Urs Tillmanns, 16. Juli 2023, 10:00 Uhr

Walter Pfeiffer und Zanele Muholi im Kunstmuseum Luzern

Noch bis 22. Oktober 2023 zeigt das Kunstmuseum Luzern zwei völlig gegensätzliche Ausstellungen: «Sincerely» von Walter Pfeiffer und Zanele Muholi mit dem Thema Schwarzer Commuinties in Südafrika. Zwei Retrospektiven, die unterschiedlicher nicht sein könnten – und doch Gemeinsamkeiten zeigen.

Es sind gerade diese unterschiedlichen Themen und Auffassungen von Walter Pfeiffer und Zanele Muholi, welche den beiden gleichzeitigen Ausstellungen eine besondere Spannung verleihen. Da ist einmal die Retrospektive von Walter Pfeiffer, die das Publikum in eine spielerisch vergnügliche Bildwelt entführt. Typisch für seine Kunst sind kleine Makel, wie grelles Blitzlicht, nackte Körper, kräftige Farben und intensive Blicke. Anderseits ist es die Arbeit von Zanele Muholi, welche die Geschichten von lesbischen, schwulen, bisexuellen, queeren, trans- und inter-People of Colour erzählt, die aus Muholis Heimat Südafrika stammen. Und doch gibt es offensichtliche Parallelen: Pfeiffer wie Muholi zeigen uns hervorragende Porträts, meist in eindrucksvollem Schwarzweiss, und beide, Pfeiffer wie Muholi, behandeln in ihren Bildern genderfreie Themen – und sind damit als Retrospektiven aktueller denn je.

 

«Sincerely» von Walter Pfeiffer

Die Bilder von Walter Pfeiffer (*1946) lassen sich nicht in Schubladen stecken: Seine Porträts rebellischer Jugendlicher der Zürcher Schwulenszene oder dynamisch drapierte Stillleben scheinen dem Alltag entrissen. Doch die Posen der Modelle, die Arrangements der Objekte oder der Ausschnitt einer Landschaft sind nicht zufällig: Walter Pfeiffer inszeniert seine Motive wie Theaterstücke und lässt das Ergebnis so leicht wie ein Schnappschuss wirken.

Seine Bilder zeigen keine vollendete Schönheit und tragen den revolutionären Geist der Gegenkultur der 1970er-Jahre in sich. Freunde und Liebhaber gehen bei ihm ein und aus, um sich fotografieren zu lassen. Die Modelle entziehen sich klassischen Idealen von männlich und weiblich. Vielmehr geht es Walter Pfeiffer um eine lustvolle Spielerei im Moment des Fotografierens.

Die Werkgruppe Carlo Joh (1973) zeigt den jungen Mann im Verlauf eines Jahres und vermittelt dem Publikum einen intimen Einblick in sich verändernde Identität. Die Reihe gehört zu den Highlights der legendären Ausstellung «Transformer. Aspekte der Travestie», die 1974 im Kunstmuseum Luzern zu sehen war. Unter dem Titel «Die Augen, die Gedanken, unentwegt wandernd» entstehen von 1980 bis 1986 Porträts junger Männer. Ihre verspielte Erotik und Leichtigkeit finden sich auch in anderen Werken wieder.

Walter Pfeiffer changiert spielerisch zwischen Modefotografie und bildender Kunst. Mit viel Liebe zum Detail kommen die gewählten Requisiten zum Einsatz und finden sich nahezu selbstverständlich in seinen Fotografien. Walter Pfeiffer gelingt es dadurch eine eigene Bildsprache zu entwickeln, dank derer er unter anderem die angesagtesten internationalen Modezeitschriften mit seinen Fotostrecken beliefert. Sein vielfältiges Interesse für unterschiedliche Medien fusst auf seinen Erfahrungen als Grafiker und Schaufensterdekorateur. So zeigt die Ausstellung «Sincerely, Walter Pfeiffer» nebst seiner Foto- und Videoarbeiten auch Zeichnungen und Malereien.

In der Ausstellung ist auch die Videoinstallation «Bei dir war es immer so schön» (2023) zu sehen, die Filmaufnahmen aus den letzten Jahren zusammenbringt. In Kooperation mit Edition Patrick Frey erscheint die Publikation «Chez Walti 2000-2020». Sie vereint Walter Pfeiffers künstlerisches Werk der letzten 20 Jahre in einem umfangreichen Bildband.

 

Zanele Muholi

Zanele Muholis (*1972) Schwarzweissfotografien sind kontrastreich. Muholi will uns jedoch nicht eine Realität in Schwarz und Weiss zeigen, eher das vielfältige Spektrum dazwischen: Muholis Arbeit erzählt Geschichten von lesbischen, schwulen, bisexuellen, queeren, trans* und inter* People of Colour, die aus Muholis Heimat Südafrika stammen. In Südafrika werden queere Menschen oft gehasst, bedroht und verfolgt. Sexualpolitik und Selbstbehauptung sind Inhalte von Muholis Arbeiten. Muholi bezeichnet sich als «visuelle/r Aktivist/in» und fordert mit Porträts, die nicht gängigen Erwartungen und Konventionen entsprechen, das Denken in binären Kategorien – Mann/Frau, schwarz/weiss – heraus.

Liebevolle Umarmungen, zärtliche Blicke, gemeinsames Waschen: Die Serie «Being» (seit 2006) verschafft einen intimen Einblick in das alltägliche Leben queerer Paare. Nach dem Ende der Apartheid und dem Aufbau eines demokratischen Staates in den letzten dreissig Jahren leben queere Menschen in Südafrika weiterhin unterdrückt. Für sie hat sich trotz der Demokratie kaum etwas verändert, denn die Gesellschaft ist von heteronormativem Denken geprägt.

«Faces and Phases» (seit 2006) ist mit über 500 Arbeiten Muholis wohl umfangreichste Porträtreihe. In regelmässigen Abständen porträtiert Muholi Personen aus der Schwarzen LGBTQIA+-Community Südafrikas und hält damit deren Gesichter (Faces) sowie die Phasen (Phases) der Geschlechteridentitäten fest. Es ist Muholis zentrales Anliegen, ein Bewusstsein für die unterdrückten Communitys und damit eine positive Sichtbarkeit zu schaffen.

«Brave Beauties» (seit 2014) ist eine Porträtserie von Transfrauen und nicht-binären Menschen, von denen einige an Schönheitswettbewerben teilnehmen. Queere Schönheitswettbewerbe bieten einen sicheren Raum innerhalb der Schwarzen LGBTQIA+-Community, in denen die Teilnehmer/innen ihrer eigenen Schönheit Ausdruck verleihen. Gleichzeitig sollen diese Bilder queer- und transphobische Stereotype in Frage stellen und Widerstand gegen den vorherrschenden binären Blick leisten. Die porträtierten Menschen sieht Muholi als Kollaborateur/innen der Bildgestaltung, dank deren Zusammenarbeit die Werke entstehen.

In der Porträtreihe «Somnyama Ngonyama» («Gepriesen sei die dunkle Löwin» auf isiZulu», seit 2012) setzt sich Muholi selbst vor die Kamera und nimmt verschiedene Posen und Charaktere ein. Die Bilder reflektieren auf persönliche Weise die Kolonial- und Apartheids-Geschichte. Alltägliche Materialien wie Wäscheklammern, Kabel oder Plastikrohre werden zu politisch aufgeladenen Requisiten und Kostümen verwandelt, um Fragen nach Repräsentation und «race» (diskriminierungssensible Bezeichnung für den deutschen Begriff «Rasse», um auf die menschgemachten Kategorisierungen aufmerksam zu machen) zu verhandeln.

Ein starker schwarz-weiss Kontrast führt dazu, dass die Hautfarbe dunkler wirkt. Muholi fordert damit das Schwarzsein für sich zurück. Mit dieser Arbeit erlangt Muholi an der Venedig Biennale 2019 internationale Bekanntheit. Die Ausstellung im Kunstmuseum Luzern fokussiert auf die Geschichte Südafrikas seit der Unabhängigkeit 1961 und auf die queere Community.

Situationsbilder von Urs Tillmanns / Fotointern.ch

Ergänzende Informationen zu beiden Ausstellungen sowie eine nützliche Begriffserklärung sind auf der Website www.divers2023.ch zu finden. Informationen über das Kunstmuseum Luzern gibt es auf www.kunstmuseumluzern.ch/

 

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