Das BelleVue, Ort für Fotografie in Basel, zeigt noch bis 18. Juni 2023 die Einzelausstellung von Pia Zanetti. Sie ist seit mehr als sechs Jahrzehnten auf allen Erdteilen unterwegs, um Menschen und das Zeitgeschehen zu dokumentieren – und erzählt spannende Episoden.
Pia Zanetti gehört zu den profiliertesten Schweizer Fotojournalistinnen ihrer Generation. Sie ist in Basel geboren, kann dieses Jahr ihren achtzigsten Geburtstag feiern und sprudelt nur so von Erinnerungen und Episoden, die sie zu ihren Bildern zu vermitteln weiss. Und doch hat sie es nicht immer leicht gehabt. Vor allem damals, als sie Fotografin lernen wollte und als Mädchen keine Lehrstelle bekam. Schliesslich absolvierte sie ihre Ausbildung bei ihrem Bruder Franco Fontana, der in Basel ein erfolgreiches Atelier für Werbefotografie betrieb. Auch später musste sie sich in der Männerwelt «durchboxen», um von den Agenturen ernst genommen zu werden und zu Aufträgen zu kommen.
Pia Zanetti in der Ausstellung im BelleVue Basel, vor ihrem Bild des Brasilianers Jonathan dos Santos, dem Leitbild der Ausstellung © Urs Tillmanns
Nach Ihrer Lehrzeit verliess sie die Stadt am Rheinknie, lebte acht Jahre in Rom und London, lernt ihren Mann, den Journalisten Gerardo Zanetti kennen, mit dem Sie viele und ausgedehnte Reisen für ihre Fotoprojekte unternahm. Sie fotografierte und er schieb – eine ideale Kombination, welche in den Seiten renommierter Illustrierten immer Platz fand: «Die Woche», «Stern», «Paris Match», «Elle», «Annabelle», «Du oder «NZZ Wochenende», um nur einige der vielen Titel zu nennen. Es waren Reportagen, bei denen immer der Mensch, meistens benachteiligte oder unterdrückte Menschen, Thema waren – Menschen, deren Schicksal Pia ans Tageslicht bringen wollte, um auf die vielen Missstände in allen Ländern aufmerksam zu machen. Sie hat für viele humanitäre Organisationen wie Caritas oder Helvetas in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa gearbeitet, was ihr oft Schranken öffnete, die in vielen Fällen für Fotografen sonst verschlossen sind. Weiter ist es ihre unaufdringliche, bescheidene Art aber auch ihre Wortgewandtheit und Spontaneität, um rasch mit den Menschen in Kontakt zu kommen – Teil ihres Erfolgsrezeptes.
Die Ausstellung ist in 15 verschiedene Themen gegliedert und zeigt einen repräsentativen Querschnitt des jüngeren Schaffens von Pia Zanetti
Die achtzig Jahre merkt man ihr nicht an, weder vom Aussehen her noch von ihrer Art, wie sie ihre Episoden schildert. Sie erinnert sich an jedes Detail, weiss zu jedem Bild, wie es entstanden ist und vermittelt den Besuchenden der Ausstellung viele spannende Details zu ihrer Tätigkeit als Fotografin in sechs Jahrzehnten. Vieles habe sich verändert, zum Guten und zum Schlechten. Alles sei schneller geworden, vieles unfassbar und vor allem digital. Auch die Menschen seien anders geworden und würden sich nur noch ungerne ablichten lassen. Die heute so genannte «Streetfotografie», das unbemerkte Fotografieren von Menschen in ihrem Umfeld, was jahrzehntelang ihre liebste Disziplin und Kern ihres Schaffens war, sei mit dem heutigen Rechtswesen praktisch unmöglich geworden, von der bedenkenlosen Veröffentlichung solcher Bilder ganz zu schweigen.
Die Ausstellung im BelleVue
Im Gegensatz oder als Ergänzung zur Werkschau, welche das Fotomuseum in Winterthur 2021 zeigte, zu welcher auch ein umfassender Bildband erschienen ist (Fotointern Rezension), gibt die Ausstellung im BelleVue einen Einblick in das jüngere Schaffen der Fotografin, das – wie ihr ganzes Werk – in der Tradition der humanistischen Fotografie stets darauf abzielt, die Würde und den Stolz der Menschen zu zeigen. Es sind vorwiegend Porträts zu sehen, die Frauen aus dem Südsudan, die zeigen, was und vor allem wie wenig sie heute zu essen hatten, die Kinder in einem Behindertenheim in Tadschikistan, dann aber auch Landschaften und Reportagen aus Rumänien, Nicaragua und Honduras, wobei die Serie von Ninas Rückkehr nach Vietnam, der Adoptivtochter von Pia, besonders eindrücklich ist.
Ein Highlight der Ausstellung ist die Bilderserie von Pia Zanetti, als sie 1997 ihre Tochter Nina in ihr Geburtsland nach Vietnam begleitete und ihre Erlebnisse tagebuchartig in berührenden, persönlichen Bildern festhielt
Eindrückliche Schwarzweissporträts und Farbbilder aus Nicaragua zum Thema Natur
Eine von vielen Auftragsarbeiten von Pia Zanetti ist die Reportage aus den Metallwerken von Dornach, die 1999 entstand – kurz vor deren Konkurs
Pia Zanetti ist schon seit der Gründung von BelleVue im Jahr 2012 eine wichtige Freundin dieses Orts für Fotografie. In der ersten Ausstellung «BildZeit» (Fotointern berichtete) zeigte sie eine Bildgruppe mit dem Ackerbauern Elie Dere, der in verschiedensten Gesten auf sein vertrocknetes Feld und den ausgelaugten Boden in Dray-Mbassa, Tschad, weist – eine sehr eindrückliche Arbeit zum Thema «Wassermangel».
Pia Zanetti ist heute weniger oft mit der Kamera unterwegs als früher. Sie verfolgt verschiedene private Projekte, bereitet eine weitere Ausstellung vor und arbeitet an ihrem nächsten Bildband. Zudem ist sie seit 2019 fotografische Beraterin der Organisation Fairpicture
Pia Zanetti, «Sudan» 2009
«Fotografie ist wichtig und vermittelt. Ich begegnete den Menschen mit Respekt. Helfen kann ich vor Ort nicht. Ich knüpfe jeweils Kontakt, fotografiere und muss dann wieder gehen, auch wenn es Situationen gibt, wo es mir schwerfällt», meint die Fotografin.
Höhepunkte der Ausstellung von Pia Zanetti sind die geplanten Führungen (siehe Kasten) mit Pia Zanetti, Regine Flury als Leiterin des BelleVue oder mit der Kunsthistorikerin Mia Felice.
Die Ausstellung ist noch bis 18. Juni 2023 zu sehen im
BelleVue – Ort für Fotografie
Breisacherstrasse 50
CH 4057 Basel
(Geöffnet Samstag und Sonntag, jeweils 11 bis 17 Uhr)
Text und Situationsfotos: Urs Tillmanns
Das Rahmenprogramm
Montag, 15. Mai 2023, 19.30 Uhr
Diskussion «Fotografie und Ethik»
mit Jörg Arnold, Fairpicture, fairpicture.org; Caroline Fink, Fotografin/Studienleiterin Fotografie MAZ; Roland Schmid, Fotograf und Pia Zanetti, Fotografin
Moderation: Regine Flury
Führungen, an folgenden Sonntagen
07. Mai 2023, 14 Uhr, mit Pia Zanetti und Nora Martin
14. Mai 2023, 14 Uhr, mit Pia Zanetti und Teresa Gruber, Fotostiftung Schweiz
21. Mai 2023, 14 Uhr, mit Mia Felice
11. Juni 2023, 14 Uhr, mit Pia Zanetti und Regine Flury
18. Juni 2023, 14 Uhr, mit Regine Flury
11. Juni 2023, 15 Uhr in Gebärdensprache mit Lua Leirner und Pia Zanetti
Info über die neue Plattform
Frauen + Fotografie – im Beruf: Austausch, Netzwerk, Perspektiven
Eine neue Plattform für Frauen, die sich beruflich mit der Fotografie auseinandersetzen.
Freitag, 12. Mai 2023, 17 Uhr
Weitere Infos unter www.bellevue-fotografie.ch