Urs Tillmanns, 22. Juli 2023, 09:49 Uhr

Buchtipp «Italia. Thomas Hoepker»

Thomas Hoepker ist einer der ganz grossen Fotografen, dessen Bilder seit Jahrzehnten in den bekanntesten Magazinen und zahlreichen Bildbänden zu sehen sind. Jetzt wurden Bilder aus Hoepkers Frühzeit entdeckt, die das Leben im Italien der 1950er-Jahre erstmals in einem Bildband zeigen.

Mehr als ein halbes Jahrhundert ist verstrichen, seit der damals 19-Jährige Thomas Hoepker mit seiner Leica durch Italien streifte. Er hat dort das Strassenleben fotografiert, wie es damals war, in Rom, Florenz, Siena, Venedig und Neapel, aber auch in vielen ländlichen Provinzen im Süden des Stiefels. Die Leute haben ihn wahrscheinlich kaum wahrgenommen, den Mann mit der kleinen Leica. Andere scherten sich kaum darum, dass sie in ihrer Alltagsumgebung fotografiert wurden. Und so sind sie, ohne es zu ahnen, ein halbes Jahrhundert später in diesem Buch unvergänglich geworden.

Der junge Kunstgeschichte-Student hatte sich eine Auszeit genommen, um Italien fotografisch zu erforschen und Begegnungen mit jenen Menschen mit seiner Kamera festzuhalten. Es sind die frühesten Bilder von Hoepker, die erst jetzt in seinem Archiv in Southampton, New York wieder entdeckt wurden und als seltene Zeitdokumente das Italien von damals zeigen. Es war ein ärmliches Italien, das sich noch immer nicht ganz von den Kriegsereignissen erholt hatte, mit einer Bevölkerung, die weitgehend auf Selbstversorgung angewiesen war und noch lange Zeit nicht an einem Wirtschafsaufschwung teilhaben konnte.

Das sieht man den Bildern von Thomas Hoepker an, nicht nur jenen, die in den Dörfern Kalabriens oder Siziliens entstanden sind, sondern auch jenen, welche das Stadtleben einer besser situierten Gesellschaft zeigen. Es ist ein Italien, wie es heute nicht mehr ist, ohne den Tourismus und die Modernisierung, welche alles veränderten – die lieblichen Landschaften und die malerischen Dörfer, ebenso wie die Städte, die nun plötzlich von einer geschäftigen Hektik geprägt waren. Vorbei die abendlichen Stunden auf der Bocciabahn, vorbei das gemütliche Beisammensein im Bistrotto. Die Fernsehgeräte, die schnell auch in die entlegensten Villaggi kamen, bestimmten fortan die freien Stunden und sorgten für leere Bocciabahnen und Bistrottos.

Thomas Hoepker hat als humanistischer Fotograf das damalige Italien mit seiner Kamera vortrefflich dokumentiert und hat auf die sozialen Unterschiede aufmerksam gemacht, so wie er es später in vielen anderen Ländern tat, um mit eindrücklichen Bildern auf die Probleme dieser Welt hinzuweisen. Die Italienbilder in diesem Buch gehören zu den frühesten Fotos von Thomas Hoepker. Es sind Bilder, die man bisher noch kaum gesehen hatte und die als neues Kapitel zur Geschichte des grossen Bildererzählers Thomas Hoepker gehören.

«Ich bin kein Künstler. Ich bin ein Bilderfabrikant.» – Thomas Höpker, 1964

Für wen ist dieses Buch? Wer sich für das Œvre von Thomas Hoepker interessiert, oder für das damalige Italien, der wird diesen kleinen Bildband mit bisher ungesehenem Bildmaterial besonders schätzen. Es zeigt das früheste Schaffen des grossen Magnum-Fotografen mit Fotos, die nicht nur das Italien der 1950er Jahre dokumentieren, sondern eindrückliche Momente, oft mit einer unterschwelligen Situationskomik, zeigen, und für das damalige Gesellschaftsleben Italiens charakteristisch sind.

Urs Tillmanns

 

Buchbeschreibung des Verlages

Das Italien der späten 50er Jahre lebt in den neorealistischen wie humanistischen Straßenfotografien der Magnum Legende Thomas Hoepker wieder auf. Der Beginn einer einzigartigen Fotografenkarriere erscheint jetzt zum ersten Mal in einem Fotobuch im Verlag Buchkunst Berlin.

Der damals 19-jährige Thomas Hoepker reist 1956 und in den folgenden Jahren regelmäßig nach Italien, um dort mit einer Leica MP zu fotografieren. Sein Blick ist kein touristischer, sondern der eines Entdeckers. Es entstehen klare, oft kinematographisch wirkende Bildkompositionen, welche in sich abgeschlossene Geschichten der Begegnungen mit den Menschen und deren Alltagsritualen erzählen – mit Elementen von Mitgefühl und Humor. Hoepker fotografiert in den Großstädten, in Rom, Florenz, Siena, Venedig und Neapel. Ebenso intensiv bereist er den Süden Italiens, Kalabrien und Sizilien. In diesen Fotografien findet Hoepker zu einer sozialen Sichtweise, die sein Werk begleiten und prägen wird. Sein humanistischer Blick und die filmisch anmutenden Bildkompositionen rücken die Fotografien in die Nähe des neorealistischen Kinos der damaligen Zeit.

Und alles ist ganz das Italien jener Jahre, des einsetzenden Massentourismus in den Großstädten mit der eine gewisse Modernisierung einhergeht und das Italien der Einfachheit und Armut des Südens, welches er ausführlich auf mehreren Reisen dokumentiert. Ein Lebensgefühl zwischen Aufbruch und Tradition, ein alltägliches Kaleidoskop voll von Straßenszenen, religiösen Umzügen oder politischen Demonstrationen – alles wird Teil der Erzählung. Auf den Italienreisen entsteht zwischen 1956 und 1959 ein Konvolut aus mehr als 10’000 Negativen, aus denen das Buch «Italia» eine umfangreiche Auswahl von 124 Fotografien auf 200 Seiten präsentiert.

In den Aufnahmen, welche zwischen 1956 und 1959 in Italien entstanden, entwickelt Thomas Hoepker seine fotografische Sprache und schafft individuelle Erinnerungsbilder. Es ist der Beginn einer mehr als sechs Jahrzehnte andauernder fotografischen Kariere, welche ihn die ganze Welt bereisen lässt und über die Magazine Stern und Geo im Jahr 1989 zum Vollmitglied in der Fotoagentur Magnum Photos führt. Von 2003 bis 2007 ist er ihr Präsident. Im Mittelpunkt all seiner Bilder und Reportagen steht der Mensch und sein Leben in den sozialen Gemeinschaften.

 

Der Inhalt

Titel

«Brief an einen Künstlerfreund, den ich nicht kenne», Essay von Raúl Morales Barcia
«Letter to an artist friend whom I do not know» by Raúl Morales Barcia

«Italien, das Land der Entdeckungen» von Thomas Gust
«Italy, the and of discoveries» by Thomas Gust

Impressum

 

Biografie

Thomas Hoepker (deutsch Höpker) wurde am 10. Juni 1936 in München geboren studierte nach seiner Schulzeit mit Abitur in München und Göttingen Kunstgeschichte und Archäologie. Er begann bereits mit 14 Jahren zu fotografieren und wurde in den späten 1950er Jahren zweimal beim Wettbewerb «Jugend photographiert» und an der «Deutschen Bilderschau» auf der Photokina ausgezeichnet. Nach 1959 erschienen Höpkers Bilder regelmässig in renommierten Zeitschriften. Er wurde nach einer mehrmonatigen USA-Reise 1963 auch in Amerika bekannt, wonach er bei der Illustrierten «Stern» engagiert wurde. Ab 1974 berichtete er zusammen mit seiner Frau, der Journalistin Eva Windmöller (1924-2002), mit Fotos und Filmen aus dem damaligen Ost-Berlin. 1989 wurde Höpker in die Agentur Magnum Photos aufgenommen, die er von 2003 bis Januar 2007 präsidierte. Thomas Höpker lebt in Southampton, New York und ist mit der Filmemacherin Christine Kruchen verheiratet.

 

Bibliografie

«Italia. Thomas Hoepker»

200 Seiten mit 124 Abbildungen, Fester Einband, Fadenheftung, Format 16,5 x 23,5 cm
First Edition 2023
Mit einem Essay von Raúl Morales Barcia und einem Nachwort von Thomas Gust
Herausgeber/in: Christine Kruchen, Thomas Gust, Ana Druga
Konzept, Design: Thomas Gust, Ana Druga
Verlag: Buchkunst Berlin
Preis: CHF 45.00 / EUR 45,00 inkl. MwSt.
ISBN 978-3-9819805-7-8

Das Buch kann im Buchhandel, in der Bildhalle Zürich oder direkt beim Verlag bestellt werden.

 

Lesen Sie auch:
«Das wichtigste Werkzeug eines Fotografen sind seine Füsse», Interview in Fotointern Printausgabe 2/2009, e-periodica-ch

 

 

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