen werden einzeln von unten fotografiert, anschliessend freigestellt und auf eine schwarze Fläche geklebt, so dass sie tatsächlich abzuheben scheinen. Die Illusion fasziniert, weil sie keine eindeutige Perspektive aufweist und keinen Blick in die Tiefe zulässt. Die Mode dient Peter Knapp oft als Vorwand, um seinem eigenen kreativen Drang freien Lauf zu lassen.

 

Kunst als Inspiration

Als ausgebildeter Typograf und Grafiker hat Knapp eine besondere Affinität zu den grafischen Formen und optischen Effekten, die in der Kunst der 1960er-Jahre eine bedeutende Rolle spielen und auch die Modedesigner beeinflussen. Die geometrischen Strukturen, die auf ihren Stoffen zu sehen sind, finden Eingang in seine Bildgestaltung.

Obschon er den allzu rigiden Gestaltungsprinzipien, die er in der Schweiz gelernt hat, kritisch gegenübersteht, bleibt Peter Knapp der Klarheit und dem Minimalismus verpflichtet – etwa in kontrastreichen, strengen Kompositionen in Schwarz und Weiss. Auch Künstler wie Piet Mondrian und Theo van Doesburg, deren Werke auf einem System aus horizontalen, vertikalen und diagonalen Linien beruhen, sind ihm eine wichtige Inspirationsquelle.

 

Von der angewandten Fotografie zur freien Kunst

1966, als Hélène Lazareff an Krebs erkrankt und ihren Posten aufgeben muss, tritt auch Peter Knapp von Elle zurück. Er wird freischaffender Fotograf für Zeitschriften wie Vogue, Stern oder Sunday Times Magazine sowie Art Director für die Kollektionen herausragender Modedesigner wie André Courrèges oder Ungaro. Zusammen mit Daisy de Galard – ebenfalls von Elle herkommend – produziert er Filme für die legendäre TV-Sendung «Dim, Dam, Dom», eine Art Übersetzung von Elle in ein fernsehtaugliches Format, das in Frankreich Kultstatus geniesst. Von 1974 bis 1977 kehrt Peter Knapp nochmals als Art Director zu Elle zurück; doch in den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten konzentriert er sich immer mehr auf seine eigenen filmischen und künstlerischen Projekte.

Im Rückblick erscheint die Modefotografie und die Zeit bei Elle nur als relativ kurzes Kapitel in der Biografie des inzwischen über 90jährigen – ein Kapitel, das sich aber in der kollektiven Erinnerung tief eingeprägt hat, denn für Generationen von Frauen der Nachkriegszeit ist Elle das Symbol einer glücklichen und beschwingten Zeitenwende. Wie wenige andere war Peter Knapp im Paris der sechziger und siebziger Jahre ganz nahe am Puls jener Zeit – er war sowohl Zeuge als auch Akteur eines historischen Moments des Um- und Aufbruchs.

 

Die Fotostiftung Schweiz in Winterthur präsentiert in der von Peter Pfrunder kuratierten Ausstellung noch bis 12. Februar 2023 eine Auswahl aus einer rund 700 Fotografien umfassenden Schenkung von Peter Knapp.

Der Katalog

Begleitend zur Ausstellung erschien die Publikation «Peter Knapp – Mon temps. Modefotografie 1965–1980» im Verlag Scheidegger & Spiess. Auf 192 Seiten zeigt der Katalog die wichtigsten Bilder aus dem Lebenswerk von Peter Knapp.

Der Inhalt:
Die blauen Schachteln – eine Zeitreise mit Peter Knapp / Schwerelos im Raum / Die Diagonale als Gestaltungsmittel / Zur richtigen Zeit am richtigen Ort / Biografie / Index mit Referenzbildern / Impressum

Herausgegeben wurde der Katalog von Peter Pfrunder, Fotostiftung Schweiz. Er ist begleitet von einem Text der Kunsthistorikerin Laura Ragonese und einer Einführung von Peter Pfrunder. Gestaltet wurde er von Anna Haas. Das Format beträgt 24 x 34 cm, gebunden, broschiert mit kartoniertem Schutzumschlag.
ISBN 978-3-03942-100-8. Preis: CHF 49.00, erhältlich im Buchhandel, direkt beim Verlag oder im Shop der Fotostiftung Schweiz.

Die Ausstellung dauert noch bis 12. Februar 2023 in der Schweizer Fotostiftung Winterthur.
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 11–18 Uhr, Mittwoch, 11–20 Uhr
Weitere Infos finden Sie auf der Website fotostiftung.ch

Redigierter Pressetext
Situationsfotos: Urs Tillmanns

Sonder-Veranstaltungen

Sonntag, 6. November, 11.30 Uhr Künstlergespräch und Ausstellungsrundgang mit Peter Knapp und Peter Pfrunder.

Sonntag, 20. November, 11.30 Uhr Künstlergespräch und Ausstellungsrundgang mit Peter Knapp und Peter Pfrunder.

Sonntag, 4. Dezember, 11.30 Uhr «Emanzipiert? Elle trifft annabelle – Modefotografie damals und heute». Ausstellungsrundgang mit Barbara Loop, Stv. Chefredakteurin annabelle und Teresa Gruber, Kuratorin Fotostiftung Schweiz.

Sonntag, 22. Januar 2023, 11.30 Uhr «La mode en mouvement – Mode in Bewegung». Ausstellungsrundgang mit Karin Gimmi, Kuratorin Museum für Gestaltung Zürich und Michael Zimmermann, Fotostiftung Schweiz.

 

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