Urs Tillmanns, 20. August 2024, 17:04 Uhr

Fotostiftung Schweiz: Gespräch mit dem neuen Direktor Lars Willumeit

Rund zwei Monate sind vergangen, seitdem der Direktionswechsel bei der Fotostiftung Schweiz in Winterthur stattgefunden hat. Wir haben Lars Willumeit, den neuen Direktor, nach seiner Herkunft, nach der Bedeutung der Fotostiftung und nach seinen Zielsetzungen für die Zukunft befragt.

 

Fotointern: Ganz kurz: Wer sind Sie?

Lars Willumeit: Ich bin ein Doppelbürger, der 1974 in Deutschland geboren wurde und seit 2006 in der Schweiz lebt. Mein Werdegang nach dem Abitur und dem Zivildienst beinhaltet eine Ausbildung als Fotograf – übrigens im letzten Jahrgang, in dem schulseitig noch keine Digitalfotografie unterrichtet wurde. Danach habe ich in London Sozialanthropologie, mit einem Schwerpunkt auf der Visuellen Anthropologie, studiert. Parallel dazu habe ich durch diverse Praktika und Teilzeitanstellungen in London, Köln und Hamburg bei Bildagenturen, Bildarchiven sowie verschiedenen Printmedien erste Erfahrungen im Bereich der Bildindustrie als Bildrechercheur und Archivmitarbeiter gesammelt. Der nächste grosse Schritt war ein Volontariat und danach die Anstellung als Bildredaktor in der GEO-Magazin-Redaktion in Hamburg.

 

Welchen Bezug haben Sie zur Schweiz?

2005 habe ich einige Zeit als Elternzeitvertretung das New Yorker GEO-Büro geleitet, und dort meine jetzige Partnerin, die Schweizerin ist, kennengelernt. So sind wir 2006 gemeinsam in die Schweiz gezogen. Von da an war ich als Bildredaktor für diverse Printmedien, Buchverlage und Kulturinstitutionen tätig, unter anderem fünf Jahre als Bildchef der Kulturzeitschrift DU. Am Ende dieser Periode begann ich, zuerst als freier Kurator und Autor zu arbeiten, und absolvierte parallel dazu einen Master-Studiengang an der ZHdK in Curating und Museum Education. Dann folgte ein Intermezzo als Gründungsleiter der Fachklasse Fotografie an der F+F Schule für Kunst und Design und schliesslich 2018 der Ruf an das Musée Elysée, damals noch im ehemaligen Herrenhaus im Quartier Ouchy. Dort verantwortete ich unter anderem eine grosse Josef Koudelka-Ausstellung, eine Ausstellung zum Anthropozän von Yann Mingard, sowie die Neukonzeption der Sammlungsausstellung des nun neubenannten Photo Elysée.

 

Beleuchten wir doch kurz drei ihrer Stationen: Kulturmagazin DU, dann Leiter der Fachklasse Fotografie an der F+F, und schliesslich Photo Elysée. Welches war das Interessanteste für Sie?

(lacht) Das ist ja gerade das spannende an der Fotografie, die ‘Fotograf-Vielfalt’, wie das Jörg Scheller von der ZHdK einmal formuliert hat; diese diversen Gebrauchsweisen sowie die unterschiedlichen Kontexte, in denen Fotografie stattfindet – sei es seitens ihrer Produktion, Zirkulation oder ihrer Rezeption. Von daher kann ich nicht sagen, welche dieser Tätigkeiten mich am meisten faszinierte. Aber alle haben mir enorm viel gebracht als Lernerfahrung und für meine Lehrerfahrung. Die Mitgründung der Fachklasse an der F+F war sicher eine aussergewöhnliche und einmalige Gelegenheit und Herausforderung für die ich dem Team der F+F auch heute noch dankbar bin. So konnte ich mir den beruflichen Rucksack einmal mehr durch ein sehr breites Erfahrungsspektrum erweitern.

 

Welche Art von Fotografie begeistert Sie persönlich am meisten?

Das ist bei mir sehr eklektisch, wie auch mein Musik- oder mein Kunstgeschmack allgemein. Es gibt immer wieder Momente, die überraschen mögen und auf den ersten Blick nicht unbedingt zusammenpassen. Was mich jedoch am Pluriversum der Fotografie interessiert, sind die sehr diversen Praktiken und Umgänge mit dem Fotografischen. Konkreter gesagt, interessiert mich, neben Traditionen und Positionen der Reportagefotografie und der dokumentarischen Fotografie, besonders die Verwendung von Fotografie innerhalb der Wissensgenerierung in den Wissenschaften sowie als Methode in der künstlerischen Forschung, in den Medien oder im Aktivismus. Darüber hinaus habe ich mich auch kuratorisch mit den Möglichkeiten im Umgang mit bestehenden Bildern auseinandergesetzt; also ihrer Reaktivierung und Umdeutung in neuen gesellschaftlichen und historischen Kontexten – sei es für künstlerische, mediale oder auch aktivistische Strategien und Zwecke.

 

Fotografieren Sie auch für sich privat?

Ich fotografiere privat seit ein paar Jahren fast ausschliesslich via Mobiltelefon, und ich identifiziere mich auch nicht mehr als professioneller Fotograf, obwohl ich eine entsprechende Ausbildung gemacht hatte. Es hat sich bei mir schon während der Ausbildung herauskristallisiert, dass ich neben den vielen erstklassigen Fotografinnen und Fotografen wohl in der Praxis in einem Mittelfeld geblieben wäre. Mich hat die Kontextualisierung von Bildern und die Bildanalyse immer sehr viel mehr interessiert und ich habe so schnell gemerkt, dass mein Talent eher im Umgang mit den Bildern anderer Fotografinnen und Fotografen lag.

 

Sie sind seit zwei Monaten Direktor der Fotostiftung Schweiz. Welchen Stellenwert hat diese Institution schweizweit und im internationalen Vergleich für Sie?

Die Frage, ob es eine Institution zur Aufbewahrung von fotografischem Kulturerbe braucht, wird ja besonders auch in Deutschland und in Österreich immer wieder stark diskutiert, und hier ist die Schweiz in einer absoluten Vorreiterrolle, denn 1971, als die Fotostiftung gegründet wurde, gab es in den meisten anderen Ländern noch nichts Vergleichbares. Auch national nimmt die Fotostiftung mit ihrer Netzwerkfunktion eine sehr wichtige Rolle ein, welcher der Leistungsvereinbarung mit dem Bundesamt für Kultur zugrunde liegt. Dabei bleibt die Herausforderung, die konstant anwachsenden Bestände von Vor-/Nachlässen innerhalb unserer Kernmissionen der Erhaltung, der Erschliessung und der Zugänglichmachung optimal zu bewältigen. Dies betrifft einerseits die Platzfrage für Archive aus der analogen Zeit, doch stellen sich auch mit der Digitalfotografie nicht minder anspruchsvolle Herausforderungen der digitalen Langzeitarchivierung. Auch haben wir in der Schweiz noch keine vollausgebildete und optimal koordinierte Kulturerbepolitik – diese ist zwar in der Mache, aber noch sind in diesem Bereich sehr viele Fragen offen. Nicht zuletzt, geht es darum eine verbesserte Koordination von Dienstleistungen und Infrastrukturen zu schaffen. Nur so können Doppelspurigkeiten in verschiedenen Institutionen vermieden und letztendlich Effizienzgewinne, bei gleichzeitiger Verbesserung der Bedingungen für das bewahrte Kulturerbe, erreicht werden.

 

Sie waren zuvor Kurator am Photo Elysée. Wie vergleichen sich diese beiden Institutionen und welches sind ihre Zielsetzungen?

Da gibt es eine historische Verknüpfung, weil das Musée Elysée ursprünglich als Filiale der Fotostiftung Schweiz in der Westschweiz angedacht war. Daraus ist dann ein kantonales Museum für Fotografie entstanden, was dieses in Sachen Trägerschaft auch heute noch auszeichnet. Im Unterschied zur Fotostiftung sammelt und zeigt das Photo Elysée nicht nur Helvetica, sondern auch Positionen aus dem internationalen Kontext.

 

Eine der Stärken der Fotostiftung Schweiz war in der Vergangenheit der Mix von Ausstellungen klassischer und weniger bekannter Fotokünstlerinnen und Fotokünstler. Dazu erschienen oftmals umfassende Publikationen. Werden Sie diesen Stil weiterführen oder welches ist Ihr Konzept für die Zukunft der Fotostiftung?

Also nach zwei Monaten ein fertiges Konzept für die Zukunft der Fotostiftung vorzulegen, wäre wohl etwas vermessen, doch stelle ich mir vor, dass in der Fotostiftung in Zukunft ein noch breiteres Spektrum an Ausstellungsformaten stattfinden kann. Dazu gehören für mich neben den weiterhin relevanten Ausstellungen zu einzelnen Bildautorinnen und Bildautoren auch Ausstellungen, welche bisher eher an die Ränder der Fotowelt gedrückte Phänomene zeigen. Dies sowohl im Sinne von nicht dem klassischen Kanon zugehörigen Positionen, aber auch allgemeinere kulturhistorisch relevante Phänomene der Fotokultur, die bisher jenseits des institutionellen Radars existierten. Publikationen sind weiter wichtige Werkzeuge der Wissensvermittlung, aber gleichzeitig ist das Umfeld für den Absatz von Büchern besonders nach der Corona-Phase noch herausfordernder geworden in Sachen Finanzierung wie auch in der Nachfrage.
Mit unserem erneuerten Bildarchiv Online sowie wie mit zwei neuen Vermittlungsformaten wollen wir der Öffentlichkeit in Zukunft einen nochmals erweiterten Zugang geben, zu dem was in unseren Archiven an Schätzen schlummert, aber auch zeigen, welche Kompetenzen und Tätigkeiten mit dieser Arbeit verbunden sind. Dazu planen wir, unser Sammlungskonzept zugänglich zu machen, welches einen Kriterienkatalog transparent macht, auf dessen Grundlage wir unsere Entscheidungen zur Aufnahme oder Absage treffen.
In Kulturerbe-Institutionen geht es einerseits darum die Vergangenheit aufzubewahren und zu überliefern, aber auch mehr denn je aus der Zeitgenossenschaft der Gegenwart heraus diese Vergangenheit neu zu sichten und zu interpretieren. Anderseits erachte ich es auch als unsere Aufgabe, die gegenwärtige fotografische Produktion zu fördern und auch junge Talente auszustellen, deren Werke als wegweisend für die Zukunft des Fotografischen erachtet werden können.

 

Das Fotomuseum als Partnerinstitution im Fotozentrum ist 2024 bei Ihnen zu Gast gewesen, weil deren Räumlichkeiten sich bis 2025 im Umbau befinden. Wie ergänzen sich diese beiden Institutionen aus Ihrer Sicht?

Die beiden Institutionen ergänzen sich schon dadurch, dass sie einen unterschiedlichen Sammlungsfokus haben, das Fotomuseum mit vorwiegend internationalen Positionen seit den 1960er-Jahren und einer Tendenz zu konzeptuellen Ansätzen. Die Fotostiftung wiederum ist in ihrer Sammlungstätigkeit auf die Gesamtgeschichte der fotografischen Helvetica ausgerichtet und im Bereich der Archive auf ganze Vor- und Nachlässe. Sie ist daneben stark in der Fotografieforschung und in der Erarbeitung von Empfehlungen für die Konservierung und Digitalisierung von Fotografien engagiert und unterstützt hier andere Institutionen, die vielleicht nicht über das Know-how oder die entsprechende Infrastruktur verfügen. Die Fotostiftung hat demzufolge zwei Ausrichtungen, einmal eine für das Publikum in Ausstellungen und den Publikationen sichtbare, dann aber eine zweite für eine professionelle Community relevante, die vielleicht noch nicht so bekannt, aber nicht weniger wichtig ist.

 

Was wollen Sie mit der Fotostiftung der jungen Generation bieten, die die Fotografie nur mit dem Smartphone, künstlerischer Intelligenz und in den sozialen Medien pflegen?

Das ist sicher eine wichtige Zielgruppe, und ich sehe noch weiteres Potenzial, als Teil der ‘Gastgeberschaft’ gemeinsam mit dem Fotomuseum, diesen jungen Bildinteressierten sowohl in der Breite als auch in der Tiefe zukünftig mehr Angebote zu machen – online und offline. Als Fotostiftung streben wir an, ein Ort für das gesamte Spektrum fotografischer Praktiken zu sein. Das Fotomuseum bietet mit einem Gegenwartsfokus und einem Schwerpunkt auf Vermittlung schon seit einer Weile ein breites Angebot in diesem Feld – das ergänzt sich insofern bereits sehr gut.

 

Ein Blick in die Glaskugel. Welches sind Ihre Visionen für die Fotostiftung in fünf Jahren?

Wir werden das Kulturerbe weiter bewahren, erforschen und zugänglich machen. Unsere Sammlungen und Archive werden um diverse interessante Positionen erweitert sein. Noch etwas ganz Wichtiges: Zu diesem Zeitpunkt wird auch hoffentlich eine gesamtschweizerische Kulturerbepolitik samt der Koordination und der infrastrukturellen Massnahmen bestehen, anhand derer Schweizer Kulturerbe wirtschaftlich und ökologisch nachhaltig dauerhaft bewahrt werden kann und somit die vorhandenen begrenzten finanziellen und räumlichen Ressourcen gemeinsam besser genutzt werden können.

Herr Willumeit, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und wünschen Ihnen und der Fotostiftung Schweiz weiterhin alles Gute

Das Interview führte Urs Tillmanns am 4. August 2024
Fotos: © Urs Tillmanns / Fotointern.ch

Weitere Informationen
• zur Fotostiftung Schweiz 
• zum Fotomuseum Winterthur
• zu Photo Elysée Lausanne

 

 

 

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