Urs Tillmanns, 17. November 2024, 07:29 Uhr

Jetzt in der Fotostiftung Schweiz: «Binia Bill – Bilder und Fragmente»

Noch bis 26. Januar 2025 ist in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur die Retrospektive über Binia Bill «Bilder und Fragmente» zu sehen. Die Ausstellung bietet einen umfassenden Einblick in ihr Schaffen und würdigt ihre Rolle als Pionierin der modernen Fotografie.

Binia Bill gilt heute als bedeutende Vertreterin der Schweizer Fotografie des 20. Jahrhunderts. Ihre Arbeiten sind nicht nur ein wertvolles Dokument der Kunst- und Kulturszene ihrer Zeit, sondern zeigen sich als eigenständiges Werk, das die moderne Bildsprache der Vorkriegszeit mit einer individuellen Sensibilität vereint.

 

Die Ausstellung schlägt einen Bogen von der angewandten Fotografie bis hin zu freien fotografischen Arbeiten. Gezeigt werden Produktinszenierungen, Architekturaufnahmen, Porträts, Stillleben und Pflanzenstudien. Im ersten Raum wird mit einer Reihe von Selbstporträts die junge Binia Bill vorgestellt, die sich Anfang der 1930er-Jahre ambitioniert und selbstbewusst ihrem neuen Beruf zuwandte. Ihren frühen Auftragsarbeiten werden in Vitrinen die von Max Bill gestalteten Prospekte, Plakate und Anzeigen gegenübergestellt. Ein wichtiger Auftraggeber des Ehepaars Bill war die 1931 gegründete Firma Wohnbedarf. Binia Bill dokumentierte die Reklameschriften von Max Bill an Schaufenstern und Gebäudefassaden sowie seine künstlerische Arbeit und das 1933 erbaute Atelierhaus in Zürich-Höngg. Mit ihren Aufnahmen trug Binia Bill wesentlich zur öffentlichen Wahrnehmung des Architekten und Künstlers bei.

 

Im zweiten Raum thematisiert eine Reihe von Porträts die Begegnungen und Freundschaften der Bills mit dem Architektenpaar Elsa Burckhardt-Blum und E. F. Burckhardt, den Künstler/innen Hans Arp, Max Ernst und Verena Loewensberg. Binia Bills Darstellung dieser Persönlichkeiten zeichnet sich teilweise durch ungewohnte Perspektiven aus, vor allem aber durch die familiär wirkende Inszenierung. Ein weiteres Kapitel der Ausstellung beleuchtet Bildgruppen, mit denen Binia Bill in einem reportageartigen Stil beispielsweise eine Schafschur, einen Kleintiermarkt in Paris und einen Wanderzirkus festhielt.

 

Der letzte Teil der Ausstellung ist der fotografischen Auseinandersetzung mit Körpern, Objekten und Pflanzen gewidmet, die Binia Bill vor unterschiedlichen Hintergründen arrangierte. Sie orientierte sich dabei an einer avantgardistischen Fotografie, die die spezifischen Eigenschaften und Möglichkeiten des Mediums auslotete: die detailgetreue Wiedergabe von Oberflächen, die Betonung des Kontrasts zwischen Licht und Schatten sowie der experimentelle Umgang mit Ausschnitten und Perspektiven.

 

Die grossformatigen Abzüge, die Binia Bill bereits in den 1930er-Jahren für Ausstellungen herstellte, belegen, dass Binia Bill nicht nur für den angewandten Bereich arbeitete, sondern ihre Bilder auch als Kunstwerke verstand. Ergänzt werden diese Vintageprints durch rund 78 neu produzierte Inkjetdrucke von teilweise nie publizierten Aufnahmen. Dies wurde möglich durch eine umfassende Aufarbeitung und Digitalisierung von Binia Bills Negativarchiv.

Was von Binia Bills Arbeit erhalten ist, spricht für einen gebührenden Platz innerhalb der internationalen Fotogeschichte: Sie gehörte zu den wenigen Frauen in der Schweiz, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowohl angewandt als auch künstlerisch mit der Fotokamera tätig waren. Ihre Fotografien sind heute fester Bestandteil des Bildgedächtnis der Schweizer Moderne.

Seit Anfang 2024 befindet sich der gesamte fotografische Nachlass in der Fotostiftung Schweiz und konnte dank der grosszügigen finanziellen Unterstützung von Jakob und Chantal Bill gereinigt und neu verpackt werden. Die Archiv-Übergabe und Aufarbeitung des Bestandes werden mit der Ausstellung Binia Bill – Bilder und Fragmente abgerundet.

 

Biografie

Binia Mathilde Spoerri (1904–1988) wuchs in Zürich-Fluntern auf und begann in ihrer Jugend Cello zu spielen. Nach ihrer Ausbildung zur Konzertcellistin in Paris besuchte sie 1930 die Fotoklasse von Lucia Moholy an der Berliner Itten-Schule. Zurück in Zürich arbeitete Binia Spoerri als freie Fotografin. 1931 heiratete sie den Architekten und Künstler Max Bill, was zugleich der Auftakt einer engen Zusammenarbeit war. Im Dezember 1935 fand ihre erste und zu Lebzeiten einzige Einzelausstellung mit dem Titel «pflanzen / tiere / menschen / erde / wasser / luft» statt und 1936 war Binia Bill im von ihrem Mann eingerichteten Schweizer Pavillon der VI Triennale di Milano vertreten. Insgesamt war ihre Ausstellungspräsenz für die 1930er Jahre durchaus ungewöhnlich, da es in der Schweiz zu dieser Zeit kaum Fotografinnen gab, die dieses Selbstverständnis hatten und Anerkennung erhielten. Nach der Geburt ihres Sohnes 1942 fotografierte Binia Bill nur noch selten und liess ihr Archiv bewusst in Vergessenheit geraten. Erst nach dem Tod der Mutter sichtete Jakob Bill den fotografischen Nachlass zusammen mit seiner Frau Chantal Bill. Die beiden begannen, sich mit der max, binia + jakob bill stiftung auch für das Werk der Fotografin einzusetzen und beschlossen 2023 die Übergabe des Bestands an die Fotostiftung Schweiz.

 

Das Buch zur Ausstellung

Binia Bills Fotografien verraten das Umfeld der Bauhaus- und damaligen Sach-Fotografie und lassen ihre Zugehörigkeit zu den Zürcher Konkreten erkennen. In ihren Stillleben, Porträts und Blumenbildern entwickelte sie jedoch eine persönliche und unverwechselbare Bildsprache. Die ausgewählten Fotografien dieser Publikation beweisen dies.
Das Buch erschien zu einer Ausstellung im Aargauer Kunsthaus, Aarau

«Binia Bill – Fotografien»

144 Seiten, 120 Schwarzweiss-Abbildungen, Fadenheftung, Hardcover, Format 23,5 x 27 cm
Herausgegeben von Aargauer Kunsthaus, 2004
Verlag Scheidegger + Spiess, Zürich
Preis: CHF 48.00
ISBN 978-3-85881-155-4

Das Buch kann im Buchhandel erworben, im Shop der Fotostiftung Schweiz gekauft oder direkt beim Verlag bestellt werden.

Die Ausstellung ist noch bis 26. Januar 2025 zu sehen. Kuratiert wurde sie von Teresa Gruber.

Veranstaltungen

Jeden Sonntag, 11.30 Uhr
Öffentliche Führung durch die Ausstellung Binia Bill – Bilder und Fragmente

Sonntag, 17. November 2024, 11.30 Uhr
Wer war Binia Bill? Ausstellungsgespräch mit Teresa Gruber, Kuratorin, und Jakob Bill

Sonntag, 19. Januar 2025, 11.30 Uhr
Binia Bill und die Zürcher Konkreten. Ausstellungsrundgang mit Thomas Haemmerli, Regisseur und Co-Herausgeber der Publikation Kreis! Quadrat! Progress!

Fotostiftung Schweiz
Grüzenstrasse 45
CH-8400 Winterthur
Telefon 052 234 10 30

Stimmungsbilder © Urs Tillmanns / Fotointern
Inserts © Jakob Bill / Fotostiftung Schweiz
Redigierter Pressetext Fotostiftung Schweiz

 

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