Mit seinen knapp 96 Jahren ist René Groebli unvermindert aktiv. Sein jüngstes Buch im Selbstverlag dokumentiert seine Kreativphase, in welcher er die Körnigkeit als Stilmittel benutzte und damit eine mystische Note in seine Bilder brachte – eine Technik, die Groebli während Jahrzehnten immer wieder aufgriff.
Mögen Sie Korn. Nein, nicht denjenigen im kleinen Glas, den man mancherorts zum Bier trinkt. Sondern dasjenige, welches den Bildern eine ganz besondere Stimmung verleiht. Während man in der analogen Fotografie immer bedacht war, Aufnahmen mit einer möglichst feinen Körnigkeit, vor allem mit niederempfindlichen Filmen, zu erzielen, ging René Groebli andere Wege: Er benutzt hochempfindliche Film, belichtete diese knapp und entwickelte sie lange, um seinen Bildern eine möglichst grobe Körnigkeit zu verleihen. Er experimentierte mit dieser Technik viele Jahre bei verschiedensten Situationen und mit den unterschiedlichsten Motiven. Und genau darum geht es in diesem Buch.
«Bei meinen Arbeiten entdeckte ich ein gestalterisches Potenzial der verschiedenen Stufen der Körnigkeit» erklärt René Groebli in seinem Einleitungstext. «So kam ich auf die Idee, dieses Korn gezielt einzusetzen … Unabhängig vom Bildinhalt vermag die Körnung einen zarten Schleier über oder einen Nebel in die Szene zu legen. Im Resultat ist das gewählte Korn eine zusätzliche Möglichkeit der Abstraktion. Indem es Schärfen bricht und Unschärfen verstärkt, verändert es die Bildstimmung und die szenische Atmosphäre. ln einigen Bildern entfaltet das Korn einen Effekt ähnlich der Maltechniken des Impressionismus».
René Groebli war nicht der Einzige, der die Körnigkeit als Stilmittel einsetzte, aber wahrscheinlich der Konsequenteste, der diese Technik über eine lange Schaffenszeit anwendete. So zeigt das Buch eine Sammlung mit vielen bekannten Aufnahmen aus verschiedenen Kreativepochen, in denen er immer wieder mit grober Körnigkeit experimentierte.
René Groebli hatte diese Technik wie kaum ein anderer im Griff, und er wusste genau, für welche Bilder er dieses Mittel einsetzen konnte, um die Aussage des Bildes zu verstärken. Dies vor allem bei Landschaften (17), Akt und People (12), Städtebilder (7), Kombinationen (6) sowie bei Eisenbahnbildern (2), die in diesem Buch zu sehen sind. Durch ihre Körnigkeit gewinnen die Bilder eine zauberhafte, mystische Note und lehnen sich so an den Impressionismus in der Malerei an.
Zu erwähnen wäre noch, dass René Groebli Bücher dieser Art in seinem fortgeschrittenen Alter alle selbst gestaltet und auch die Scans seiner Originale selbst erstellt, was bei den Bildern mit diesen extrem feinen Kornstrukturen eine sehr anspruchsvolle Arbeit ist.
Für wen ist dieses Buch? Nur schon die Tatsache, dass es in einer Kleinauflage von nur 70 Exemplaren durch den Künstler selbst vertrieben wird, lässt erahnen, dass das Buch dereinst einmal selten sein und nur bei jenen Sammlern zu finden sein wird, die sich intensiv mit dem Schaffen von René Groebli befassen. Persönlich halte ich «Silberkorn – Silvergrain» für ein sehr wichtiges Werk der in letzter Zeit von René Groebli herausgekommenen Privatdrucken, weil es eine Kreativphase von Groebli dokumentiert, die im Gesamtwerk des Künstlers eine grosse Rolle gespielt hatte.
Urs Tillmanns
Einige Kostproben aus dem Inhalt
Titelei, Begleittext von René Groebli
Impressum
Der Fotograf
René Groebli (geboren 1927 in Zürich) kam 1945 in die Fachklasse für Fotografie von Hans Finsler an der Kunstgewerbeschule Zürich. Von 1946 bis 1948 absolvierte er als Erster in der Schweiz die Ausbildung zum Dokumentarfilm-Kameramann. Als Reportagefotograf führte er Aufträge für die Schweizer Zeitschrift «Die Woche», später für die Londoner Agentur «Black Star» aus. Mit seinen beiden ersten Buchpublikationen «Magie der Schiene» (1949) und «Auge der Liebe» (1954), besonders aber mit der Teilnahme an Edward Steichen’s Ausstellung «The Family of Man» an der Moma in New York zusammen mit Werner Bischof, Robert Frank und Gotthard Schuh, gehörte René Groebli zu den grossen Schweizer Fotografen. Den Fotojournalismus gab er nach kurzer Zeit auf und gründete in den 1950er Jahren ein eigenes Fotostudio für Werbe- und Industriefotografie. Groebli spezialisierte sich auf die Farbfotografie, experimentierte mit dem Dye Transfer-Verfahren und wurde vom US-amerikanische Magazin «Color Annual» 1957 als «Master of Color» geehrt. Heute ist René Groebli mit seinen knapp 96 Jahren unverändert aktiv und editiert mit seinem umfangreichen Bildarchiv Bücher in Kleinstauflagen.
Bibliografie
René Groebli «Silberkorn – Silvergrain»
56 Seiten, 44 Fotos, Fester Umschlag, Digitaldruck, Lay-Flat-Bindung, Format 31,7 x 31,7 cm,
Text deutsch und englisch von René Groebli
Privatauflage von 70 Exemplaren im Eigenverlag
Preis: CHF 65.00 (zzgl. Versandspesen Schweiz CHF 10.00, Ausland auf Anfrage)
Das Buch kann exklusiv per E-Mail bei René Groebli bestellt werden.
Lesen Sie auch
• «Im Gespräch mit René Groebli – Happy Birthday», Interview mit René Groebli, Fotointern, 10.10.2021