Nach «Genesis» und «Amazônia» ist nun ein weiterer Bildband des brasilianischen Topfotografen Sebastião Salgado im Taschen Verlag erschienen. «Arbeiter» ist «eine Hommage an die Arbeiter und ein Abschiedsgruß an die allmählich verschwindende Welt der Handarbeit», so Salgado in seinem Einführungstext.
Sie sind Ikonen unter den Fotobildbänden geworden, «Genesis*» und «Amazônia*» – und «Arbeiter», beziehungsweise «Workers», wird den gleichen Status erreichen. Die Bilder von Sebastião Salgado begeistern, egal mit welchem seiner Themen man sich befasst. Sie sind von einer unglaublichen Ausdruckskraft, sind in der Perfektion nicht zu übertreffen, was Bildgestaltung, Tonwertreichtum und vor allem Emotionalität anbelangt. Und jeder seiner Bildbände runden ein Thema vollumfänglich ab.
Mit «Arbeiter» entführt uns Salgado in eine spannende Arbeitswelt. «Dieses Buch ist eine Hommage an die Arbeiter», schreibt Salgado zum Buch, «ein Abschiedsgruß an die allmählich verschwindende Welt der Handarbeit; es ist eine Huldigung an jene Männer und Frauen, die noch heute so arbeiten, wie es jahrhundertelang Generationen vor ihnen getan haben». Salgado leistet damit einen grossartigen visuellen Beitrag an die Handarbeit, zeigt uns manuelle Arbeitsmethoden von den verschiedensten Erdteilen, die über Generation etabliert und immer weitervererbt worden waren – lange bevor Industrialisierung und Automation überhandnahmen und mit Profitgier begannen das manuelle Geschick zu verdrängen.
Salgado entführt uns in die unterschiedlichsten Arbeitswelten: in die Anbaugebiete von Zuckerrohr, Tee, Kakao und Parfüm, zum Fischfang sowie zur Fisch- und Fleischverarbeitung, in die Produktionsstätten von Textilien, Fahr- und Motorräder, in die Automobilmontage, zur Schiffabwrackung und zur Rohstoffgewinnung von Titan, Magnesium, Stahl und Eisenerz, zum Abbau von Kohle, Schwefel und Gold, zu den Ölquellen in Kuwait und Baku und letztlich zu den Verkehrswegen des Eurotunnels, des Sardar-Sarovar-Damms und des Indira-Gandhi-Kanals. Er zeigt uns in seinen Bildern nicht nur Menschen, die ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit unter härtesten Bedingungen unermüdlich manuell arbeiten, sondern er deckt Arbeitsmethoden und Missstände auf, welche die Menschen für den Wohlstand der industrialisierten Welt erdulden. Kommt hinzu, dass die Arbeiter dieser Länder viel von ihren Ressourcen und natürlichen Reichtümern an die reiche Welt abgeben und selbst keine Chance haben, aus ihrer Armut herauszukommen.
Das Buch klagt an, deckt Missstände auf, zeigt in vielen Ländern die letzten Traditionen manueller Arbeit, die bedroht sind durch moderne Produktionsmittel subsituiert zu werden und den Arbeitern so ihre Existenzgrundlage zu nehmen. Beispiele dazu führt Salgado viele an, zum Beispiel der industrielle Fischfang, der die Existenz der traditionellen Fischer bedroht und die Fischbestände weltweit überproportional dezimiert, oder die Zuckerrohrgewinnung in Brasilien, die früher im Besitz kleiner Grundbesitzer war und heute von den Erdölgesellschaften regiert werden, weil Zuckerrohr zunehmend nicht mehr für die Nahrungsmittelproduktion angebaut wird, sondern für den Benzinersatz.
Dann faszinieren Salgados Porträts der Arbeiter in den schlammigen Goldminen der Serra Pelada in Brasilien, in den Kohlebergwerken in Indien, wo unter Tag Temperaturen bis 50 Grad vorherrschen, oder der Schwefelarbeiter in der dünnen Luft des 2300 Meter über Meer gelegenen Kawah Ijen Vulkans auf Java, die 610 Meter weit zum Kratersee hinuntersteigen müssen, um die kostbaren Schwefelkrusten abzubauen und wieder nach oben zu tragen. Bis zu 70 Kilogramm kann die Beute wiegen, wobei sie lediglich feuchte Tücher vor den Mund tragen, um sich vor den giftigen Dämpfen zu schützen. Salgado erzählt viele solcher Begebenheiten in seinem Einleitungstext, den er zusammen mit dem Schriftsteller Eric Nepomuceno verfasst hat, sowie in der Begleitbroschüre, in welcher sämtliche Bilder ausführlich und mit viel Wissenswertem beschrieben sind.
Für wen ist dieses Buch? Wer die Bilder von Sebastião Salgado von früheren Buchwerken oder von Ausstellungen her kennt, wird dieses neue Werk von Salgado ebenso schätzen. Die 350 Bilder von Arbeitern aus aller Welt sind nicht nur auf Grund der Aussagekraft, der fotografischen Qualität und des fotorealistischen Duplexdrucks eine Augenweide, sondern sie sind als «Hommage an die Arbeiter und ein Abschiedsgruß an die allmählich verschwindende Welt der Handarbeit» eine echte Wissensbereicherung.
Urs Tillmanns
Buchbeschreibung des Verlages
Sebastião Salgados Fotobuch-Klassiker Arbeiter. Zur Archäologie des Industriezeitalters (Erstausgabe 1993) würdigt die traditionellen handwerklichen Arbeitsweisen, während zu Beginn des neuen Jahrtausends überall in der Welt Maschinen und Computer die Arbeit der Menschen übernehmen. Mit Bildern von beeindruckender Schönheit hat Salgado eine visuelle Elegie komponiert, mit der er jene Männer und Frauen ehrt, die sich ihren unbeugsamen Geist und ihre Würde selbst unter härtesten Arbeitsbedingungen bewahren.
Mehr als bei jedem anderen lebenden Fotografen sind bei Sebastião Salgado die Bilder von den Vergessenen, den Elenden und den Ausgegrenzten der Welt eine Hommage an die conditio humana. Salgado definiert seine Arbeit als «kämpferische Fotografie», die dem «besseren Verständnis des Menschseins» gewidmet ist. Über Jahrzehnte hinweg hat er in seinen Fotografien den Armen und Entrechteten etwas von der Menschenwürde zurückgegeben, die sie zu verlieren drohten – von den Hungernden in der Sahelzone bis zu den indigenen Völkern Südamerikas.
Mit dem Band Arbeiter legt Salgado ein globales Bildepos vor, das über das bloße Abbilden hinausgeht und zu einer Hymne auf den Widerstandsgeist arbeitender Männer und Frauen wird. 350 Duoton-Fotografien eröffnen eine archäologische Perspektive auf diejenigen Tätigkeiten, die von der Steinzeit über die industrielle Revolution bis in unsere Gegenwart als Inbegriff harter Arbeit gelten. Mit Bildern aus dem Inferno einer indonesischen Schwefelmine, von der Dramatik des traditionellen sizilianischen Thunfischfangs und der schwindelerregenden Ausdauer brasilianischer Goldgräber legt Salgado Schichten visueller Informationen frei, um die unermüdliche menschliche Arbeit als Kern der modernen Zivilisation zu enthüllen.
Arbeiter präsentiert sein Thema auf mehreren sich gegenseitig durchdringenden Ebenen: Salgados einleitender Text, entstanden in Zusammenarbeit mit dem brasilianischen Schriftsteller Eric Nepomuceno, erläutert seine leidenschaftliche fotografische Ikonografie. Ausführliche Bildunterschriften, die ebenfalls von Salgado stammen, liefern den historischen und faktischen Hintergrund. Das Buch ist eine von Offenheit und Respekt getragene Hommage an diejenigen Menschen, die mit ihren eigenen Händen, mit der Kraft ihres eigenen Körpers arbeiten.
Der Inhalt
I Teil
Zuckerrohr, Brasilien und Kuba / Tee, Ruanda / Tabak, Kuba / Kakao, Brasilien / Parfüm, Reunion
II Teil
Fischerei, Galicien, Spanien / Thunfischfang, Sizilien, Italien / Schlachthof, South Dakota, Vereinigte Staaten
III Teil
Textilien, Bangladesch und Kasachstan / Fahrräder, Shanghai und Tientsin, China / Motorroller, Pune, Indien / Motorräder, Madras, Indien / Automobile, Ukraine, Russland, Indien und China / Werften, Polen und Frankreich / Schiffsabwrackung, Bangladesch / Titan und Magnesium, Kasachstan / Blei, Kasachstan / Stahl, Frankreich und Ukraine / Eisenbahnen, Frankreich / Eisenerz, Kasachstan
IV Teil
Kohle, Indien / Schwefel, Indonesien / Gold, Serra Pelada, Brasilien
V Teil
Öl, Baku, Aserbaidschan / Ölquellen, Kuwait
VI Teil
Eurotunnel, Frankreich und England / Sardar-Sarovar-Damm und Bewässerungskanal, Indien / Indira-Gandhi-Kanal, Rajasthan, Indien
Der Fotograf und Autor
Sebastião Salgado begann 1973 seine Karriere als Fotograf in Paris und arbeitete in der Folge für die Fotoagenturen Sygma, Gamma und Magnum Photos. Im Jahr 1994 gründete er gemeinsam mit seiner Frau Lélia Wanick Salgado die Agentur Amazonas Images (heute ihr Studio), die sein Werk exklusiv vertritt. Salgados fotografische Projekte wurden in zahlreichen Ausstellungen und Büchern gezeigt, darunter Sahel. L’Homme en détresse (1986), Anderes Amerika (1986), Terra (1997), Migranten (2000), Kinder der Migration (2000), Africa (2007), Genesis (2013), Duft der Träume (2015), Kuwait. Eine Wüste in Flammen (2016), Gold (2019) und Amazônia (2021).
Sebastião und Lélia Wanick Salgado 2023 anlässlich der Ausstellung «Amazônia» in Zürich (Foto: Urs Tillmanns)
Die Herausgeberin
Lélia Wanick Salgado studierte Architektur und Stadtplanung in Paris. Ihr Interesse für die Fotografie entdeckte sie 1970. Seit den 1980er-Jahren konzipiert und gestaltet sie die Mehrzahl der Fotobände von Sebastião Salgado und organisiert alle Ausstellungen seines Werkes.
Bibliografie
Sebastião Salgado. Arbeiter. Zur Archäologie des Industriezeitalters
400 Seiten, davon 22 Ausklappseiten, ca 350 meist doppelseitige Abbildungen, Fadenheftung, Hardcover, Schutzumschlag, Format 24,5 x 33 cm, Gewicht 2,91 kg,
Begleitbroschüre 24 Seiten mit ausführlichen Bildlegenden und Texten
Buchausgaben auf Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch
Texte: Sebastião Salgado und Eric Nepomuceno,
Konzept und Gestaltung: Lélia Wanick Salgado
Taschen Verlag, Köln
Preis: CHF 80.00 / EUR 80,00
Deutsch ISBN 978-3-8365-9646-6
Englisch ISBN 978-3-8365-9632-9
Französisch ISBN 978-3-8365-9647-3
Spanisch ISBN 978-3-8365-9649-7
Das Buch kann im Buchhandel gekauft oder direkt beim Verlag bestellt werden
* «Genesis» und «Amazônia» sind ebenfalls im Taschen Verlag erschienen und sind beim Verlag oder im Buchhandel noch immer lieferbar.
Lesen Sie auch:
«Sebastião Salgado-Ausstellung «Amazônia» in den Maag-Hallen Zürich», Fotointern 04.07.2023