Rom und Las Vegas – beides Touristenmagnete. Die Kulturmetropole in Italien und das Gamer-Paradies in den USA könnten unterschiedlicher nicht sein – und doch gibt es zwischen diesen beiden Städten erstaunlich viele Gemeinsamkeiten. Iwan Baan wagt einen fotografischen Vergleich der beiden Metropolen.
Auf den ersten Blick sind die beiden Städte Rom und Las Vegas Extreme. In dem zwei Jahrtausende alten Rom, einst Hauptsitz des römischen Reiches, und in der Wüstenstadt in Nevada, die vor etwa hundert Jahren aus dem Sand gestampft wurde, existieren zwei völlig unterschiedliche Kulturen. Rom, mit den unendlich vielen Kunstdenkmälern, welche die Kultur von der Antike bis heute dokumentieren einerseits und Las Vegas, ein hypermodernes Meer von Skyscrapern und Spielhöllen, das den Ruf der «Sin-City» schlechthin – der Sündenstadt – nicht ganz ungerechtfertigt trägt. Was beide Städte, vor allem für den holländischen Fotografen Iwan Baan gleichermassen interessant macht, sind ihre Architekturmonumente. Historisch gewachsen in Rom, fast explosionsartig hochgezogen in Las Vegas. Und doch begegnet man in beiden Städten ähnliche Bauten, denn römische Kapitelle und moderne Komplexe findet man sowohl in Rom als auch in Las Vegas. Nur ist in Las Vegas alles, was alt und klassisch erscheint, nachgemacht und imitiert – Fake eben.
Dass Iwan Baan im Frühjahr 2022 ausgerechnet vor dem Prunkhotel Caesars Palace stand und dort auf die Idee kam, das Nachgemachte fotografisch mit dem Antiken zu vergleichen, ist kein Zufall, sondern eine Quelle der Inspiration. Für den renommierten Architekturfotografen, der die grössten Architekturbüros, wie Rem Koolhaas/OMA, Herzog & de Meuron, SANAA, Zaha Hadid, Steven Holl oder Tatiana Bilbao mit seinen Bildern bedient, waren diese Gegensätze ebenso motivierend, wie die offensichtlich architektonischen Parallelen – Gleich- und Andersartiges, das in einem Buch publiziert etwas Aussergewöhnliches geben würde; allerdings auch als eine Hommage an den Bestseller «Learning from Las Vegas» von Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steve Izenour gedacht, der vor einem halben Jahrhundert erschienen ist.
Aussergewöhnlich ist das Buch dann auch geworden. Es fällt schon äusserlich durch seine Gestaltung auf, denn 320 Seiten broschiert zu heften, ohne einen festen Rücken und mit einem Seitenschwund von 15 Millimetern auf der ungeschnittenen Vorderseite des Buchblocks, ist mehr als gewöhnlich, und schon von der Machart her unverwechselbar und originell. Dies gilt auch für den inhaltlichen Ablauf des Buches. Das vordere Viertel mit den Bildern aus Rom sind thematisch über den Bund durchgezogen, so dass es einen ersten Teil mit Rom-Bildern gibt, der nach sämtlichen Las Vegas-Fotos im hinteren Teil seine Fortsetzung findet. Dazwischen finden sich Texte, alle auf Englisch, die sich vertieft mit den Unterschieden und Gemeinsamkeiten der beiden Städte und den fotografischen Besonderheiten befassen.
Iwan Baan hat die beiden Städte Rom und Las Vegas hervorragend fotografisch erfasst. Er hat sich dabei nicht nur auf die Architekturen, seinem Hauptinteresse, konzentriert, sondern ebenso auf das Wesen der beiden Städte mit seinen Attraktionen und den Touristen als deren Besucher. Luftaufnahmen, welche die geografische Ausdehnung der verschiedenen Häusermeere ebenso zeigen wie die unterschiedlichen Baudichten, komplettieren das Buchwerk, welches dadurch für einen breiten Leserkreis interessant und nicht etwa eintönig nur auf Architektur bezogen wirkt.
Für wen ist dieses Buch? Das Gros der Interessierten wird in der Architekturszene zu finden sein, der Kernkompetenz des Fotografen Iwan Baan. Seine Architekturaufnahmen, Gesamtansichten sowie Details, sind im Licht und in der Geometrie (ohne stürzende Linien) so perfekt, wie es für einen Spezialisten dieser Motivdisziplin Alltag ist. Dann zeigt uns Baan auch die Besonderheiten dieser beiden Städte, nicht nur die Sehenswürdigkeiten, sondern auch jene typischen Details, die wohl die meisten der vielen Touristen übersehen. Ein Buch also, das inhaltlich so vielfältig und spannend daherkommt, wie es äusserlich durch seine ungewöhnliche Gestaltung den Anschein macht.
Urs Tillmanns
Buchbeschreibung des Verlages
In der Geschichte der Architektur erscheinen die Städte Rom und Las Vegas in starkem Kontrast: Während die ehemalige Hauptstadt des Römischen Reiches als antik, vornehm und vielschichtig wahrgenommen wird, gilt «Sin City», die Stadt der Sünde, als schrill, vulgär und künstlich. Und doch befinden sich beide Städte historisch und zeitgenössisch an der Schnittstelle von Macht und Spiel.
Fünfzig Jahre nach dem Erscheinen von Denise Scott Brown und Robert Venturis ikonischem Buch Learning from Las Vegas (1972) offenbaren die Aufnahmen in Rome – Las Vegas: Bread and Circuses ungeahnte Übereinstimmungen und Zusammenhänge der beiden Städte, aus der Luft und am Boden; das Spektakel Las Vegas’ wird auf Roms Strassen wiederentdeckt. Iwan Baans Fotografien kontrastieren und untergraben herkömmliche Auffassungen von Authentizität und Künstlichkeit und stellen solche polare Kategorisierungen letztendlich infrage. Auf diese Weise erörtern die Aufnahmen Scott Browns und Venturis Plädoyer, zuerst zu schauen, zu verstehen und erst dann zu urteilen.
Iwan Baan sagt: «Bei der Entwicklung meines Buches Rom – Las Vegas interessierte mich die wahrgenommene Gegensätzlichkeit dieser beiden berühmten Städte und das Aufeinandertreffen des Alten und des Neuen, vom Kolosseum bis zum Casino. Scott Browns und Venturis mittlerweile kanonische Studie gab mir den Anstoss zu untersuchen, wie sich die Städte im letzten halben Jahrhundert entwickelt haben. In Las Vegas ist das, was einst ein flacher, mit Leuchtreklamen geschmückter Boulevard war, heute viel aufwendiger, geprägt von Hochhäusern und Gebäuden, die alle versuchen, etwas anderes zu sein; das neue Vergnügungszentrum «Sphere» bringt dies maximal zur Geltung. In Rom haben antike Gebäude, die mit Werbetafeln zugekleistert sind, oder die Cafeteria im Vatikan, die mit einem Wandplakat des Vatikans geschmückt ist, etwas Unheimliches an sich, als ob das simulierte Bild einen näher an die Realität heranführen würde. Diese Szenen erzählen uns etwas über die Art, wie wir heute leben, wie wir unsere Städte im 21. Jahrhundert bauen und bewohnen, und stellen gleichzeitig die Einzigartigkeit eines Ortes in Frage.»
Der Inhalt
An Omniscient Photography – Lindsay Harris
(Bildteil Rom 1)
Bread and Circuses – Ryan Scavnicky
(Bildteil Las Vegas)
Visiting Denise – Izzy Kornblatt
(Bildteil Rom 2)
Impressum, Autoren
Der Fotograf und die Autorenschaft
Iwan Baan (*1975) ist ein niederländischer Architektur- und Dokumentarfotograf mit Sitz in Amsterdam. Seine Fotografien dokumentieren das Architekturleben auf der ganzen Welt, von informellen und traditionellen Wohnstrukturen bis hin zum Wachstum von Millionenstädten, und wie sich Individuen, Gemeinschaften und Gesellschaften ihre gebaute Umgebung neu aneignen, um sie zu ihrer eigenen zu machen. Baan arbeitet mit führenden Architekten, Architektinnen und Architekturbüros zusammen. Seine Bilder werden regelmässig in Zeitungen und Zeitschriften wie The New York Times, The Wall Street Journal, The New Yorker, Domus und Architectural Digest veröffentlicht. Baan hat zahlreiche Bücher verfasst oder an ihnen mitgewirkt. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Goldene Löwe der Biennale in Venedig 2012, und seine Arbeiten wurden international ausgestellt, darunter eine retrospektive Wanderausstellung die 2023/2024 im Vitra Design Museum in Weil am Rhein gezeigt wurde.
Lindsay Harris (*1978) ist Kunsthistorikerin und Kuratorin und hat sich auf die Geschichte der Fotografie spezialisiert. Sie hat Ausstellungen in der American Academy in Rom, dem Italian Cultural Institute in New York und dem Museo Nazionale d’Artc Medievale e Modema in der Basilicata organisiert. Seit 2023 ist sie Leiterin des Smithsonian American Art Museum’s Research and Scholars Center.
Izzy Kornblatt (*1994), Kritiker und Autor, ist mitwirkender Redakteur bei Architectural Record und promoviert in Yale in Architekturgeschichte. Er hat an mehreren Büchern mitgewirkt, und unter anderem zwei Ausstellungen über Architektur und Technik im Philadelphia des zwanzigsten Jahrhunderts kuratiert.
Ryan Scavnicky (Scav) (*1989) ist ein Geschichtenerzähler, der mit experimentellen Medien einen architektonischen Diskurs schafft. Er studierte Architektur an der L’Ecole Speciale d’Architecture in Paris, am DAAP in Cincinnati und am SCI-Arc in Los Angeles. Scav ist derzeit Assistenzprofessor an der Marywood University School of Architecture.
Bibliografie
Iwan Baan «Rome – Las Vegas. Bread and Circuses»
320 Seiten, 180 Illustrationen, Softcover mit Einschlagseiten, geheftet, Format 17 × 22,7 cm, Juni 2024
Mit Fotografien von Iwan Baan
Texte: Lindsay Harris, Izzy Kornblatt, Ryan Scavnicky
Design: Haller Brun
Sprache: Englisch
Lars Müller Publishers, Zürich
Preis CHF 45.– / EUR 45.–
ISBN 978-3-03778-753-3
Das Buch kann im Buchhandel erworben oder direkt beim Verlag bestellt werden.
Nicht zum erstenmal „verführt“ mich eine Buchrezension von U.T. zum Kauf. Erstens schreibt er als Fotograf für Fotografen, zweitens setzt er seine Akzente – von der Buchauswahl bis zu den Bildbeschreibungen – jenseits von „Gefälligkeitsgutachten“. Meinen Dank an U.T. verbinde ich mit dem Wunsch eines „Weiter-So“!
Kann mich dem nur anschliessen.
Allerdings bedaure ich, dass dieses Buch nur rund A5-klein erscheint. Die Ausstellung im Vitra-Museum lebte durch die grossen Bilder. Sein Buch sollte etwa A3 erreichen.