Hermann Ritschard konnte sämtlichen digitalen Versuchungen widerstehen und fotografiert konsequent mit historischen Analogverfahren. Über sein Schaffen ist nun ein Bildband entstanden, der nicht nur sein Schaffen dokumentiert, sondern uns in die zeitlosen Epochen der Kunstfotografie zurückversetzt.
In ihrer Geschichte hat die Kunstfotografie viele interessante Epochen durchlebt. Eine davon war der Piktorialismus (ca 1890 bis 1914), in welcher mit allen kreativen und technischen Mitteln fotografische Kunstwerke mit gemäldeähnlichen Effekten zu schaffen das Ziel war. Dazu wurden neuartige Techniken eingeführt, sogenannte «Edeldruckverfahren», die nicht nur solche Effekte ermöglichten, sondern gleichzeitig durch ihre silberlosen Schichten wesentlich haltbarere Bilder ermöglichten als herkömmliche Fotografien. Die zweite Stilrichtung, der Realismus, war das pure Gegenteil davon: Die Bilder sollten so gegenständlich und so realistisch wie möglich sein, bei denen die höchstmögliche Schärfe und die perfekte Abbildung des meist sehr sachlichen Motivs (Neue Sachlichkeit, ca 1920 bis 1932) angestrebt wurde. Hermann Ritschard befasste sich in den sechs Jahrzehnten, in denen er fotografiert, sehr intensiv mit beiden Stilarten, und so ist es nicht verwunderlich, dass diese sein fotografisches Schaffen prägten und dass wir diese folgerichtig in diesem Buch vorfinden.
Hermann Ritschard hat das Buch den angewandten Techniken entsprechend in vier Kapitel unterteilt: In Van Dyke-Prints und Cyanotypien, in welchem wir vor allem Stillleben und Architekturlandschaften vorfinden, dann Bilder, die mit dem Kollodium-Nassplattenverfahren entstanden sind, weitere, vor allem Landschaften, welchem das Silbergelatine- oder das Lith-Printverfahren zugrunde liegt und schliesslich Landschaftsbilder, die mit Weichzeichner entstanden sind und mit einem impressionistischen Bildeffekt auffallen.
Der analogen Fotografie verpflichtet nutzte er konsequent verschiedene Grossformatkameras von 9×12 bis 30×40 cm Negativgrösse, mit denen er mithilfe der damaligen Techniken neue Kunstwerke schafft. Es entstehen zeitlose Werke, welche einen Dialog zwischen Schärfe (des Realismus) und Weichzeichnung (Piktorialismus) führen, wie es der Untertitel des Buches charakterisiert. In seinen Kapiteleinleitungen beschreibt Ritschard kurz die angewandten Techniken, was für die Betrachtenden nützlich ist, um die Bildeffekte besser zu verstehen.
Traditionell ist auch die Japanbindung des Buches, die besonders durch die auf der Vorderseite ungeschnittenen Bogen etwas ungewohnt ist. Grafiker Marc Lieberherr nutzt diese Art der Bindung kreativ, indem er die Innenseiten, die normalerweise bei der Japanbindung unbedruckt sind, nutzt, um dort jeweils klein das Negativ des gegenüberliegenden Bildes zu zeigen – allerdings etwas zu klein und nur wenig durchscheinend. Um diese Bindeart und die ungeschnittenen Vorderseiten zu erklären, liegt jedem Exemplar ein Buchzeichen bei, mit welchem auf diese Besonderheit hingewiesen wird.
Für wen ist dieses Buch? In erster Linie spricht es Leserinnen und Leser an, die sich für die frühen fotografischen Verfahren interessieren und sich von diesen begeistern lassen. Das Buch ist ein gelungener Rundgang durch jene Zeit, und dies mit völlig zeitlosen Motiven; man könnte meinen, die Bilder wären von hundert Jahren entstanden. Dann ist das Buch eine hervorragende Dokumentation für das bisherige Gesamtwerk von Hermann Ritschard, welcher der anlagen Fotografie nicht nur immer treu geblieben ist, sondern mit dieser Technik grossartige Bilder geschaffen hat – und sicher noch weitere schaffen wird.
Urs Tillmanns
Buchbeschreibung des Verlages
In der Publikation werden fünf Techniken in Herstellung und Bildern vorgestellt: Van Dyke Print, Cyanotypie, Kollodium-Nassplatte, Silbergelatineprint und Lith-Print. Als Vorlagen dienen Motive aus der näheren Lebenswelt des Fotografen. Der Fotopublizist Urs Tillmanns geht im Vorwort auf die verschiedenen analogen Foto-, resp. Edeldruckverfahren ein und bettet die Arbeiten des Schweizer Fotografen Hermann Ritschard, der durchwegs mit einer Grossformatkamera arbeitet und dem Stil von Albert Renger-Patzsch nahesteht, in einen fotohistorischen Kontext. Dabei wird ersichtlich, wie die Bildwelt Ritschards zwischen Piktorialismus und Realismus oszilliert.
Der Inhalt
Bilder aus einer stehengebliebenen Zeit – Urs Tillmanns
Vorwort des Fotografen – Hermann Ritschard
Van Dyke Print/Cyanotypie
Süsskartoffeln I / Süsskartoffeln II / Rosenkohl / Blumenkohl / Ackerbohnen / Mais / Kartoffeln / Zwiebeln / Rosmarin / Kürbis / Ernte / Knoblauch
Gerste / Hafer / Wilde Karde / Alter Güterwagen in Etzwilen (Detail) / Drehscheibe Etzwilen I / Drehscheibe Etzwilen II / Hintergasse I / Hintergasse II / Hintergasse III / Hintergasse IV / Küche / Hintergasse in Diessenhofen
Friedhofbaum / Dachdeckergeschäft in Diessenhofen / Strauss mit Rosen / Tor in Gailingen / Kaffeekocher / Brücke in Ossingen
Kollodium-Nassplatte
Kirche Amsoldingen / Tulpen / Afrikanische Riesenschnecke / Stillleben mit Trauben
Silbergelatineprint und Lith-Print
Weide (Thurauen) / Auenwald Farhau (Thur) / Klosterlinde Diessenhofen / Nussbaum / Linde im Linn / Kastanienbaum in Navone / Türschloss Stall (Trasadingen) / Reitschnecke im Munot / Munot Kasematte / Beim Gotthardpass /Sonnenblumen / Kaktusblüte
Iris mit Waschbecken / Bärlauch / Kalla / Milchstern / Raumpilz / Gerste / Malve mit Raureif / Wilder Wein / Rhabarberblatt / Kastanienblätter / Blühender Kastanienbaum / Rebberg im Felssturzgebiet (Ludiano Ti) / Weg in Giubiasco / Ruine Serravalle / Gola del Piottina / Schwärmer / Weinbergschnecke / Stillleben mit Vase I / Stillleben mit Vase I / Stillleben mit Vase IV / Antikes Gefäss, Südamerika / Nachdenken über die Kindheit / Nachdenken über das Leben / Sonnenstrahl (Keller Gächlingen ) / Diesbachfälle
Bergbach Toggenburg / Bach im Tessin / Am Rheinfall /Furt (Pizol) / Teich mit Seerose, Gächlingen / Thuraen / San Jacopo / Byzantinische Gräber / Erstes Grün nach dem Waldbrand / Dachlandschaft Madonna del Gracie
Weichzeichner
Wald beim Dickihof TG I / Wald beim Dickihof TG II / Wald beim Dickihof TG III / Wald beim Dickihof TG IV / Wald beim Dickihof TG V / Im Schaarenwald / Nussbäume bei Truttikon / Am Tobelbach / Weiher Rotmühle / Nachts an der Hintergasse (Diessenhofen)
Ausstellungen
Danksagungen, Biografie
Der Autor
Hermann Ritschard (*1950) fotografiert seit er als Neunjähriger von seinem Vater eine Kamera geschenkt bekam. Mit 15 sammelte er erste Erfahrungen im Fotolabor und lernte 1991 bei Peter Gasser das Grossformat kennen und belegte Weiterbildungskurse bei Werner Erne an der damaligen Schule für Gestaltung Zürich. Er fotografierte zunächst mit einer Plattenkamera aus den zwanziger Jahren, kaufte dann weitere, bis zum Format 30×40 cm, hinzu. Von Beruf Sekundarlehrer übte Hermann Ritschard seit jeher die Fotografie als Amateur und aus Liebe zur analogen Fotografie aus. Auf der Suche nach neuen Herausforderungen ist er auf alte Techniken gestossen, lernte bei Peter Michels das Kollodium(Nassplatten)- und das Salzpapierverfahren, experimentierte später mit Albumin- und VanDyke-Prints. Dabei konzentrierte er sich vor allem auf Naturbilder, aber auch auf Stillleben, Porträts und alles, was ihn fasziniert. Hermann Ritschard wohnt und arbeitet in Diessenhofen.
Ausstellung und Buchvernissage
Am nächsten Wochenende, Samstag 17. und Sonntag 18. August 2024, findet jeweils 14:00 bis 18:00 Uhr eine Ausstellung mit Originalbildern von Hermann Ritschard statt.
Ort: Tigerfinklifabrik, Steinerstrasse 16, CH-8253 Diessenhofen
Die Buchvernissage am Samstag, 17. August 2024 um 14:00 Uhr, ist öffentlich.
Bibliografie
Hermann Ritschard
«Faszination einer zeitlosen Fotografie
Schärfe und Weichzeichnung im Dialog»
90 Farbabbildungen auf 268 Seiten, Dünnpapierdruck, Freirückenbroschur mit Japanbindung, Klappenbroschur, Format 165 × 235 mm, Gewicht 380g
mitgeliefertes Buchzeichen mit Erklärung der Japanbindung
Sprache: Deutsch
Texte von Hermann Ritschard und Urs Tillmanns
Grafik: Marc Lieberherr Studio, St. Gallen
Verlag ABCDEFGHJIKLMNOPQRSTUVWXYZ, Diessenhofen
Preis; CHF 42.00 / EUR 42.00
ISBN 978-3-03858-415-5
Das Buch kann im Buchhandel, direkt beim Verlag oder beim Autor mit persönlicher Widmung bestellt werden.