Urs Tillmanns, 6. Mai 2024, 12:03 Uhr

Plastiklinse für Systemkamera. Was taugt sie?

Man nehme die Plastiklinse einer Einwegkamera, setze sie vor eine digitale Systemkamera und schaue was dabei herauskommt. Was taugt das Linsending mit 40 Megapixel? Welche Effekte sind zu erwarten, und lohnt sich das Experiment? Bevor Sie mit dem Selbstbasteln beginnen, das Ding gibt es günstig zu kaufen.

Die Idee ist originell: Man nehme das Objektiv, beziehungsweise die Linse einer Einwegkamera, formt einen Tubus im 3D-Drucker als Fassung und adaptiere das Ganze auf eine Systemkamera. Logisch, dass das einfache optische Element niemals qualitativ mit einem Mehrlinser mithalten kann. Aber interessant ist das Experiment alleweil, zumal dabei Effekte entstehen können, die bildmässig durchaus reizvoll sein können.

Bei Ars-Imago ist die DispoLens (von «Disposable Camera Lens»), die übrigens in der Schweiz hergestellt wird, seit kurzem erhältlich. Die Einfachlinse einer rezyklierten Einfilm-, bzw. Einwegkamera hat eine Brennweite, die einem 28mm-Objektiv entspricht und eine Lichtstärke, bzw. fixe Blende 10. Die Fassung aus dem 3D-Drucker ist erstaunlich präzise und so passt auch der Kameraanschluss sehr exakt und verriegelt an der Kamera, sofern man das Teil Markierungs-entsprechend einsetzt. Dennoch ist beim Gebrauch der DispoLens einiges zu beachten:

• Die kleine Linse steht auf dem konischen Tubus sehr weit vor und ist deshalb gegen Zerkratzen völlig ungeschützt. Es ist beim Gebrauch also Vorsicht geboten. Man sollte die DispoLens nach Gebrauch immer wieder in die Minigrip-Kunststofftasche, in welcher sie geliefert wurde, zurückstecken.

Wer etwas Basteltalent hat und sowas gerne macht, kann sich einfach aus Pappe einen Schutzdeckel basteln. Der Durchmesser müsste 60 mm betragen, und die Höhe 20 mm. Er lässt sich so auch an der Kamera verwenden und passt auch in die mitgelieferte runde Originalverpackung der DispoLens. Schade hat der Hersteller nicht daran gedacht und gleich einen Schutzdeckel im 3D-Verfahren mitproduziert – auch wenn das Produkt dadurch um ein paar Franken teurer geworden wäre.

Links: Aufnahme mit dem DispoLens an der Fujifilm X-T5 (APS-C-Sensor); rechts ein Ausschnitt aus dem rechten oberen Teil

• Fotografieren mit der DispoLens ist einfach und problemlos. Wie gesagt, entspricht die effektive Öffnung Blende 10, und mit Zeitautomatik oder manueller Einstellung funktioniert das bestens. Allerdings müssen die meisten digitalen Kameramodelle, so auch die Fujifilm X-T-Kameras, im Menü auf «Auslösen ohne Objektiv» (Fuji X-T: Einrichtung -> Tastenrad-Einstellung -> Aufn. Ohne Obj. -> an) umgestellt werden.

• Das Objektiv ist mit der völlig ungeschützten Position extrem Seiten- und Gegenlicht-empfindlich. Es kann also zu starken Streulichteffekten kommen, wie dies beispielsweise bei der untenstehenden Waldaufnahme der Fall ist – was aber gerade der Reiz an der Sache ist. Zwar sollte man sich grundsätzlich die Regel beherzigen aus dem Schatten zu fotografieren, doch wenn man solche Effekte sucht, dann ab in die pralle Sonne damit.

Die DispoLens ist extrem Gegen- und Seitenlicht-empfindlich – was jedoch zu spannenden Bildeffekten führen kann

 

Was ist schärfemässig zu erwarten?

Ehrlich gesagt, nicht sehr viel. Oder doch? Die Schärfeleistung dieses einfachen, aber doch asphärischen Presslings ist auf die Ansprüche von Einfilmkamera-Usern abgestimmt, und für die 9×13- oder maximal 13×18-cm-Bildchen, die man mal im Urlaub oder an einem Toursistikort macht, reicht dies alleweil. Setzt man das Teil jedoch auf eine Kamera mit einem 40 Megapixel-Sensor, so muss man die Erwartungen doch deutlich zurückschrauben. Analysiert man die Bilder genauer, so stellt man fest, dass eigentlich nicht die Schärfeleistung dürftig ist, sondern die Kontrastleistung. Die Aufnahmen haben eine Art «Schleier», der eher mit Weichzeichnung zu vergleichen ist, als mit Unschärfe. Und das macht die Sache bildmässig wieder spannend.

Keine Schärfekönigin, aber eine gute Weichzeichnerin. Genau das, was in der piktorialen Fotografie gewünscht wird.

 

Für wen ist die DispoLens? Nichts für Schärfefanatiker, jedoch für kreative Fotograf/innen und Experimentalist/innen schon. Es macht durchaus Spass damit zu experimentieren, und wenn man Glück hat, dann wird man mit ein paar interessanten Bildern belohnt, wie ich zum Beispiel mit der Waldaufnahme. Ich wüsste nicht, wie ich diesen Effekt in der Kamera sonst erzielt hätte.

Ach so, der Preis? 45 Schweizerfranken, bei Ars-Imago im Shop in Zürich oder online. Es gibt die DispoLens mit den Anschlüssen für Canon RF, Fujifilm X, Leica M, MFT, Nikon Z und Sony E.

Urs Tillmanns

 

DispoLens an einer Vollformatkamera

Hier folgen einige Aufnahmen, die spontan – quasi als Pre-Test – vor einigen Wochen mit einem DispoLens an einer Sony Alpha 7C II (ILCE-7CM2) mit vollformatigem Bildsensor vor dem Laden von Ars-Imago gemacht wurden. Die Fotos wurden mit ACR (der Engine von Lightroom) konvertiert, wobei keine Korrektur angewendet wurde, um den Charakter des Kreativ-Objektivs zu erhalten.

Die Aufnahme zeigt die kissenförmige Verzeichnung, spotmässige Schärfe und die Farbsäume an den seitlichen Rändern des Schaufensters von Ars-Imago. Zweifellos nicht ein optimales Motiv für das Kreativ-Objektiv. (Foto: Markus Zitt)

 

Ein mittiges Porträt ist sicher ein geeigneteres Motiv für das Kreativ-Objektiv, allerdings handelt es sich um ein Weitwinkelobjektiv mit Fixfokus, das keine Aufnahmen aus naher Distanz erlaubt. (Foto: Markus Zitt)

 

Die spotmässige Schärfe und die Vignettierung lenken die Aufmerksamkeit in die Bildmitte. (Foto: Markus Zitt).

ZusatzMarkus Zitt.

 

Preis und Verfügbarkeit

Das Objektiv DispoLens ist für 45 Schweizerfranken, bei Ars-Imago im Shop in Zürich oder online erhältlich. Es wird sechs verschiedenen Anschlüssen angeboten: Canon RF, Fujifilm X, Leica M, MFT, Nikon Z und Sony E.

 

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