Urs Tillmanns, 27. November 2023, 16:00 Uhr

Photocollagen – Die surreale Welt der Hannah Höch

Das Zentrum Paul Klee in Bern würdigt das Schaffen der deutschen Dadaistin Hannah Höch in einer grossen Retrospektive. Es zeigt die Welt dieser Pionierin und die Strömungen ihrer Zeit mit rund 60 revolutionären, poetischen und oft auch ironischen Photocollagen. Die Ausstellung dauert noch bis 25. Februar 2024.

Hannah Höch (1889–1978) war keine Fotografin. Und doch ist ihr kreatives Werk fotohistorisch von grosser Bedeutung: Sie war die Pionierin der Photocollage und gilt als zentrale Protagonistin der Kunst der 1920er-Jahre. Das Zentrum Paul Klee widmet ihr eine umfassende Ausstellung, die erstmals einen Fokus auf Höchs Auseinandersetzung mit der visuellen Kultur der Moderne und insbesondere dem Film legt.

 

Die rund 60 Fotomontagen von Hannah Höch reichen von ihren künstlerischen Anfängen in den 1910er-Jahren über die Zeit mit den Berliner Dadaisten zurück bis hin zu den surrealistischen Tendenzen nach dem Zweiten Weltkrieg. In 15 thematisch angelegten Räumen werden die Werke in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext gezeigt und Hauptwerken von Pablo Picasso, Kurt Schwitters, Fernand Léger oder Wassily Kandinsky gegenübergestellt. Durch die thematische Gliederung werden die Originalität und thematische Vielfalt, aber auch die historische Bedeutung von Höchs Werk sichtbar. Prominent gezeigt wird zudem das «Album», eine einzigartige und umfangreiche Bildersammlung von Hannah Höch, die den Blick der Künstlerin auf die Bilderwelt ihrer Zeit eindrücklich nachvollziehbar macht.

 

«Photomontagen» und die Macht der Bilder

Als eine der ersten Kunstschaffenden überhaupt machte Höch die Medien und die Macht der Bilder zum Gegenstand ihrer Kunst. Ihre Fotomontagen komponierte sie aus Ausschnitten von Zeitungen und Zeitschriften – eine Technik, die sie ab 1918 entwickelte und der sie bis an ihr Lebensende treu blieb. Als einzige Frau zählte sie zum Kreis der Berliner Dadaisten. Im Geiste des Neubeginns und des rasanten technologischen Fortschritts nach dem Ersten Weltkrieg «montierten» diese Künstler und Künstlerinnen ihre Werke aus den Bruchstücken der Massenkultur. Ihre Bilder bezeichneten sie als «Montagen». Im Zentrum stand die revolutionäre Idee, die Welt in ihre Bestandteile zu zerlegen und daraus neue Welten zu erschaffen. Neben der Kunst fand die Montage auch rasch in Grafikdesign, Werbung und politischer Propaganda Anwendung und entwickelte sich so zu einem zentralen Prinzip der Avantgarde.

Neben Werken von Zeitgenossen umfasst die Ausstellung auch elf historische Filmprojektionen, die erstmals Höchs intensive Auseinandersetzung mit dem damals jungen Medium des Films verdeutlichen. Dazu gehören Werke von Hans Richter und László Moholy-Nagy, mit denen die Künstlerin befreundet war. In der Zwischenkriegszeit übte das noch neuartige Medium Film eine starke Faszination auf viele Künstler und Künstlerinnen aus. Auch Höch sah ihre Fotomontagen «im Grenzbereich des Films». Wie der Film nutzt die Fotomontage Schnitt und Montage, um einzelne Aufnahmen zu komplexen Erzählungen zu verbinden. Die gezeigten Filme beruhen auf neuen Forschungserkenntnissen zu Hannah Höch und bieten zugleich ein mediales Erlebnis des avantgardistischen Bilderwelt der 1920er-Jahre.

 

Die Kriegsjahre und ihr wilder Garten

Höchs frühe Fotomontagen reflektieren mit viel Ironie gesellschaftliche oder politische Themen wie die Macht der Massenmedien, das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine, Geschlechterrollen oder den Aufstieg des Nationalsozialismus. Vermeintlich starke Männer werden von Höch mit der Schere regelrecht «entmannt» oder in die Flucht getrieben, und ihre montierten Porträts von Menschen erinnern an die neuartige Verwendung von Prothesen im Ersten Weltkrieg.

Nach dem Zweiten Weltkrieg rückte die Natur zunehmend ins Zentrum ihres Schaffens. Abstrakte und gegenständliche Motive fliessen in diesen Arbeiten zu traumartigen, surrealistisch anmutenden Landschaften zusammen. Auch der Garten ihres Hauses im Berliner Aussenbezirk Heiligensee, in dem sie den Zweiten Weltkrieg in «innerer Emigration» überlebt hatte, wurde zu einer wichtigen Inspirationsquelle. Nach 1945 entwickelte Höch die Fotomontage zu einer poetischen Methode, um aus den Konventionen des Alltags auszubrechen und die Welt immer wieder aus neuer Perspektive zu sehen:

«Ich möchte die festen Grenzen auswischen, die wir Menschen mit einer eigensinnigen Sicherheit um alles gezogen haben. (…) Ich würde heute die Welt aus der Sicht einer Ameise wiedergeben und morgen so, wie der Mond sie vielleicht sieht.» Hannah Höch

Obwohl Höch ihre Montage-Technik zeitlebens kaum veränderte, sind ihre Arbeiten von einer grossen thematischen Vielfalt. Meist bleiben sie – trotz ihres erzählerischen Charakters – geheimnisvoll und laden zu neuen persönlichen Interpretationen ein.

 

 

Hannah Höch – ihr Leben

Hannah Höch wurde am 1. November 1889 in Gotha geboren und besuchte dort die Höhere Töchterschule. 1912 schrieb sie sich an der Kunstgewerbeschule in Berlin ein, wo sie Raoul Hausmann und mit ihm zusammen um 1916 stilistisch die Fotomontagen entwickelte und diese 1920 an der Ersten Internationalen Dada-Messe in Berlin zeigte. Sie trennte sich von Hausmann, reiste nach Paris, besuchte Piet Mondrian und seine Gruppe De Stijl, nahm ab 1925 an einer Ausstellung der Deutsche Kunstgemeinschaft in Berlin teil und 1929 an der internationalen Ausstellung des Deutschen Werkbunds, Film und Foto, in Stuttgart. Während des Nationalsozialismus wurden ihre Werke als «Entartete Kunst» eingestuft, was ein generelles Ausstellungsverbot zur Folge hatte. Sie zieht sich in den Kriegsjahren in ihr Haus in einem Aussenquartier Berlins zurück und lebt einsam als Selbstversorgerin. Nach dem Zweiten Weltkrieg nimmt sie wieder Kontakte zur Berliner Kunstszene auf und war 1946 bei der Fantasten-Ausstellung in der Berliner Galerie Gerd Rosen mit zehn Werken vertreten. Sie unternimmt wieder Reisen, hält Vorträge und beteiligt sich auch im Ausland wieder an Ausstellungen, so auch 1956 in Bern in der Galerie Kornfeld und Klipstein. 1965 wird Hannah Höch an die Akademie der Künste in West-Berlin berufen und wird Mitglied des Deutschen Künstlerbundes. Ihre Ausstellungen 1948 und 1968 im Museum of Modern Art in New York, sowie die von Heinz Ohff 1968 publizierte Monografie tragen zu ihrer internationalen Bekanntheit ebenso bei, wie 1974 die Retrospektive im National Museum of Modern Art in Kyoto (Japan). Am 31. Mai 1978 starb Hannah Höch im Alter von 88 Jahren in Berlin.

 

Das Buch zur Ausstellung: Hannah Höch «Montierte Welten»

Zur Ausstellung ist im Verlag Scheidegger & Spiess ein ausführlicher Katalog erschienen, der das Leben und Werk auf über 200 Seiten mit 154 farbigen und 15 schwarzweissen Abbildungen darstellt. Neben dem Abdruck nahezu aller in der Ausstellung gezeigten Bilder enthält das Buch wichtige Textbeiträge von Martin Waldmeier und Kirstin Makholm. Interessantes Detail der Buchgestaltung: Der vorderste und der hinterste Bund vermittelt den Eindruck des im obigen Text erwähnten «Albums».

Ausführung: 200 Seiten, Broschiert, eingeschlagener Umschlag, Format 17 x 23 cm
Deutsche oder Englische Ausgabe verfügbar.
Preis: CHF 35.00
ISBN 978-3-03942-171-8
Das Buch kann im Buchhandel, direkt beim Verlag oder im Shop des Zentrums Paul Klee erworben werden.

Die Ausstellung ist noch bis 25. Februar 2024 zu sehen im
Zentrum Paul Klee
Monument im Fruchtland 3
CH-3006 Bern
Tel. 031 359 01 01

Weitere Informationen finden Sie hier.

 

 

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